Paul Schreckenbach
Michael Meyenburg
Paul Schreckenbach

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VII.

»Nordhausen liegt zu dieser Zeit wie eine sichere Insel in den brausenden Meereswogen. Überall im Reiche herrscht Aufruhr, allerorten erhebt sich der gemeine Mann, Recht und Gesetz und Ordnung kommen ins Wanken, keiner will mehr dienen und gehorchen, die Knechte erheben sich über ihre Herren, die Untertanen über ihre Obrigkeit. Schon brechen da und dort die Flammen aus den Sitzen der Ritter und den Klöstern. Vorgestern ist der Abt vom Himmelsgarten, gestern der von Walkenried als Flüchtlinge bei uns eingekehrt und haben ihre Höfe in der Stadt bezogen. Dieser führte viele Fässer voll des besten Weines mit sich, jener eine große Menge wertvoller Bücher und Handschriften, so daß für die Nahrung des Geistes wie des Körpers gesorgt ist, wenn einer die geistlichen Herren besucht. Sie fühlen sich bei uns in Sicherheit und sind es auch, und ich will dir wünschen, mein Justus, daß es den Fürsten von Sachsen gelingt, auch bei euch in Wittenberg die Ruhe und Ordnung zu bewahren. Dir und dem verehrungswürdigen Doktor Martinus und allen in deiner Stadt, die guten Willens sind, insbesondere auch dem Meister des Pinsels, Herrn Lucas Kranach, dem Bürgermeister, meinem Freunde, Gruß und Heil.«

So lautete der Schluß eines lateinischen Briefes, den Michael Meyenburg im April an seinen Freund Justus Jonas geschrieben hatte. Als der letzte Federstrich getan war, blickte er mit Genuß auf sein Werk hernieder. Er freute sich, daß er trotz der geringen Übung noch immer ein so gewandtes Latein zu schreiben vermochte, und noch mehr freute er sich darüber, daß er ein so erfreuliches Bild von den Zuständen seiner Heimatstadt hatte entwerfen dürfen. Ja, in Nordhausen war es bis zur Stunde still und ruhig geblieben, während in Mühlhausen, wie man hörte, der neue, vom Volke gewählte Rat nicht mehr Macht und Gewalt besaß als der abgesetzte Rat der Geschlechter, und die Propheten die gebietenden Herren der Stadt geworden waren. In Nordhausen hatte der Rat noch die Zügel in der Hand, und das war nicht zum mindesten das Verdienst seines Syndikus, ja, es war eigentlich ganz und gar sein Werk, denn die Herren auf dem Rathause hatten samt und sonders den Kopf verloren und waren der Lage nicht gewachsen.

Mit Selbstgefühl schnürte und versiegelte er den Brief und legte ihn in eine Lade, denn vor übermorgen war an eine Beförderung nicht zu denken. Dann leerte er den Humpen, den er sich zum Schlaftrunk zurechtgestellt hatte, bis auf den Grund und begab sich zur Ruhe als ein Mann, der mit sich zufrieden ist. Es war hohe Zeit, denn vom Turme der Sankt Blasienkirche schlug es zwölf Uhr, und um diese Stunde wachten in Nordhausen, wie der Altbürgermeister Sack zu sagen pflegte, nur die Diebe und die Trunkenbölzlein.

Er mochte etwa eine Stunde geschlafen haben oder auch zwei, als heftig an die Tür seines Schlafgemaches gepocht wurde. Nach geraumer Zeit erwachte er davon, obwohl er sehr schwer aus dem Schlafe zu erwecken war, und fragte mit zornigem Schnaufen: »Wer da? Was soll's?« Darauf erwiderte die sanft flötende Stimme seiner Wirtschafterin: »Sie stürmen die Klöster, Herr!«

Mit einem Satze sprang er aus dem Bette. »Bist du des Teufels? Wer stürmt die Klöster? Was für Klöster?«

»Ich weiß es nicht, Herr. Man hört nur Schreien und Lärmen in der Ferne. Der Herr Bürgermeister Ernst und Herr Ratsmeister Schmidt sind unten und bitten Euch, herunterzukommen.«

»Ich komme gleich!« schrie Meyenburg. So schnell er es vermochte, zündete er ein Licht an, stürzte auf seinen Wandschrank zu und wappnete sich vom Kopf bis zu den Füßen. Dann eilte er klirrend die Treppe hinunter, wo die beiden auf ihn warteten.

»Was ist geschehen? Wie ist das möglich?« schrie er.

»Ich weiß nur, daß ein Volkshaufen ins Predigerkloster eingebrochen ist,« erwiderte Konrad Ernst finster. »Sie haben alles ausgeraubt, geplündert und zerschlagen. Dann sind sie zu den Augustinern, und jetzt stehen sie vor den Barfüßern. Die Mönche haben sie, wie es scheint, gern hineinkommen lassen und sind mit ihnen abgezogen.«

»Wo ist Stockhausen?« fragte Meyenburg.

»Der sammelt die Knechte auf dem Kornmarkt.«

»Dann zu ihm hin und sofort nach dem Barfüßerkloster! Viele brauchen wir gar nicht zu sein. Ein Dutzend beherzter Männer genügen. Davor laufen die Schelme davon.«

Die drei setzten sich in Bewegung. »Das alles muß wie der Wind gegangen sein,« sagte Schmidt im Vorwärtsschreiten. »Sie können überall kaum eine halbe Stunde gewesen sein.« »Daraus können wir sehen, daß sie Angst haben und sich nicht stark fühlen,« entgegnete Meyenburg. »Wir müssen uns sogleich auf sie werfen und sie auseinandersprengen. Es darf nicht so weit kommen bei uns wie in Mühlhausen. Am besten wäre es, wir nähmen ein paar gefangen und ließen sie morgen richten. Das schüchtert die Bösgesinnten ein.«

Auf dem Kornmarkte vor dem alten Rathause trat ihm der Stadthauptmann von Stockhausen entgegen, der vor einem starken Landsknechtshaufen stand. Die Spitzen der Hellebarden blinkten hell im Lichte des untergehenden Mondes.

»Es ist nicht viel zu tun gegen die Rotte,« sagte er bekümmert. »In der Domfreiheit sitzt Sundhausen mit dreißig Knechten, und den können wir nicht herausziehen. Achtzig brauchen wir an den Toren, so habe ich hier nur achtzig oder neunzig, und mit denen kann ich nichts machen.«

»Achtzig Knechte werden doch genügen, um einen Volkshaufen auseinander zu treiben, der schlecht bewaffnet ist?« rief Meyenburg.

»Ihr irrt,« erwiderte Stockhausen. »Sie sind sehr gut bewaffnet. Vor Mitternacht haben sie das Siechentor aufgemacht, unsere Knechte sind davongelaufen. Da ist viel Volks eingeströmt, Bauern und solche, die vor uns geflohen waren. Poppe ist wieder da und Kehner und Helmsdorf und die anderen. Sie haben Waffen mitgebracht, auch Feuerrohre und die Hakenbüchsen und Feldschlangen von der Mauer genommen. Wollt Ihr's, so renne ich wider sie, an. Aber ich sage Euch voraus, es wird eine blutige Schlacht werden. Die Altendörfer sind auf, und die aus dem Rautenviertel sind ganz wie die wilden Bestien.«

»Ich acht', es ist das beste, wir lassen sie die Barfüßer ausplündern und rühren keine Hand dagegen,« sagte der hinzutretende Bürgermeister Oethe. »Dahingegen wollen wir das Rathaus gut besetzen, damit wir es fest in der Hand behalten.«

»Das wird ein guter Rat sein,« erwiderte Meyenburg, und auch die anderen stimmten zu. So begab man sich denn nach dem Rathause, und mit der Zeit fanden sich dort auch alle zwölf Bürger- und Ratsmeister zu Ernst und Oethe, die gerade zu dieser Zeit die Worthabenden waren. Auch viele der Ratsherren kamen bewaffnet herbei, eine ganze Anzahl freilich brachte den Mut dazu nicht auf. Sie verkrochen sich in ihren Häusern, die sie fest verschlossen und verrammelten, und warteten in Angst der Dinge, die da kommen sollten. Es kam aber nichts. Die Aufrührer schienen es vor der Hand nur auf die Klöster abgesehen zu haben. Auch in das Stift zum Heiligen Kreuz waren sie eingedrungen und hatten schon begonnen, einige Kurien zu plündern, da warf sie der Hauptmann von Sundhausen wieder heraus und verjagte sie durch einige Schüsse, die er von der Mauer herab aus Hakenbüchsen gegen sie abfeuern ließ. Nun begannen die Domherren, soweit sie verständig waren, einzusehen, daß der ihnen abgeforderte Bürgereid auch sein Gutes habe. Der Rat schützte seine Untertanen vor der Gewalttat, um die er sich sonst nicht hätte zu kümmern brauchen.

Auf dem Rathause platzten unterdessen die Geister heftig aufeinander. Die einen schlugen vor, man solle die Sturmglocken läuten und alle Bürger aufbieten und über die Empörer herfallen, die sich schwerlich eines Angriffes versähen, sondern wohl eben dabei wären, ihre Beute zu verteilen. Die anderen waren für gütliche Verhandlungen mit den Rebellen, und ihnen schloß sich, zur Verwunderung vieler, auch Meyenburg an. »Wir wissen nicht,« sagte er, »wie viele jene sind und wie stark der Zuzug ist, den sie erhalten haben. Auch wissen wir nicht, wie sie bewaffnet sind. Das alles müssen wir erst erkunden. Sonst heben wir ohn allen Nutzen ein großes Morden an. Unterlägen wir da, so wäre der Pöbel Herr in der ganzen Stadt, und es könnte bei uns noch ärger werden als in Mühlhausen. Darum rate ich, sendet Boten an sie ab, die sie fragen, was sie wollen und von uns begehren.«

»Wir können doch nicht mit dem gemeinen Manne verhandeln, als wäre er unseresgleichen?« rief der Ratsmeister Schmidt dazwischen. »Ich erkenne Euch nicht wieder, Syndikus! Waret Ihr nicht immer für scharfe Mittel?«

»Je nach den Umständen,« erwiderte Meyenburg. »Der kluge Mann beißt auch einmal in einen saueren Apfel, wenn er dadurch vermeidet, in einen giftigen beißen zu müssen. Sendet Boten an sie ab und sagt, sie sollten euch ihre Wünsche zu Papier bringen. Darüber werden Tage vergehen, und wir brauchen vor allen Dingen Zeit. Schon ist der Mansfelder gerüstet, und die Fürsten ziehen allgemach heran. Nicht mich sendet zu der Rotte, denn mein Wort findet jetzt bei ihnen gewißlich keine gute Stätte. Schickt andere, die beliebt sind beim gemeinen Volke.« Die meisten stimmten nach einigem Hin- und Herreden dem Rate Meyenburgs zu, denn es graute ihnen vor einem blutigen Kampfe mit ihren Mitbürgern, dessen Ausgang in der Tat niemand voraussagen konnte. Er wurde auch dadurch unterstützt, daß der Reichsschultheiß Leonhard Busch einen Diener sandte und den Herren auf dem Rathause empfahl, sie möchten die Bürger gütlich anhören, die Leute seien bereit zu unterhandeln. So wurden die Ratsherren Bohne und Eilhard, zwei ältere, allgemein beliebte Männer, zu dem Volkshaufen im Altendorfe abgesandt, mit den Rotten, die sich auf dem Peterskirchhofe versammelt hatten, beredete sich der Bürgermeister Oethe persönlich. Die Verhandlungen zogen sich über den ganzen Tag hin, denn es war wirklich so, wie es der Syndikus vorausgesagt hatte: die Leute wußten nicht, was sie wollten, und waren nicht unter einen Hut zu bringen. Der eine wollte dies, der andere das, und sie gerieten sich dabei kräftig in die Haare. Am Abend wurde indessen so viel erreicht, daß die Führer der Haufen dem Rate gelobten, sie wollten keine Gewalttat mehr verüben, solange die Verhandlungen zwischen dem Rate und der aufständischen Bürgerschaft schwebten. Darüber entrüsteten sich viele der Bauern, die des Raubens und Plünderns wegen in die Stadt gekommen waren, so sehr, daß sie auf der Stelle unter Schimpfen und Fluchen hinwegzogen und ein Lager vor dem Tore aufschlugen. Dort beschlossen sie, zu Thomas Münzer zu ziehen, sobald der Tag anbräche, und damit war Nordhausen eines großen Teiles seiner schlimmen Gäste ledig.

Meyenburg überdachte das mit Vergnügen, als er in der Dämmerung seinem Hause am Hagen zuschritt, und sann darüber nach, wie man wohl am nächsten Tage durch kluge Verhandlungen die Rebellen noch weiter schwächen könne. Dabei hatte er das Rasseln eines hinter ihm herfahrenden Rollwagens gänzlich überhört und konnte kaum noch zur Seite springen, als der Kutscher ihn anrief. Er hatte nicht weiter Obacht auf den Insassen des Wagens, der die Kappe tief ins Gesicht gezogen hatte. Es mochte wohl einer der Landpriester sein, wie sie jetzt in Menge die Mauern Nordhausens aufsuchten, um hier Schutz zu finden vor den wilden Haufen, die im Lande umherzogen, oder auch vor ihrer eigenen lieben Gemeinde. Um so erstaunter war er, als er um die Ecke biegend, das Gefährt vor seinem Haus halten und den Reisenden in die Tür treten sah. Der Gestalt, der Haltung nach war das doch – nein, das konnte nicht sein, schien ganz und gar unmöglich. Wie konnte dieser Mann gerade jetzt in Nordhausen erscheinen!

Aber als er ihm beflügelten Schrittes jetzt nacheilte, sah er, daß er sich nicht getäuscht hatte. Im Vorraum seines Hauses stand Doktor Martin Luther und streckte ihm die Hand entgegen. »Gott zum Gruße, Herr Syndikus Meyenburg! Ihr seid wohl verwundert, mich hier zu sehen?« rief er.

»Nichts hätt' ich mir freilich weniger träumen lassen als diese Ehre und Freude,« erwiderte Meyenburg, sich tief verneigend. »Hochwillkommen, Herr Doktor! Tretet ein! Was führt Euch unter mein geringes Dach?«

»Nun, ein geringes Dach ist das ja nicht,« sagte Luther, indem er das Wohngemach betrat. »Ihr wohnt wie ein Graf. Davor muß sich selbst das Haus meines Freundes Kranach in Wittenberg verstecken. Potz Tausend! Ich habe nicht gewußt, daß Ihr ein so reicher Mann seid. Aber um so weniger macht es Euch wohl Beschwerden, einen Gast zu beherbergen. Ich will bei Euch nächtigen, denn Ihr seid mir gerühmt worden als die stärkste Säule des heiligen Evangeliums in dieser Stadt.«

»Ich bemühe mich, es zu sein, entgegnete Meyenburg. »Der Rat, den Ihr mir gabt, in die Schrift zu dringen, ist nicht auf unfruchtbaren Boden gefallen. Das danke ich Euch mein Leben lang. – Aber nun setzt Euch nieder. Es soll Euch sogleich eine Kollation gebracht werden.«

»Halt!« rief Luther und streckte den Arm aus. »Ein paar Bissen Brot und Fleisch und, wenn Ihr wollt, einen Krug Bier! Sonst nichts. Mich dürstet nicht sowohl nach Speis und Trank als nach Schlaf. Ich habe gepredigt und geschrieben Tag für Tag wider die Rottengeister des Teufels, die jetzt das deutsche Volk toll machen und es wollen ins Verderben jagen. Nun bin ich gefahren von Eisleben hierher und bin müde bis auf den Tod. Morgen will ich auch hier predigen wider den Mordpropheten und seine Gesellen. Heute aber tut Ihr mir die höchste Wohltat an, wenn Ihr mir sogleich nach dem Essen ein Lager anweist. Ich bitte Euch darum. Meine Füße wollen mich kaum noch tragen.«

Meyenburg blickte in das Antlitz des verehrten Mannes und sah mit Schrecken, wie grau und verfallen es aussah. Nur die mächtigen Augen glühten wie immer, aber es war ein fieberischer Glanz, der aus ihnen herausleuchtete. Die Besorgnis ergriff ihn, Doktor Luther könne vielleicht in seinem Hause krank werden. So tat er ihm denn den Willen und ließ in aller Eile eine höchst einfache Abendkost herbeibringen.

Während Luther aß, ließ er sich berichten, wie es in Nordhausen stand. Er legte, als Meyenburg geendet hatte, das Messer beiseite und blickte ihn düster an. »So steht es also auch bei euch wie überall! Der Samen, den der böse Feind durch seine Diener ausgestreut hat, geht jetzt allenthalben auf. Wir wollen sehen, ob wir dem Unheil noch steuern können durch das Wort. Wollen sie aber das Wort nicht hören, so müssen sie mit dem Schwerte zum Gehorsam gebracht werden. Denn wenn diese Buben siegten, so sänke das ganze Land in Blut und Trümmer. Gott wird es nicht leiden, daß die Schwarmgeister unsere edle deutsche Nation verderben, aber wie viele arme Leute werden sterben müssen um ihrer Narretei willen! Denn alle Rebellion kommt von ihrer Narretei, nicht daher, daß die Leute von ihren Herren werden zur Verzweiflung getrieben. Das ist nicht die Wahrheit. Wohl gibt es viele harte Herren, und diese Schinder werden einen bösen Stand haben, wenn sie dereinst erscheinen müssen vor dem Richterstuhle Gottes. Aber daher kommt der Aufruhr nicht. Er kommt aus der Predigt der Propheten, die der Ehrgeiz treibt und der Hochmut, und die wollen, daß die Welt ihre Weisheit bestaune und ihnen Untertan sei. Darum reden sie den Leuten nach dem Maule, vermengen christliche und weltliche Freiheit, verheißen ihnen das Blaue vom Himmel herunter und berufen sich dabei auf Gottes Wort. So mißbrauchen sie die Schrift und geben den Feinden des Evangeliums die Waffen in die Hand. Nun frohlocken alle die Schelme, die das heilige Evangelium lästern, der Bock zu Leipzig und Cochläus und die anderen: sehet, das sind die Früchte der neuen Lehre! Deshalb muß ich auf den Plan und reden wider die Schwärmer und Verführer und bin mitten durch das aufgestörte Volk hindurchgefahren und reise an alle die Orte, wo ich denke: da ist noch etwas zu machen, da kann man, so Gott will, dem Unheil noch steuern, da sind wohl die Leute zur Vernunft zu bringen und werden sich nicht verstecken. Darum bin ich nach Nordhausen gekommen und fahre morgen nach Stolberg. Zu beiden Städten habe ich gutes Zutrauen. Es müssen viele drin sein, die Gott lieb haben.«

»Seid dafür bedankt, Herr!« rief Meyenburg. »Ja, wir haben viele wackere und tüchtige Leute in unserer Stadt, auch unter den niederen und ungelehrten Leuten, und der Rat hat sie wahrlich nicht gedrückt und geschunden. Sie sind aufgehetzt worden von den Aposteln der Mühlhäuser Propheten, die von Haus zu Haus geschlichen sind und ihnen das Himmelreich auf Erden versprochen haben. Euer Wort hat schon so Vieles und Großes bewirkt in deutschen Landen, und so meine ich, Ihr werdet nicht vergeblich predigen.« –

Leider erwies sich diese Meinung des sonst so klugen und menschenkundigen Meyenburg als durchaus irrig. Vielleicht hätte ja Luthers gewaltiges Wort ein Wunder bewirkt, wenn man ihn überhaupt hätte zu Worte kommen lassen. Aber als er am nächsten Vormittag auf der Kanzel der Hospitalkirche zu Sankt Georgen stand, war zwar das Gotteshaus übervoll, wer jedoch die Leute kannte, die sich in den vordersten Bänken rekelten, spuckten und beim Erscheinen des Predigers höhnisch grinsten, konnte nichts Gutes erwarten. In der Tat hatte Luther kaum angefangen zu reden, als der Lärm losbrach. Er wies auf das große Bild des gekreuzigten Jesus hin, das seitwärts der Kanzel an der Wand hing, da rief Hans Kehner überlaut: »Der Götzendiener will, daß wir seinen Götzen anbeten!« Dann schrillte eine Weiberstimme durch die Kirche: »Die Bilder sind vom Teufel! Tut ab, was ungöttlich ist, ihr Kinder des Lichtes!« und ein Stück Holz flog gegen den Kruzifixus, so daß der eine Arm sich löste und polternd herabfiel.

Einen Augenblick herrschte Totenstille. Aber kaum begann Luther, der zornbleich auf der Kanzel stand, wieder zu reden, da schrie Hans Kehner: »Brüder, wollen wir den Martinischen Dreck fressen? Gott behüte uns davor!«

Er zog eine Pfeife aus dem Wamse und ließ ihre quiekenden Töne erklingen. Andere suchten die Stimme des Predigers durch zwei Klingeln zu übertönen, die sie mitgebracht hatten. Wieder andere grunzten und schrien, und es ward ein Spektakel, daß niemand sein eigenes Wort verstehen konnte.

Luther sah sehr bald ein, daß er gegen den Lärm nicht aufkommen könne. Darum warf er nach einigen vergeblichen Versuchen, sich Gehör zu verschaffen, die Bibel zornig auf das Pult und verließ die Kanzel.

Sogleich trat Ruhe ein, die zur tiefen Stille ward. Da ertönte noch einmal vom Fuße der Kanzeltreppe her markig und laut seine Stimme: »Also steht' geschrieben Matthäi am zehnten: Wo euch jemand nicht annehmen wird noch eure Rede hören, so gehet hinaus von demselbigen Hause oder Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen. Wahrlich ich sage euch: dem Lande der Sodomer und Gomorrer wird es erträglicher ergehen am Jüngsten Gericht, denn solcher Stadt.«

Diese Worte machten ersichtlich einen Eindruck auf viele, etwas wie der Ausdruck des Erschreckens zeigte sich in manchem Antlitz. Die geschworenen Anhänger Münzers bemerkten das mit großem Ärger, und Kehner fing an wie ein Unsinniger zu schreien und zu brüllen, und als nun Luther sich zum Gehen wandte, streckte er das Bein vor, um ihn zu Fall zu bringen. Da sprang Meyenburg zu und stieß ihn zurück. »Gib Raum!« knirschte er, von Scham und Zorn über die Gemeinheit seiner Mitbürger übermannt.

Kehner sprang auf und packte ihn am Wams auf der Brust. »Haben wir dich, Hund, Volksverräter« – er wollte noch mehr sagen, aber ein Faustschlag Meyenburgs schmetterte von unten gegen sein Kinn, daß er ächzend zusammensank.

Unangefochten erreichte nun Luther, umringt von mehreren Getreuen, den Ausgang der Kirche und schritt mit seinen Begleitern dem Meyenburgschen Hause zu. Niemand folgte ihnen.

»Ihr habt ja verzweifelte Leute und Rangen in Eurer Stadt!« sagte er. »Nimmer hätt' ich das gedacht. Sie sind wie die Bauern von Orlamünde, die der Erznarr Karlstadt wild und toll gemacht hat. Die haben mich auch gezwungen abzufahren und mit Steinen und Dreck nach mir geschmissen. Wehe der guten Stadt Nordhausen, wenn sie hier zur Gewalt und Herrschaft sollten gelangen! Aber ich fürchte, der Strom wird kaum noch zu dämmen sein.«

»Es ist mir, als hätte mir selber ein Schelm die größte Schmach angetan,« erwiderte Meyenburg finster. »Ich schäme mich, daß Ihr solches in Nordhausen habt erfahren müssen. Wollet deshalb keinen Zorn auf unsere Stadt werfen, Herr Doktor. Der Pöbel spielt jetzt seine Trümpfe aus, aber will's Gott, so verliert er bald sein Spiel.«

»Wenn die Narren mir etwas übles[? Übles ?] tun,« erwiderte Luther, »so spreche ich mit unserem Herrn: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Aber daß sie Gottes Wort nicht wollen hören, das ist es, was mich wurmt und verdrießt. Doch Gott wird sie finden, die sein Wort zum Schanddeckel ihrer Bosheit machen. – Wo steckt denn Eure Hausfrau?« fragte er dann unvermittelt, als Meyenburg ihn bat, sich ein Frühstück gefallen zu lassen.

»Ich habe noch keine,« erwiderte Meyenburg und erzählte, wie es ihm ergangen war.

»Ei,« sagte Luther, »Ihr wollt ein Nönnlein freien? Das ist recht, vielleicht tut das ein anderer auch noch. Die armen Kreaturen sind zumeist sehr zu beklagen, wenn sie in die Welt zurückkehren. Im Kloster waren sie wohl versorgt, jetzt sollen sie sich selber versorgen, und das gelingt nicht jeder gut. Ich freue mich allemal, wenn ich wieder von einer höre, die unter die Haube kommt. Denn dazu sind die Frauen da, nicht zum Hora- und Messesingen.«

Er wurde mit einem Male ganz aufgeräumt, scherzte und lachte und sprach dazwischen ernste Worte über den Ehestand und den großen Segen, den eine gute Hausfrau und Mutter stiften könne. »Mehr als der Vater, der seinem Amt und Geschäft nachgehet und weniger Zeit hat für die Kinder, kann die Mutter Gottes Wort einsenken in die jungen Seelen, daß es da festwurzelt und nicht herauszureißen ist durch die Macht des bösen Feindes. Dieses Glas, Herr Syndikus, trinken wir auf die Gesundheit der werten Magd, die Ihr in Euer Haus führen wollt als Euer Weib. Wie sagt Ihr? Sie ist noch hier in der Stadt? Da muß ich sie kennen lernen.«

Er redete noch, da trat der Ratsbote in das Gemach und entbot Meyenburg aufs Rathaus. Es sei etwas Wichtiges, was die Herren Bürgermeister mit ihm bereden wollten.

»Wißt Ihr was?« sagte Luther. »Ihr lasset mich unterdessen in das Haus des Ratsherrn» geleiten, wo Eure zukünftige Hausehre weilt. Dort holt Ihr mich dann ab, und ich sehe Euch noch, bevor ich abfahre. Die Reisigen des Grafen Botho, die mich nach Stolberg geleiten sollen, werden wohl schon in der Stadt sein. Die Mansfelder, die mich hergebracht und in einer Herberge am Tore genächtigt haben, wollten in aller Frühe dem Grafen Nachricht senden, daß er mich zu sich geleiten lasse. So werde ich wohl zu Mittag bei dem Grafen sein.«

»Ihr erweist mir und meiner Liebsten damit eine große Ehre, und ich werde Euch selber geleiten. Es ist kaum ein Umweg,« entgegnete Meyenburg. »Ist's Euch recht, so gehen wir sogleich.« –

Als Meyenburg auf dem Rathause ankam, traten ihm beide Bürgermeister Oethe und Ernst mit tief bekümmerter Miene entgegen. Oehte weinte fast. »Ach Syndikus, was habt Ihr angerichtet!« stöhnte er.

»Ich?« fragte Meyenburg betroffen. »Was meint Ihr?« »Der Helmsdorf war hier und der Sander. Sie schäumten und tobten und schrien. Ihr hattet den Hans Kehner halb zu Tode geschlagen und so den Frieden verletzt, den sie und der Rat mitsammen beschworen. Handle man so an ihrem besten Freunde, so wären sie an nichts mehr gebunden und müßten sehen, wo sie blieben. Sollte aber Ruhe bleiben in der Stadt, so müßte der fort, der den Frieden gebrochen habe, und der ja auch gar kein Nordhäuser sei. Was habt Ihr denn mit dem Kehner gehabt? Der Bube hat freilich den Strick verdient – aber Ihr wißt ja selber, daß wir ihm jetzt nicht an den Kragen können und den Bösewichtern alles nachsehen müssen.«

Mit einem grimmigen Lachen erzählte Meyenburg den Hergang und schloß mit den Worten: »Er hat sich wie ein Rüpel betragen zur Schande unserer Stadt. Da wies ich ihn zurecht, und als er mich anfaßte, schlug ich ihn nieder mit der Faust, wie es jedermanns Recht ist, den einer angreift. Das Schwert hab' ich nicht entblößt, den Frieden der Stadt nicht gebrochen. Es trifft mich keine Schuld.«

Der Bürgermeister Ernst nickte. »Das habe ich mir gleich gedacht. Wahrlich, hätte einer in meinem Beisein dem Doktor Luther so getan, ich hätte gehandelt wie Ihr. Hätt' ich gewußt, daß er in der Stadt ist und predigt, so wäre ich selber hingegangen, aber ich erfuhr's zu spät. Doch hoffe ich wenigstens, ihn noch zu sehen. Aber was machen wir nun? Der Pöbel ist außer Rand und Band. Ich meine, diese Nacht könnt's wieder losgehen, vielleicht sogar am hellen Tage. Die Rädelsführer hätten nichts lieber als das. Die Sache mit dem Kehner, den Gott verdamme, ist ihnen nur ein Vorwand.« »Ja, was machen wir nun?« seufzte Herr Oethe. »Wir können ihnen doch nicht den Willen tun. Das wäre dem Rate eine Schande.«

»Und ich kann Euch nicht entbehren« polterte Ernst. »Ratet, wie Ihr mir so oft geraten habt: was sollen wir tun?«

Meyenburg stand in tiefem Nachdenken. Seine Züge wurden immer härter und finsterer.

»Ratet Ihr zu einem Gewaltstreich?« drängte Ernst.

»Nein,« erwiderte Meyenburg, »der kostete der Stadt viel unnützes Blut, euch vielleicht das Leben.« Er hob entschlossen das Haupt. »Ich gehe freiwillig auf eine kleine Weile aus der Stadt.«

»Wie?« rief Ernst. »Ihr wolltet –«

»Ihr Herren,« sagte Meyenburg, »das wird das beste sein. Doktor Luther fährt nachher mit Geleit nach Stolberg. Er wird mich mitnehmen. Von da gehe ich ins Lager der Fürsten. Sie ziehen jetzt gegen die Propheten heran und werden dem ganzen Rumor in Kürze ein Ende machen. Das ist mein fester Glaube. Nur eine kleine Zeit bin ich fern, dann kehre ich zurück. Und laßt euch noch eins raten: tut den Rotten in allen Stücken scheinbar den Willen, und haltet das Rathaus scharf bewacht und das Stift. Verhandelt mit ihnen und haltet sie hin. Fordern sie, Ihr solltet der Gemeine Rechenschaft legen, so sagt ihnen auch das zu, und finden sie eine Schuld, so werft sie auf mich. Wenn ich wieder da bin, werden sie froh sein, ihr Leben zu behalten, und nach nichts mehr fragen. Und noch eines: in Kurt Hauschilds Hause ist eine, die mir lieb ist, ihr wißt es. Sie wäre vielleicht noch sicherer – doch nein, laßt sie dort. Sie ist anderswo auch nicht in größerer Sicherheit. Und nun gehabt euch wohl, ihr Herren. Gott gebe uns ein Wiedersehen in besseren Tagen.« –

Im Hauschildschen Hause saß Luther in einem großen Kreise, denn viele aus der Nachbarschaft hatten sich eingefunden, die ihn sehen wollten. Auch vor dem Hause standen viele Leute, denn die sechs Berittenen des Grafen von Stolberg, die von Meyenburgs Hause hierher gewiesen waren und neben dem Wagen hielten, hatten Schaulustige angelockt.

Als Meyenburg eintrat, ging ihm Luther sogleich entgegen. »Ich habe doch noch ein großes Volk in dieser Stadt, oder besser, nicht ich habe es, vielmehr unser Herr,« sagte er fröhlich. »Wenn das Wetter vorüber ist, wird die Saat um so frischer grünen. Und die Jungfrau, die Ihr Euch erwählet habt,« er faßte die errötende Ursula an der Hand, »gefällt mir sonderlich wohl. Der Herr segne euch beide! Jetzt aber, Herr und Freund, muß ich eilend fort, ich habe nur gewartet, Euch Lebewohl zu sagen.«

»Ich bitte Euch, Herr Doktor, nehmt mich mit,« erwiderte Meyenburg. »Ich muß auch zu dem Grafen, ln der Stadt Geschäften.«

»Wie, du willst fort?« rief Ursula angstvoll, ihre Befangenheit überwindend, und faßte seine Hand.

»Auf etliche Tage nur, liebes Herz. Du brauchst dich nicht um mich zu sorgen. Ich fahre in sicherem Geleit!«

»Gern nehme ich Euch mit mir!« rief Luther. »Nur eilet Euch, denn meine Zeit ist karg bemessen.«

Nach einer kurzen, ernsten Unterredung mit seinem Freunde Hauschild, dem er sein Haus empfahl, umarmte und küßte er Ursula noch einmal und schwang sich dann zu Luther in den Wagen. »Ich bitte Euch, Herr,« sagte er, »fahrt an meinem Hause vorbei und harret dort eine kleine Weile.«

Das geschah, und Meyenburg stürmte die Treppe empor, warf sich, so rasch er vermochte, in sein Rüstzeug und schnallte eine Geldkatze um den Leib. Dann hüllte er sich in seinen Reisemantel und eilte die Treppe wieder hinab. Ein Roß hoffte er vom Grafen zu erhalten, der ihm sehr wohl wollte.

»Ihr kommt ja gewappnet wie Euer Namensvetter, der streitbare Erzengel des Herrn,« scherzte Luther. »Wollt Ihr Krieg führen mit dem Grafen zu Stolberg, oder meint Ihr, ich sei nicht sicher genug? Auch die hier könnten mich nicht schützen, wenn mich der Herr nicht schützte. Unter seinem Schilde fahre ich dahin.«

»In diesen Zeiten ist es immer gut,« erwiderte Meyenburg, »wenn man sein Schwert an der Seite und einen Panzer um den Leib hat.« Er fürchtete insgeheim, die Gesellen des schwerverletzten Kehner würden ihm noch am Tore auflauern und eine Gewalttat versuchen. Aber nichts dergleichen geschah. Am Tor war niemand als die Landsknechte des Rates, die es zu bewachen hatten, und so gelangte er unangefochten und unbehindert aus der Stadt hinaus.


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