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11

Manuel hatte sich, von einem Bedienten in größter Eile geführt, hinter dem Gerümpel einer Dachkammer versteckt. Von dort aus hörte er in würgender Angst, wie die Aufrührer wieder und wieder das Haus nach ihm durchsuchten. Zweimal wurde die Tür seiner Zuflucht aufgestoßen, da aber das Gelaß vollgestopft und das Laternenlicht trüb war, fand man ihn nicht.

Er lag am Boden, es war eine kühle Märznacht, und er begann zu frieren, drunten im Saal loderten vielleicht noch die Reste der großen Scheite in den Kaminen.

Nach einigen Stunden konnte er feststellen, daß der Schwarm sich verlief, doch nahmen ihm bald Rufe und Schritte jeden Zweifel darüber, daß die Abziehenden Wachen zurückgelassen hatten. So konnte er nicht einmal wagen, sich einem Versuch zu schlafen hinzugeben, denn er wußte, daß er Gefahr lief, laut zu schnarchen.

Am Morgen begann er den Mangel an Essen und Trinken zu fühlen. Er schlotterte bei der Vorstellung, daß ihm nur die Wahl bleibe, hier zu verhungern oder sich dem wütenden Pöbel auszuliefern. Denn wenn irgend jemand daran dächte, ihn herauszuhauen, wäre das längst im Gang. In Aranjuez sind genug Soldaten. Es ist zum Wahnsinnigwerden, daß es kein Mittel gibt, mit dem König in Verbindung zu treten.

Das Liegen schmerzte immer mehr, obwohl er sich hatte vorsichtig einen alten Teppich zurechtziehen können. Er hockte jetzt und verfiel einem haltlosen Stöhnen. Allmählich dachte er, man könnte den Himmel bitten, auf den König einzuwirken, daß er Truppen schickt. Man könnte ein Gelübde tun ... Nothelfer ihr, alle vierzehn! Wenn mir Soldaten zu Hilfe kommen, so baue ich euch eine Kapelle. Eine Kirche, wenn ihr wollt...

Er wartete eine Zeitlang und entschloß sich dann hastig zu persönlichen Opfern: Ich mache irgend etwas gut, was zu tun nicht ganz in Ordnung war. Zum Beispiel gebe ich die Erbschaft Alba heraus – sogar an die Dienerschaft, wenn es sein muß – soweit man noch weiß, wer dazu gehört. Man könnte das öffentlich ausschreiben. Oder etwas anderes dieser Art. Oder gefällt es euch, wenn ich ... keine Frau mehr berühre? Ich verspreche euch, keine Frau mehr zu berühren! Es wäre ein großes, schweres Gelübde, sich der Frauen zu enthalten. Ich will darüber nachdenken, eine Formulierung dafür suchen.

Er malte sich aus, welche Todesart die Rebellen für ihn wählen würden, und rief, von Übelkeit gepeinigt, die Nothelfer von neuem an: Wenn es irgendeine Rettung gibt, will ich der Macht entsagen, jedem Amt, jeder Politik ... Da waren wieder Schritte ... Soll ich Mönch werden? Verlangt ihr, daß ich Mönch werde? Wenn es eure Bedingung ist, gebt mir ein Zeichen! ...

Vierunddreißig Stunden lang gab die Furcht ihm die Kraft, in seinem Versteck auszuharren. Dann waren Durst und Hunger stärker. Einer Ohnmacht nahe, wankte er aus der Kammer. Als sich gleich darauf ein paar Gewehrläufe auf ihn richteten, hob er die Hände hoch als Zeichen der Ergebung. Er war kaum mehr dazu imstand.

Man gab ihm etwas aus den Vorräten seiner Küche, nachdem er sich notdürftig erholt hatte, wurde er inmitten eines Dutzends Bewaffneter abgeführt. Die Kunde von seiner Gefangennahme verbreitete sich unheimlich rasch, von allen Seiten strömten Insurgenten und Neugierige herbei. Während er vergeblich zu wissen begehrte, was man mit ihm vorhabe, begannen wieder ringsum jene drohenden Rufe, die den ersten Angriff auf seinen Palast begleitet hatten. Die Bürgerwachen mußten Fäuste und Stöcke von ihm abwehren, er sah die Gefahr vor Augen, ganz einfach auf der Straße totgeprügelt zu werden, und appellierte mit einem letzten Aufwand von Willenskraft an Recht und Gerechtigkeit.

Der Führer des Trupps nahm den Weg aufs Königsschloß zu. Der Triumphzug des Volks wollte sich dem König vor Augen stellen. Es ist unwahrscheinlich, daß schon irgend jemand weiter dachte, kaum daß man sich bewußt war, die Demonstration bedeute eine Warnung an Don Carlos. Dies ist dein Geschöpf, wollten sie zum Ausdruck bringen, es schadet uns, und darum schalten wir es jetzt aus – gegen deinen Willen, sieh, daß wir dies können!

Nur langsam kamen die Gefangenenwächter mit ihrer Beute voran, die Menge und ihre Feindseligkeit wuchs und drohte den Verhaßten zu überfluten und zu zerstampfen.

 

Im Schloß beobachtete man angstvoll das Herannahen der neuen Welle des Aufstands, Manuels Lage schien hoffnungslos und die der Dynastie und des Hofs gefährlich. Nur zwei Zuschauer lächelten zufrieden: Fernando und Escoiquiz. Wenigstens solange sie allein waren.

Denn jetzt stürzte der König ins Zimmer und bestürmte den Infanten, von der Menge die Herausgabe Manuel Godoys zu verlangen. »Ich weiß, daß sie dich lieben«, sagte er mit hochrotem Gesicht, »ich selbst vermag in dieser Stunde nichts.«

Auf Fernandos schonungslose Antwort, er zweifle, ob es sich lohne, zugunsten Manuels irgend etwas zu wagen, beschwor ihn der Vater, sich der ihm unlängst gewährten Verzeihung zu erinnern und als Gegengabe diesen Wunsch zu erfüllen. »Du rettest nicht nur Manuel, sondern uns alle!«

Er gebe zu, bemerkte Fernando kühl, daß es im Interesse des Ansehens der Krone liege, die Bestrafung des Staatsverbrechers selbst in die Hand zu nehmen.

In Wahrheit entsprach es völlig seinem Plan, sich dem Volk zu zeigen, und so beeilte er sich denn, auf einen Balkon zu treten. Die Prälatensoutane Escoiquiz', der ihm folgte, gab eine in jeder Hinsicht wirkungsvolle Folie. Fernando wurde bemerkt und erkannt, sogleich wandte sich ihm die allgemeine Aufmerksamkeit zu. Beifallklatschen und Hochrufe ertönten. Escoiquiz machte ein Zeichen, daß der Prinz zu reden wünsche. Der Friedensfürst wußte nicht, was das Auftauchen seines gefährlichsten Feindes zu bedeuten habe, aber er atmete auf, als er wenigstens die unmittelbar drohende Gewalt vorläufig von ihm abgewandt sah.

Die laute Zwiesprache zwischen dem Infanten und zwei, drei Führern des Aufstandes kam verblüffend rasch zu einem Ergebnis: gegen das feierliche Versprechen Fernandos, Don Manuel Godoy werde gerichtlich abgeurteilt werden, wurde die Herausgabe des Gefangenen unverzüglich in die Wege geleitet. Es schien, daß sie selbst froh waren, die Verantwortung loszuwerden.

Während sich nun der Trupp der Wächter einem Portal des Schlosses näherte, wurde an mehreren Stellen der Ruf laut: »Es lebe König Don Fernando!« Die Agenten Escoiquiz' hatten ausgezeichnet gearbeitet. Sofort stimmten Dutzende ein, dann Hunderte. Das endete minutenlang nicht, obwohl sich Fernando sofort ins Innere des Schlosses zurückgezogen hatte, währte eine Viertelstunde, flaute ab, brauste von neuem in doppelter Stärke empor.

Carlos verlor den Kopf. Die schreiende Menge, unter der sich viele Bewaffnete befanden, schien ihm eine Horde von Wölfen, die ein Opfer verlangten. Er sah sich belagert, glaubte an den baldigen Sturm. Und wußte sich keinen besseren Ratgeber als Escoiquiz. Der aber bestärkte ihn in der Meinung, daß die Bewegung draußen nur durch seine Abdankung zugunsten dessen, den das Volk als König begehre, zur Ruhe gebracht, die Dynastie nur so gerettet werden könne.

Maria Luisa kam dazu und zeterte, verlangte, man solle schießen, und sogleich werde der Spuk verflogen sein. »Wenn man uns stürzt, soll es in Madrid geschehen«, rief sie aus, »Aranjuez verkörpert nicht Spanien!«

Gleichzeitig aber mischte sich draußen in die Ovation für Fernando deutlich und scharf der Ruf: »Nieder mit Don Carlos!« Da hielt der König nicht länger stand, er ließ Fernando holen und erklärte ihm unter Tränen und Umarmungen, daß er zu seinen Gunsten auf den Thron verzichte.

Das geschah ungefähr in denselben Minuten, in denen zwei Stockwerke höher Manuel todmüde, nach nichts begierig als nach Schlaf, ins Bett sank. Er hatte beim Eintritt in das Schloß ein Exemplar des seine Absetzung aussprechenden Manifestes überflogen und sich dann auch nicht mehr gewundert, daß er in ein Zimmer mit vergitterten Fenstern gewiesen und im Vorraum von Offizieren bewacht wurde.

Mit einer geradezu unerklärlichen Schnelligkeit fanden sich die nötigen Menschen und Gerätschaften zusammen, um den Thronwechsel öffentlich zu verkünden: Über die Brüstung des großen Mittelbalkons wurde ein feierlicher Wappenteppich gebreitet, geschäftiges Gefolge, höchst zufrieden, gleich dabei zu sein, stellte sich auf, Fernando trat mit dem Federhut geschmückt durch die von roten Lakaien aufgerissenen Flügeltüren an den Teppich, während ein Gardetrompeter eine Fanfare blies. Ein Offizier rief: »Es lebe König Don Fernando!«, und das Gefolge stimmte ein, als habe es nie einen anderen König gekannt.

Die Revolutionäre von Aranjuez jubelten ...

»Mit der Freiheit scheint es vorläufig nichts zu sein«, bemerkte Francisco zu Javier, sie vermochten von einem Fenster aus den Vorgängen einigermaßen zu folgen ...

Fernando aber schritt zur ersten Regierungshandlung, indem er Escoiquiz feierlich zum Präsidenten des Ministerrats der Krone Spaniens ernannte.

»Ich werde versuchen, Eure Majestät, mich der Gnade würdig zu erweisen«, kam die Antwort, »vorausgesetzt, daß der Kardinalprimas mir die Annahme des weltlichen Amtes gestattet. Vorläufig«, er griff mit verhülltem Lächeln in die Tasche, »habe ich den Entwurf eines Aufrufs des neuen Königs an das spanische Volk ausgearbeitet.«

 

König Fernando der Siebente traf die Anordnung, daß Manuel Godoy fern von der Hauptstadt, im Schloß Villaviciosa in Asturien, unter strenger Bewachung gefangengesetzt werde. Ohne ihn vorzulassen, befahl er seine sofortige Abbeförderung. Dazu verfügte er die Beschlagnahme des ganzen beweglichen und unbeweglichen Vermögens zugunsten des Staates, es war während der langen Amtszeit, die Manuel arm begonnen hatte, zu ungeheurer Höhe angewachsen. Carlos, der Exkönig, bat den Freund weinend um Verzeihung und versprach ihm alle Hilfe.

Nach wenigen Tagen kam die Nachricht, Murat sei im Begriff, mit seinen Truppen in Madrid einzurücken, wenn auch ohne Anzeichen von Feindseligkeit. In der Überzeugung, daß er nichts zu fürchten habe, entschloß sich der neue König, sofort mit aller Feierlichkeit gleichfalls seinen Einzug in Madrid zu halten.

Die über Godoys Absetzung und Carlos Abdankung zufriedenen, durch die Anwesenheit der Franzosen geängstigten Madrilenen empfingen Fernando, als bringe er ihnen das Paradies. Derart umdrängten die jubelnden Volksmassen seinen Wagen, daß die kurze Strecke vom Stadttor zum Schloß erst nach sechs Stunden zurückgelegt war, die aus den Fenstern regnenden Blumen häuften sich zu Hügeln.

Aber auf den Plätzen, auch dort, wo der Zug vorüberkam, exerzierten die französischen Truppen, als gebe es keinen König von Spanien. Weder der französische Gesandte noch General Murat meldeten sich bei Fernando. Vielmehr ließ Murat durch einen Offizier in schroffer Form mitteilen, er lehne es ab, von einer unfreiwilligen Abdankung Kenntnis zu nehmen – für ihn befinde sich der König in Aranjuez.


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