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4

Der Zustand dauerte an, daß Manuel Godoy das Reich ohne Amt regierte. Er wurde vom Ministerpräsidenten Urquijo über die wichtigsten Staatsgeschäfte orientiert, vertraute seinem Geschöpf aber keineswegs blind, sondern ließ sich von dem Geheimsekretär, durch dessen Hände alle Schriftstücke gingen, und von den Beamten des Vorzimmers, der die Besucher einführte, gleichfalls Bericht erstatten – gegen Geld und das Versprechen einer bevorzugten Karriere.

In Rom starb Papst Pius der Sechste – nicht unerwartet nach vierundzwanzigjährigem Pontifikat. Godoy aber empfing geheime Nachrichten, Urquijo pflege eilige und dringende Verhandlungen mit gewissen Prälaten, es handle sich mit einiger Wahrscheinlichkeit darum, dem neuen Papst die Anerkennung zu versagen und die Unabhängigkeit der spanischen Kirche zu proklamieren.

Ob das Aussicht auf Erfolg habe, vermochte Godoy nicht so recht zu beurteilen. Aber soviel sah er: wenn es gelänge, wäre es eine bedeutende, in ganz Europa besprochene politische Tat, die ihrem Urheber Ruhm einbringen müßte. Grund genug, einzugreifen. Dazu eine ausgezeichnete Gelegenheit, sich die Kurie zu verpflichten.

Er schickte einen Vertrauensmann nach Rom, der sich guter Verbindungen mit der hohen Geistlichkeit erfreute und noch vor dem Konklave seine Neuigkeiten auszustreuen hatte. Gleich nach der Wahl erfuhr der neue Papst von den spanischen Umtrieben und ließ in Madrid feierlich protestieren. Carlos war bestürzt und fragte Manuel um Rat. So wurde denn Urquijo – man sagte ihm, es geschehe unter dem Druck der Kurie – seines Amtes entsetzt und nach den Kanarischen Inseln verbannt. Gleichzeitig wurde zur Feier der Thronbesteigung Pius des Siebenten für drei Tage große Gala des Hofs und nächtliche Illumination der Stadt angeordnet.

Der König wünschte Manuels Rückkehr zu den Geschäften. Der lehnte ab und erwirkte die Einsetzung eines Mannes namens Pedro Cavallos, dessen Verdienste darin bestanden, mit einer Nichte Manuels verheiratet zu sein. Carlos aber, um nicht dem Gerücht Raum zu geben, der Friedensfürst sei in Ungnade gefallen, ernannte ihn zum Generalissimus des spanischen Heeres und verlieh ihm eine eigene Leibwache, ein altes Vorrecht der Könige auf ihn ausdehnend.

 

Die Majestäten bestellten bei Francisco Bildnisse: sie wollten in Uniform zu Pferd gemalt sein.

Die Königin, als Dragoneroberst kostümiert, mit einer riesigen roten Kokarde auf dem Hut, erschien Francisco als die Verkörperung verkommener Herrschsucht. So malte er sie auch: aber sie gefiel sich so gut, daß sie Manuel eine Wiederholung des Porträts zu schenken wünschte. Agustin bekam zu tun.

Carlos, der selten Militärkleidung trug, machte in der Gardegeneralsuniform eine bemitleidenswerte Figur – was Francisco keineswegs unterschlug. Aber auch der König war entzückt und kam, da er gerade einige Verwandte in Aranjuez zu Gast hatte, auf den Gedanken, sich ein Gemälde zu wünschen, das alle erreichbaren Familienmitglieder vereinigen sollte.

Francisco siedelte also in die Frühjahrsresidenz des Hofes über und erhielt einen schönen hellen Saal im Königsschloß als Werkstatt eingerichtet. Don Carlos empfing ihn in Audienz und legte ihm vor allem nahe, das Format der Leinwand recht groß zu wählen.

Er begann seine Arbeit mit einer Serie von Porträtskizzen aller Beteiligten. Godoy war nicht darunter und machte darum seine eigene Bestellung auf ein Porträt in monumentalem Stil. Als sie das Nähere besprachen, ließ er beiläufig einfließen, die Inquisition, ermutigt durch die Verlegenheiten, in die die spanische Krone gegenüber dem Heiligen Stuhl gebracht worden sei, habe einige neue Prozesse vorbereitet, darunter einen gegen den Autor der Caprichos – doch sei die Sache dank seinem, Godoys, Eingreifen niedergeschlagen worden. Francisco wußte vorläufig nicht, ob die Erzählung der Wahrheit entsprach, mußte aber untertänigst danken und erfuhr die weitere Auszeichnung, vom Friedensfürsten zu einer Spazierfahrt eingeladen zu werden.

Es war das erste und einzige Mal in seinem Leben, daß er in einem Wagen fuhr, der von Leibwächtern eskortiert wurde, einem ganzen Dutzend berittener Leibgardisten. Die Kavalkade wirbelte viel Staub auf und verursachte zusammen mit dem Rollen der Räder einen dichten Hintergrund von Lärm, von dem sich für Franciscos Ohren die Worte seines Gastgebers nur undeutlich abhoben. Aber er verschanzte sich auch gegenüber den gönnerhaften Äußerungen, die er verstand, hinter seine Schwerhörigkeit, denn da er nun neben dem Fürsten im selben weichen Wagenpolster saß, fühlte er heftige Wellen des Widerwillens.

So kam es erst zu einer Verständigung, als Godoy in einer von der Straße durchschnittenen Waldlichtung den ganzen Trupp halten ließ, um Francisco, mochte er wollen oder nicht, mit selbstgefälligem, im Genuß des Machtbewußtseins schlaffem Gesicht die zwei neuesten Zoten zu erzählen. Noch am selben Tag verwirklichte sich die erste gemeinsame Porträtsitzung der Familie Bourbon.

Ins Atelier strömten zwei Majestäten und zehn Fürsten von Geblüt, gewillt, sich den gruppierenden Anordnungen des Malers, der sie erwartete, einigermaßen zu unterwerfen. Der Oberzeremonienmeister hatte den Gedanken erwogen, selbst teilzunehmen, um die Wünsche oder vielmehr demütigen Bitten des Malers an die hochmögenden Herrschaften weiterzugeben oder ihm einen königlichen Generaladjutanten als Vermittler beizugesellen, aber der König hatte kategorisch erklärt, Goya sei ein Mann von guten Formen und könne ruhig sein Maul selber aufmachen.

So wurden die Objekte des Kammerpinsels zwar vom vorgeschriebenen Gefolge an die Ateliertüre geleitet, dann aber sich selbst und der Willkür des Porträtisten überlassen, nur eine einsame Hofdame harrte in einer Ecke etwaiger Hilfsdienste – stehend natürlich, denn auch den hohen Herrschaften sollte das Sitzen nur in den Ruhepausen gestattet sein.

Carlos hielt so etwas wie eine kleine Ansprache, die, da er den Maler ja schon von seinen Absichten unterrichtet hatte, offenbar in erster Linie für die Familie berechnet war. Fast feierlich gab er seinen Wunsch zu erkennen, es möge ein Werk von bleibendem historischem Wert entstehen, damit nicht nur seine Urenkel, sondern alle, die für die spanische Geschichte dieser Zeit Interesse haben, sich eine Vorstellung von den um die Jahrhundertwende lebenden Mitgliedern der regierenden Familie zu machen instand gesetzt werden. Angesichts der leeren Riesenleinwand betonte er seine Genugtuung, daß ein der Bedeutung des Gemäldes entsprechendes Format gewählt worden sei. »Und nun«, schloß er, »zögern Sie nicht, uns unsere Plätze anzuweisen! Ich denke, daß die Königin und ich in der Mitte stehen.«

Sein freundlich-harmloses Gesicht nickte Francisco mit huldvollem Lächeln zu, die Königin hatte einen sauren Tag, aber die zehn anderen, selbst der sechsjährige Infant Don Francisco, folgten Carlos' Beispiel – in den von der Rolle, die jeder auf dem Bild zu spielen gedachte, bedingten Abstufungen. So sah sich der Maler im Brennpunkt vielfacher fürstlicher Huld, nur der dreizehnte unter den Aufzustellenden konnte sich an diesem milden Feuerwerk nicht beteiligen: der nachträglich von seiner Amme hereingetragene Säugling, der den Titel eines Prinzen von Parma führte.

Zwei Fürstlichkeiten entfachten einen verfrühten Rangstreit: Doña Maria Josefa, des Königs ältere, gleich ihm beleibte Schwester, glaubte den ihr gebührenden Platz erobern zu müssen und schob sich nach vorne, indem sie Francisco ihr längliches, einigermaßen dem eines Pelikans gleichendes Gesicht mit ungemein gewinnendem Ausdruck zuwandte. Don Fernando indes, der siebzehnjährige Kronprinz, vertrat seiner Tante mit einer Miene schärfster Arroganz den Weg, mit der Linken den Degengriff senkend, so daß die Waffe eine waagrechte Schranke bildete, und die Rechte nachlässig in der Hosentasche seiner Galauniform vergrabend. Die Ohrgehänge der Prinzessin pendelten, während sie einen Umweg machte, und der in ihrer Perücke verankerte Reiherbusch zeichnete unruhige Kurven in die Luft. Sie hatten nämlich alle ihr Bestes angezogen.

Francisco konnte diese Szene ignorieren, denn er hatte für die Aufstellung der Herrschaften einen anderen Teil des Saales ins Auge gefaßt.

Er zeichnete rasch mit einer Kreide einen Kreis und ein Dreieck auf den Fußboden. »Wenn Seine Majestät der König geruhen wollte, in den Kreis zu treten... Ihre Majestät die Königin in das Dreieck...«

Carlos gehorchte sofort, stellte ein Bein vor das andere, ergriff den Degenkorb und verkrampfte das Gesicht, als sollte die Sache noch in dieser Minute losgehen. Maria Luisa stellte sich neben das Dreieck, beschaute es und erklärte mürrisch, sie finde einen Kreis praktischer, hier wisse man gar nicht, wie stehen.

»Wie Eure Majestät befehlen ...« Francisco riß, da er nichts anderes in der Nähe hatte, ein Spitzentaschentuch heraus und wischte, zu Füßen der Königin kniend, das Dreieck aus den Bodenbrettern, um es alsbald durch einen Kreis zu ersetzen. Lässig trat Maria Luisa hinein, doch nur mit einem Fuß.

»Ich will ein Dreieck«, rief das Töchterchen Doña Maria Isabel.

»Ich auch ein Dreieck«, rief der kleine Stöpsel Don Francisco.

»Geben Sie also den Infanten Dreiecke«, sagte die Königin sanfter.

Francisco zeichnete die Dreiecke und bat Ihre Majestät zu geruhen, den rechtem Arm um die Schulter der Infantin zu legen und mit der linken Hand die rechte des Infanten zu ergreifen. Das sah sehr erzwungen aus, und er mußte mit allergnädigster Erlaubnis die Kinder selbst etwas zurechtschieben. Der gute König rührte sich indes nicht von der Stelle, nur den Kopf wagte er zu bewegen.

Francisco trat rasch an die von zwei Staffeleien gestützte Leinwand und visierte die vier Objekte, deren noch nicht aufgestellte Verwandte ohne Unterlaß aufeinander einsprachen. »Wundervoll diese Hauptgruppe!« rief er aus. Sie machte ihm auch wirklich viel Vergnügen. Vor allem Don Carlos: er hatte das Aussehen eines kleinen Krämers, dem der König zum Spaß für Sonntag nachmittag einen gestickten Anzug mit überreichlichem Zubehör geliehen hat. Nur die Krone fehlt, dachte Francisco – soll ich ihn bitten, die Krone aufzusetzen?

Sein Blick strich über Maria Luisa hin ... Wenn du ahnen würdest, daß ich dich damals gesehen habe ... Sie stand in Positur mit anmaßendem, in höchster Verachtung auf die Menschheit niederblickendem Ausdruck, am Hals und an den Ohren hingen die Juwelen bündelweise, und die Perücke drohte einzusinken unter dem Gewicht der Diamantspange und des Diamantpfeils – eines größeren, als ihn Manuels geräumigste Tasche hätte fassen können. An jedem Finger stak ein Ring, nur die dicken nackten Arme waren ungeschmückt.

Den kleinen Prinzen hatten sie in eine rote Uniform gesteckt und ihm verkleinerte Exemplare des Goldenen Vließes und anderer höchster Orden angehängt, Zeichen seiner frühen Verdienste. Francisco schien es, daß seine Züge mehr an Manuel als an den König erinnerten. Die dreizehnjährige Schwester aber, bis auf den Diamantpfeil hinaus aufgemacht wie die Königin – hat sie nicht schon Funken von Frechheit und Gier in den Augen? Die Mutter nimmt sie in ihre Schule...

»Jetzt komme wohl ich an die Reihe«, bemerkte Don Fernando in herrischem Ton.

Francisco ordnete ihn mit seiner ihm anverlobten Kusine, Tochter des Königs von Neapel, und seinem Bruder Don Carlos zu einer Gruppe. Da die Verlobten Streit hatten – man erzählte sich bei Hof, der Infant habe Beziehungen zu einer Ehrendame seiner Mutter –, wandten sie, gegen die Anweisung, einander den Rücken zu, und Francisco beschloß, diese Pose festzustellen. Carlos der Jüngere drängte sich vor und erhielt von Fernando einen seitlichen Fauststoß in die Galauniform. Fernando selbst aber stellte sich ein Stück vor seinem Kreis auf, dem Maler um einen Schritt näher als der König.

»Zurück!« rief die Königin.

Er bezog es nicht auf sich.

»Zurück!« rief der König. »Señor de Goya hat von mir unbeschränkte Vollmacht.«

Don Fernando schob sich um eine Handbreit zurück und ließ schnippisch und feindselig die Bemerkung fallen, seine Stellung verbiete ihm, den Hintergrund aufzusuchen.

»Der Hintergrund scheint für uns Ältere reserviert!« rief Doña Maria Josefa spitzig dazwischen. Ihr Reiherbusch zeichnete sehr unruhige Kurven.

»Ich verlasse meinen Platz nur vorübergehend«, sagte Don Carlos sehr laut, schritt auf den Thronfolger zu und schob ihn in den Kreis, um alsbald seinen eigenen wieder aufs sorgfältigste auszufüllen.

Fernando machte ein trotziges Gesicht und begann sich schon wieder unmerklich nach vorwärts zu bewegen.

Als Francisco die Dame mit dem Reiherbusch wirklich in die hinterste Linie komplimentierte, trat sie entschlossen auf des Königs linke Seite, wo vorläufig noch niemand stand, und erklärte, ihr Platz sei hier.

»Zurück!« rief Maria Luisa sehr scharf. »Willst du unsere Familie in den Verdacht bringen, daß wir uns künstlerischen Gesichtspunkten nicht unterzuordnen verstehen?« Sie reckte sich und trat an den vorderen Rand ihres Kreises. Die jugendliche Erbprinzessin von Parma, Tochter des Königspaares, zupfte vor dem Spiegel rasch noch an den Perlenschnüren, die sie im Haar trug, dann stellten sie und ihr schmaler, besternter Gatte sich betont-verbindlich und lautlos zur Verfügung. Francisco berücksichtigte bei der Wahl der Plätze ihren inneren Abstand zur übrigen Familie, wofür sie ihm dankbar zulächelten.

Die Erbprinzessin nahm ihren Säugling auf den Arm, er war der einzige Prinz ohne Orden.

In den Hintergrund dieser Bildseite wurde Doña Carlotta Joaquina, Königin von Portugal, Carlos' älteste, durchaus phlegmatische Tochter, geschoben, sowie des Königs Bruder Don Antonio, ein Mann ohne Ehrgeiz, dessen Gesicht Francisco mit dem geschnitzten Knopf eines Spazierstocks verglich, als er mit rascher Pinselzeichnung die Stellungen festzuhalten begann.

Nachdem das einige Minuten gedauert hatte, zog der Infant Don Carlos den älteren Bruder von rückwärts am Rockschoß und empfing dafür eine Ohrfeige. Er begehrte auf, was Fernando eisig ignorierte, der König winkte drohend mit dem Degengriff. Der Säugling schrie, bis Francisco seine Anwesenheit für nicht mehr nötig erklärte und die Amme ihn wegtrug.

»Entschuldigen Sie«, sagte lächelnd die hübsche Erbprinzessin mit den Perlen.

Francisco erinnerte sich der ersten Riesenleinwand, die er bemalt hatte, der von Parma – sah plötzlich das Bild und was sonst damals gewesen war, die Tänzerin, den Wirt, den Herzog mit den Dukatenbeuteln. War der schlanke Aristokrat, der ihm eben zulächelte, der Sohn oder der Enkel? Alles stand schattenhaft da, durchdrang als eine zweite, dünnere Wirklichkeit die Gegenwart.

Was ist das: Gegenwart? Was Vorüberfluten, was Ewigkeit? Was ist denn an euch, die ihr körperlich hier seid, Gegenwart? Auch jeder von euch trägt in sich, was er war und was er sein wird ... Mehr, mehr – es ist ein unheimliches Mehr: ihr tragt nicht nur die eigenen Schicksale in euch, in dieser Gegenwart, die Frucht ist der Vergangenheit und zugleich die Knospe der Zukunft, eine ununterbrochen sich aufblätternde Knospe ... Ihr tragt die Schicksale von Völkern in euch. Kronen blättern aus euren Knospen, Kronen, die ihr tragen werdet, und Kronen, die man euch verweigert. Schwerter, Feuerbrände des Kriegs blättern heraus ... alles geht um eure Kronen ... verwüstete Städte und Länder, Heere von Blutenden und Sterbenden ... Mit jedem von euch, der regieren wird, setzt sich auch ein Dämon auf den Thron ...

»Wir wollen eine Pause einlegen«, rief die Königin ungeduldig, »ich bin müde.«

»Das Stehen wird wirklich unerträglich«, bestätigte die Prinzessin mit dem Reiherbusch.

Der Onkel mit dem geschnitzten Kopf stampfte mit beiden Beinen abwechselnd auf den Boden, um die Blutzirkulation zu beleben.

»Wenn ich den untertänigen Vorschlag machen darf«, ließ sich Francisco vernehmen, »so hören wir für heute auf.«

»Einverstanden«, sagte die Königin.

Carlos nickte. »Aber nehmen Sie nicht zu viel Rücksichten. Das Bild ist sehr wichtig.«

»Zu den Gesamtsitzungen wird man mich nicht mehr brauchen«, bemerkte seine Schwester, die nun, da sie die Lippen zusammenpreßte und die Nase gekränkt herunterzog, noch stärker einem Pelikan glich. »Es kommt ja doch nur mein Kopf auf das Bild – bestenfalls mein Kopf.«

»Man braucht dich!« sagte Maria Luisa trocken.

Francisco verbeugte sich stumm.

Die Hofdame riß die Tür auf, und die zwölf zogen ab. Francisco wußte von jedem vorher, wie er grüßen werde.

Er öffnete ein Fenster und starrte dann in den leeren Saal. Da standen sie alle noch als farbige Schatten. Er hätte weitermalen können.

 

Vor der fertig bemalten Riesenleinwand mit den dreizehn Fürstlichkeiten stand Cayetana und gab sich einem Ausbruch von Heiterkeit hin, der immer mehr Maria Luisa allein galt und darum in Gereiztheit überging.

»Man könnte sich unheimliche Dinge ausdenken«, sagte sie schließlich – »kennst du den alten Hexenzauber: sich ein Wachsbild des Menschen anfertigen, dem man Böses tun will? Man quält und sticht und brennt es, und jener Mensch muß die Schmerzen leiden. Ich möchte mit einer Nadel in das Bild stechen. Maria Luisa ist der einzige Mensch, den ich hasse.«

Sie hatte tags zuvor die Nachricht bekommen, im halbfertigen Neubau von San Cristóbal sei wieder eine Brandstiftung versucht worden. »Offenbar«, erzählte sie, »sind die für Tag und Nacht eigens angestellten Wächter dazwischengekommen, doch haben die Dummköpfe niemanden erwischt. Für mich besteht kein Zweifel, daß die, die als Urheberin des ersten Feuers gilt, auch diesmal die Hand im Spiel hat.«

»Dieses Spiel würde sehr spannend, wenn dein Verdacht sich beweisen ließe.«

»Das scheint zu mißglücken. Aber für mich ist das Geheimnis auch ohne Beweise entschleiert. Ich weiß, daß sie die Brandstifter bezahlt hat. Und danach handle ich.«

Seiner Frage, wie sie zu handeln gedenke, wich sie aus.

Er sprach wieder von dem Bild: »Ich möchte eine Wiederholung malen – mit einer grauen Menschenmauer als Hintergrund, einer Mauer von Hungernden, Zerlumpten, Krüppeln, Siechen, die nach den Festgewändern und Diamanten starren. Sie könnten alle für den Rest ihrer Jahre menschenwürdig leben, wenn man den Erlös der Juwelen unter sie verteilte. Ich würde die Mauer so malen, daß man sieht, sie kann einstürzen und das funkelnde Dutzend unter sich begraben.«

Sie stimmte dem Plan leidenschaftlich bei.

»Leider«, stellte er fest, »gibt es schließlich doch eine Grenze, die man mich nicht ungestraft überschreiten ließe.«

»Aber hast du sie denn hier mit deinen Königspfauen nicht überschritten? Du müßtest jetzt schon verhaftet sein.«

Francisco lächelte. »Sie scheinen sich über ihr Aussehen durchaus im klaren zu sein. Schau her!« Er öffnete eine Schublade, nahm ein Lederetui heraus und klappte es auf.

»Ein Orden!« frohlockte sie, »ein dünner natürlich: die dicken sind nur für Generale und Minister. Immerhin ein Orden ... Wenn du ihnen weiter die Wahrheit sagst, wirst du noch aufsteigen wie Manuel.«

»Manchmal denke ich, der ganze Hof gefällt sich darin, verspottet zu werden. Ist stolz darauf, Anlaß zum Spott zu bieten. Diese Menschen nehmen sich selbst nicht mehr ernst, lachen über sich wie über die andern, als ginge sie ihr eigenes Ich gar nichts an. Das ist ein jämmerlicher Zustand, der jämmerlichste, in den ein Mensch verfallen kann.«

»Mitunter ist mir«, sagte sie zögernd und in plötzlichem Ernst, »als sei ich selbst von dieser Art ... Worin unterscheide ich mich denn von den Hofcliquen, die ich verspotte und vor den Kopf stoße? Tanze ich, wenn man genau hinhört, nicht nach derselben Musik wie der ganze Knäuel?«

Er hatte solche Worte nie von ihr gehört und sah sie bestürzt an. »Wie kannst du so reden?« rief er dann. »Antworten kann ich nicht. Jedes Wort, das ich spräche, müßte den Anschein erwecken, als gebe es hier wirklich etwas zu widerlegen.«

Aber sie steigerte noch ihre Selbstanklage: »Es gibt Augenblicke, in denen ich denke, ich hasse die Königin nur, weil ich mich in ihr wiedererkenne.«

»Und wenn man dich zur Fratze verzerrte, ließe sich keine Ähnlichkeit finden... Nein, nein – ich will nicht darüber sprechen!«

Es dauerte eine Zeit, bis sie ihre nächsten Worte fand: »Es wäre gut für mich, wenn du mir wieder deine Freundschaft schenken könntest.«

Auch er schwieg zwei Atemzüge lang, ehe er antwortete. »Du weißt doch, daß du sie niemals verloren hast.«

Sein Lächeln trug einen sehr leidenden Zug, als er sich über ihre Hände beugte, um sie zu küssen.


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