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10

Napoleons Überfall auf Portugal erreichte rasch, daß die Mitglieder der Dynastie Braganza nach Brasilien flohen. Der beste Teil des Heeres wurde als portugiesische Legion unter die französischen Fahnen gezwungen, aber ein hartnäckiger Kleinkrieg dauerte an, er gab dem Kaiser den erwünschten Grund, mit der Überweisung des versprochenen Raubanteils an Manuel Godoy zu zögern. Doch der Betroffene hoffte noch und bemühte sich, dem Kaiser in jeder Weise gefällig zu sein: als starke französische Truppen unter dem Vorwand der portugiesischen Kämpfe spanische Städte zu besetzen begannen, befahl er, sich zu fügen, und ließ das Gerücht verbreiten, die Franzosen kämen als Freunde. Den König beschwichtigte er durch die Versicherung – er gab sie als Generalissimus des spanischen Heeres –, daß jeder Widerstand zwecklos sei und geeignet, die Lage zu verschlimmern.

Aber Napoleons Soldaten, von seinem Schwager Murat befehligt, rückten vor, weitere beträchtliche Truppenmassen sammelten sich an der Grenze, was Manuel nicht abhielt, die besten spanischen Regimenter für einen französischen Feldzug in Dänemark zur Verfügung zu stellen. Carlos begann zu fürchten, Napoleon werde auch ihn des Thrones entsetzen, und beredete mit Maria Luisa die Vorbereitungen zu einer Flucht nach Andalusien oder gar nach Mexiko. Manuel indes, der sich von einem solchen Wegzug des Hofes und der Regierung schwer hätte ausschließen können, trat diesen Plänen energisch entgegen, er wollte, falls wirklich der spanische Königsthron neu besetzt würde, in der Nähe sein. Er beharrte darauf, daß keinerlei Gefahr bestehe, und war auch in Wahrheit außerstand, sich von der wirklichen Lage ein Bild zu machen. Und so blieb man denn in Aranjuez.

Zu Fernando, der in Madrid interniert war, drangen die Nachrichten über die Geschehnisse und Befürchtungen in beunruhigender Form. Escoiquiz, der als Beichtvater Zutritt zu ihm hatte, überzeugte ihn davon, daß er dem möglichen Schauplatz wichtiger Veränderungen keineswegs fernbleiben dürfe, um dieses Ziel zu erreichen, sei jedes Mittel recht. So ließ denn der Infant, der bisher seine Teilnahme an einer Verschwörung hartnäckig geleugnet hatte, dem Königspaar ein Geständnis – unter Richtigstellung des angeblichen Plans gegen Carlos – und zugleich die zerknirschte Bitte um Verzeihung übermitteln, der Prälat selbst unterzog sich dieser Mission.

Der König zeigte sich geneigt – aus der ängstlichen Empfindung heraus, wenn Gefahr von außen drohe, habe eine Versöhnung innerhalb der Familie auf alle Fälle ihr Gutes. Die Königin meinte, die Staatsklugheit verlange in der Tat, das der europäischen Öffentlichkeit bereitete, auch für Napoleon sichtbare Schauspiel von Zwistigkeiten innerhalb der Dynastie so rasch als möglich zu beendigen, und so müsse man leider im eigenen Interesse den Infanten enthaften. Manuel fand keinen Grund dagegen, der nicht seine geheimen Absichten entlarvt hätte, und erklärte deshalb, auf die Entscheidung dieser Familiensache keinen Einfluß nehmen zu wollen. So wurde denn Fernando durch ein neues Edikt in seine Würden wieder eingesetzt – unter freudigster Zustimmung des Volkes.

Mit allen seinem hohen Rang gebührenden Ehren und Zeremonien traf er in Aranjuez ein. Carlos war einen Augenblick wirklich gerührt, um so mehr, als ihn ja während der Umarmung das wohltuende Gefühl durchziehen konnte, daß des Sohnes geheime Umtriebe sich gegen ihn, den König, keineswegs gerichtet hatten. Maria Luisa blieb kühl, aber nicht unversöhnlich. Sie reichte ihm die Wange mit einem säuerlichen Augurenlächeln zum Kuß, als wollte sie sagen: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.

 

Die Königin, in dieser Zeit des Unbehagens auf Zerstreuung bedacht, wünschte sich malen zu lassen und berief Francisco nach Aranjuez.

Javier, nach langer Abwesenheit in die Heimat zurückgekehrt, begleitete ihn. Er hatte sich zuletzt in Rom aufgehalten und ließ gleich in den ersten Tagen durchblicken, daß er seinen Wohnsitz für einige Jahre dort nehmen würde, falls die königliche Kasse nicht geneigt sein sollte, ihm die Reiserente von zwölftausend Realen auch in Madrid weiterzuzahlen. Zwar biete Paris jungen Leuten seiner Art und seines Standes entschieden mehr, doch sei das römische Klima der Gesundheit zuträglicher.

Er kleidete sich nach letzter Mode, mit einem Stich ins Geckenhafte, und bevorzugte in seiner Ausdrucksweise jene nachsichtige Lässigkeit, durch die der jugendliche Weltmann zu betonen liebt, daß die meisten Dinge für seinen umfassenden Gesichtswinkel des ihnen von der Mehrheit zugeschriebenen Gewichts entbehren. In diesem Ton sprach er auch von manchem berühmten Kunstwerk der Vergangenheit – übrigens nicht ganz ohne den Beifall seines Vaters, dabei ergab sich freilich sehr rasch, daß sich die Früchte seiner eigenen Studien in bescheidenen Grenzen hielten. Francisco wußte ja im Grunde genau, daß sein Sohn kaum eine durchschnittliche Begabung für die Malerei besaß. Da er aber damals, als er Javier auf Reisen schickte, die Frage von sich weggeschoben und gewissermaßen einer wunderbaren, von vorläufig unbekannten Kräften zu formenden Lösung anvertraut hatte, fühlte er sich nun weder von Enttäuschung noch von Schuldbewußtsein ganz frei.

Besonders was Javier an Arbeiten des Pinsels mitbrachte, war ärmlich, sogar in der Quantität des Geleisteten, er behauptete allerdings, eine größere Anzahl von Leinwänden zur Erleichterung seines Gepäcks ausgeschieden und verschenkt oder vernichtet zu haben. Etwas mehr stellten seine Radierversuche vor, doch konnte es auch Franciscos nachsichtigen Augen nicht verborgen bleiben, daß harmlosen Zeichnungen durch den Handwerkskniff wirkungsvoller Tönungen sehr oberflächlich auf die Beine geholfen war.

Javier hatte es nicht eilig, sich eine Werkstatt einzurichten, zumal er ja die Rückkehr nach Rom erwog, und sein Vater hätte sich keinerlei Vorteil davon versprochen, ihn zu drängen. Indessen ging Francisco selbst dran, sich eine neue Unterkunft zu schaffen.

Solange der Sohn fern war, hatte er, wenn er auch oft genug nur eine einzige Mahlzeit täglich mit ihr zusammen einnahm, in der alten Weise neben Pepa her gelebt: sie redeten von gleichgültigen Dingen oder überhaupt nicht, waren höflich, fühlten sich aber kaum zusammengehörig und stellten sich auch nicht aufeinander ein – außer daß Pepa es noch immer für ihre Pflicht hielt, die Speisen nach seinem Geschmack zubereiten zu lassen oder auch selbst zuzubereiten. Jetzt, da Javier, von beiden geliebt, von der Mutter noch mehr verwöhnt als vom Vater, deutlicher als früher eine Brücke zwischen ihnen bildete, ob sie wollten oder nicht, empfand Francisco die Aussicht auf zunehmende Wiederannäherung als unerträglich: er wußte, sie würde ihn lähmen.

Darum kaufte er in aller Stille ein Grundstück vor der Stadt, am jenseitigen Ufer des Manzanares, wo sich das Bild von Madrid höchst malerisch darbot, und gab einem Baumeister den Auftrag, ein einfaches Landhaus darauf zu erstellen. Dort wollte er die meiste Zeit hausen und Pepa – falls er bliebe, auch Javier – die Stadtwohnung überlassen, die er neuerdings in freier vornehmer Lage an der Puerta del Sol gemietet hatte ...

 

Francisco malte Maria Luisas Porträt so schonungslos, als sei es seine Aufgabe, sie öffentlich an den Pranger zu stellen. Und wie es ihr im Leben nicht der Mühe wert schien, eine Maske vorzubinden, behagte es ihr auch jetzt wieder, als die gemalt zu werden, die sie wirklich war: sie zeigte sich so zufrieden, als liebe sie an sich selbst nichts mehr als die Gemeinheit, und beraumte Sitzungen für ein zweites Bild an.

Auf solche Weise wurde Francisco länger in Aranjuez aufgehalten, als ihm lieb war.

Eines Abends befand er sich mit Javier zu Gast in Manuel Godoys dem Königsschloß benachbartem Privatpalast. Man tafelte gut und vermied politische Gespräche, der Kreis bestand aus fünfundzwanzig Personen, Hofchargen, hohen Beamten und, zur kleineren Hälfte, Damen, in deren Auswahl sich der Friedensfürst stets gewisse Freiheiten erlaubte: auch heute mußten die Gattinnen von Kammerherren und Staatsräten sich damit abfinden, zusammen mit einer jungen Schauspielerin eingeladen zu sein und mit einer angeblichen Baronessa aus Genova, der ein recht schlechter Ruf vorausging und nachfolgte. Allerdings befanden sich auch unter jenen gesellschaftlich hochwertigen Frauen und Töchtern mehrere, die sich gegenseitig Intimitäten mit dem Gastgeber nachsagten.

Die Stimmung war sehr heiter. Francisco hatte als Nachbarn zur Rechten einen dicken, asthmatischen Gerichtspräsidenten, der mehrmals am Lachen zu ersticken drohte, zur Linken eine Condesa de Pontejos, Marquesa de San Millan y Villaflor. Sie war die Schwiegertochter jenes wackeren Gesandten, der ihn in Rom aus den Händen der päpstlichen Justiz befreit hatte, des Don Miguel Trinidad, und kannte diese Geschichte nicht nur, sondern gab sie auch im Lauf dieses Abends zum besten. Aus solcher Beziehung nährte sie in sich eine vertraute, alter Freundschaft verwandte Empfindung, obwohl sie Francisco erst jetzt kennengelernt hatte – sie weilte mit ihrem wie sein Vater in diplomatischen Diensten stehenden Gatten in der Regel im Ausland –, und rief ihm besorgt die wichtigsten Scherze ins Ohr, auch wenn er sie schon vorher verstanden hatte. Übrigens liebte sie den Champagner.

Zufällig kam sie auf jenen Doktor der Medizin Guillemardet zu sprechen, der sich als Gesandter der französischen Republik von Francisco in der Uniform eines königlichen Diplomaten hatte malen lassen, er sei wahnsinnig geworden, berichtete sie, und vor kurzem in elendem Zustand gestorben.

Wie wenn ein Schatten sein funkelndes Trinkglas getroffen hätte, ein Schattenkeil, hervorgekrochen aus den düsteren Bezirken der dämonischen Wächter, brütete Francisco schweigend vor sich hin. In irgendeinem beliebigen Lebensaugenblick hatte sich der Mann seinem Pinsel dargeboten ... und der Augenblick hatte den Schein der Dauer bekommen, während das Leben weiterrollte, das Schicksal ausholte und zuschlug.

Andere Gestalten standen plötzlich vor ihm, als seien sie, nur ihm sichtbar, zur Tafel geladen – auch sie in seine Leinwände gebannt und nun herausgestiegen, auch sie Träger dunkler Schicksale. Zwei junge, junge Tote aus dem Bourbonenbild: die schöne Prinzessin von Asturien, die nur hier sein kann, weil Fernando nicht im Zimmer ist, der schlanke, feine Erbprinz von Parma, der welkte, als sei die Königskrone von Etrurien vergiftet gewesen, die Napoleon ihm reichte ... Und jene Geliebte des Todeskämpfers – ob auch sie tot ist, daß sie sich hier einfindet? In einem Zimmer dieses Hauses hängen ihre zwei Bilder, das nackte und das verschleierte ... Als heidnische Venus habe ich sie gemalt, denkt er, als zweimal verführende Venus. Ich muß die Bilder wiedersehen. Ob sie mir jetzt selbst die Sinne entzünden würden? Es steckt etwas wie Zauberei in jedem Menschenbildnis. Vielleicht modert dieser Körper wirklich schon ...

Die Condesa mußte ihre Finger heftig auf seinen Arm pressen, um ihn zurückzurufen. »Ich hätte geschwiegen, Don Francisco«, sagte sie, »wenn ich gewußt hätte, daß Ihnen das so nahe geht!« Dann machte sie ihn auf Don Manuel aufmerksam, der mit breitem kindlichem Grinsen die Schauspielerin auf ihrem Stuhl bis in Brusthöhe hochhob und sanft vor ihrem Gedeck wieder niedersetzte. Man bestürmte den muskulösen Gastgeber, auch eine Probe seiner Gesangskunst zu spenden, doch verschob er seine Antwort unter Hinweis auf den Mokka, den die Bedienten soeben zu servieren begannen.

Francisco beobachtete, daß an der Tafel weniger gesprochen wurde und einige Gäste, bald auch Don Manuel, ihr Gehör in einer bestimmten Richtung anspannten; Die Diener schauten einander unruhig an. Er fragte die Gräfin, was vor sich gehe.

»Man hört irgend etwas, offenbar von der Straße her. Es müssen Menschen sein. Ziemlich viele Menschen.« Sie sprach jetzt unmittelbar in seine Ohrmuschel. »Weiß der Himmel – ich glaube, das sind die Franzosen.«

Allmählich beschäftigte sich die ganze Gesellschaft mit dem überraschenden und beängstigenden Lärm. Kein Zweifel mehr: ein Volksauflauf, viele Schritte kamen näher, und ein gedämpftes Stimmengewirr schwoll an. Don Manuel wurde sehr unruhig, er befahl dem Haushofmeister, in einem dunklen Nebenzimmer ein Fenster zu öffnen und auszuschauen, vor allem sei ihm wichtig, zu wissen, ob es Soldaten seien. Niemand sprach mehr ein Wort.

»Es sind keine Soldaten, Eure Hoheit«, berichtete der Zurückkehrende mit erschrockenem Gesicht, »es scheinen mir Leute von hier zu sein, sie tragen Fackeln und Laternen mit sich, ich weiß nicht, was sie wollen.«

Unruhig erhob sich die ganze Tafelrunde.

»Sofort den Offizier vom Dienst!« befahl Manuel.

Während ein Hofmarschall mit vor Furcht zitternden Lippen den Gedanken äußerte, es handle sich vielleicht um eine Huldigung an Seine Hoheit, hörte man draußen laute Rufe, die sehr bedrohlich klangen. Da stürzte auch schon der Leutnant, der die fürstliche Leibwache befehligte, in den Saal und äußerte in militärischer Form die Bitte, Seiner Hoheit eine Meldung erstatten zu dürfen.

Manuel war sehr bleich und aufgeregt und kam gar nicht auf den Gedanken, den Offizier beiseite zu nehmen. »So reden Sie doch!« herrschte er ihn mit seiner hohen Stimme an.

»Der Palast ist von Aufrührern umstellt. Es müssen mehrere hundert sein, ein großer Teil davon ist bewaffnet. Ich habe sämtliche Tore verriegeln lassen.«

»Was heißt das: von Aufrührern? Was wollen sie?«

»Ich ... weiß nicht, Eure Hoheit.«

»Zum Donnerwetter, Mensch, es ist Ihre Pflicht, zu wissen, was im Bereich Ihrer Wache vorgeht. Rasch, rasch – ich habe keine Zeit übrig.«

»Der Volkshaufe scheint ... verbrecherische Absichten gegen die Person Eurer Hoheit zu haben.«

»Das ist ein lächerlicher Irrtum.« Sein herrischer Ton hatte wenig Überzeugungskraft. »Hier in Aranjuez ein Volkshaufe gegen mich! Wir befinden uns weit von Madrid.«

»Sicherlich sind die Rädelsführer von Madrid gekommen«, tönte es von der Wand her. Der asthmatische Gerichtspräsident war es, der seine Erfahrung in die Waagschale werfen wollte.

In diesem Augenblick ertönten starke Schläge und das Klirren von Eisenstäben.

»Das Hoftor«, sagte der Leutnant. »Ich bitte, auf meinen Posten zurückkehren zu dürfen. Welchen Befehl geben mir Eure Hoheit?«

»Zum Teufel, Mensch, wozu sind Sie da? Sie sind für mein Leben verantwortlich. Wenn mir ein Haar gekrümmt wird, lasse ich Sie hängen. Ich verlasse mich auf Sie. Tun Sie, was nötig ist, das ist Ihr Beruf, den müssen Sie gelernt haben.«

Währenddessen war offensichtlich ein großer Teil des Haufens in den Vorhof eingedrungen und bewegte sich nun unmittelbar unterhalb der Fensterreihe des Saales. Noch in Manuels letzten Satz hinein hörte man allerlei Rufe, die einander übertönten und verdeckten.

Der Leutnant eilte zur Tür hinaus. »Schießen Sie die Bande zusammen«, schrie ihm Manuel mit heiserer Stimme nach. »Wenn die Gewehre nicht genügen, dann lassen Sie Kanonen auffahren!«

»Wie schön, daß Kanonen im Haus sind«, bemerkte die Staatsratsgattin.

»Im Haus? ... Das nicht, aber er soll sie herbeischaffen. Wozu ist er da?«

Auf diese Weise erinnerte er sich seiner Gäste und bemühte sich nun, so etwas wie eine ritterliche Haltung einzunehmen. »Es tut mir sehr leid«, sagte er, »daß es heute abend hier so unruhig zugeht. Der Pöbel ist unberechenbar. Seien Sie ohne Sorge – meine Leibwache befindet sich im Erdgeschoß und wird jedem, der sich etwa ins Haus hereinwagen sollte, den gebührenden Empfang bereiten.« Er richtete sich an seinen eigenen Worten auf und ging zur Beruhigung der Gäste sogar so weit, sich an den Tisch zu setzen und alle aufzufordern, gleichfalls ihre Plätze wieder einzunehmen. So zu fast körperlicher Berührung einander genähert, fühlten sich die meisten wieder sicherer – wie eine Herde, die sich beim Nahen eines Raubtiers zusammendrängt. Auch der Weltmann Javier hatte es nötig, seinen Mut an der Anwesenheit von Schicksalsgenossen zu stärken. Diener gossen wieder Wein ein – mit krampfhaft korrekten Mienen, als sei der kleine Zwischenfall erledigt.

»Mir scheint«, flüsterte die Condesa de Pontejos ins Ohr Franciscos, »Sie werden sogleich Gelegenheit bekommen, sich gegenüber unserer Familie erkenntlich zu zeigen und mir das Leben zu retten.«

Er schüttelte mit ruhigem Lächeln den Kopf.

»Eigentlich muß es für Sie interessant sein, einmal so etwas in Wirklichkeit zu erleben«, sagte die Staatsratsgattin zur Schauspielerin, »in den Theaterstücken geht es ja auch oft so bedrohlich zu.«

»Es ist nicht mein Fach«, kam die trotz der gespannten Lage etwas schnippische Antwort.

»Auch für uns finde ich es höchst interessant«, bemerkte die Tochter desselben Staatsrats, die bei ihren Eltern im Verdacht freigeistiger Ansichten stand.

Ihre Mutter hatte nicht einmal mehr die Möglichkeit, ihr einen mißbilligenden Blick zuzuwerfen, denn die Ereignisse entwickelten sich mit großer Plötzlichkeit.

Man hörte Sturmgeschrei, schwere Stöße gegen ein Tor, das Splittern von Scheiben. Und schon drang Lärm aus dem Innern des Hauses. Einer der jüngeren Herren eilte ans Fenster des Nebenzimmers und stellte fest, daß die Aufrührer auf Leitern ins unterste Stockwerk einstiegen.

Manuel stürzte sehr bleich aus dem Saal.

Plötzlich waren auch keine Diener mehr im Zimmer. Der Lärm im Treppenhaus wuchs.

Der Leutnant erschien wieder und fragte atemlos nach Seiner Hoheit. Der Hofmarschall stellte mit erstickter Stimme die Gegenfrage, warum die Wache nicht schieße.

»Sie weigern sich, auf ihre Landsleute zu feuern«, kam es aus dem Leutnant.

»Schöne Landsleute«, kam es aus dem Gerichtspräsidenten, »lauter Staatsfeinde!« Das sagte er aber ziemlich leise, so daß es draußen keinesfalls gehört werden konnte.

Der Lärm war jetzt sehr nahe. Zwei Türen wurden gleichzeitig aufgerissen, Bürger und Bauern drängten herein, mit Schußwaffen, Degen, Sensen bewehrt. Sie blieben verblüfft stehen, als sie der regungslosen, von zahllosen Kerzen überstrahlten Festgesellschaft ansichtig wurden, aus der kein anderer Laut drang als das angstvolle Weinen einer Frau. Und nahmen, wahrhaftiger Gott, die Hüte ab. Einer, der eine Pistole umklammert hielt, machte Zeichen nach rückwärts, und das Nachdrängen hörte auf.

»Wir suchen den Herzog«, sagte er dann.

»Den Fürsten«, verbesserte der Mann neben ihm.

Niemand antwortete.

»Er hat die Franzosen ins Land gerufen«, fuhr der Anführer fort. »Das Volk zieht ihn dafür zur Verantwortung.« Es klang fast wie eine Entschuldigung. »Die Exzellenzen und Damen mögen sich nicht beunruhigen. Wer sich uns nicht mit Gewalt entgegenstellt, dem lassen wir alle Achtung und Höflichkeit zuteil werden. Wir wissen, daß der Fürst im Haus ist, und deshalb wäre es am einfachsten, uns gleich zu sagen, in welchem Zimmer er sich aufhält.«

Jener jüngere Gast, der sich zuvor ans Fenster gewagt hatte, ein königlicher Jägermeister, faßte nun auch den Mut zu einer Antwort. »Wir nehmen zur Kenntnis«, sagte er fest und bestimmt, ohne sich von seinem Sessel zu erheben, »daß ihr gegen uns hier nichts im Schilde führet. Das haben wir nicht anders erwartet.« Nach einer wirkungsvollen Pause, während der auch das Weinen verstummte, änderte er seinen Ton ins Kameradschaftliche: »Aber nun hören Sie, Mann, wir sind Gäste Seiner Hoheit. Wir wissen nicht, wo der Fürst sich befindet – vielleicht ist er gar nicht mehr im Palast, aber auch wenn einer unter uns wäre – die Damen bleiben sowieso aus dem Spiel, also einer von den Herren –, dem der Aufenthalt Seiner Hoheit bekannt wäre: würdet ihr den nicht verachten, der seinen Gastgeber verriete? Jedem Spanier ist das Gastrecht heilig.«

Und wirklich machte der Mann, seine Pistole senkend, eine Verbeugung und sagte: »Entschuldigen Sie, Caballero, daß ich das nicht bedacht habe.« Aber zugleich zeigte sich, daß er sich in die vornehme Umgebung gefunden hatte und, durch Murren aus dem Treppenhaus bestärkt, für weitere Verzögerungen nicht mehr zu haben war. »Wir werden also selbst suchen«, bemerkte er mit Nachdruck, »und müssen die Herren und Damen bitten, das Haus zu verlassen, nur so können wir die Gewähr für ihre persönliche Sicherheit übernehmen.«

Er beauftragte sofort zwei Gewehrträger, den Abziehenden Bahn zu schaffen. Niemand von der Gesellschaft zweifelte, daß es nötig sei, der Aufforderung nachzukommen. Der Jägermeister reichte einer Dame den Arm und führte, die höfische Rangordnung entschlossen mißachtend, den Zug an. Die andern folgten paarweise, als handle es sich um eine Festpolonaise, Francisco führte die Condesa de Pontejos. Sie wurden nirgends belästigt, mehrfach sogar höflich gegrüßt, doch mußten es sich alle gefallen lassen, daß ihnen auf den Treppen und vor dem Haus von Mißtrauischen mit der Laterne ins Gesicht geleuchtet wurde. »Er kann auch in Weiberkleidern stecken«, sagte ein mit der Heugabel bewaffneter Bauer zur Entschuldigung.

Jenseits des Volkshaufens, der sich offenbar aus Einwohnern des Städtchens Aranjuez und der benachbarten Dörfer zusammensetzte, begannen sich die Geladenen im Halblicht der Mondnacht zu zerstreuen, erst jetzt bemerkten sie, daß sie alle ihre Mäntel im Palast zurückgelassen hatten.

»Eine wunderbare Beute für die Jakobiner«, äußerte der Gerichtspräsident neben Franciscos Ohr.

»Ich habe nicht den Eindruck, daß es ihnen um Mäntel zu tun ist«, war die Antwort.

Ehe der Präsident den Mund sauer verziehen konnte, mischte sich die Gräfin Pontejos ein: »Wo wohl der Fürst steckt? Schließlich sind wir alle einfach weggelaufen und haben ihn seinem Schicksal überlassen.«

Der Gerichtspräsident legte den Finger auf den Mund. »Um Himmels willen, Condesa«, flüsterte er hinter dem Finger hervor, »schweigen wir! Ich bin sicher, daß wir belauscht werden, und habe keine Sehnsucht, unter der Guillotine zu sterben.«

Die Gräfin blickte sich spöttisch im Kreis um, während sich ein Teil der Herrschaften schon entfernte, und hob graziös ihre Krinoline ein wenig in die Höhe. »Ich sehe keinen Lauscher, auch hier unten ist niemand.«

»Nein, wie hübsch Sie das sagen, Condesa!« Er keuchte vor Entzücken, denn sie war eine noch ganz reizvolle Frau.

Nun tauchte aus dem Schatten einer Baumgruppe doch eine verdächtige Gestalt auf. Sie entpuppte sich indes als ein von Seiner Majestät persönlich ausgesandter Kammerherr, der den Auftrag hatte, Augenzeugen der revolutionären Ereignisse aufzustöbern und unverzüglich zum König zu führen: »Natürlich ist es nicht das Zeugnis von Bediensteten, auf das Seine Majestät Wert legt. Ich kann mich zu dieser Begegnung nur beglückwünschen.«

Offenbar hatten einige noch im Abschiednehmen Begriffene bemerkt, was vor sich ging, und befürchtet, das Königsschloß möchte in einer Nacht des Aufruhrs ein schlechter Aufenthalt sein, denn plötzlich mußten die Gräfin, der Präsident, der Erste Kammermaler und Don Javier feststellen, daß sie die einzigen waren, die sich noch in Reichweite des königlichen Sendboten befanden.

»Ich weiß nicht, ob wir die Richtigen sind«, meinte Francisco ziemlich mürrisch. »Meine Wahrnehmungen jedenfalls sind durch ein schwaches Gehör beeinträchtigt.«

Der Gerichtspräsident berief sich auf sein Asthma, das ihn gerade heute nacht am zusammenhängenden Reden behindere.

»Macht nichts«, entschied der Kammerherr, »die Herren werden sich ergänzen. Ich bitte Sie beide in aller Form, den allerhöchsten Befehl auf sich zu beziehen. Ihnen, Gräfin, kann ich, wenn Sie noch ein paar Schritte mitgehen, einen Wagen zur Verfügung stellen, Don Javier wird sicherlich den Vorzug, Sie nach Hause zu begleiten, zu schätzen wissen.«

Francisco betrat zusammen mit dem Präsidenten das Arbeitszimmer des Königs in einem Zustand grimmiger Gelassenheit. Der Boden unter Manuel schwankte, der Boden unter Carlos begann zu zittern – konnte es zu den Aufgaben seines Daseins gehören, zwischen diesen beiden gefährdeten Machthabern oder zwischen ihren Schicksalen den Kurier zu spielen? Er mißfiel sich in der Rolle, die sich selbst als Obliegenheit seines Hofamtes niemals hätte voraussehen lassen: sie kam ihm allzu zufällig, ja lächerlich vor. Auch interessierten ihn die Tatsachen, die er zu berichten hatte, schon nicht mehr: seine Phantasie und seine Gerechtigkeitsliebe waren damit beschäftigt, weiterzubauen, allen Entscheidungen hitzig vorausgreifend. Er wäre lieber auf der Straße gestanden, um das Verhalten der Aufrührer zu beobachten, für die sein Herz schlug.

Der König gab sich kaum Mühe, die Anzeichen großer Erregung und Furcht zu verbergen. Er hat seine Angst verdient, dachte Francisco. Aber wenn sich nun wirklich ein Stück Freiheit ans Licht kämpft, so werden nicht nur die Schuldigen den Leidens- und vielleicht Blutpreis bezahlen müssen ...

Carlos ließ sogleich die Königin, den Prinzen von Asturien und den Adjutanten vom Dienst herbeirufen. »Es ist das beste, sie hören alles aus erster Quelle.«

Die Königin schien beherrscht, aber sie sah sehr alt aus. In Fernandos Augen glaubte Francisco kalte Genugtuung zu lesen. Der Adjutant, ein Oberst von Adel, zeigte sich in jeder Bewegung ernst und entschlossen. Diener vermehrten die Helligkeit des von Wandteppichen in gedämpften Farben umschlossenen Raumes, indem sie siebenarmige Leuchter mit brennenden Kerzen auf einen mit Goldbrokat gedeckten Tisch stellten.

Don Carlos nahm schwerfällig an der einen Schmalseite auf dem mit Krone und Wappen gezierten Sessel Platz und ließ die Berichterstatter die beiden ihm zunächst stehenden Stühle einnehmen. Neben Francisco saß die Königin, neben dem Präsidenten der Infant, dann folgten der Oberst und der Kammerherr.

Der Gerichtspräsident war wirklich so aufgeregt, daß er um Luft ringen mußte und in einer Aufzählung der Namen und Titel der Geladenen steckenblieb. Ungeduldig, als erhebe er sich straff aus den Kissen der Denkfaulheit, wandte sich der König an Francisco, der nun in bildhafter Anschaulichkeit erzählte, ohne Floskeln und ohne Äußerungen geheuchelter Entrüstung. Niemand unterbrach ihn.

Die erste Frage war die der Königin, wo sich wohl der Fürst befinde. Der Präsident, einer kürzeren Mitteilung nunmehr gewachsen, befliß sich, seine Hoffnung für Manuels Rettung auf eine geheime Hintertür zu setzen.

»Dann wäre er hier«, bemerkte Dona Maria Luisa sehr kurz.

Der König aber wollte wissen, ob sich nach Meinung der beiden Herren der Aufruhr nur gegen die Person des Ministerpräsidenten oder auch gegen das Herrscherhaus richte. »Reden Sie ganz offen«, sagte er, »wir sind auf alles gefaßt.«

Sein Ohr habe die Drohrufe, die darüber Aufschluß geben könnten, nicht unterschieden, beeilte sich Francisco festzustellen. Die Frage war ihm unbequem.

»Ihre Meinung können Sie trotzdem sagen«, dröhnte Carlos.

Die Antwort kam langsam: »Ich denke, daß die Aufrührer, wenn sie einen Schlag gegen Eure Majestät geplant hätten, zuerst vor das königliche Schloß gezogen wären.«

»Diese Schlußfolgerung stimmt nicht«, mischte sich jetzt der Prinz von Asturien ein, »denn wenn wir mit dem Haß gewisser Volksteile als einer gegebenen Tatsache rechnen, so ist klar, daß ein Ausbruch dieses Hasses sich zuerst das mißliebigste Ziel aussucht. Das schließt aber keineswegs aus, daß er gleich darauf auch die übrigen Ziele angreift. Es ist sogar sehr wahrscheinlich.«

Seine Mutter sah ihn bös an, doch sie schwieg.

»Es handelt sich um Verbrecher«, meinte der Gerichtspräsident im Ton einer zornigen Urteilsfällung, der seinen Atem sogleich etwas ins Pfeifen brachte, »denen man leider nicht unterstellen kann, daß sie vor geheiligten Personen oder Staatseinrichtungen haltmachen werden.«

»Gefahr ist im Verzug«, betonte Fernando nochmals.

»Was ist zu tun?« fragte Carlos. Seine wasserhellen Augen irrten leer und verzweifelt von einem zum andern. »Sie können jeden Augenblick anmarschiert kommen.«

Da meldete sich gehorsamst der Oberst. »Kanonen!« Aus dem einen Wort klang ein ganzes Glaubensbekenntnis.

»Sind Sie sicher, daß Ihre Kanoniere schießen würden?« Der Mund des Infanten zuckte hämisch über der massiven Kinnlade.

Ehe der Oberst antworten konnte, sprach sich der König entschieden gegen eine militärische Aktion aus. »Das ganze Land käme in Aufruhr. Ich kenne die Spanier.«

Die Königin schlug vor, die Minister wecken zu lassen.

Der König wollte von schlaftrunkenen Gehirnen und einer Verschiebung der Entscheidung nichts wissen. »Wir sind genug Köpfe hier, es kommt nicht auf die Ämter an, sondern auf den einfachen Menschenverstand. Auch von den Ministern hat noch keiner eine Revolution mitgemacht.« Er sagte es in einer instinktiven Überlegenheit, die ihm selten zu Gebot stand. »Ich bitte«, fügte er noch hinzu, »die vier anwesenden Herren, sich in dieser außergewöhnlichen Stunde als meine berufenen Berater zu betrachten.«

Wie die drei andern verbeugte sich auch Francisco – gespannt, vor welche Aufgaben ihn die nächsten Stunden wohl noch zerren würden.

»Don Juan Escoiquiz befindet sich in meinem Bibliothekzimmer«, sagte der Prinz von Asturien in beiläufigem Ton, »vielleicht könnte auch seine Ansicht von Wert sein.«

Es war der Königin anzusehen, daß sie widersprechen wollte, aber Carlos traf schon die Anordnung, Escoiquiz zu rufen.

Lautlos trat er ein, mit der schwarzen Soutane bekleidet, um die sich die breite lilafarbene Prälatenschärpe als Gürtel schlang. Während er neben dem Kammerherrn Platz nahm, begann der König ihm darzulegen, was auf dem Spiel stehe. »Ich bin unterrichtet, Eure Majestät«, kam an der ersten schicklichen Stelle die sehr ruhige Antwort. Sein großes energisches Kinn erinnerte an das Fernandos, gleich als habe sich der Schüler selbst körperlich nach dem Meister eingestellt.

Carlos schaute ihn erstaunt an, war aber über die Zeitersparnis so zufrieden, daß er ihn sogleich um seine Meinung fragte.

»Ich darf mir nicht schmeicheln«, begann Escoiquiz mit höflicher Handbewegung, »daß ich irgendeinen Gedanken äußern könnte, der nicht schon vor meinem Eintritt Gemeingut der Besprechung gewesen wäre. Die Dinge liegen ja bedauerlich einfach. Die Bewegung hat sich vorläufig gegen Seine Hoheit den Principe de la Paz gerichtet. Um sie aufzufangen oder zum mindesten dem möglichen zweiten Stoß seine Heftigkeit zu nehmen, muß man den Insurgenten die Freude des Sieges nachdrücklich zu kosten geben. Der bedauernswerte Fürst wird in ihre Hände fallen, wenn das in diesem Augenblick nicht schon geschehen sein sollte. Die Krone Spanien kann daran nichts ändern, wird sich vielmehr gezwungen sehen, so schnell als möglich öffentlich von dem Fürsten abzurücken. Indem sie sich formell auf die Seite der Angreifer stellt, vermindert sie die Gefahr, selbst angegriffen zu werden.«

»Aber das hieße ja unser ganzes Regierungssystem preisgeben«, hielt ihm die Königin entsetzt entgegen.

Escoiquiz verzog bei seiner Antwort keine Miene: »Wenn ich Eurer Majestät untertänig zu widersprechen wagen darf: es hieße nicht mehr, als einen einzelnen Irrtum bekennen – im jetzigen Augenblick ein geringes Übel.«

Alle schlugen schweigend die Augen nieder, nur Francisco sah sich heimlich die Gesichter an. Die Stille dauerte minutenlang.

»Was verstehen Sie unter öffentlichem Abrücken, Monsignore?« fragte Carlos schließlich. Seine Stimme klang sehr gedrückt. »Wir müssen uns beeilen«, setzte er zur eigenen Entschuldigung hinzu.

»Der Fürst muß seiner sämtlichen Ämter und Würden für verlustig erklärt werden – durch ein noch in dieser Stunde zu erlassendes Manifest, das in mehreren Exemplaren an den Mauern des königlichen Schlosses angeschlagen wird. Es würde die Aufrührer bei einem etwaigen nächtlichen Vormarsch empfangen, falls ihnen nicht sofort unter der Hand Nachricht zugehen kann, jedenfalls aber in der Morgenfrühe die ganze Bevölkerung beruhigen.«

»Um die Würden kann es sich nicht handeln«, sagte Carlos mit Haltung. »Wen ich zum Fürsten gemacht habe, der bleibt Fürst.«

Escoiquiz erkannte, daß er zu weit gegangen war, und lenkte rasch ein: »Bei den Ämtern dachte ich an die Zivilfunktionen, bei den Würden an die militärischen.«

»Man müßte«, äußerte die Königin, »die Enthebung von den Ämtern zum mindesten von der Bedingung abhängig machen, daß die Rebellen den Fürsten der Krone Spanien ausliefern. Wir können unmöglich dulden, daß man sich an ihm vergreift.« Sie sprach ziemlich gefaßt, denn sie hoffte, die Maßregeln gegen Manuel würden sich über kurz oder lang rückgängig machen lassen.

»Ich fürchte, Eure Majestät, daß ein bedingtes Manifest wirkungslos wäre. Aber die Absetzung« – Escoiquiz gebrauchte zum erstenmal dieses Wort – »gibt der Krone die Möglichkeit in die Hand, über die persönliche Sicherheit Seiner Hoheit zu verhandeln.«

»Wenn wir nicht zu spät kommen«, fuhr es dem König heraus.

Er wünschte, daß die Berater ihre Meinung kundgäben. Als keiner das Wort nahm, verlangte er heftig, jeder solle wenigstens durch Ja oder Nein seine Stellung zu Escoiquiz' Vorschlag äußern.

»Ja«, sagte der Präsident, »Ja« der Kammerherr, »Nein« der Oberst.

»Ich war vor zwei Stunden noch Gast Seiner Hoheit«, sagte Francisco, »und würde vorziehen, meine Stimme in seiner Gegenwart abzugeben. Aber ich halte die Enthebung für nützlich.«

»Ich denke, Sie entwerfen den Text, Monsignore, und übernehmen auch seine rechtzeitige Bekanntmachung.« Es war die Königin, die diese Worte sprach. Sie liebte passive Rollen niemals und empfing von der Hoffnung, nun werde alles mindestens für sie selbst gut vorübergehen, neuen Auftrieb.

»Enthebung von den Ämtern des Ministerpräsidenten, des Generalissimus und des Großadmirals«, erläuterte Carlos, der froh war, daß Maria Luisa ihm das entscheidende Wort abgenommen hatte.

»... von sämtlichen Ämtern, im besonderen denen des ...«, schrieb Escoiquiz.

»Welche Begründung wird gegeben?« fragte Fernando lauernd.

Carlos schwankte nur einen Augenblick. »Begründung?« sagte er dann, »ich bin niemandem zur Rechenschaft verpflichtet. Ich gebe keine Gründe an.« Dann unterzeichnete er und dankte allen. Auch er hatte wieder Hoffnung und ließ nach einem Priester schicken, um mit ihm in der Schloßkapelle zu beten.

Escoiquiz aber veranlaßte, daß zwei Schreiber geweckt wurden, und sandte einen Mittelsmann zu den Führern der Aufständischen, die ihm mit Namen bekannt waren.

Francisco begab sich langsamen Schrittes in den Palast des königlichen Gefolges, wo er zwei Zimmer bewohnte. Er hatte die Neigung verloren, den Fortgang der Ereignisse von der Straße aus zu beobachten, denn er fühlte tiefe Unlust darüber, daß er ernsthaft zur Mitwirkung an der Entscheidung über Manuel Godoys Schicksal gezwungen worden war. Dergleichen ist nicht meines Amtes, sagte er mehrmals fast hörbar vor sich hin.

Habe ich nicht selbst Blätter gezeichnet und verbreitet, fragte er sich dann, die auf Ereignisse wie das dieser Nacht hinzielten? Die den Kleinen die Augen öffnen wollten über die Großen, damit sie auf den Gedanken kämen, ihr Recht selbst in die Hand zu nehmen? Das Schicksal hat mich beim Wort genommen, mich Richter in der Idee, und mich ganz einfach zum Richter in der Tat gemacht. Ganz einerlei, ob eine meiner Zeichnungen auch nur von ferne einen Einfluß auf das jetzt Geschehene ausgeübt hat – heute sind, seit ich sie aus der Hand gab, zum erstenmal die spanischen Bürger und Bauern aufgestanden, und ich bin in das Spiel verflochten worden.

»Was sind das für törichte Gedanken«, sagte er zu Javier, der schon zu Bett lag, »soweit ich beteiligt bin, ist es wirklich nur ein Spiel, eine Posse. Denn ohne meine Mitwirkung in diesem wunderlichen Kronrat wäre alles ganz genau ebenso verlaufen ...«

Aber die tiefe Unlust verschwand nicht.


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