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5

Der Frühling zieht alljährlich spät in Zaragoza ein, und die Menschen, die an diesem Märzmorgen über die siebenbogige Ebrobrücke gingen, froren im scharfen Wind, wenn sie sich nicht nach Bauernart in Schafspelze hüllten. Der trübe Strom war das Gegenbild der trüben Wolkenzüge, die, obschon in steter Bewegung, für keinen Augenblick auch nur das kleinste blaue Luftloch offenließen. Selbst die Kuppeln der neuen, noch turmlosen Kathedrale Unserer Lieben Frau vom Pfeiler, Nuestra Señora del Pilar, die mit ihrem Überzug buntglasierter Ziegel an hellen Tagen Blumenhügeln glichen, mußten so viel Grau spiegeln, daß ihrer Fröhlichkeit der Atem ausging. Und den Malern, die unter den Kuppeln zu arbeiten hatten, auf gewaltigen, bis zu den Wölbungen reichenden Holzgerüsten, kam das Licht, Quelle und Element ihres Tuns, in dieser Stunde allzu karg zu Hilfe.

Die aragonische Hauptstadt besaß eine andere, über ein halbes Jahrtausend alte Kathedrale. Aber die war an Ruhm der Heiligkeit verblaßt gegenüber einem Wallfahrtskirchlein, das eine Säule mit einer Madonnenstatue beherbergte – die Säule, auf der vor bald siebzehneinhalb Jahrhunderten die Heilige Jungfrau dem Apostel Jakobus dem Älteren erschienen war, um ihm die Reise nach Compostela aufzutragen. So hatte sich die erzbischöfliche Kurie entschlossen, das Kirchlein der als wundertätig geltenden Säule zum Prunkbau zu erweitern und gleichfalls zur Amtskirche des Erzbischofs zu erheben.

Einer der Maler dort oben auf den Gerüsten war Francisco Goya...

Schon gleich nach der Rückkehr aus Italien hatte er in Zaragoza gearbeitet – Kirchenwände mit langweiligen Dingen bemalt, ein saures Jahr lang Tag um Tag. Er besaß Freunde und Gönner in der Stadt, und die hatten ihm zu dieser Tätigkeit verholfen, denn nach Madrid wagte er sich vorläufig nicht. Und weil man ihm diesen Ortswechsel noch weiter widerriet, war er zwei andere Jahre in der Gegend geblieben; vom Prior eines einsamen Kartäuserklosters nahm er einen langwierigen Auftrag an: Wandbilder, die das Marienleben und andere heilige Stoffe schildern sollten. Der Prior, damals noch einfacher Mönch, hatte den Knaben unterrichtet drüben im Bauerndorf Fuendetodos, auch als erster den Maler in ihm entdeckt und bei den Eltern durchgesetzt, daß sie ihn zur Erlernung der Kunst in die Stadt schickten.

Während dieser zwei Jahre in der Cartuja de Aula Dei blieb Francisco nichts übrig, als sich in die Hausordnung des Klosters zu finden, doch verlief sein Wandel als Mönchsgenosse nicht ohne weltliche Rückfälle, der Weg nach Zaragoza war zwar schlecht und weit, aber er bestand doch. In diesen Tagen oder Nächten, die er dem Kloster fernblieb, fühlte er sich wie ein Gefangener, der für kurze Frist in die Freiheit entlassen ist, und sog den Wein des Genusses in so gierigen Zügen ein, daß fast jedesmal der Bodensatz mit in ihn hineinglitt, und das gab dann auch keinen Lebensvorrat für die Arbeit der kommenden Tage oder Wochen, sondern einen schalen Nachgeschmack.

Er arbeitete für nicht viel mehr als fürs Essen, das bißchen Bezahlung ging bei jenen Stadtausflügen zum Teufel. Dabei immer der heillose Gedanke: So geht es jetzt weiter, jahrelang, lebenslang, ich komme von diesen trübseligen Kirchenwänden nicht weg und bin dazu verflucht, bis in alle Ewigkeit lebensgroße Heilige und Engel zu pinseln. Mehrmals war er nahe daran, die ganzen Farbtöpfe an die noch vorwurfsvoll leeren Mauern zu schmeißen oder den Kartäusern über die monotonen Kutten zu spritzen und sein Glück wie einst vor einem Dutzend Jahren als Stierkämpfer zu versuchen – bloß um keine Kirchenwände mehr zu sehen.

Dann war es immer der Prior Félix Salcedo, der ihn zurückhielt.

Zwischen den beiden – das war das Schöne an dieser Zeit – entspannen sich mitunter lange Gespräche über den Sinn des Menschendaseins, über Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit des Weltlaufs, über Gott, Engel und Teufel. Der Prior ließ seines einstigen Schülers Zweifel und Fragen nicht allzuoft an den Grenzmauern der kirchlichen Dogmen aufprallen, weil er klug erkannte, daß er nur so Einfluß auf ihn behalten könne, und so blieb ihm denn Francisco mit fast bedingungsloser Liebe ergeben und verheimlichte ihm auch seine unruhigen Pläne nicht. Félix rüttelte ihn auf und ermahnte ihn, auf die Stimme im eigenen tiefen Innern zu lauschen, die ihm sicherlich sage, er sei zu viel Größerem bestimmt als zum Stierfechter und Landstreicher. Geduld und Arbeit seien vonnöten, nichts anderes, es schade ihm keineswegs, wenn er eine Zeitlang zum Stillsitzen gezwungen werde. Franciscos Selbstvertrauen stieg, und sein Ehrgeiz, nur oberflächlich verschüttet, wuchs wieder mächtig empor. Nur die Geduld fiel ihm schwer, und darum erlebte er Rückfälle. Aber er blieb...

Und schließlich kam doch die Rückkehr nach Madrid, kamen Jahre, in denen er viel nachholte und manches erreichte – lange, lange nicht alles freilich, was erreicht werden mußte. Er verschaffte sich Porträtaufträge in der guten Gesellschaft, pflog Beziehungen zu zwei Kammermalern des Königs, dem guten, kindlichen Mariano Maella und dem dürren, säuerlichen Francisco Bayeu, einem älteren Studiengenossen aus jenen ersten unruhigen Madrider Tagen, und wurde auf Vorschlag der beiden zum künstlerischen Mitarbeiter der staatlichen Teppichfabrik berufen, seine neuartigen, aus dem Volksleben gegriffenen Entwürfe erregten Aufsehen: man war der ewig gleichen antik-heroischen Stoffe müde.

Er versuchte mehr Ordnung in sein Leben zu bringen... Seine Akten bei der Inquisition waren verjährt und verstaubt, und wenn sein Name vielleicht noch auf irgendeiner Liste mit einem Kreuz geziert war, so konnte man als künstlerischer Erzeuger der für die königlichen Schlösser bestimmten Wandteppiche darüber lachen. Er mutete sich viel Arbeit zu, lernte die Zeit nützen und lernte Geld verdienen. Einen Wagen besaß er und zwei Maultiere – die aragonischen Freunde und die alten Eltern hatten sich schön verwundert, als sie davon hörten, schade, daß man das Zeug in Madrid lassen mußte. Immerhin waren sie jetzt mit einem Gefolge von zwei Personen, einem Diener und einem Mädchen, in Zaragoza aufgezogen – er und Josefa, seine Frau.

Diese Ehe war auch eine Frage der Ordnung... Die schlanke, rotblonde Pepa, Schwester jenes einflußreichen königlichen Kammermalers Francisco Bayeu – bei der Santisima Virgen del Pilar, er liebte sie. Sie war schön, auch nach ihren vier Kindbetten – von denen übrigens drei vergeblich waren: die Säuglinge erlagen frühzeitigen Krankheiten –, und sie besorgte das Haus gut...

Doch ihm schien, ein Künstler müsse sich an den Frauen begeistern können: müsse mitunter Bilder malen einzig um ihres bejahenden Lächelns willen, müsse Freude daran haben, mit einem Werk um sie zu werben, ihnen mit einem Werk zu huldigen, müsse aus Beglückung durch eine Frau zur Arbeit hingerissen werden... So war Pepa nicht. Sie war, es kam im Lauf der Zeit ans Licht, ein wenig stumpf. Zeigte sie sich nicht, besah man es genau, dreihundertsechzig Tage im Jahr nüchtern und ohne Schwung?

Und so kam durch sie doch nicht ganz soviel Ordnung in sein Leben, wie er gehofft hatte. Ob die Hoffnung überhaupt ganz aufrichtig gewesen war? Mein Gott, nur Pfaffen und Heuchler mißgönnen einem das bißchen Lebenswärme, das man sich so nebenbei noch heranholt... Und zu den Heuchlern gehörte auch dieser Schnüffler von Schwager – der ausgemergelte Neidhammel, der zu allem hin seit einer gewissen Zeit die Unverfrorenheit hat, prüfende Blicke auf seine, Goyas, Arbeit zu werfen – in anmaßender Übertreibung eines Rechtes, das er aus seiner Eigenschaft als Oberleiter der Ausschmückung der Kirche ableitet...

 

Nicht als ob all diese Erinnerungen und Überlegungen Francisco Goyas Kopf klar und scharf durchzogen hätten, während er, nun doch wieder vor einer Kirchenwand beschäftigt, mit den energischen Strichen breiter Pinsel einen Märtyrer erstehen ließ. Aber einiges davon stieg immer wieder aus den dunkeln Winkeln seiner Tiefe, die er, hier oben stehend, ganz räumlich als eine Unterwelt empfand.

Er hörte, daß jemand die Leiter des Gerüsts heraufstieg. Bayeu? Nein, der kletterte viel vorsichtiger. Er wartete neugierig. Schließlich kam Don Martin Zapater zum Vorschein, der Jugendfreund, in dessen Haus er wohnte – erst mit dem frischen gutmütigen Gesicht, dann mit der ganzen, recht ansehnlichen Gestalt, und das eilige Steigen schien ihm gut bekommen zu sein.

»Mensch, Martucho, was hast du heute für hohe Ziele?« empfing ihn Francisco.

»Ein Mann war da vom Domkapitel, man bittet dich für nachmittags vier Uhr in die Sakristei der alten Kathedrale.« Sein Atem ging nun doch etwas rasch. »Es schien mir wichtig, dir das gleich zu sagen, denn da steckt irgendwas dahinter. Und weil ich deinem Herrn Schwager in der Stadt begegnet bin, konnte ich mich hier heraufwagen.«

»Um vier in die Sakristei«, wiederholte Francisco nachdenklich. »Da könnte in der Tat etwas dahinter stecken, etwas, das eben mit dem Schwager zu tun hat ... die Herren pflegen sonst keine Sehnsucht nach mir zu haben. Gehen wir ein Stück zusammen!«

Er legte die Pinsel weg – diese Arbeit hielt ihn zu wenig besessen, als daß er sie nicht jeden Augenblick hätte unterbrechen können –, und sie stiegen ab. In einem Nebenraum der Kirche entledigte er sich des Malerkittels und wusch die Hände.

»Wenn nur bei all diesen Dingen nicht immer die Schwierigkeit mit Pepa wäre«, sagte Francisco ein wenig trübsinnig, als sie eine Weile dem Fluß entlanggegangen waren.

Martin stellte sich unwissend.

»Wenn es Streitigkeiten zwischen mir und ihrem Bruder gibt, steht sie immer unbedenklicher auf seiner Seite. In Geschmacksfragen schon ganz. Sie beschäftigt sich mit meiner Arbeit, und das wäre gut so, und sie lobt nicht immer, das wäre auch gut, aber wenn sie ihre Einwendungen macht, rieche ich immer den akademischen Staub, den ihr Bruder hustet. Das fuchst mich. Und wenn es jetzt wirklich so kommt, daß er gegen meine Malerei stänkert, dann wird sie sagen, er habe recht. Der Teufel soll diese Verschwägerung holen.«

»Um offen zu reden, Francho: du gibst den beiden immerhin einiges Material in die Hände – beileibe nicht als Maler, aber durch deine Amouren. Die stecken dahinter, dessen kannst du sicher sein. Der Bruder rächt die Schwester.«

»Fast ein halbes Jahr sitze ich hier bei euch – und was ist in dieser Zeit geschehen? Nichts, gar nichts als diese kleine Geschichte mit der Madrider Schauspielerin – eine lächerliche Geringfügigkeit, die nicht zählen würde, wenn das Ekel nicht seine spitze Nase hineingesteckt hätte.«

»Das ist gerade eine Geschichte zuviel«, lächelte Don Martin.

»Gehab dich nicht, Martucho, ich kenne dich ... Das Geld möcht ich haben, das du in deinem Leben schon zu den Mädchen getragen hast. Eine Kirche könnt ich davon bauen lassen.«

»Aber die Leute wissen nichts davon. Und schließlich hab' ich auch keinen Schwager ... Auf alle Fälle, um wieder von der Hauptsache zu sprechen, sei vorsichtig und klug heute nachmittag, was auch immer die Herrn von dir wollen.« Er sprach in ernstem, beschwichtigendem Ton.

»Die Krallen werd ich den Pfaffen zeigen, wenn sie frech werden!«

Aber Martin ließ nicht locker. Er, der eingeborene Zaragozaner, gab ihm zu bedenken, wie viele Freunde er hier sitzen habe, wie unangenehm der Bruch mit den wichtigsten Instanzen der Stadt sich in der Zukunft auswirken könnte, wie peinlich es sogar für seine greisen Eltern sein müßte, wenn er sich mit dem Domkapitel und der erzbischöflichen Kurie überwürfe. Auch das Geld komme schließlich ein wenig in Betracht ... Keine Unterwerfung, natürlich, volle Wahrung des Standpunktes, nur sich geneigt zeigen zu gütlicher Einigung ...

Schließlich versprach Francisco, sich vor dem Gang in die Sakristei »die Nägel zu schneiden«, wogegen sich Martin für den Abend zu einer Flasche guten Rioja und ein paar neuen zur Gitarre zu singenden Seguidillas verpflichtete.

»Wenn mir aber die Herren«, besiegelte Francisco das Abkommen, »statt böser Rede eine goldene Kette um den Hals hängen, dann stifte ich Champagner.«

Aber sie hingen ihm kein Gold um den Hals. Der Beauftragte des Kapitels, ein hagerer, unlustig aussehender Priester, dem um des Gewichtes willen noch ein stummer Gehilfe beigegeben war, ging ohne Umschweife auf das befürchtete Thema los, indem er erklärte, Franciscos Fresken entfernten sich desto weiter von den vereinbarten Entwürfen, je mehr davon sichtbar werde. Das Kapitel wünsche das Gotteshaus mit Bildern geschmückt, die in ihrer klassischen, edlen Haltung den Gläubigen zur Erbauung dienen, während diese weltliche, ein wenig vulgäre Art höchstens Neugier erwecke und von der religiösen Sammlung ablenke. Man zweifle – vorläufig – nicht, daß er imstande sei, solcher Bemängelung Rechnung zu tragen und auch die schon gemalten Gruppen abzuändern – nach den Angaben des Don Francisco Bayeu, in dessen Oberleitung das Kapitel volles Vertrauen setze und dem er künftig auch die Entwürfe zu den einzelnen Figuren zur Begutachtung vorlegen möge.

Francisco hielt an sich und verlangte in ruhigem Ton Einzelheiten, wurde aber ganz einfach an Bayeu verwiesen. Da berief er sich auf die Genehmigung des Gruppenentwurfs und beantragte, daß auf seine Kosten ein Schiedsgericht Madrider Künstler bestellt werde zur Entscheidung der Frage, ob er sich an den Entwurf gehalten habe oder nicht. Er richtete sich in seinem Armstuhl straff auf bei diesem Vorschlag und warf selbstsicher den Kopf zurück, doch der Ton seiner Worte blieb ruhig. Als aber der hartnäckige Priester nur mit der Achsel zuckte und erklärte, dem Domkapitel genüge das Urteil des Don Francisco Bayeu, verlor er die Geduld und rief heftig, seine Künstlerehre sei verletzt. Ihm, der das Vertrauen des Königs genieße, könne niemand zumuten, als bloßer Handwerker das auszuführen, was ihm andere vorschreiben. Die Herren mögen den Schutz ihres geistlichen Gewandes nicht dazu ausnützen, ihn zu beleidigen. Auch der Künstler empfange sein Amt von Gott, nicht nur der Priester.

Doch der Beauftragte des Kapitels ging auch jetzt mit keinem Wort auf Franciscos Gründe ein, sondern ließ erkennen, daß er zu Verhandlungen nicht gewillt sei, indem er ganz kühl bedeutete, Señior Goya habe die Bedingungen vernommen, unter denen die Fortsetzung seiner Arbeit möglich sei, sollte er sich ihnen nach einer bestimmten Bedenkzeit nicht unterwerfen, so betrachte man seine Tätigkeit als beendet und behalte sich vor, die beanstandeten Figuren von einem anderen Maler abändern zu lassen oder sie zu übertünchen.

Es war mehr der Ort der Besprechung und das Amt seiner Widersacher als Martins Ermahnung, was Franciscos Wut im Zaume hielt. Im Innersten kochend, eilte er hinaus. Diese hochmütigen Priester hatten ihn behandelt wie einen Maurergesellen, den man jeden Augenblick durch einen andern ersetzen kann. Er war entschlossen, überhaupt nicht zu antworten und die Folgen in Ruhe abzuwarten.

So leerte er mit Martin jene ausbedungene Flasche in etwas verbissener Heiterkeit ...

Anderntags, als Francisco lesend im Zimmer saß und zu den weitgeöffneten Fensterflügeln die von den Jahrhunderten gebräunten Backsteinpaläste der gegenüberliegenden Straßenseite hereinschauten mit ihren Rundbogenportalen, vergitterten Balkonen und schweren, weit vorspringenden Dächern, trat als ein Stück in solchen Mauern altgewordenen Lebens der Prior Félix Salcedo ins Zimmer. Sein Gesicht war verwittert wie Baumrinde, aber man fühlte noch kräftiges Holz hinter der Rinde.

Nach allerlei Umwegen fing er wie beiläufig von Franciscos Streit mit dem Domkapitel zu reden an. In Francisco schoß der Gedanke auf: Sie haben erkannt, daß sie zu weit gegangen sind, sie brauchen mich, sie wollen einlenken. Und der andere: Wie schlau sind diese Pfaffen, daß sie sich als Unterhändler diesen Mann ausgesucht haben, der Macht über mich hat ... wie erschreckend gut wissen sie über die persönlichsten Dinge Bescheid!

Félix ließ bald erkennen, daß jener erste Gedanke allzu optimistisch war. »Du bist noch jung, Francho«, sagte er, »was sind fünfunddreißig Jahre für einen Künstler, der sein ganzes Leben reifen und wachsen muß? Gewiß hast du schon mancherlei Gunst und Ruhm erfahren. Aber spricht es gegen die Ehre eines Mannes, der Erfolg hat, einen Tadel einzustecken und sich einem älteren, in hohen Ämtern stehenden unterzuordnen? ... Ich sehe deinem Gesicht an, was du einwenden willst: du fühlst dich stärker, glaubst der größere Künstler zu sein ... Was heißt das? Wer vermag den eigenen Wert gegen den eines anderen abzuschätzen?«

»Dann mag Bayeu mir in derselben Weise gegenübertreten«, lautete Franciscos etwas spitze Abwehr. »Auch er schätze seinen Wert nicht gegen den meinen ab, und wir bleiben in Frieden. Ich kann Schulmeisterei nicht ertragen. Zu nichts anderem nütze ich meine Madrider Erfolge aus als zu dem, daß ich mein eigener Herr bleiben will.«

Der Mönch zog alle Register, sprach von der Tugend der Demut, die gerade dort zur Unterordnung verpflichte, wo wir uns als die Übergeordneten fühlen – wies, als Francisco Beschuldigungen gegen den Schwager erhob, darauf hin, daß Bayeu das Haupt von Pepas Familie sei, der ihm die Schwester anvertraut habe und dem er Achtung schulde – ließ ihn bedenken, daß das Werk in der Kathedrale nicht der Ehre der Künstler, sondern der Ehre der Heiligen Jungfrau gelte. Als er aber befürchten mußte, diese Argumente machten zuwenig Eindruck, wurde er plötzlich nüchtern und sachlich und nahm es nicht schwer, sich selbst zu widersprechen:

»Laß ganz einfach die Vernunft walten, Francho: Ist es nicht ein Werk, durch das dein Name mehr in den Mund der Leute kommen wird als durch irgendein anderes, das deine Hand bis jetzt hervorgebracht hat? Die Antwort auf diese Frage mußt du dir selbst geben ... ich verstehe nicht genug davon ... Ich glaube aber auch sagen zu können, daß Bayeu dir die Unterwerfung nicht schwer machen wird. Es sind geringe Änderungen, die er verlangt.«

Das waren die ersten Worte, die nach so etwas wie Entgegenkommen von der anderen Seite klangen. Francisco wußte im Grunde wohl, daß sie unklar waren und wenig bindend. Aber er wurde mehr und mehr von dem ruhigen Klang dieser Stimme umsponnen und sank unmerklich in Schichten des Lebens, die er in Rauch aufgelöst glaubte, die aber plötzlich wieder da waren, als gebe es keine Zeit, keinen Fluß der Dinge ... Der Lehrer sprach zu ihm, der Lehrer, an dessen Wissen er glaubte.

Und so geschah es schließlich, daß er den Prior ermächtigte, dem Domkapitel seinen Bescheid zu überbringen, er nehme die Bedingungen an.

Als sich der Mönch entfernt hatte, war es Francisco, als erwache er aus einer Betäubung. Er hatte einen schlechten Geschmack auf der Zunge und empfand dem verehrten Mann gegenüber plötzlich eine feindselige Kühle. Im entscheidenden Augenblick arbeitet er gegen mich, dachte er. Widerrufen, die Zusage sofort widerrufen ... Aber ich mache mich ja lächerlich – Félix hat sicherlich sofort seine Auftraggeber aufgesucht. Ich muß zu meinem Wort stehen ... Auf der Höhe des Malgerüstes trafen die beiden Verschwägerten wieder zusammen.

Da kommt er über die Planken geschlichen, dachte Francisco, der Kerl, der aussieht, als ob er nicht einmal fürs Pissen den Saft in sich hätte, und setzt sein staubiges Spinnweblächeln auf. Da man die Sünde nicht auf sich laden kann, ihn durch einen Tritt vom Gerüst herunter in die Hölle zu befördern, ist es das beste, zu tun, als sehe man ihn nicht.

Von der Demut, die der alte Mönch von ihm verlangt hatte, fand er also nicht viel in sich und sehnte sich auch gar nicht nach dem Besitz dieser Eigenschaft. Nur wenn er sich die von Félix vorgebrachten Vernunftgründe und die nun eben nicht wegzuleugnende Tatsache seiner eigenen Zusage vor Augen stellte – den Begriff »Unterwerfung« hielt er von sich ferne –, dann kam er in eine Art von resignierter Gleichgültigkeit hinein, die ihn trotz allem einigermaßen über die Situation stellte.

Bayeu aber verhielt sich merkwürdig: er unterließ am ersten, am zweiten, am dritten Tag jede Kritik oder Einmischung – ganz als wisse er gar nichts von dem Geschehenen, oder noch mehr: als sei er, der ja den Vorgesetzten zu spielen begonnen hatte, in diesem Konflikt unterlegen. Francisco nannte ihn innerlich einen Fuchs und argwöhnte, Josefa habe den Bruder zu solcher Zurückhaltung bewogen, daß die beiden hinter seinem Rücken ihn angehende Dinge verhandelten, paßte ihm ganz und gar nicht. Doch er wartete, ohne sich eine Blöße zu geben.

Am vierten Tag ging Bayeu zum Angriff über. »Verzeih«, begann er plötzlich, »aber dieser Märtyrer Longinus sieht ein wenig aus wie ein Landstreicher.« Um seine Bemerkung als Scherz zu frisieren, lächelte er krampfhaft – eine Grimasse, in die sich die zwei senkrechten Falten über der Nase und die beiden an den Mundwinkeln schlecht einfügten.

Francisco schwieg, seinen Farbtöpfen zugewandt, als habe er nichts gehört.

»Ich habe von dieser Figur gesprochen.«

Schweigen.

»Longinus hat sich im Stil vergriffen.« Er meckerte dazu, doch schon mit leicht drohender Klangfarbe.

Francisco schwieg noch immer.

»Es ist nicht nur der eine. Die Santisima Virgen, die als Königin der Märtyrer gedacht sein sollte, kommt auf ihren Wolken einher wie eine Seiltänzerin.«

Nun antwortete Francisco doch, aber ohne sich umzudrehen: »Deine eigene Herrlichkeit war bei der Genehmigung beteiligt, wenn mein armes Auge keine Gespenster gesehen hat.« Er beherrschte sich, indem auch er sich stellte, als scherze er.

»Aber du hältst dich nicht an die Entwürfe. Der Stil deiner Ausführung eignet sich mehr für eine Markthalle als für eine Kirche.«

Francisco wandte sich um. »Diese Behauptung ist eine Frechheit!«

»Mäßige deinen Ton!«

»Wer mir dreinredet, als sei ich ein grüner Anfänger, der beleidigt mich!«

Bayeu warf sich in Positur. »Ich bitte dich zu bedenken, welches Amt ich hier ausübe. Ich sage kein Wort, das nicht meiner Pflicht entspringt.«

»Zwischen zwei Menschen wie uns ist es lächerlich und bösartig, sich auf ein Amt zu berufen.«

»Deine Empfindlichkeit ist nicht am Platz«, kam es zwischen den schmalen Lippen hervor, »erinnere dich daran, daß ich der um zwölf Jahre ältere bin.«

»Und wenn dir Schimmel auf dem Buckel wächst vor Alter, hast du vor meiner Arbeit den Mund zu halten.«

»Es wird Zeit, dich darauf aufmerksam zu machen, daß das Domkapitel deine Arbeit mit steigender Unruhe verfolgt ...«

»Mich darauf aufmerksam zu machen ...« Franciscos Wut steigerte sich über diese Heuchelei. »Was für eine Schamlosigkeit, während doch dein Neid hinter allem steckt!«

Bayeus Gesichtsfalten spannten sich vor verbissener Wut. »Ich habe Anspruch auf deine Dankbarkeit«, zischte er, »ohne mich hättest du diesen Auftrag nicht bekommen und auch all das andere nicht, womit du dich jetzt brüstest – wenn ich schon gestehe, daß ich dir nur um Josefas willen weitergeholfen habe.«

Francisco wandte nochmals alle Kraft auf, sich zu beherrschen. Gedämpft, doch von Haß und Drohung wetterleuchtend, kamen seine Worte hervor: »Wenn du Mut hast, komm heute nachmittag mit dem Degen hier herauf. Oder ziehst du Messer vor? Mit Zeugen, ohne Zeugen – mir ist es gleich.«

Bayeu, sehr bleich, erzwang von sich ein Gelächter. »Du verwechselst mich mit den Raufbolden und Toreros deiner Bekanntschaft. Und möchtest wohl das Heilige Kollegium wieder einmal auf dich aufmerksam machen. Mord in der Kirche – das würde deine bisherigen Heldentaten noch übertreffen.«

»Jetzt geh, du Feigling, sonst blas' ich so kräftig nach dir, daß du das Übergewicht bekommst!«

Bayeu setzte, so gut es ging, eine verächtliche Miene auf, riß die Reste seines Mutes zusammen und begann in schulmeisterndem Ton nochmals zu sprechen: »Ich möchte dir also im Namen und Auftrag des Domkapitels ...«

»Im Namen und Auftrag des Teufels befehle ich dir, das Maul zu halten und dich wegzuscheren!« Er ergriff einen Kübel voll schmutzigen Wassers und rückte dem Feind auf den Leib.

»Ich weiche der Gewalt«, schrie der Schwager und stieg die Leiter ab.

Francisco beobachtete den Abstieg mit einem vor zornigem Siegesbewußtsein geradezu lachenden Gesicht. Als Bayeu die letzte Sprosse überwunden hatte, goß ihm der Sieger den Inhalt des Kübels nach.

Das klatschte und schlug doch stärker, als Francisco sich überlegt hatte. Bayeu fiel zu Boden und konnte sich nur taumelnd erheben und weitergehen.

»Ja so – ich habe versprochen, mich zu unterwerfen«, sprach Francisco laut zu sich selbst. Jetzt konnte er die Sache ja beim richtigen Namen nennen.

 

Am nächsten Morgen empfing Francisco ein Schreiben des Domkapitels, das ihm mit kurzen Worten die weitere Arbeit in der Kirche Nuestra Señora del Pilar verbot. Das Honorar für die bisherige Tätigkeit, etwas schäbig, doch nicht gerade anfechtbar bemessen, lag bei. Für Doña Josefa trafen zwei Medaillen ein mit dem Bild der heiligen Säule, eine goldene und eine silberne, begleitet von einem Brief, der dieses Abschiedsgeschenk der Schwester des Don Francisco Bayeu zuwies.

»Das ist eine Unverschämtheit«, platzte Francisco los, »schick ihnen den Bettel zurück!«

»Ich wüßte nicht, weshalb es für mich eine Schande sein sollte, als Schwester meines Bruders ein Geschenk anzunehmen.« Sie griff nach den Münzen und legte sie in ein Kästchen, ihr Gesicht erinnerte ihn peinlich an eben jenen Bruder.

Er trug die Briefe zu Martin Zapater.

Der fing wieder von Vermittlung an, aber Francisco höhnte nur: »Ich pfeife so laut ich kann auf alle Honoratioren, Prälaten, Kapitel, Magistrate, Onkel, Tanten und Vettern – und reise heute noch ab. Ich besuche die Eltern, nehme ein Maultier aus deinem Stall – wir werden es verrechnen – stecke Proviant in die Satteltaschen und reite los. Pepa wird unsere Habe packen und, wenn ihr der Diener kein genügender Schutz ist, sich nach einer günstigen Reisegelegenheit umsehen«.

 

Noch beim Ausritt aus der Stadt hatte Francisco die Empfindung, er ziehe ein Gewirr von Fäden hinter sich her, die zurückreichten bis in ein Dutzend dumpfer Haustüren. Erst als die Dächer, Türme und Kuppeln allesamt hinter einer Hügelwelle verschwanden, rissen auch die Fäden. Er war frei – oder wenigstens viel freier als zuvor.

Er schaute noch einmal zurück, ob auch sicher nichts mehr von der Stadt zu sehen sei.


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