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Don Miguel Trinidad händigte seinem Schützling, den er den spanischen Gerichten überliefern zu wollen vorgegeben hatte, einen Paß ein, dessen reichliche Stempel und Empfehlungsklauseln jeglichem Zwischenfall vorzubeugen geeignet schienen, sowie als Kaufpreis für zwei weibliche Akte eine ordentliche Geldsumme, durch die Francisco ängstlicher Rechnerei enthoben wurde.

Als er in La Spezia ankam, befand er sich noch durchaus im unklaren darüber, ob er von einem italienischen oder französischen Hafen seine Rückreise nach Spanien beenden oder aber auch weiterhin und bis zum Ende den Landweg wählen sollte. Da lernte er Antonietta kennen, eine aus Neapel gebürtige Tänzerin, die sich um eine Stelle als Solistin bei der herzoglichen Oper in Parma zu bewerben beabsichtigte, nötigenfalls ins Österreichische, nach Mailand, weiterreisen wollte und bis auf weiteres das Leben durchaus von der heiteren Seite nahm – im Bewußtsein, daß sich aus ihrer Schönheit ausreichende Zinsen ziehen ließen. Sie gefiel ihm außerordentlich gut: er fand sie lustiger, scharmanter, gepflegter als die Frauen, die er bisher kannte, voll übermütiger Einfälle, erfinderisch in der Liebe. So entschloß er sich im Bewußtsein seiner Unabhängigkeit zu einem Abstecher nach Parma, der bestimmt außerhalb seiner Route lag.

Seine Papiere, von einem spanischen Diplomaten ausgestellt, wurden an der Grenze des von einem spanischen Infanten regierten Landes besonders respektiert. Von diesem Hochgefühl getragen, fuhren die beiden mit Extrapost in der Stadt Parma ein, ließen aber, um die Ausgabe wettzumachen, vor dem Goldenen Krebs halten – keineswegs dem ersten Gasthaus, wenn auch keiner Kutscherkneipe.

Der Wirt Cleopatro Descalzi, dessen grauer Rock eine Art Musterkarte und Aushängeschild für fette Küche bildete und dessen unterwürfigen Bücklingen nur sein Schmerbauch eine gewisse Grenze zog – Cleopatro Descalzi also bemerkte beim Abendessen, während er persönlich den Salat mischte, mit geflissentlicher Miene, der Herr Professor sei sicherlich wegen des Preisausschreibens der herzoglichen Akademie in dieser Stadt eingetroffen.

Francisco, der nicht wußte, wovon die Rede war, antwortete geistesgegenwärtig, daß seine Reise in der Tat teilweise damit zusammenhänge. Antonietta beeilte sich, mit großem Augenaufschlag hinzuzufügen, auch sie selbst sei Trägerin einer wichtigen künstlerischen Mission. Unter dem Tisch trat sie dem Freund heftig auf den Fuß. Zugleich brach sie aus dem Tafelbukett drei rote Nelken und schob sie sich in den Brustausschnitt.

Der Wirt schnaufte. Francisco lächelte und bestellte moussierenden Wein.

 

Am Morgen begab er sich an das Tor der Akademie und bat einen jungen Mann, dem er den Malschüler ansah, um Auskunft über das Ausschreiben.

Jedermann sollte zugelassen sein, doch lief die Frist in drei Tagen ab. Der Gegenstand der Darstellung war genau vorgeschrieben: »Der siegreiche Hannibal wirft von der Höhe der Alpen den ersten Blick auf die Gefilde Italiens.«

Da Francisco den Namen in etwas unsicheren Umrissen nachsprach, wiederholte und vervollständigte der Ausgefragte seine Mitteilung: es handle sich um den karthagischen Heerführer, der gegen das antike Rom zu Feld gezogen sei. Seine höfliche Verbeugung sollte offenbar besagen, ein Fremder könne das ja unmöglich wissen, denn Hannibal sei eine spezielle Angelegenheit von Parma.

»Karthagisch, gewiß«, repetierte Francisco.

»Oder punisch, wenn man will.«

»Oder punisch ... jawohl ... übrigens wie steht es mit den Preisen?«

Die Höhe der Preise bleibe nach dem Wortlaut der Bedingungen, so versicherte der Gewährsmann, »der edlen Munifizenz Seiner Hoheit des Herrn Herzogs« vorbehalten, die, »von jedem Künstler und Kunstfreund ehrfurchtsvoll bewundert, sich durch keinerlei Zwang entwürdigt«. Trotz seinem nicht gerade ehrerbietigen Lächeln mußte er zugeben, der erste Wettbewerb desselben Mäzens sei nicht übel belohnt worden.

Francisco dankte und zog sich zurück.

Verdammt ... dieser Hannibal, dieser siegreiche Hannibal ... wo siegreich? über wen siegreich?... er wirft von der Höhe der Alpen ... Wenn man den Landweg für die Rückreise wählte, würde man gleichfalls von der Höhe der Alpen ... Das nützt nichts, das ist zu spät. Drei Tage noch. Lieber Himmel, in drei Tagen läßt sich eine große Leinwand gut vollschmieren ... groß muß sie wohl sein bei solchem Thema – ein Monumentalschinken. Ein klassisches Monumentalgemälde. Da hatte man nun den Dreck.

Von frühen Studientagen an hatte er solche Historienmalerei verachtet und zum verstaubten Gerumpel gerechnet, dem nur noch Greise und gedankenlose Zöglinge anhängen, und war der Beschäftigung mit Vorbildern dieser Art möglichst aus dem Weg gegangen. Jetzt kam die Strafe: ein gutes Stück Geld ließe sich verdienen ...

Der siegreiche Liebhaber wirft den ersten Blick auf die demaskierte Schäferin ... oder: der siegreiche Torero wirft seinen begeisterten Bewunderern ihre Hüte zurück ... oder: das siegreiche Marktweib wirft faule Tomaten nach der fliehenden Feindin... das wären Aufgaben für einen anständigen Maler. Aber: Hannibal wirft von der Höhe der Alpen... Was ist überhaupt ein Karthager? Wie sieht der aus?

Macht nichts – was die andern können, kann ich auch, stellt er sich vor und beginnt sich die Sache ein wenig auszudenken...

Antonietta war sehr dagegen, daß er drei Tage angestrengt arbeite – bis er ihr einen Anteil versprach, als habe er bereits einen Preis in der Tasche. »Wieviel?« wollte sie wissen. »Das bleibt der edlen Munifizenz Seiner Hoheit des Herzogs Fernando überlassen, die, von jedem Künstler und Kunstfreund ehrfurchtsvoll bewundert, sich durch keinerlei Zwang entwürdigt...«

Da erinnerte sie sich sogar, einmal in einem karthagischen Ballett mitgewirkt zu haben, als eine der Jungfrauen, die dem Gott Melkart geopfert werden. Ihre Haut sei braun geschminkt worden.

»Dann wird auch Hannibal braun geschminkt. Tiefbraun sogar, weil er ein General ist.«

 

Ein großes Stück grundierter Leinwand zu besorgen, war sehr schwer, aber gegen Abend war es da, sogar schon auf den Holzrahmen gespannt. Aus der Apotheke ließ sich ein Mittel beschaffen, das, unter die Ölfarben gemischt, ihr rasches Trocknen herbeiführen sollte. Das Gastzimmer war zur Not als Atelier zu benützen. Den Leinwandrahmen stellte Francisco einfach auf zwei Stühle und verhinderte durch Steine sein Abrutschen.

Die Stunde vor der Dunkelheit genügte ihm, um mit Kohle die Umrisse der Figuren zu zeichnen.

In der Frühe begann er mit der Malerei.

Als er eine Zeitlang gearbeitet hatte, kam Antonietta in leichtsinniger Morgentoilette ins Zimmer, umschwebte ihn zur gesummten Melodie einer Tarantella und verlangte, er solle mittanzen. Der Störungsversuch endete damit, daß er sitzend weitermalte, sie aufs linke Knie zog und den Arm mit der Palette um ihre Hüfte legte, während die rechte Hand unbehindert ihre Striche pinselte. Hielt sie nicht ruhig, so malte er auf ihre Wäsche Grimassen und, als ihr das nur Spaß machte, auf ihre Haut bunte Herzen, die sie dann mit parfümiertem Öl mühsam entfernen mußte.

Sowohl am ersten wie am zweiten Maltag wurden Teile des siegreichen Hannibal und seiner Offiziere aus dieser Situation heraus geschaffen.

Trotzdem fanden sie beide das Bild langweilig. Im Vordergrund, am Rand eines sichtlich gefährlichen Felsabsturzes, wies Hannibal, durch goldene Rüstung als Feldherr gekennzeichnet, braun von Haut, mit wallendem schwarzem Bart, ausgereckten Armes in die Ferne, die im rechten Teil des Bildes durch eine Ebene angedeutet war. Offiziere standen in gemessenem Abstand hinter ihm, entschlossen im Ausdruck.

Francisco mußte sich allerlei Museumsstücke ins Gedächtnis zurückrufen, um mit diesen großen Gesten und Faltenwürfen zurechtzukommen. Das ging gar nicht übel, aber das Ganze war ihm doch nur eine Maskerade, er hielt mit den würdigen Herren Zwiegespräche wie mit Marionetten.

Antonietta fand, es müsse durchaus eine Frau aufs Bild. Da fügte er in die Dämmerung des Hintergrunds noch zwei Soldaten ein und zwischen ihnen ein halbnacktes Mädchen mit Ketten an den Händen. Dieser gefangenen Sklavin gab er Gestalt und Züge der Tänzerin. Sie war glückselig und wollte durchaus, daß er das Gemälde nicht abliefere, sondern ihr schenke.

Als er das Werk rechtzeitig von zwei Angestellten des Gasthauses zur Akademie tragen ließ, waren die Farben so gut wie trocken, hatten aber freilich durch das gewaltsame Verfahren einen stumpfen und teilweise ins Gelbliche veränderten Ton angenommen. Francisco gab Personalien und Adresse zu Protokoll, unterließ es auch nicht, die Paßempfehlung Seiner Exzellenz Don Miguel Trinidad Marqués de San Millan y Villaflor Conde de Pontejos beiläufig vorzulegen, worüber den Akten gleichfalls eine Notiz einverleibt wurde. Man teilte ihm mit, die Entscheidung werde spätestens in einer Woche fallen.

 

Und es kam wirklich so, daß Francisco zur Preisverteilung geladen wurde. Er entlieh sich bei einem Schneider einen modischen Frack.

Nach einer in der Kapelle der Akademie zelebrierten Messe versammelte man sich im Festsaal.

An einer der Wände standen auf Staffeleien drei Bilder, deren mittleres Franciscos Arbeit war.

Ein betreßter Zeremonienmeister schlug die Spitze eines goldbeknauften Stabes dreimal auf den Fußboden, worauf rote Lakaien eine Flügeltür öffneten und ein schmaler, blasser Herr in Generalsuniform eintrat. Er hatte sich ein breites rotgelbes Ordensband um den Leib legen und daneben einen vielstrahligen Silberstern anheften lassen und trug einen Dreispitz mit großem weißem Federbusch unter den linken Arm geklemmt. Don Fernando, Infant von Spanien, regierender Herzog von Parma, nahm an einem Tischchen Platz, auf den zu beiden Seiten aufgestellten Sesseln ließen sich dem Fürsten zunächst einige Würdenträger und an sie anschließend die Professoren der Akademie nieder. Alles übrige stand.

Eine müde Gebärde des Herzogs erteilte dem Rektor das Wort. Der hielt eine Dankesrede an den erlauchten Protektor, dessen von den Musen erleuchteter, wahrhaft klassischer Geist auch das tief bedeutungsvolle Thema des Wettbewerbs ausgewählt habe. Dann rief er Paolo Borroni, Francisco Goya und Emilio Rossi auf und begann mit der Kritik der Bilder, wobei er betonte, daß er die Meinung Seiner Hoheit wiederzugeben die Ehre habe.

Als die Reihe an Francisco kam, wurde ihm eröffnet, daß die ernste, würdige Haltung und sichere Pinselführung seines Gemäldes ihm wohl hätten den ersten Preis verschaffen können; doch entferne sich das Kolorit von der Natur, und außerdem sei das Thema nicht streng genug eingehalten. Daß es sich um den weltberühmten Alpenübergang des karthagischen Heeres handle, hätte vor allem durch die bekannten Kriegselefanten angezeigt werden müssen – ein Mittel, das weder der erste noch der dritte Preisträger sich habe entgehen lassen. »Sie hätten Ihre Phantasie noch mehr, als es geschehen ist, aus den klassischen Berichten speisen müssen!« rief der Rektor aus. Zu loben sei übrigens die Gestalt des gefesselten Mädchens, die unmittelbar zum Beschauer spreche.

Nach der dritten Kritik stellte ein Lakai ein silbernes Tablett mit drei Beuteln aus rotem Saffianleder auf den Tisch des Herzogs, gewissermaßen unter den Schutz des dort prangenden Federbusches.

»Ich gratuliere Ihnen, Sie berechtigen zu den besten Hoffnungen«, sagte der Herzog mit hoher Stimme zu Paolo Borroni und deutete auf den großen Beutel. »Nehmen Sie!«

Obwohl sich Franciscos Gedanken schon stark mit dem unbekannten Inhalt des zweiten Beutels beschäftigten, besah er sich das unfrische und kränkliche Gesicht genau, das unter der weißgepuderten Perücke hervorkam, die leeren, ziemlich unsicheren Augen, die lange schmale Nase und den etwas mißratenen Mund, der sich beim Sprechen schief nach rechts unten bewegte.

Der Herzog wurde etwas nervös, als er das bemerkte, blieb aber Herr der Situation und sagte, aus der italienischen in die spanische Sprache übergehend: »Ich freue mich, Don Francisco, daß Sie Spanier sind. Aber die Elefanten, die Elefanten... schade.« Während sich die linke Hand an der Tischplatte festhielt, schob, sichtlich eine wohlwollende Auszeichnung, die Rückseite zweier Finger der rechten den Beutel ein klein wenig in der Richtung auf Francisco vorwärts.

Der murmelte eine ganz gewöhnliche Redensart des Dankes, da er es versäumt hatte, sich eine höfische zurechtzulegen, und ließ die, wie ihm schien, ganz hübsch schwere Börse in die Tasche gleiten. Marquesen und Grafen kenne ich schon, dachte er, jetzt ist ein Herzog dazugekommen. Übrigens habe ich das Geld verdient, ich habe gearbeitet – was ich kann, kann ich.

»Schön, daß Sie auch noch was bekommen«, sagte der Herzog zum dritten.

Der Wirt zum Goldenen Krebs, offensichtlich auf mysteriösem Weg schon unterrichtet, empfing den Preisgekrönten am Eingang des Hauses mit mehreren Verbeugungen, die den Widerstand des Bauchwalles vergebens zu bekämpfen versuchten, und mit der Versicherung, er wisse die Ehre, einen so berühmten Meister zu beherbergen, wohl zu würdigen. Anschließend ließ er einfließen, er habe zum Mittagessen für den Meister und die junge Baronessa einen Fasanen, etwas Wildbret und einige besonders feine Flußfische reserviert.

Als Francisco vor der Baronessa die Golddukaten ausschüttete, es waren fünfzehn, beschlagnahmte sie fünf mit der Versicherung, sie wolle nur beweisen, wie bescheiden sie sei. Da stieg plötzlich kühl und karg ein bäuerlicher Spartrieb in ihm auf, der, ihm selber unbewußt, in einem Winkel des Herzens geschlafen hatte – so lange, bis das Klingen des Goldes laut genug war, ihn zu wecken. Aber er konnte sich nicht überwinden zu sprechen.

Als sie ihn schwach sah, wagte sie sofort den zweiten Angriff, indem sie schmeichelnd die Betrachtung anstellte, die restlichen zehn Dukaten genügten für sie beide noch lange zu gutem Leben, so daß es mit ihrer Stellung bei der Oper natürlich Zeit habe.

Sie sah an seiner nachdenklichen und plötzlich fast ins Spöttische veränderten Miene, daß sie zu weit gegangen war.

Das Festmahl verlief wieder sehr fröhlich, aber ihr sicherer Instinkt ließ sie daran denken, daß es vorsichtig sei, sich für alle Fälle nach einem anderen Rückhalt umzusehen.

Schon am nächsten Tag handelte sie und wurde für den übernächsten in den Palast des Kammerherrn bestellt, der die Oper unter sich hatte, der kunstliebende Baron wollte die Tanzschritte, die sie zu zeigen hätte, selbst auf dem Cembalo akkompagnieren.

Als sie das Francisco in einer Form eröffnete, die ihn eifersüchtig machen sollte, gab er zur Antwort, er habe, durch dringende Geschäfte gerufen, für eben den nämlichen Tag seine Abreise festgesetzt. Sie flehte, weinte, tobte, spielte eine wundervolle Szene, in deren Verlauf auch ein Dolch zum Vorschein kam. Er nahm ihn ihr aus der Hand und küßte sie.

Am nächsten Morgen bestieg er die Eilpost, um nach La Spezia zurückzufahren. Die Trennung von Antonietta machte ihm das Herz schwer, und er nannte sich einen Geizkragen.

Unterwegs füllte sich das Coupé des Wagens mit einem peinlichen Geruch. Francisco entdeckte schließlich, daß seine Handtasche die Quelle sein müsse, und fand darin, sorgfältig in Papier eingeschlagen, drei zerdrückte faule Eier.

»Es ist«, sagte er etwas verlegen zu dem behäbigen Mönch, mit dem er den Wagen teilte, »eine Frau, die sich darin gefällt, ihr Andenken zu besudeln.«

Und zuckte leicht zusammen unter der geradezu diabolischen Lache, die der Frater anschlug.

Aber auch der erschrak und korrigierte sich eilig, indem er die Mundwinkel in asketische Falten zu legen sich bemühte und die Daumen der über dem Bauch gefalteten Hände um ihren gemeinsamen Mittelpunkt gedankenvoll kreisen ließ.


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