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5

Jenes Angebot des Todeskämpfers an Francisco, ihm einen Exorzisten aus seinem Kloster zu schicken, hat verschwiegen, daß er selbst in diese dunkle Kunst eingeweiht ist.

Als sich der Akademiedirektor und Erste Kammermaler mit Javier und Llorente zu einer von Bavi angegebenen Stunde in der von düsterem Zwielicht erfüllten Seitenkapelle einer Madrider Kirche einfindet, um einer Beschwörung anzuwohnen, ist zu seinem Erstaunen der unheimliche Mönch im Priesterornat in Tätigkeit – vor einem Lehnstuhl, in dem bleich und ängstlich ein Bauernmädchen hängt. Francisco und Javier treten zwischen die kerzenhaltenden Mönche und die Verwandten des Mädchens, hinter ihnen verbirgt sich, so gut es geht – es ist ihm nicht angenehm, gesehen zu werden –, der Kanonikus.

Bavi, dessen Gesicht locker, schwammig geworden ist, rezitiert mit starker Betonung lateinische Gebete.

Nichts Besonderes ereignet sich. Man könnte glauben, es wickeln sich leere Zeremonien ab. Das Mädchen sucht dem Blick des Priesters auszuweichen und muß ihn doch immer wieder anschauen, furchtsam und verständnislos.

»Apage, Satanas!« ruft der Beschwörer mit drohender Stimme, »apage! Verbirg dich nicht! Du bist erkannt. Fahr aus!«

Das Mädchen bekommt einen starren Ausdruck.

»Verbirg dich nicht! Antworte, Dämon! Du bist da, ich fühle dich, ich rieche deinen verworfenen Gestank. Stell dich mir! Ich will mit dir kämpfen. Laß sehen, wer der stärkere ist von uns beiden! Heraus aus deinem Versteck!« Er ballt die Fäuste, ergreift ein Kruzifix und hält es dem unsichtbaren Feind entgegen. »Ich mache dich der mir verliehenen Gewalt untertan, ob du willst oder nicht.«

Die Mönche murmeln Gebete. Das Mädchen beginnt die Augen zu verdrehen. Die Bauern flüstern aufgeregt.

»Wenn du dich sperrst, komme ich mit einem stärkeren Trank, der dir Unbehagen bereiten wird.« Er beginnt, halb singend, lateinische Formeln von seltsamem Klang zu sprechen, heftiger und heftiger, und vollführt dazu mit den ausgespannten Handflächen abgehackte Bewegungen gegen das Mädchen, als könne er Ströme seines Willens wie Geschosse abschnellen. Auf seiner Stirn perlt der Schweiß. Ein Chorknabe schwingt das Räucherfaß. Das Murmeln der Mönche schwillt an.

Eine Menge neuer Zuschauer drängt sich herzu: das ganze Stadtviertel muß von dem Ereignis gehört haben. Sie sind sogleich im Bann, stürzen sich geradezu in das Außerordentliche, knien nieder und beten mit lauten Stimmen, die sich mit denen der Mönche und mit den Weihrauchschwaden mischen. Die Worte des Beschwörers übertönen alles, wie eine in den Registern heftig wechselnde Orgel.

Noch immer ist kein Zeichen zu erkennen, daß sich der Dämon dem Aufruf stelle. »Ich zwinge dich«, schreit der Beschwörer mit geballten Fäusten, »Gott ist stärker als der Satan.« Seinen Blick in die Höhe wendend und sich emporreckend, ruft er himmlische Hilfe an.

Und wie er nun weiter mit dem Unbekannten, Unsichtbaren ringt, psalmodierend und scheltend, Schweiß verströmend und schwer atmend, da verfällt das Mädchen in Zuckungen.

»In nomine Domini – in nomine Spiritus Sancti – exfugite, daemones!«

Bavi schlingt die Stola um die Besessene, wie um sie in einen Zauberkreis zu zwingen, legt die Hände auf ihre Schultern, kreuzt sie hinter ihrem Nacken. Seine Kraft dampft in ihr auf, brandet gegen sie an, erdrückt sie fast; sie fällt in Ohnmacht, wird mit Wasser erweckt, bewegt ohne eigenen Willen den Mund.

Die Kerzen schwelen, als sei ihnen die Luft weggenommen.

»Es kommt«, sagte ein Mönch nahe an Franciscos Ohr.

»Es kommt«, gleitet das Wort zwischen den Knienden weiter. Ihr Gebet wird leiser, ihre Neugier schwillt.

Und es kommt. Es kommt furchtbar.

Aus des Mädchens Mund dringt mit einemmal ein Laut. Es ist ein Gurgeln nur, ein Lallen, dem die Wortformung nicht gelingt. Aber jeder hört es mit eigenen Ohren: es ist eine tiefe, eine männliche Stimme.

Als hätte der Blitz in die Kirche geschlagen, zittern und erbleichen sie alle: Francisco, Javier, Llorente, die Mönche, die Beter.

Nur der Beschwörer frohlockt. Die Muskeln seines Gesichts sind straffer geworden, Sicherheit blüht darin auf als etwas Verlorenes und endlich Wiedergefundenes. »Hab ich dich«, ruft er mit einer Gebärde der Hände, die den Feind an den Haaren zu schütteln scheint, »jetzt beginnt der Kampf. Steh mir Rede!«

Es ist wie ein zweiter Blitzschlag – keiner, der aus irdischen Wolken kommt, ein Funke aus dem Grauen der Welt heraus: die Stimme spricht Worte, deutliche Worte, die jeder vernimmt. »Laß mich in Frieden«, fordert sie, »du hast keine Macht über mich!«

Siegessicherem Jauchzen gleicht jetzt das »Apage, apage, Satanas« des Beschwörers.

Die Stimme kommt wieder. Ungeheuerlich sind die Worte: »Ich bin nicht Satanas.«

Wie ist es möglich, dies zu ertragen? zuckt es durch alle. Vielleicht ist er doch Satanas, denken viele, dann steht man in Reichweite des teuflischen Atems, das kann uns Pest und Tod bringen. Alle hier mit leiblichen Sinnen Gegenwärtige, denkt Francisco, drängen sich in gefährliche Bezirke ein.

»Dann bist du einer von Satans Knechten«, antwortet Bavi, »apage, daemon, exfuge!«

»Du weißt nichts von uns.«

»Alles weiß ich von euch.«

Die Worte, durch die der Beschwörer und der Unsichtbare weiterkämpfen, wollen recht haben und den Gegner verkleinern – aber sie sind weit darüber hinaus mit magischer Kraft geladen, unsichtbare Waffen der ringenden, ineinander verkrallten, verklammerten Geister. Auch die Beter schreien zu Gott. Einige drängen erschöpft zum Ausgang.

Mit einemmal wird deutlich, daß die Stimme des Unsichtbaren sich wie von Angst verfärbt: »Laß ab! Was kümmert's dich, wenn ich hier wohne? Du wohnst selbst in einem Menschenleib – laß mich auch in einem Menschenleib wohnen.«

»Das ist Teufelslogik. Heraus, du Verderber! Daemon, exfuge!«

»Ich will nicht in der Leere wohnen! Fahr du ins Leere! Apage, exorcista!«

Bavi sammelt seine Energie zur letzten Steigerung. Aber er hält nicht stand – bricht plötzlich bewußtlos zusammen.

Alles scheint verloren. Doch die Mönche, soweit sie sich nicht um den Ohnmächtigen bemühen, verdoppeln die Eindringlichkeit ihrer Gebete, um dem Unsichtbaren keine Ruhe zu lassen. Und schon springt einer aus ihrer Schar, ein Jüngling mit fanatischen Augen, in die Lücke. Der Ornat wird ihm übergeworfen.

Zwanzig-, dreißig-, fünfzigmal wiederholt er die lateinischen Formeln, aus denen der Zauber kommen soll, streng und herrisch, in rasch sich straffender Gespanntheit. Aber auch zwischen sie wirft der Unsichtbare Worte, lateinische Worte, als fange er Pfeile auf und werfe sie zurück. Der Beschwörer tritt nahe heran und vollführt mit den Händen Striche entlang dem Körper des Mädchens, ohne ihn zu berühren. Der Halbkreis der Beter, der sich mit einspannt in den Strom der Kräfte, wird verstärkt durch eine frische Schar von Mönchen und Klosterschülern. Dicht stehen und knien jetzt die Menschen, dicker Dunst erfüllt die Kapelle.

Der Knabe, der räuchern soll, drückt sich bleich in eine Ecke, ein Mönch ergreift die Ampel und schwingt sie. Das Mädchen droht in ihren Krämpfen zu Boden zu stürzen, Ordensbrüder eilen herzu, sie festzuhalten. Sie ist jetzt wie eine Tobsüchtige. Und wie ein zweiter Tobender stürmt der Beschwörer gegen sie an.

Dann kommt das Gräßliche, das mehrere Zuhörer von Bewußtsein bringt und andere ins Freie hinausjagt: der Schrei des besiegten Unsichtbaren. Ein tierisches, markdurchdringendes Brüllen, Ausbruch einer unvorstellbaren Verzweiflung mehr als Wut. Ein Schrei aus der Hölle.

Dann ist alles still.

Dies habe ich ertragen – Furchtbareres kann nicht kommen. Es ist der einzige Gedanke, der in Francisco lebendig wird. Er meldet sich, klar gedacht oder dumpf gespürt, auch in den andern, die noch mit wachen Sinnen dastehen. Nur diejenigen unter den Mönchen, die dies alles nicht zum erstenmal erlebt haben, wissen, daß überhaupt kein Grauen mehr nachkommen wird, daß es vorüber ist. Wissen es und fürchten doch mit jedem Nerv, der Schrei könne sich wiederholen.

Als langsam, langsam die Herrschaft über sich selbst in die ohne Zeitbewußtsein Bebenden zurückkehrt, werden sie gewahr, daß sich die Krämpfe des Mädchens lösen. Ihre Glieder entspannen sich. Sie atmet ruhiger, und ihr Zustand geht in tiefen Schlaf über.

Man trägt sie weg.

Doch auch der zweite Beschwörer fällt plötzlich in sich zusammen, wird bleich und schwach und muß von zwei Mönchen gestützt werden.

 

»Was war das, Vater?« fragt Javier draußen vor der Kirche.

Vorerst kommt nur eine Gegenfrage: »Was würden wohl deine Lehrer der Philosophie dazu sagen?«

»Ich hätte nicht viel Vertrauen zu ihrer Antwort – auch ist mein Wunsch zu wissen sehr ungeduldig.«

»Der Kanonikus wird dir besser antworten können als ich.«

Llorente, obwohl auch er erregt ist, bringt es doch schon zu einem skeptischen Lächeln. »Die Kirche lehrt, Gott habe den abtrünnigen Engel in die Abgründe der Finsternis gestoßen. Seitdem kämpfen, sagt man, er und seine Scharen gegen die Gewalten des Lichts. Wenn Sie wollen, können Sie, was Sie gehört haben, als Äußerungen eines dieser Kämpfer gegen das Licht ansehen ... Es ist schließlich eine Frage der intuitiven Phantasie, wenn man nicht sagen will« – er nimmt sein Lächeln wieder auf – »des Glaubens. Ich persönlich mißtraue meinen Ohren – vielleicht auch diesen Mönchen und ihren Geheimnissen.«

»Aber wofür hältst du es denn dann?« ereifert sich Francisco.

Llorente zuckt die Achseln, und Francisco wird noch lebhafter: »Wir können doch Dinge, die nicht mit unseren bisherigen Anschauungen übereinstimmen, nicht einfach wegleugnen, wenn sie uns so deutlich gegenübertreten!«

»Deutlich? ... Lieber Freund, was unmöglich ist, geschieht nicht, auch wenn wir uns einbilden, es geschehe. Gewisse Schriftsteller der französischen Aufklärung könnten dir schlagend antworten – mir sind ihre Gedankengänge verwehrt, darum ziehe ich vor zu schweigen.«

»Und ich ziehe meine persönlichen Beobachtungen vor – gegenüber der Meinung gewisser Schriftsteller.«

Das klingt etwas gereizt, und es ist gut, daß Javier das Gespräch auf des Kanonikus erste Äußerung zurücklenkt: »Ich kann mir jenen Kampf im großen wohl vorstellen, gewissermaßen als den fernen Hintergrund aller Lebensvorgänge. Aber daß das so unmittelbar in unsere Gegenwart hereingreift ... daß geradezu körperlich um den einzelnen Menschen gekämpft wird ... Mir ist jetzt, als müßte ich die Fangarme eines ungeheuren Polypen fürchten, der aus dem Dunkel heraus nach jedem von uns greifen kann.«

»Das ist ja das Grauenhafte«, ruft Francisco, noch immer leidenschaftlich bewegt, »daß wir Menschen, die ganze Menschheit und jeder einzelne von uns, Gegenstand und Schlachtfeld sind für den Kampf zwischen Gott und Teufel. Und daß der die größte Wette der Welt gewinnen würde, der auf den Sieg des Teufels setzte.«

Während sie vor die Stadt hinaus in die Stille der Wiesen und Bäume wandern, spricht der Geschichtsschreiber der Inquisition von seinem Stoff. »Ihn könnte man wirklich mit einigem Recht eine Kette von Beispielen jenes Kampfes nennen. Aber meistens waren die Richter vom Teufel besessen und nicht die Verurteilten«, sagt er leise. »Ich hoffe, einzelne Leser meiner Darstellung werden das zwischen den Zeilen finden. Schreiben darf ich es nicht.«

»Ist nicht auch das ein deutlicher Sieg des Teufels«, fragt Francisco, »daß wir uns zu solchen Meinungen nicht bekennen dürfen?«

Llorente lächelt, als handle es sich nun doch nicht um mehr als ein Spiel mit Worten.


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