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3

Der neue Akademiedirektor wurde mit einem königlichen Auftrag bedacht. Don Carlos hatte am Rande von Madrid, im Tal des Manzanares, in einer Gemarkung, die la Florida, die Blühende, hieß, an Stelle einer schadhaft gewordenen, dem heiligen Antonius geweihten Wallfahrtskapelle ein neues Kirchlein bauen lassen. Als es vollendet war, ließ er es von Francisco ausmalen.

Trotz der Erinnerung an die öde Freskenarbeit in Zaragoza reizte den die Sache – freilich von einer Seite, die den Absichten des Auftraggebers durchaus fernlag. Francisco nahm sich vor, etwas sehr Kühnes zu machen, etwas Herausforderndes vielleicht. Man hat die Caprichos geschluckt – gut, man wird auch Kirchenfresken schlucken, die nicht erbauliche, sondern ganz anders geartete Gedanken hervorrufen. Die Kanoniker in Zaragoza haben die langweiligsten Heiligen als weltlich in Acht getan – die Hofprälaten von Madrid werden die weltlichsten Engel heilig finden müssen. Wie erfreulich ist doch die Möglichkeit, dieselbe Art von Herren, die man früher über sich hatte, jetzt gewissermaßen unter sich zu bekommen ...

Er wußte genau, daß alle seine Einfälle verpuffen oder erlahmen würden, falls die Arbeit nicht in fliegender Eile vonstatten gehe. Darum bearbeitete er die größten Flächen mit Schwämmen statt mit Pinseln und stellte für alle nicht unmittelbar künstlerischen Handgriffe, gewisse Untermalungen und ähnliche Dinge, einen Gehilfen an – nicht Agustín Esteve übrigens, der mußte nach wie vor im Atelier die Besucher empfangen. Auch ließ sich Francisco jeden Morgen mit einer von der königlichen Marstallverwaltung zur Verfügung gestellten Hofkutsche hinaus in die Florida bringen und abends wieder abholen. So blieb er Tag für Tag und immer nur mit der Unterbrechung einer kurzen Mittagspause bei der durch die unbequeme Stellung, in der das meiste ausgeführt werden mußte, doppelt anstrengenden Tätigkeit.

Selbst die Freunde, die sein Tempo kannten, staunten über die Schnelligkeit, mit der die Fresken entstanden. Nach genau drei Monaten waren sie beendet – nach drei heißen Sommer- und Herbstmonaten.

Die Kuppel war ausgefüllt von einer auf einem Dorfkirchhof spielenden Szene: ein halbverwester Leichnam, vom heiligen Antonius gerufen, fing zu sprechen an. Hinter der um das ganze Kreisrund gemalten Schranke drängten sich die gaffenden Menschen, deren etliche aufs Haar gewissen Herren und Damen des Hofs glichen. Gassenjungen saßen auf dem Geländer und hängten ihre Beine in die Kirche.

Das Erstaunliche aber war dies: Schauten schon, über jene Brüstung gelehnt, zwei schöne junge Andalusierinnen ohne jede Beziehung zu dem Antoniuswunder oder zu irgendeinem anderen religiösen Geschehnis auf die Kirchenbesucher herunter, so sah man sich gar – an den Zwickeln, Fensterwänden, Seitenwölbungen – einer Schar von Engeln gegenüber, die sicherlich mit Schimpf und Schande aus den himmlischen Gefilden verjagt worden waren, wenn anders sie ihre Flügel nicht bloß als Maskerade trugen: es waren höchst irdische Mädchen, die ihre üppigen Formen in verführerischer Haltung durch die fließenden Gewänder zur Geltung brachten. Damit der Schein gewahrt blieb, taten ihre Mienen ein wenig fromm, aber wirklich nur ein wenig.

Francisco hatte selbst das Gefühl, hier über Laune, Oppositionsgeist und heimliche Rache hinaus so etwas wie einen Jungenstreich großen Stils unternommen zu haben, und war gespannt, was sich ereignen würde.

Das Königspaar, das sich wegen einer Verzögerung der im Escorial im Gang befindlichen Ausbesserungsarbeiten gegen die Regel im nahen El Pardo aufhielt, kam unmittelbar nach der Vollendung der Fresken zur Besichtigung in Begleitung einiger Hofleute und zweier Prälaten, deren einer Escoiquiz, der Erzieher Don Fernandos, war. Carlos äußerte naive, temperamentvolle Zustimmung, und damit war die Entscheidung gefallen, da Maria Luisa nicht widersprach. Die Hofgeistlichen brauchten ihren Beifall keineswegs zu heucheln: sie ließen ihre Augen mit ungekünsteltem Wohlwollen auf den reizenden Engelinnen ruhen. Sie werden nichts unternehmen, dachte Francisco, was sie für künftige Besuche in San Antonio dieses Anblicks berauben würde ...

Daß vielleicht spätere Beurteiler an den Malereien Anstoß nehmen und bei Hof protestieren könnten – einem solchen Angriff wäre von vornherein der Wind aus den Segeln genommen gewesen. Denn Carlos ließ, als die Residenz wieder nach dem Escorial verlegt war, seiner Besichtigung die Quittung folgen. Sie bestand in diesem an Don Francisco de Goya gerichteten ministeriellen Schreiben:

»Da Seine Majestät der König Ihre ausgezeichneten Verdienste belohnen und einen sichtbaren, allen Professoren als Ansporn dienenden Beweis geben möchte, wie hoch er Ihr Talent und Ihr Können auf dem Gebiet der edlen Kunst der Malerei schätzt, hat er geruht, Sie zu seinem Ersten Kammermaler zu ernennen mit dem Jahresgehalt von fünfzigtausend Realen, das Ihnen von heute ab taxfrei zusteht, wozu noch jährlich fünfhundert Dukaten für den Wagen kommen. Auch ist es der Wille Seiner Majestät, daß Sie das zur Zeit von Don Mariano Maella bewohnte Haus beziehen, falls er vor Ihnen das Zeitliche segnet. Ich teile Ihnen diese königliche Order zu Ihrer Genugtuung mit, ebenso gleichzeitig dem Minister für Gnade und Gerechtigkeit und dem der Finanzen, damit sie in ihren Ressorts das Erforderliche veranlassen. Gott schenke Ihnen viele Jahre.«

Das Schreiben war unterzeichnet von Mariano Luis de Urquijo.

Nicht vom Friedensfürsten.

Der hatte sich aus Furcht vor Anschlägen auf sein Leben gegen des Königs anfänglichen Widerstand in den Hintergrund zurückgezogen, indem er sein Ministeramt niederlegte und dafür sorgte, daß der dreißigjährige Urquijo, wie die andern Kabinettsmitglieder sein gefügiges Werkzeug, mit der Nachfolge betraut wurde. In Wahrheit blieb er allmächtig und genoß den Vorteil, nach außen der Verantwortung enthoben zu sein. Und man konnte ja jeden Tag wiederkommen ...

»Auch Maellas Haus«, bemerkte Francisco zu Agustín Esteve, der beim Öffnen des Dokuments zugegen war,« – hoffentlich erfährt der Arme nicht, daß man mir nahelegt, auf seinen Tod zu hoffen. Dieser Gnadenbeweis scheint mir etwas vorzeitig ... Agustín, ich werde deine Bezüge erhöhen, jetzt kommt Geld ins Haus ... Wem es bestimmt ist, für eine gewisse Zeit seines Lebens vom Erfolg vorwärtsgerissen zu werden, der kann sich selbst jeden Stein in den Weg werfen oder mit der größten Unbekümmertheit alles aufs Spiel setzen – gegen das Glück, das an seinem Wagen zieht, vermag er nichts.«

Er ließ ihn eine Kopie des Ernennungsschreibens anfertigen, um sie an Martín Zapater nach Zaragoza zu schicken. Während dies geschah, setzte er sich an den Begleitbrief. Er fing an, von den Engeln in San Antonio de la Florida zu berichten und von den über alles Erwarten reichen Freuden, die ihm diese schönen Mädchen gebracht haben. Hielt inne, entschied, es sei doch besser, dergleichen nicht schriftlich aus der Hand zu geben, zerriß das Blatt und begann ein neues, in dem er Martin nur trocken bat, jenes Dokument allen Freunden und Verwandten zu zeigen.

Als der Brief gesiegelt war, schickte er Agustín aus, die Madrider Freunde für den Abend zu laden.

Er selbst begab sich zu ungewohnter Zeit nach Hause, um Pepa die Nachricht zu bringen.

»Wirst du heute abend ins Atelier kommen?« fragte er in einem Ton, dem er möglichst viel Kameradschaftlichkeit gab.

»Lassen wir es beim Bisherigen«, antwortete sie milder als sonst. »Ich will aber einige kalte Platten vorbereiten und hinschicken.«

Dergleichen hatte sie lange nicht mehr getan.

Dann ging er in Javiers Zimmer. Er schenkte dem langen, blassen, immer etwas müde aussehenden Jungen ein paar Extradukaten und ging plaudernd mit ihm auf und ab, den Arm um seine Schultern gelegt.

Javier fand den Augenblick günstig, sich seiner Sorge zu entledigen, die ihn seit Monaten drückte. Er sprach von seinem Studium und endete mit dem Bekenntnis, die Medizin könne sein Fach nicht bleiben. »Ich kann keine Kranken und keine Toten sehen und kann nicht schneiden.«

Francisco schwieg nachdenklich. Dann nickte er lebhaft. »Du hast recht. Es war falsch, für dich einen Beruf zu wählen, der dich dauernd mit dem menschlichen Elend in Berührung bringt. Ich glaube, ich bin darum auf diese Idee gekommen, weil es mir richtig schien, daß du eine Arbeit hättest, die den Menschen hilft.«

»Mit meiner Heilkunst würde ich ihnen mehr schaden als nützen.«

»Gute Arzte müssen selten sein – ich bin nie einem begegnet. Und nun ist es mit dir auch nichts.« Er lächelte, wurde aber sogleich wieder ernst: »Es ist überhaupt schwer, irgendeinem Menschen in irgendeiner Not zu Hilfe zu kommen.«

»Don Leandro hat dieser Tage mit mir darüber gesprochen, daß es doch möglich sein müßte, wenigstens einzelnen Menschen zu helfen, indem man sie geistig auf eine höhere Stufe hebt, ihnen Erkenntnisse vermittelt.«

»Indem man sie ihr Elend erkennen läßt, denkst du.«

»Damit muß es wohl anfangen, Vater, aber dann sollte man ihnen etwas Positives geben.«

»Wer kann das?«

»Der Philosoph.« Seine Stimme klang warm und begeistert. Francisco schwieg wieder.

»Laß mich Philosophie studieren, Vater. Ich bitte dich darum.«

»Philosophie?« Francisco schwieg wieder eine Weile. Ganz fröhlich rief er dann: »Ich glaube, dein Vorschlag ist gut, sehr gut. Hol das ein, was ich nicht weiß! Du – Javier, ich werde dein Schüler werden. Studiere fleißig und erzähl mir alles, was du lernst. Die Ergebnisse, weißt du, die Hauptsachen. Die verschiedenen Systeme, die verschiedenen Gesichtswinkel, aus denen man die Welt anblicken kann. Ich habe keine Zeit dafür. Manches weiß ich, aber zuwenig. Dein Vater wird an dir wachsen, mein Junge.« Er zog ihn enger an sich.

»Wenn es wirklich so kommen könnte, daß ich dir einiges berichte – das wäre das Schönste von allem.«

»Laß dir Zeit, sieh dich um. Denk nicht ans Geldverdienen.«

»Das ist ein schöner Tag, Vater.«

»Ein schöner Tag, Javier. Und heut abend sollst du unter meinen Freunden sein. Willst du ins Atelier kommen?«

Der Junge strahlte vor Glück.

Javier sah dann die Gäste zunächst vom Essen und Trinken und dazu von Betrachtungen über die Güte der Speisen und des Weins völlig eingenommen und bemühte sich, an den feinschmeckerischen Ausrufen des Entzückens teilzunehmen, um einigermaßen als Kenner zu gelten.

Moratín bemerkte beiläufig, er arbeite nun doch an einer revolutionären Komödie und erwarte auf Grund davon Hofdichter zu werden.

Maiquez legte ihm nahe, den Stoff lieber tragisch zu gestalten, damit für ihn eine große Rolle herausspringe. »Lassen Sie den Günstling der Königin wahnsinnig werden«, schlug er vor, »damit könnten wir beide viel Ruhm ernten.«

»Ich schreibe dann einen Artikel, in dem ich versichere, das Stück enthalte keine Anspielungen«, witzelte Bermúdez und lockerte die Weste über dem allmählich recht beträchtlichen Bauch.

Währenddessen verfiel jener einem Raben gleichende Magistratsbeamte, den Francisco auch heute als einzigen noch in Madrid ansässigen Verwandten geladen hatte, über ein kaltes Rebhuhn gekrümmt in laute Aufregung. »Es muß mit Majoran gebraten sein«, versicherte er dürren, krächzenden Tones, »mit Majoran und Fenchelknollen. Ausgezeichnete Idee!« Er nagte an einem Flügel – mit seinen großen Schneidezähnen, da viel mehr vom Gebiß nicht übrig war. Eine Haarsträhne fiel ihm über das ausgemergelte Gesicht, sie war trotz seinen gut siebzig Jahren kohlschwarz. Frühzeitig zur Mumie geworden, dauerte er fast unverändert weiter und wirkte nun wohlkonserviert. Aufatmend griff er nach dem zweiten Flügel und warf rasch dazwischen, es sei ihm einmal zu Ohren gekommen, daß Voltaire sehr gern Rebhühner gegessen habe.

»Wo erfährt man solche Dinge, Onkel Pablo?« fragte Javier keck.

»Die Frage ist zu allgemein gestellt, mein Sohn. Man könnte dir nur raten, eben jenen Voltaire fleißig zu lesen. Daraus lernt man logische Fragestellung.« Er verbarg sich unter seinem Buckel und kicherte. Dann machte er sich betont wieder an sein Rebhuhn, um zu zeigen, er wünsche im Augenblick nicht gestört zu werden. Plötzlich aber schlug er mit den Rockschößen, so gut es im Sitzen ging, und nahm nochmals das Wort. »Verzeihen Sie, Hochwürden«, krächzte er, »ich spreche natürlich nur von der Form, nicht vom Inhalt.«

Mit diesem Satz wandte er sich an den bisher ziemlich schweigsamen Kanonikus Don Juan Llorente, der neuerdings aus Toledo in die Hauptstadt berufen worden war.

Das breite Gelehrtengesicht lächelte mit leisem Spott. »Vielleicht wissen Sie von meiner Arbeit, Don Pablo – ich schreibe die Geschichte der Inquisition. Aber ich bin kein Inquisitor. Das ist ein Unterschied.«

»Es ist das erstemal seit Rom, Juan«, rief Francisco dazwischen, »daß wir drei wieder beisammen sind: du, Agustín und ich.«

Und so kam es, daß Javier die Geschichte von seines Vaters Aufstieg auf die Peterskuppel erfuhr. Agustín erzählte sie mit hoher Stimme, vergnüglich in der Erinnerung schwelgend.

»Ich glaube, du warst damals kühner, Vater, als ich es heute bin«, bemerkte Javier etwas melancholisch.

»Diese Art von Kühnheit vertrüge sich schlecht mit den Studien, die du vorhast...«

In diesem Augenblick hörte man einen Wagen vorfahren.

»Wer kommt noch?« fragte Bermúdez.

»Eigentlich fehlt niemand mehr.«

Sie horchten, hörten Schritte auf der Treppe. Es klopfte, Javier öffnete.

»Ich hoffe dringend, daß mein Besuch nicht allzu unwillkommen ist!« Es war eine weibliche Stimme.

Aus Mantel und Kopftuch schält sich eine eng in ein hochgeschlossenes schwarzes Samtkleid gehüllte Frau und schüttelt die Fülle der krausen Locken zurecht. Cayetana. Ihr Gesicht hebt sich, durch ein wenig Schminke in der Wirkung verstärkt, prachtvoll von all dem Schwarz ab. Sie hat sich das ausgezeichnet ausgedacht.

Francisco eilt herbei, sie willkommen zu heißen. Er ist verwirrt. In der ganzen Zeit seit San Lúcar hat er sie nur ein einziges Mal wiedergesehen, bei einer Hoffestlichkeit, und sie haben einen Gruß getauscht wie fremde Menschen. Zwei Augenblicke lang lehnt sich sein Stolz gegen diesen Überfall auf, dann – ist er stolz, daß sie gekommen ist. Und glücklich.

Die andern stellen sich in höflicher Haltung auf, die bei Pablo als devote Krümmung wirkt – zuletzt und sehr aus der Bequemlichkeit gerissen Bermúdez. Während er noch an seinem Stuhl rückt, flüstert er Maiquez zu: »Leb wohl, schöner Abend – eine Frau ist da, und man muß höflich sein.«

»Natürlich sind Sie verblüfft«, lacht Cayetana und schlägt einen dunkelroten Fächer auf und wieder zu. »Ich wollte gratulieren. Wenn man ein klein wenig Ihre Gewohnheiten kennt, Don Francisco, konnte man leicht ermitteln, was einen hier erwartet. Und nun seien Sie nicht langweilig, meine Herren, und lassen Sie es mich nicht büßen, daß ich eine Frau bin. Haben Sie Mitleid: bei mir zu Hause ist es fürchterlich eintönig. Deshalb komme ich zu Ihnen.«

Sie gibt jedem die Hand und setzt sich zwischen Francisco und Javier, dem sie mehrmals ungeniert ins Gesicht schaut. »Das ist also Ihr Sohn – den haben Sie mir bisher unterschlagen.«

Francisco gibt Agustín das Zeichen zur Entkorkung von Champagnerflaschen. Der Wein perlt.

Dennoch wagt sich niemand so recht über Redensarten hinaus. Es herrscht eine etwas erzwungene Heiterkeit und viel Interesse für Kuchen. Cayetana sieht das wohl und nimmt die Zügel des Gesprächs in die Hand.

»Kennt man in diesem Kreis schon die neue Nachricht aus Frankreich?« fragt sie in einem Ton, der Spannung erwecken soll.

Niemand weiß etwas außer Llorente, der aber gleichfalls Unkenntnis vorgibt.

»Nein? wirklich nicht? Wir werden also politisieren. Hören Sie: Der General Buonaparte hat in Paris das Direktorium gestürzt und die Diktatur errichtet. Heute abend kam eine eilige Stafette von unserer Gesandtschaft. Was sagen Sie dazu? Reden Sie, reden Sie – ich möchte von Ihnen allen wissen, was Sie darüber denken.«

»Ist es derselbe General Buonaparte, der Ägypten erobert hat?« fragt Bermúdez in einiger Gemütsruhe.

Die Duquesa bestätigt.

»Man sagt, er habe in Ägypten eine Kommission von Gelehrten eingesetzt zur Erforschung der geschichtlichen Denkmäler. Das ist sonst nicht die Art der Generale. Es spricht für ihn.« Der Kanonikus rückt sich, während er dies äußert, die Brille zurecht.

»Er soll sehr jung sein«, kommt es ein wenig tadelnd aus dem Raben.

»Dreißig Jahre.« Cayetana findet, es sei das beste Alter, um etwas Großes zu leisten. »Aber was denken Sie? Ist es etwas Großes, was er da getan hat? Oder ist es ein Verbrechen?«

»Auch Verbrechen können groß sein«, stellt Javier mit bescheidenem Nachdruck fest.

»Ausgezeichnet, Don Javier, ausgezeichnet!« Cayetana legt ihm die Hand auf den Arm. »Einzig die Jugend schaut die Dinge vorurteilslos an.«

Er errötet kaum merklich und wendet ein wenig den Kopf, um ihre Gestalt mit seinem Blick zu streifen.

Wenn er sich nur nicht in sie verliebt, schießt es durch Francisco. Er ist zu jung für diese Frau. Sie ist ... für erfahrene Männer. Diese Schönheit, dieses Vibrieren...

»Da hat denn also die Demokratie wieder einen Stoß erlitten«, bemerkt Leandro de Moratín, sein schmales, in die Länge gezogenes Gesicht sieht bedenklich aus. »Ich gestehe, daß mich die Nachricht erschüttert. Ich habe für ganz Europa viel von dem Vorbild der französischen Republik erwartet.« Er weiß aus Franciscos Erzählungen, daß er dergleichen vor der Herzogin ruhig aussprechen kann.

»Endlich sagt jemand seine Meinung!«

Auf diese Worte Cayetanas will Vetter Pablo nicht zurückstehen: »Die Zeit der gewaltsamen Volksbeherrschung ist vorüber. Die Demokratie kann nicht mehr untergehen. Mit diesem jungen Mann in Paris wird es ein klägliches Ende nehmen!«

Er sagt es so scharf und bestimmt und der Augenblick ist so suggestiv, daß Francisco die Bemerkung nicht unterdrücken kann, jetzt fliege dem General Buonaparte ein Unglücksvogel über den Weg.

»Vogel oder Katze, wie du beliebst, Francisco – ich halte von diesem Staatsstreich keinesfalls etwas.« Der Champagner stößt ihm auf, dann sagt er noch: »Übrigens nehme ich Spanien natürlich aus, wenn ich für die Demokratie plädiere. Spanien steht außer Diskussion.« Er schielt mit eingezogenem Kopf zu der Herzogin hinüber.

»Nichts steht außer Diskussion«, antwortet sie sehr betont, »nichts brauchen Sie auszunehmen!« Sich zu einem freundlichen Lächeln zwingend, bittet sie ihn noch, sie nicht mit jenen Granden zu verwechseln, die vor den Spitzen dieses Staates auf den Knien liegen, weil ihr Leben in sich zusammenfiele, wenn jene verschwänden.

»Meine Ehrerbietung, Eure Exzellenz, meine Ehrerbietung!« Der Rabe verbeugt sich bis auf den Tisch. Und auch die andern lächeln bewundernd.

Ceán Bermúdez, ein großer Freund von Süßigkeiten, atmet angesichts seines geleerten Tellers auf und ergreift das Wort. Man fühlt fast, wie er sich Zeit läßt, es zu ergreifen. »Wir könnten also Spanien insofern aus dem Spiel lassen« – seine Stimme klingt gesättigt –, »als wir unsere vermutlich einhellige Meinung nicht zu wiederholen brauchen. Unsere heutige Regierungsform richtet sich selbst. Dennoch möchte ich nicht einfach die Demokratie in der bisherigen französischen Form an ihre Stelle setzen. Das Volk kann nur herrschen, wenn es die für ein Direktorium oder Ministerium nötigen Köpfe hervorbringt. Außerdem scheint mir eine Gefahr, die gerade wir Spanier befürchten müssen, für die Republik ebenso wie für die Monarchie zu bestehen: daß die hochgekommenen Männer ihre Stellung zu persönlichen Vorteilen ausnützen, genau wie es gewisse hohe königliche Beamte tun, und daß sich – wie an jene – ein Schwarm von Schmarotzern an sie anhängt, denen sie für Schmeicheleien weiterhelfen.«

»Ganz besonders hinsichtlich der Köpfe stimme ich bei«, sagt der Schauspieler, lässig in seinen Sessel zurückgelehnt. »Ohne Köpfe keine Geschichte, kein Fortschritt, kein Staat.«

»Vielleicht ist dieser General Buonaparte«, lächelt Llorente, »gar nichts als einer jener Köpfe, deren Hervorbringung soeben vom Volk verlangt wurde, also ein wahrhaft demokratisches Gebilde.«

Jetzt rührt sich Cayetana wieder: »Ich bekenne, daß ich Jakobinerin war. Aber das französische Schauspiel wurde langweilig und fad. Ich habe der Abschaffung des Königtums, der Austrocknung des Hofsumpfes zugejubelt. Aber dem platten Durchschnitt kann ich nicht zustimmen. Meine Sympathie gehört dem General!«

Javier springt ihr bei. »Man sagt, in Frankreich herrsche große Unordnung. Die Geschichte zeigt, daß in solchen Zeiten ein einzelner die Führung übernehmen muß.«

»Bravo, mein Freund« – Cayetana streicht ihm flüchtig mit der Hand übers Haar –, »die Generalspartei wächst.«

»Zugegeben«, läßt sich der Dichter stirnrunzelnd vernehmen, »zugegeben, daß theoretisch in besonderen Fällen die Durchbrechung des demokratischen Prinzips zu rechtfertigen ist – aber verwandeln sich diese Tribunen, diese Diktatoren, die im Interesse des Gemeinwohls die Zügel ergreifen – ich will ihnen das für den Beginn ihrer Wirksamkeit zubilligen – verwandeln sie sich nicht in Tyrannen, sobald sie die Fülle der Macht gekostet haben? Machtgier ist eine furchtbare Krankheit, eine Geißel der Völker! Nein – ich habe zuviel zugebilligt: von zehn Männern, die sich gewaltsam zur Macht emporschwingen, handeln neun aus Machthunger. Weiß der Himmel – ich bemitleide Frankreich!«

Der Kanonikus entwickelt ruhig und mit feinen Strichen die Bilder einiger aus dem Volk aufgestiegener Machthaber vergangener Zeiten. Und es währt geraume Zeit, bis das Gespräch wieder zum General Buonaparte zurückkehrt und jeder Gelegenheit findet, bei seiner Meinung zu beharren.

Daß Agustín Esteve sich an der Debatte nicht beteiligt, fällt niemandem auf. Er füllt leere Gläser, bietet geräuschlos kleine Leckerbissen an und hört mit freundlichem Gesicht, das jedem zuzustimmen scheint, den Gesprächen zu.

Franciscos Wortkargheit wird wenigstens von Javier bemerkt. Er fragt den Vater, was denn nun seine Meinung sei.

»Ich habe nicht jeden Satz verstanden, der gesprochen wurde«, kommt die Antwort, »aber ich meine: überall, wo Menschen von Menschen regiert werden, regiert ein Dämon mit. Wenige sehen ihn. Was glaubt ihr, daß in Frankreich das Volk davon gewinnt oder verliert, ob es das Direktorium über sich hat oder den General? Der Dämon wird ihn neue Gesetze machen heißen, und was gestern Recht war, wird morgen Unrecht sein. Stürzt jemand den General, so wird das Recht übermorgen wieder Unrecht.«

»Du gibst dich als unbequemer Untertan«, bemerkt Llorente, indem er die Augen zusammenkneift, »aber kennst du denn ein Volk, das die Freiheit erträgt?«

Da ruft Moratín mit leidenschaftlicher Stimme: »Man muß die Völker zur Freiheit erziehen. Es ist die höchste Aufgabe, die sich ein Mensch setzen kann. Jetzt, heute muß es geschehen – die Zeit ist reif!«

»Wir sind wie eine Verschwörung!« frohlockt Cayetana und hebt ihr Glas. »Es muß eine Freiheit geben können, Buonaparte wird sie bringen. Es lebe die Freiheit!«


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