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Die Verbannung der Duquesa de Alba stand im Mittelpunkt des Hofklatsches, und auch der Urlaub des Kammermalers de Goya wurde besprochen. Aber plötzlich schäumten die Wogen in ein anderes Bett: Don Manuel Godoy, Marqué de Alvarez, der sechsundzwanzigjährige General und Staatsrat, wurde mit Rücksicht auf die Verdienste seiner Vorfahren um König Don Felipe den Fünften – seiner in Wahrheit völlig verschollenen Vorfahren – mit dem Rang eines Granden erster Klasse und dem Titel eines Duque de Alcudia y Sueca ausgezeichnet, mit der Herzogswürde waren die Einkünfte aus einem der größten Staatsgüter verbunden. Gleich darauf erhielt er auch – an Stelle des Grafen Aranda, dem die Königin nun doch ein Alter ohne Amtswürden gönnen wollte – seine Ernennung zum Ministerpräsidenten und Minister der auswärtigen Angelegenheiten.

Den alten Adelsfamilien ging dieser Aufstieg des wohlgebauten und körperkräftigen Jünglings stark auf die Nerven. Das hatte freilich seinen Grund fast ausschließlich in den Vorurteilen gegen Don Manuels unbedeutende Herkunft. Seine Beziehungen zur Königin wurden nur von den allerkonservativsten Notabeln moralisch verdammt, der übrige Hof, ähnlichen Sitten ergeben, begnügte sich, darüber zu witzeln. Auch gab es unter den Herzögen, Grafen, Marquesen, denen nichts über die Vorstellung vom Adelsblut (daß sie nämlich eine andere Art von Blut in sich haben als die Bürger und Bauern) und über das Gedächtnis der von ihren Ahnen angeblich geschlagenen Maurenschlachten, über Titel, Reichtum, offene und heimliche Vergnügungen ging, die eine Brust voll Orden anbeteten und trotzdem unter dem besonderen Schutz der Heiligen Jungfrau zu stehen glaubten, die Erörterung philosophischer oder gar sozialer Probleme für unanständig hielten, vielfach auch der dafür notwendigen Verstandeskraft ermangelten – es gab unter ihnen nur verschwindend wenige, die in den Staatsgeschäften etwas anderes als einen Zweig des Hofzeremoniells oder eine intime Privatangelegenheit des Königs sahen.

Nur diese wenigen waren fähig, die Hohlköpfigkeit des Günstlings zu erkennen und sich um Spaniens Zukunft zu sorgen. Doch anderswo als im vertrauten Kreis konnten auch sie sich zu ihrer Gegnerschaft nicht bekennen, denn man hatte, von allen anderen durch Dogma und Ritus des Hofs bedingten Hindernissen abgesehen, mit der gefährlichen Partei derer zu rechnen, die sich Don Manuel an die so rasch emporfliegenden Rockschöße zu hängen mühten.

Auch die unsaubere Art, mit der der neue Präsident des Ministerrats, von der Königin unterstützt, die Angelegenheit des mit jener verdächtigen Eile abgeschobenen Floridablanca führte, gab der Mehrheit der Hofgesellschaft Anlaß nicht zu politischen Betrachtungen, sondern nur zum Klatsch.

Die Königin hatte des Grafen Zurückführung aus dem Verbannungsort Murcia und seine Einschließung im Staatsgefängnis durchgesetzt. Ein Gerichtshof, der aus einigen Kreaturen Godoys bestand und dem Don Manuel selbst vorzusitzen sich nicht scheute, arbeitete eine nicht weniger als fünfzig Punkte umfassende Anklage aus, ein dem Rat von Kastilien, Spaniens höchster richterlicher Behörde, angehörender Fiskal beantragte wegen angeblichen Hochverrats die Todesstrafe.

So weit ließ sich der König treiben. Aber dann schämte er sich. Er befahl, den Prozeß auf unbestimmte Zeit zu vertagen, ein Urteil wurde nicht gesprochen. Immerhin verbrachte man Floridablanca ohne Nachweis seiner Schuld vorläufig nach Pamplona und hielt ihn dort in strenger Haft.

Als wolle er Godoy für solche gegenüber seinem persönlichen Feind, dem letzten Vertreter des Regierungssystems Carlos' des Dritten, angewandte Milde um Entschuldigung bitten, bestimmte er ihn, den neuen Herzog, auch noch zum Ritter des Goldenen Vließes. Nur über fünfzig Vließe im ganzen konnte der König von Spanien verfügen, der sich in diesen Orden mit dem Kaiser in Wien teilte, und nur ein einziger Platz war in diesem Augenblick frei.

 

Es blieb Don Carlos nichts übrig, als an dem für die Zeremonie der Verleihung vorgesehenen Vormittag auf die Jagd zu verzichten, denn das Statut schrieb ihm den persönlichen Vorsitz im Ordenskapitel vor.

Die in La Granja anwesenden, zum Teil von ihren Landsitzen herbeigeeilten Ordensritter, angetan mit der schwarzen Hoftracht König Felipes des Zweiten, von der sich die um den Hals getragenen Insignien des Goldenen Vließes wirkungsvoll abhoben, sowie die für Beurkundungen und Handreichungen notwendigen hohen Beamten versammelten sich in einem Saal des Schlosses. Ihre Gesichter trugen schon jetzt dem Ernst des bevorstehenden Aktes Rechnung. Manch einen Vließträger kitzelte zwar die wenig gewohnte, in gestärkten Falten sich spreizende Halskrause, manch einen drückte der topfähnliche Hut, aber ihre Würde ließ nicht zu, es zu zeigen. Das Unbehagen über die Person des neuen Ordensmitgliedes machte sie alle noch wortkarger.

Unter Vorantritt des Wappenherolds, der in einer Art von steifer, doppelseitig mit dem Königswappen bestickter Schürze stak, und geleitet vom Oberhofmarschall, erschien Don Carlos mit größter Pünktlichkeit in der Versammlung. Das Gewand stand ihm schlecht zu Gesicht und der Bauch schlecht zum schwarzen Gewand, der kurze Mantel hing fremd und wunderlich über seinen Rücken. Er lüftete den Hut und zeigte für einen Augenblick den sonst durch die Puderperücke verdeckten Kahlkopf, der sich bleich und scharf von dem sonnverbrannten Antlitz abzeichnete.

Es versteht sich, daß auch die Ritter und die Hofbeamten beim Eintritt der Majestät die Häupter entblößt hatten. Gewährten die den Dreispitz abnehmenden Beamten den gewohnten Anblick, so standen die – der Tracht entsprechend – gleich dem König perückenlosen Ritter mit militärischer Gleichzeitigkeit im veränderten Aspekt der von den natürlichen Haaren umschlossenen Schädelwölbungen da. Carlos sah das nicht zum erstenmal, aber er fand es bei jedem Ordenskapitel sehr komisch.

Nicht ganz undeutlich schmunzelnd setzte er sich auf den Thron und gab die Zeichen dafür, daß sich Ordensritter und Beamte auf den teppichbelegten Bänken niederlassen, die Ritter auch ihr Haupt bedecken sollten. Der Oberstallmeister nahm hinter, der Wappenherold neben dem Thron Aufstellung, der hagere erste Stallmeister, der ein altertümliches Schwert mit sich führte, an der Saaltür.

Der nach Anciennität des Ordens jüngste Ritter, der uralte Conde de Fernán-Nuñez, begab sich stelzenden Schrittes an die Tür und richtete an den draußen wartenden Manuel die feierliche Aufforderung, einzutreten. Auch Manuel trug die schwarze altertümliche Tracht und verstand sich ausgezeichnet darin zu bewegen, sein blondes Haar schimmerte über dem Mantelkragen und der weißen Krause.

Der Eintretende, der sich erst vor dem König, dann vor seinen künftigen Ordensbrüdern in der gutgespielten Ehrfurcht des überzeugten Kavaliers verneigte, wurde mit all seinen Adels-, Staats-, Militär- und Ordenstiteln sowie mit der Versicherung seiner untadeligen Ehrenhaftigkeit und seines adligen Wandels der Versammlung vorgestellt. Diese Anpreisung lag dem Ordenskanzler ob, der alte Duque de Medina-Celi versah das Amt mit vor Würde bebender Grabesstimme und bis ins letzte stilgerecht. Er trug nämlich entgegen der Sitte der Zeit einen Bart – denselben wie der ihm aus den Bildern bekannte, von König Felipe dem Zweiten eingesetzte Ordenskanzler Duque de Alba, Cayetanas blutrünstiger Ahn.

»Die Gnade Seiner Majestät hat die Aufnahme des hochedlen Duque de Alcudia y Sueca in den Hohen Orden vom Goldenen Vließ vorgesehen. Dennoch will der König die Einkleidung nicht vornehmen, ohne daß an Eure Hoheiten und Exzellenzen die Frage gerichtet worden ist, ob eines der Mitglieder des Hohen Ordens eine Einwendung zu erheben Ursache hat.«

Diese fast drohenden Worte des Kanzlers verursachten Manuel, den bisher das sichere Gefühl einer ihm durchaus zustehenden Ehrung erfüllt hatte, doch ein paar Sekunden des Unbehagens. Carlos blickte wässerig auf die Ritter und wäre auf einen Zwischenfall durchaus nicht gefaßt gewesen.

Natürlich geschah auch nichts.

Der Ordenskanzler konnte fortfahren und teilte Manuel hohl und düster mit, er werde in den Orden des Goldenen Vließes aufgenommen werden. Manuel dankte aus tiefem Herzen für die königliche Gnade.

Nun trat ihm der alte Herzog unmittelbar gegenüber, verlas aus einem Buch, das er sich dicht vor die Augen halten mußte, eine Formel, in der er ihn ermahnte, seine Verdienste nicht nur beizubehalten, sondern noch zu steigern, senkte das Buch, schüttelte den Bart und führte Manuel vor den König. Der Neuerwählte, geradezu treuherzig dreinschauend, bat, Seine Majestät möge ihm in Gnaden den Ritterschlag erteilen. Der Wappenherold näherte sich auf dieses Stichwort dem Oberstallmeister und sprach: »Seine Majestät bittet Eure Exzellenz.« Zu hochstehend, um selbst Anlaß zu haben, mit den Händen einzugreifen, winkte der Angeredete den ihm zu Gehorsam verpflichteten ersten Stallmeister herbei, der sogleich das altertümliche Schwert entblößte und es dem König reichte, obwohl dieser selbst mit einem Degen umgürtet war.

Manuel kniete nieder, Carlos richtete mit seiner lauten rauhen Stimme die Frage an ihn, ob er Ritter sein wolle, und versetzte ihm nach seiner bejahenden Antwort einen vorsichtigen Schwertschlag auf die linke Schulter. Als traue er Manuels Versicherung nicht, wiederholte er die Frage: »Wollt Ihr Ritter sein?«, empfing dieselbe Zusage, erteilte den Streich, fragte wirklich und wahrhaftig ein drittes Mal, hörte die Antwort und berührte die Schulter abermals. »Gott«, fügte er noch hinzu, »und der heilige Andreas mögen dich zum Ritter machen!« Dann kehrte er das Schwert behutsam um und reichte Manuel Griff und Königshand zum Kuß.

Der neue Ritter erhob sich und leistete, Kreuz und Meßbuch ergreifend, einen langen, nicht weniger als sieben Kapitel der Ordenssatzung umfassenden Schwur, den ihm mit immer dumpferem, schwächerem Klang der Kanzler vorlas.

Carlos starrte, als er den Anfang des Eides hörte, nachdenklich auf seine Fußspitzen und fand, daß an dieser Zeremonie doch etwas nicht ganz in Ordnung sei. Dieser erste Satz lautete nämlich: »Ihr schwört, mit ganzer Kraft alle Rechte des Königs zu beachten und zu stützen und sie und seine Ehre mit vollem Einsatz Eurer Person zu verteidigen ...«

Manuel seinerseits fand, der Schwur sei eine lächerliche Formalität, die auf alle Fälle nur Staatsangelegenheiten betreffe, in welcher Hinsicht ihn ja die aus seinen Ämtern resultierende Machtvollkommenheit zur Erfüllung auch der äußersten Versprechungen befähige.

Die Eidesformel stieg auch bald von ihrem Kothurn herab, so daß Carlos' Ansätze zu Skrupeln im Geplätscher von Nichtigkeiten versanken und Manuel gar nicht mehr zuhörte, sondern sich ungeduldig überlegte, wann ihm wohl endlich der Orden angelegt werde, um dessentwillen er hierhergekommen sei.

Er mußte nochmals vor dem König niederknien. Als sei noch nichts dergleichen geschehen, nahm ihn der unter feierlicher Anrufung der Dreieinigkeit in die Gemeinschaft der Ritter auf und streifte ihm nun wirklich, nachdem Manuel das bekräftigende Amen gesprochen hatte, das gelbrote Band, an dem die kleine goldene Nachbildung eines Widderfells hing, über den Kopf.

Manuel küßte wieder Carlos' fleischige Hand und setzte sich als jüngster Ordensbruder neben den Grafen von Fernán-Nuñez. Das nächste Mal, wenn der Tod ein Vließ freigemacht hat, wird Manuel es sein, der den Neuaufzunehmenden zur Tür hereinholt ...

Schon erhob sich der König. Unter Vorantritt des Wappenherolds zog man, hinter dem Monarchen paarweise geordnet, feierlich aus dem Saal.

 

Manuel hatte eine Mitteilung der Königin empfangen, sie wünsche nach der Zeremonie seinen Besuch. Er verspürte keine Neigung dazu. Ich werde heute die Ehre des Königs mit Einsatz meiner Person verteidigen, lachte er in sich hinein.

Die Hofdame, die er zum intimen Diner erwartete, war sehr hübsch.


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