Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes und letztes Kapitel

Wie das mit dem Finzer ausgeht. Der Kriegskamerad

Die Blessenvögtin lief wie wahnsinnig umher und fluchte. Das habe man davon, daß man halb preußisch sei statt gut württembergisch. Aber Lampel seien sie all, diese Männer, wenn sie sich das gefallen ließen im eigenen Lande.

Sie meinte, die Hinterwinkler müßten mit Sensen und Heugabeln ausziehen und ihren Finzer mit Gewalt heimholen.

Aber sie mußte erleben, daß die Leute sie auslachten.

Indessen kam der Finzer von selber zurück, ganz allein.

Er war als Deserteur denunziert worden, aber die Untersuchung hatte seine Schuldlosigkeit vor dem Gesetze leichtlich ergeben, da seine Entweichung aus dem Vaterland in einem Alter und unter Umständen erfolgt war, die die Strafbarkeit ausschlossen.

Er zog jedoch diesmal sehr still in Hinterwinkel ein. Der Schrecken der Verhaftung stak ihm noch in den Gliedern.

Doch er erholte sich rasch davon. Sein Selbstgefühl kehrte zurück, und mit ihm fand er auch wieder die großen Worte. Denn er hatte die eigentümliche Beredsamkeit des Hannpeter geerbt, des ehemaligen Großknechts auf dem Hof, der unter, dessen auch gestorben war.

Man mußte ihn nur hören. Oh, er hatte es ihnen gesagt, den Herren vom Amt. Die hatten die Nase eingezogen, und in Zukunft würden sie sich hüten, ihm die Gendarmen auf den Hals zu schicken.

Die Mutter aber beeilte sich, ihm gerichtlich den Hof übergeben zu lassen.

Der Finzer war Blessenvogtsbauer geworden. Da hatte er es weit genug gebracht, jedenfalls weiter als Alexander Schmälzle.

Und beim Kronenwirt, seinem Nachbar, gab er, den dampfenden »Kloben« im Mund, dieser Meinung gern Ausdruck. Der Finzer rauchte jetzt statt der Zigarette die kurze Pfeife, er wußte, was er seinem neuen Stande schuldig sei.

»Wenn ihr nicht so dumm wäret,« sagte er da zu den anderen, während er die Dampfwolken vor sich hinpaffte, »würdet ihr nicht so spät dahintergekommen sein, daß der Xander mit seinen Briefen aus Frankreich pure Schwindelei getrieben hat. Ein Heuchler war er sein Leben lang. Als wir miteinander studierten, wußte er mir immer meine lateinischen Arbeiten abzuschreiben und für die seinigen auszugeben. Während seines französischen Aufenthaltes aber und während er seiner dummen Mutter seine Faxen von einer reichen adligen Braut mit goldenen Schlössern vorflunkerte, was meint ihr, was er in derselben Zeit getan hat? Bettelbriefe hat er mir nach Afrika geschrieben. Angepumpt hat er mich. Es muß ihm schlecht genug ergangen sein, und seine ›adelige Braut‹ war wahrscheinlich eine Bänkelsängerin, und er ist mit ihr als Schnorrant auf Kirchweihen und Jahrmärkten herumgezogen. Er wird die Fiedel gestrichen und sie wird dazu gesungen haben.

»Mich kannte er als einen guten Kerl, dem am Geld nichts gelegen ist, und er hat sich nicht verrechnet. Heut reut mich aber jeder Pfennig, den ich ihm damals schickte. Doch wir hatten gerade dem Sultan von Tripolis sein ganzes Lager geplündert und besahen Geld wie Heu. Wir wateten im Gold ...

»Der Lexel, und eine Gräfin als Braut, es ist zum Totlachen. Der wäre mit einer Nähmamsell zufrieden. Oder vielleicht heiratet ihn die Korbmachers Olga, wenn sie nichts Besseres kriegen kann. Die ist ja auch so eine Großtuerin, die doch anderer Leute Kinder den Hintern putzen muß und Großgans und Großgänserich, das paßt zusammen. Der Lexel bleibt da ganz bei seinem Beruf!«

Und wenn die Stimmung besonders günstig war, dann zitierte er den alten Reim der Olga Rotermund, den sie gemacht hatte, als sie neun Jahre alt war. Er zitierte ihn nicht nur, er sang ihn. Er sang ihn auf die Melodie eines bekannten schwäbischen Volksliedes und tat sich nicht wenig darauf zugute, daß die Leute glaubten, er selber habe ihn gemacht. Er sang:

Der Lexel und der Xand'r
Gehn ganz allein miteinand'r,
Der Xander und der Lexel
Essen 's ganz' Jahr Kraut und Häcksel.

Und man kann sich denken, wie er die Lacher auf seiner Seite hatte. Zur Abwechslung sang er dann den andern Vers:

Der Bendel und der Saam,
Die gehn minanner ham,
Der Saam und der Bendel,
Die krieg'n au kei Händel.

Der junge Blessenvogtsbauer hatte es leicht, den Lexel in Hinterwinkel verächtlich zu machen. Er war es ehe schon.

Sein eigener Vater zuckte über ihn die Achsel. Er sprach nicht mit Worten aus, was er dachte; aber seine Augen redeten verständlich, sie sagten jedem, der es hören wollte, daß in der Seele des Schneiderjakobs aller Stolz und alle Hoffnung erstorben sei. Und aller Glaube. Seinen Ring betrachtete er mit keinem Blick seit lange.

Sogar mit seinem Freund und Paten Nepomuk Rotermund verstand sich Alexander eines Tages nicht mehr, und daran war die Physik schuld. Oder war es die Metaphysik, die Philosophie oder die Religion – die schon mehr Menschen auseinandergebracht haben – genau kann man es nicht sagen. Die Olga war ebenfalls dabei im Spiel, wenn auch sehr unschuldig.

Alexander vermied es auffallend, das Gespräch auf sie zu bringen. Um so öfter tat dies Nepomuk in seinem väterlichen Stolz. Aber einmal war es gar kein Stolz, sondern ein Ärger, aus dem heraus er die Tochter erwähnte.

Da hatte sich, während Alexander gerade von seinem Leben auf Schloß Tassilot in der Normandie erzählte, unvermerkt ein Gewitter zusammengezogen. In demselben Augenblick, wo der Erzähler von dem bänglichen Erlebnis sprach, auf einer Segelfahrt draußen im Meer mit den beiden Söhnen des Marquis von Auberoche-Lescar, die leidenschaftliche Segler waren, aber dann in dem furchtbaren Sturm, der sich plötzlich erhoben, doch die Köpfe verloren, so daß ihr Schifflein nur mit knapper Not dem nassen Verderben entkam: da rüttelte jetzt auch an dem Häuschen des Korbflechters der Gewittersturm, daß das Gebälk in den Fugen knackte, und jähe Blitze durchzuckten die niedere Stube, denen ein knatterndes Gedonner folgte.

Rotermund unterbrach den Sprecher.

»Wie entsteht der Donner?« fragte er, indem er seine Flechtarbeit ruhen ließ und sein Gesicht mit der langen geradwinkligen Nase – er trug darauf seit neuerer Zeit eine Brille – erwartungsvoll zu dem Freund emporrichtete.

»Wie der Donner entsteht?« antwortete dieser, »ich weiß nicht, wie du das meinst.«

Alexander, der Vielleser, hatte doch nie ein naturwissenschaftliches Buch in die Hand genommen, und auch sein ganzes Denken ging wenig nach dieser Richtung hin.

»Nicht wahr, du meinst doch auch,« forschte Nepomuk weiter, »daß eben Gott es ist, der da donnert in seiner Allmacht?«

»Gewiß mein' ich es so«, bestätigte Alexander.

»Das freut mich«, versetzte Rotermund. »Ich habe es auch gar nicht anders erwartet von dir. Ich konnte mich in dir nicht täuschen. Du warst immer fromm und bist es geblieben. Aber schau, da hat mich das Olga, als es letzt Jahr hier war, in einen rechten Zorn gebracht. Es ging da auch ein Gewitter mit Blitz und Donner über das Dorf hin, und das Olga, statt zu beten wie in der Kindheit, fing an, seine Weisheit auszukramen, die es auf der gottlosen höheren Töchterschule gelernt hat und wonach es die Luft sein soll, die donnert, weil sie vom Blitz auseinandergerissen wird und dann wieder zusammenprallt. So eine Gottlosigkeit. Und so ein Unsinn. Wenn man gegerbte Ochsenhäute aufeinanderwirft oder eichene Dielen, da gibt es ein Gedonner und ein Gerumpel. Aber man soll dafür einmal zwei Federkissen aufeinanderwerfen, ob das donnert. Und doch ist die Luft noch viel weicher, seiner und leichter als Federn, und sollte doch ein Gepolter machen können gleich dem Donner. Das mag begreifen wer will, ich nicht, und ich halte es nicht nur für christlicher, sondern auch für vernünftiger und dem Verstand einleuchtender, den Donner einfach zu erklären mit Gottes Allmacht. Wie es dabei zugeht, wie er es anstellt, ist seine Sache; wir wissen vieles nicht. Alles wissen wollen ist gottlos, und immer gottloser werden unsere Schulen. Was sagst du dazu, Alexander?«

Dieser mußte lächeln.

»Wenn du ein Bauer wärst, Göte,« antwortete er, »so einer wie der alte Füllentoni oder der Brückenlenz, da könnt' ich dir recht geben ...«

»Du gibst mir also nicht recht? Wieso?«

»Du bist ein Musiker, du solltest eigentlich ...«

»Was sollt' ich eigentlich?«

Sehr unwirsch rief's der Korbmacher.

Alexander hatte noch kein einziges physikalisches Buch gelesen, die inneren Gesetze der Natur kümmerten ihn wenig, aber das hinderte ihn nicht, ein guter, wenn auch poetisierender Beobachter zu sein alles Waltenden und Wirkenden.

»Hör' mich an, Göte Nepomuk«, bat er. »Vier Elemente gibt es, Feuer und Luft, Wasser und Erde. Und vierfach ist auch die Kunst. Auf der Erde beruht die Bildnerei, auf dem Feuer oder dem Licht und seinen Farben steht alles Malen; das Wasser ...«

Er stockte, fast hätte er eine Lächerlichkeit ausgesprochen.

»In der Dichtung wollt' ich sagen,« so korrigierte er sich kühnlich, »in der Dichtung mischen sich die viere, das Reich der Töne aber ist die Luft.«

»Das ist mir zu hoch,« brummte Rotermund, »das versteh' ich nicht.« Und er nahm eine Prise, denn er hatte sich in seinen alten Tagen das Schnupfen angewöhnt.

»Du verstehst das nicht?« ereiferte sich Alexander; »aber womit bildest du denn deine Musik, bildest du jeden Ton, als mit dem Odem deiner Lungen. Dein Odem aber ist Luft, und Luft ist der Odem des Weltalls. Aller Schall, aller Ton, alle Musik ist aus ihr geboren, und nicht nur, daß sie den Ton zeugt und bildet, sie trägt ihn auch; aus unsichtbaren Schwingen trägt sie ihn durch die Räume. Still ist die Luft nur in ihrer Ruhe, darum heißt stille Luft auch soviel wie ruhige Luft, ihre Bewegung aber ist immer auch Gesang, ist Tönen, ist Musik. Kein Ton, der nicht Luft ist ...«

»Ja, ein F ...z, zum Teufel noch einmal,« platzte Nepomuk heraus, »und nun sei still, schäm' dich.«

Aber Alexander war der Meinung, daß umgekehrt sein Göte sich schämen sollte, so das Erhabene ins Gemeine und Schmutzige hinunterzuziehen.

Er hätte gern noch weiter gesprochen. Es ward ihm so selten Gelegenheit, sich seine Träume von der Seele zu reden. Der Zynismus des Paten hatte nun alles zerstört. Schmerzlich sah er zu Boden, mit verletzter Schamhaftigkeit. Ja, er schämte sich, aber für den Nepomuk, und er ging verstimmt hinweg.

Nein, wahrlich, das hatte er seinem Paten nicht zugetraut, und er war mehrere Tage ganz unglücklich darüber, weil er noch nicht wußte, daß das Alter ein anderes Gefühl hat gegenüber allem Ding und Wort, als es der Jugend ansteht.

Kurz darauf kam ein eingeschriebener Brief an Alexander. Der Brief lautete:

Lieber Kriegskamerad!

Ich habe, da ich verreist war, Dein Schreiben erst jetzt erhalten. Natürlich sollst Du kommen, Lektionen kann ich Dir verschaffen, so viel Du haben willst. Und an Gelegenheit, selber zu lernen, soll es Dir, soviel an mir liegt, auch nicht fehlen. Da ich mir dachte, Du könntest gerade nicht bei Kleingeld sein, füge ich den beiliegenden Schein meinem Briefe bei. Du sollst mir den Betrag bald zurückerstatten können. Es wird damit keinen Anstand haben, Du bist ein rechter Glückspilz und hättest zu keiner günstigeren Zeit Deinen Anfang machen können. Ich in Deinem Alter habe die Lektion zu einem halben Gulden gegeben, heut werden dafür anderthalb und zwei Gulden bezahlt und wir müssen auf das alte o tempore, o mores eine neue Melodie machen, eine lustige, denn wahrlich, das goldene Zeitalter, wovon die Menschheit immer gefabelt, scheint jetzt angebrochen, das goldene im wörtlichsten Sinn. So sei er gesegnet, der Goldregen, der Milliardenregen, da er sogar uns arme Musikanten ein wenig übertröpfelt. Also komme je eher je lieber. Melde mir Deine Ankunft, daß ich Dich an der Bahn erwarte.

»Was wird da nun wieder für ein Schwindel dahinterstecken,« sagte der Finzer, als er davon hörte.

Aber an demselben Tag, an dem Alexander abreiste, verließ auch der Finzer, doch nicht ganz so freiwillig, noch einmal Hinterwinkel, Am in Ludwigsburg seine rückständigen Militärjahre abzudienen, und das war sicher kein Schwindel.


 << zurück weiter >>