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Neuntes Kapitel

Die Botschaft des Pfarrers Barthelmeyer

Ich hatte – wenigstens nach meiner Meinung – mit großer Umsicht alle Vorbereitungen getroffen und stand am Vorabend meiner heimlichen Abreise.

In Wahrheit stand ich nicht, sondern saß mit untergeschlagenen Beinen auf unserem Eßtisch, der zugleich als »Hölle« diente, und war damit beschäftigt, einen Flecken in den Allerwertesten meiner eigenen Hose zu flicken, die ich zu diesem Zwecke ausgezogen und vor mir auf den Knien liegen hatte. Ich bitte um Verzeihung, aber man hat schon größere Helden in Unterhosen gesehen.

Wie ich also dergestalt an mir selber besserte, wenn auch nicht an meinem moralischen Teil, da öffnete sich plötzlich die Tür und ein kleiner Schulbub trat herein.

»Ihr sollt gleich ins Pfarrhaus kommen.«

Sprach's und verschwand.

Da außer mir niemand in der Stube weilte, mußte ich selber mit dem »Ihr« gemeint sein, obwohl man mich sonst nicht so feierlich anzureden pflegte. Die Wendung im Weltlauf begann.

Die Botschaft aber wunderte mich. Ich hatte lange nichts mit dem Pfarrhaus zu tun gehabt und war seit dem Abgang des Finzer nur selten mit dem Pfarrherrn zusammengestoßen. Angesprochen hatte er mich kaum mehr. Einmal auf der Straße.

»Was machst für ein Gesicht, Lexel,« sagte er damals lachend, »hat dir der Herr Steuerperäquator Flöhe ins Ohr gesetzt? Du hast ein bißchen was bei mir gelernt, das kann dir nicht schaden. Du wirst mir noch dankbar dafür sein.«

Ein andermal war er auf dem Kahlenbuckel, wo ich lesend bei den Ziegen saß, zu mir hingetreten, um sich mein Buch anzusehen. Es war die deutsche Odyssee von Herrn Voß, ein Geschenk des Herrn Steuerperäquators. Der Pfarrer schlug sie auf und rezitierte den ersten Vers in griechischer Sprache.

Als er meine Augen vor Bewunderung leuchten sah, lächelte er wohlgefällig.

»Einen anderen Kerl hätt'st geben als der Finzer«, sagte er und ging weiter.

Er hatte mir mit diesem Wort zugleich wohl und wehe getan.

Als ich jetzt bei dem geistlichen Herrn in die Stube trat, standen Hochwürden hemdärmelig, das schmutzige Samtkäppchen auf die spärlichen weißen Härchen gedrückt, die unvermeidliche lange Weichselrohrpfeife im Mund, am Fenster und begossen ihre Monatsrosen, Meerzwiebeln und Stachelkakteen.

Auf meinen unterwürfigen, schüchternen Gruß geruhten Hochwürden nicht, etwas zu erwidern. Nach einer Weile aber und ohne sich von ihrem Gärtnergeschäft ab- und nach mir umzukehren, sagten Seine Hochwürden: »So, ist man erschienen, brav so«, und tröpfelten weiter aus einer grünen Gießkanne Wasser in die Kakteentöpfe, Meerzwiebeln und Monatsrosen.

Ich wurde dadurch noch eingeschüchterter, und als mir darauf der Hinterwinkler Seelenhirt und Blumenzüchter unter Schmunzeln seine Eröffnung machte, fühlte ich mich wie aus den Wolken gefallen.

Auch als der Herr Pfarrer, halb strafend, halb wohlwollend fragte, ob er denn keinen Dank verdient hätte, suchte ich immer noch umsonst nach einem Worte.

Wenn mir Seine Hochwürden gesagt hätten, der Kirchturm mit allen Glocken sei davongegangen und ich sollte ihm nachlaufen und wieder zurückbringen, hätte ich nicht verwunderter dreinschauen können.

Auch nach ihrer Wirkung auf die Hinterwinkler zu schließen, muß die Verfügung des geistlichen Dorfregenten Großes und Außerordentliches enthalten haben. Alle guten Basen kamen in den nächsten Tagen zu meiner Mutter und staunten mich an wie ein Wundertier, und wenn ich durchs Dorf ging, blickten mir die Leute respektvoll nach, und die Kinder würden – ich sah es ihnen an – ihre Kappen vor mir abgezogen haben, wenn sie eine auf dem Kopf gehabt hätten.

Nur die Gänse in den Gräben und Pfützen schnatterten mir noch mit der alten Vertraulichkeit ihren Gruß zu; sie achteten mich nicht höher wegen meines neuen Standes, sie hätten sonst gering von sich selber denken müssen, was eine Gans gewiß niemals getan hat.

Ich war in der Tat zu Hohem berufen worden.

Anderthalb Stündchen von Hinterwinkel entfernt lag das kleine Dörfchen Eschelbrunn. Der Schulmeister daselbst war erkrankt; ich sollte hin und für ihn Schule halten.

So wäre mein Studieren mit dem Finzer doch nicht umsonst gewesen, teleologisierte der Herr Pfarrer und königliche Schulinspektor des Bezirks. Und wenn ich mich in meiner moralischen Führung gut hielte und nicht ungeschickt anstellte, auch das Orgelspiel lernen wollte, wozu ich ja schon einen Anfang hätte, könne es mir am Weiterfortkommen nicht fehlen, besonders da ich zum Überfluß sogar ein wenig Latein wüßte.

»Wer aber Latein versteht,« fügten Hochwürden hinzu, »gehört zu den Gelehrten. Darum halte ich es für erfreulich,« bemerkte er weiter, »daß sich die Schulmeister mit dem Deutschen begnügen müssen; verstünden sie erst Lateinisch, wären sie gar nicht mehr zu haben. Sie wissen ohnedies nicht, wie sie den Kopf halten sollen vor Hochmut.«

Zum zweiten Male freute sich meine Mutter über eine Nachricht, die ich aus dem Pfarrhof nach Hause brachte. Der Vater aber meinte trocken: »Wenn du zuletzt nichts Gescheiteres werden wolltest als ein Schulmeister, da hätte ich den Schneider vorgezogen; ein Schneider macht doch eine andere Figur in der Welt. Aber freilich, einen rechten Schneider hättest du nie gegeben, darum tust du allerdings besser, du wirst ein Schulmeister und Küster als ein Pfuscher mit der Schere, der seinem Handwerk nur Unehre gemacht hätte. Und – man kann nie wissen, wozu etwas gut ist.«

Schon am andern Tage verließ ich Hinterwinkel und zog nach Eschelbrunn.

Und die mir von dem Pfarrer und königlichen Schulinspektor eröffneten Aussichten erwiesen sich nicht als übertrieben. Schon zwei Jahre nach meiner plötzlichen Umwandlung aus einem Schneiderlehrling in einen Magister artium elementarum fand ich mich eines Morgens als wirklichen Unterlehrer in der königlichen Amtsstadt Hopfingen in ein und demselben alten Klostergebäude mit dem königlichen Oberamtmann Ritter von Danloh-Pützenhausen, dem königlichen Landrichter Freiherrn von Schlirch und soundso vielen Herren Referendaren, Assessoren, Revisoren, Registratoren, Aktuaren, Schreibern, Kanzleigehilfen, Rats- und Polizeidienern usw. Ich war eine magistrale Persönlichkeit geworden und hatte noch mein achtzehntes Lebensjahr nicht vollendet. Die Hinterwinkler fingen an, Respekt zu bekommen.

Mein Vater aber betrachtete seinen Ring immer seltener, und eine gewisse Art, ihn zu drehen, beobachtete man überhaupt nicht mehr an ihm. Es war, als ob er mit einem Gefühl wehmütigen Verzichtes sich sagte, daß meine schulmeisterliche Laufbahn und der romantische Goldglanz seines Kleinods in Ewigkeit keine Beziehung zueinander haben könnten.

Man hat manchmal gottlose Gedanken, wenn es überhaupt angebracht oder gar nötig ist, Gedanken so zu nennen. Und da habe ich gelegentlich bei mir gedacht, wie es mit meinem Leben geworden wäre, wenn mein Vater statt seines geheimnisvollen Goldreifs einen Haufen, einen großen Haufen goldbedeutenden Papiers besessen hätte ... aber er besaß seinen Ring.

Und dann wieder hätte ich fast meinen ehrlichen Namen verflucht. Es war zwar mein lieber Vatername und hatte einen gut schwäbischen Klang, doch wie soll einer ein großer Mann werden, wenn er »Schmälzle« heißt. Wo nur der Uhland, fragte ich mich oft, in unserm Schwaben seinen wunderschönen Namen gefunden haben mag. Ja, Namen sind nicht ohne Vorbedeutung, nomina sunt omina. Zwar unser Eduard Mörike, der doch im Leben auch nur so etwas wie ein armer Schulmeister war, hat es dahin gebracht, daß man jetzt anfängt, zu seinen Gedichten so unglaublich schöne Musik zu machen, und sein Name soll nichts anderes bedeuten als »Rübchen«. Doch daran denkt niemand. Aber Schmälzle ... Ich muß mich trösten. Der berühmte Verfasser der Harmonielehre, die mir Otto Heinzelmann verehrt hat, heißt Einsele, der Herr protestantische Dekan von Gansweiler sogar Keinsele, der gestrenge Herr Oberamtsrichter aus unserer Oberamtstadt, der nach Hinterwinkel kam, als man den krummen Hammel unter dem Dach an einem Sparren aufgehängt fand, hieß Rinderle, und der goldbebrillte vornehme Herr Regierungskommissar, der auf dem landwirtschaftlichen Fest zu Böhringen die Rede auf den König gehalten hat, nannte sich Kinderle, und das sind doch alles Leute, die es trotzdem zu etwas gebracht haben.


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