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Fünfzehntes Kapitel

Eine Ahnengalerie

Die Mutter hatte es sich nicht nehmen lassen, Alexander ein Nachtessen zu richten. Sie saß nun mit zu Tische und zeigte sich, während sie fleißig von dem eingeschenkten Rotwein trank, recht gesprächig, sogar lustig; sie beteuerte, daß der Herr, wenn es ihm gefiele, so schnell nicht fort dürfe.

Dazwischen hörte man draußen in der Küche, ohne daß jemand darauf zu achten schien, bald ein heiseres Knurren und Grunzen, bald ein tobsüchtiges Rasen, bald ein wildwahnsinnges Lachen.

»Was ist denn heut mit Papa, daß er so unruhig ist?« fragte das Fräulein von Montmerle einmal leichthin.

Und immer wieder hörte man die knurrenden, grunzenden, bellenden Töne ...

Das Fräulein von Montmerle wollte den Gast selber in seine Schlafstube führen, die an das Eßzimmer stieß und wo sie sich schon vor dem Essen zu tun gemacht hatte.

Nach der anderen Seite ging die Mutter in das ihrige.

Im Zimmer ihres Gastes stellte Theodosie das Licht auf den Kaminsims, ließ sich auf einen Sessel niedersinken und sah Alexander stumm an.

Dieser erwartete, daß sie jeden Augenblick überwältigt in bittere Tränen ausbrechen werde, doch der Ausdruck ihres Gesichtes blieb hart und kalt.

»Da haben Sie meine Familie«, sagte sie nach einer Weile in eisigem Ton.

Alexander, jedes Wortes unfähig, blickte fast mit Entsetzen auf das Fräulein von Montmerle hin. Ein bitteres Auflachen aus ihrem Munde unterbrach die Stille.

»Das ist das Geschlecht derer von Montmerle,« fuhr sie fort, »das seine Ahnen sieben Jahrhunderte zurückverfolgen kann, von denen im fünfzehnten Jahrhundert ein Henri Robert Jaquelin de Montmerle unter den Rittern genannt wird, die mit dem König René gegen die aufständischen Sizilianer zogen, während noch früher eines Henri Robert Michel Martin du Bois de Montmerle unter den Kreuzfahrern des heiligen Ludwig gegen, den ägyptischen Sultan Erwähnung geschieht als eines Waffengefährten und Lebensretters des Grafen Artois, ein anderer, ein Gilles Adelstan de Montmerle war der Freund und Vertraute des Grafen Dunois, des Bastards von Orleans.«

Die Sprecherin hielt inne, Alexander wußte nichts zu erwidern und es entstandene Pause.

»Unser ganzes Unglück, sehen Sie,« nahm das Fräulein ihre Rede wieder auf, »war die Revolution, sie vertrieb unsere Familie, raubte unsere Güter, zerstörte unser Schloß. Mein Urgroßvater Henri Hippolitte François de Montmerle entkam allein mit seinem fünfjährigen Sohne Hektor und floh in die Schweiz und von dort an den Rhein. Nur dieser Hektor – man nennt ihn meinen Großvater – ist später, nach dem Sturz Napoleons, nach Frankreich zurückgekehrt, wo er in La Renardière sein Schloß zerstört und sein Gut aufgeteilt und verkauft fand.

Er war bettelarm und hat, ein starrer und energischer Charakter, in starkem Mut sich entschlossen, da ein kleiner Bauer zu werden, wo seine Vorfahren die Herren waren. Wie er dann infolge des Indemnitätsgesetzes unter Karl X. mit der Zeit ein großer Bauer und der Maire der Gemeinde und weit und breit ein angesehner und reicher Mann wurde, das wäre schön zu erzählen.

Aber anderes möchte sich nicht so lieblich anhören und war doch nur eine Notwendigkeit in dem starken Handeln des mutigen Mannes.

Er hatte eine kleine Frau aus Deutschland mitgebracht, die ihn nicht verstand. Das war sein Unglück. Und sein zweites Unglück war sein blödsinniger Sohn Philipp, den man meinen Vater nennt.

Kurz, es kam so, daß Hektor, bereits ein Sechziger, seine Hausmagd Marcelline Dupont, meine spätere Mutter und damals schon seine Geliebte, seinem unglücklichen Sohn zur Frau antrauen ließ, da seine eigene Frau Edevique immer noch lebte und er den Gedanken nicht ertragen konnte, seine lange und hartnäckige Lebensarbeit für einen Schwachsinnigen und also soviel wie umsonst getan zu haben.

Leider, und nun kommt das Traurigste, hatte er mit seiner Marcelline falsch gerechnet, die ihn, sechs Jahre nach mir, eines Tages lachend mit einem kleinen Bankert beschenkte. Sie haben ihn, Herr Alexander, vor dem Essen in der Küche gesehen, man nennt ihn Monsieur Louis.

Oh, das sind häßliche Dinge. Doch Großpapa, ich habe ihn nie anders genannt, hat sich in seinem Testament gerächt, er hat seinen Sohn, den er schon früher hatte entmündigen lassen, wie dessen Frau Marcelline soweit enterbt, als es nach dem Gesetz nur eben zulässig war, und hat mich zur direkten Erbin eingesetzt. Dafür bestiehlt man mich. Zwar die verpachteten Grundstücke können sie mir nicht forttragen, aber wer mir in dem Weinberg, den ich mir zurückbehalten, die Trauben wegstibitzt, das ist eine böse alte Eule, oh, ich kenne sie, und der gefräßigste junge Tagedieb, den die Erde trägt ... Aber Sie sind müde, mein Freund«, unterbrach die Sprecherin sich.

Einen Augenblick herrschte peinliches Schweigen.

»Und, nicht wahr,« fragte in etwas weicherem Tone das Fräulein von Montmerle, »Sie hatten sich das Wiedersehen anders ausgemalt?«


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