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42. Autarkie und Weltwirtschaft im Reich des Polareises

Ponds Inlet (Baffinland).

Grönland wird von der dänischen Regierung streng monopolistisch verwaltet, geistlich versorgt und wirtschaftlich ausgewertet. Es ist eine Monopolkolonie, wie sie zur Zeit der Entdeckungen üblich waren, aber wie es sie heute auf der ganzen Welt sonst nicht mehr gibt. Die übrige Welt würde sich ein solches Monopol auch nicht gefallen lassen, wenn in Grönland etwas zu holen wäre! Da aber die Einnahmen aus Häuten, Fellen, Fischen, Öl und Kryolith kaum die Ausgaben für die Verwaltung decken, so überläßt man die »Eiswüste« Grönland gern den Dänen und duldet das von ihnen ausgeübte Handelsmonopol.

Auf Grönland übt die Regierung also gleichzeitig die Funktionen aus, die in der Zentralarktis der Hudson's Bay Company und der Kirche zufallen. Welches System besser ist, läßt sich ohne weiteres nicht entscheiden. Das dänische hat natürlich das eine für sich, daß die Regierung alles in der Hand hat, daß sie unerwünschten Einfluß von den Eskimos fernzuhalten vermag und eine einheitliche, von nichts und niemandem gestörte Eingeborenenpolitik verfolgen kann. Andererseits leidet es natürlich unter der unvermeidlichen Einseitigkeit und dem Formalismus jeden Monopols.

In Kanada hat man begreiflicherweise für das dänische System nichts übrig. Trotzdem könnte es geschehen, daß Kanada wohl oder übel zu ihm übergehen müßte. Sobald der Weißfuchs unmodern wird oder der Pelzhandel aus irgendeinem andern Grunde unwirtschaftlich erscheint, wird die Hudson's Bay Company als privates Handelsunternehmen selbstverständlich ihre arktischen Posten schließen. Dann wird der kanadischen Regierung nichts anderes übrig bleiben, als an ihre Stelle zu treten, will man die arktischen Eingeborenen nicht glatt der Vernichtung preisgeben. Nur die wenigsten Eskimos sind heute noch in der Lage, die Familie mit genügend Fleisch und Fett zu versorgen, wenn sie ihre Fuchsfelle nicht mehr gegen Gewehre und Patronen, gegen Motorboote und Benzin eintauschen können.

Es ist verständlich, daß die kanadische Regierung daher eifrig nach neuen Möglichkeiten für ihr Nordwestgebiet Ausschau hält und ihm neue Einnahmequellen und Lebensmöglichkeiten zu erschließen sucht.

Die Arktis war vor dem Einbruch der Zivilisation trotz ihrer, für einen Europäer geradezu lächerlich geringen materiellen Hilfsmittel, ein autarkes Land. Jede einzelne Familie oder Familiengruppe bildete einen autarken Bezirk, der in Beschaffung aller Lebensnotwendigkeiten und Bedürfnisse völlig selbstgenügend und unabhängig war. Trotzdem gab es, wie bei allen primitiven Völkern, neben der Autarkie etwas wie Weltwirtschaft. Bis in die Vorgeschichte lassen sich arktische Handelsstraßen nachweisen, die von Sibirien bis Grönland reichen. Bei aller Autarkie hatten sich bei einzelnen Stämmen besondere Fähigkeiten entwickelt, die oft auf örtlich bedingten Vorkommen beruhten, wie beispielsweise leicht ausbeutbaren Kupferminen. Die Erzeugnisse bestimmter Fertigkeiten wurden gegeneinander ausgetauscht.

Dieses wohlausbalancierte System von Autarkie und Welthandel der primitiven Arktisbewohner ist durch den Einbruch der Zivilisation gestört worden. Zum Teil, wie in Alaska, am Mackenzieriver, im nordwestlichen Kanada und im südlichen Grönland sind die Eskimos bereits völlig in die Lebens- und Arbeitsweise des weißen Mannes einbezogen, zum Teil proletarisiert, zum Teil kapitalisiert. In der Zentralarktis sind sie zwar noch primitiv und wirtschaftlich unabhängig, eine Rückkehr zu den alten Lebens- und Produktionsmethoden ohne Gewehr und ohne Munition wird aber auch hier nicht ohne weiteres möglich sein.

Nun ist es – wenigstens nach heutiger Anschauung – nicht nur eine zivilisatorische Pflicht, die Eskimos nicht verelenden zu lassen, deren sich selbst genügenden Lebenskreis man um selbstsüchtiger Gründe wegen gestört hat, sondern es ist ein Lebensinteresse der an der Arktis interessierten Länder, die Eskimos und auch ihre erstaunlichen Fähigkeiten zu erhalten, über die sie heute wenigstens teilweise noch verfügen.

Die weiße Menschheit befindet sich auf einem Zug nach Norden. Gebiete, die gestern noch für unbewohnbar galten, werden heute besiedelt. Nun wird es freilich noch lange dauern, bis dieser Zug die eigentliche Arktis erreicht. Bewohnbar in unserem Sinne wird sie wohl nie werden. Aber es läßt sich heute noch in keiner Weise übersehen, welche Werte sie außer den Pelzen noch bergen mag. An deren Auswertung hatte vor dem Kriege ja auch noch kaum jemand gedacht.

In Ponds Inlet wird Kohle gebrannt, die auf Baffinland gewonnen wird. Wir sind über die Tundra bis zu dieser Mine gewandert. Sie liegt am Steilufer eines Flusses. Ein breiter Kohlenflöz tritt hier offen zutage. Man braucht die Kohle bloß loszuhauen. Freilich muß man warten, bis der Fluß zufriert; denn die Mine ist nur über den Fluß erreichbar. Eine Brücke oder andere größere Kunstbauten trägt ihre Auswertung einstweilen nicht. Es ist eine mäßige Kohle, aber zum Heizen der Öfen in Ponds Inlet reicht sie.

Es gibt an vielen Stellen in der Arktis Kohle. Im Mackenziedistrikt des kanadischen Nordwestterritoriums gibt es Kohlenlager, die in Brand geraten sind und unter der Schneedecke hervorqualmende Rauchwolken entsenden. An der Westküste von Ellesmere, wenige hundert Kilometer vom Pol entfernt, erheben sich Kohlenflöze von 7-8 Metern Mächtigkeit. Einstweilen liegen diese allerdings buchstäblich unter Nacht und Eis und außerhalb jeder wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeit. Aber die Arktis ist ja erst angekratzt. Glimmer und Graphit hat man reichlich gefunden, auch Eisen, Kupfer und zahlreiche andere Erze nachgewiesen. Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, daß die Arktis noch einmal ein Minenzentrum wird.

In jedem Fall aber würde die Erschließung und Auswertung der Arktis ohne den Eskimo nicht möglich sein, wie der Pol ohne die Hilfe von Eskimos nicht entdeckt wäre und wie der Weißfuchsfang heute ausschließlich auf ihnen beruht. Hat der weiße Mann die Arktis erst ganz mit seinem maschinellen Apparat überzogen, so braucht er freilich die Eskimos nicht mehr, wie er in den Tropen die primitiven Rassen nicht mehr benötigt, es sei denn als Arbeitstiere.

Dieses Schicksal der Proletarisierung werden alle diejenigen dem Eskimo erspart sehen mögen, die diese durch und durch ungewöhnliche, bei härtestem Leben heitere Rasse aus eigener Anschauung und eigenem Erleben kennengelernt haben, und zwar nicht nur im Interesse der Eskimos. Wir haben die Spezialisierung aufs äußerste getrieben. Jeder von uns bedeutet nur noch ein Rädchen im modernen Wirtschaftsorganismus. Da ist es wichtig, daß wenigstens in einigen wenigen Gegenden noch Menschen leben, die ganz auf sich gestellt sind. In der Arktis baut der Mann noch selbst seine Heimstadt, im Winter aus Schnee, im Sommer aus Fellen. Nahrung, Kleidung, Wärme, Licht, kurzum alles, was eine Familie benötigt, muß sie sich aus den dürftigen Hilfsmitteln einer kargen Natur selber beschaffen.

Auch in der Eiswüste ist der Mensch das Maß aller Dinge. Noch in der feindlichsten Natur zeugen Mann und Weib Leben und erhalten es, auch den widrigsten Umständen zum Trotz. So erstaunlich dies an sich sein mag, noch verblüffender ist, daß hier in der Eiswüste, in Kälte und Mangel der Mensch der Natur nicht nur das bloße Dasein abtrotzt, sondern es fertig bringt, ein heiteres, friedliches und reiches Leben zu leben.


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