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37. Nookapinguaq und Enalunguaq

An Bord der »Nascopie« in Robertson Bay.

In einigen Stunden sind wir in Robertson Bay. Familie Nookapinguaq, die wir in Craig an Bord genommen haben, macht sich zum Aussteigen fertig. Der Eskimojäger versammelt seinen gesamten Besitz an Deck, seine Schlitten, Hunde, Kajaks, Gewehre, Speere, Harpunen, Pelze und Felle und außerdem all die Schätze, die er im siebenjährigen kanadischen Polizeidienst erworben hat, für den er ja nicht in Geld, sondern in Waren bezahlt wird. Bretter für ein Haus, ein Ofen, Fleisch- und Obstkonserven, Zucker und Tee, Messer, Beile, Nadeln, nicht zu vergessen Seidenblusen und Parfüm für Enalunguaq.

Ja, die kleine Frau Ena ist eine große Liebhaberin von Seide und Parfüm, und das Polizeidetachement auf Ellesmereland erhielt unter andern Tauschartikeln zur Bezahlung seiner Eskimos auch einige Flaschen Duftstoffe und Seide. So adjustiert hatte uns Frau Ena bei unserer Landung auf Ellesmereland begrüßt. Wir wußten, daß sie ihren Mann auf allen Jagdzügen und winterlichen Patrouillen begleitet und erwarteten demgemäß eine resolute, ein wenig verwitterte Erscheinung. Stattdessen trat uns das zierlichste, beinahe kann man sagen, eleganteste Persönchen entgegen, das man sich vorstellen kann. Sie wirkte nicht wie eine Frau, sondern wie ein ganz junges Mädchen. Sie hatte Hände und Füße wie ein Kind.

Diese Zierlichkeit ihrer Erscheinung wurde noch durch ihre Aufmachung unterstrichen. Sie trug Eisbärstiefel, die bis zum halben Oberschenkel hinaufreichen, das Fell nach innen. Nur am oberen Rand schauten die silbernen Haarsträhnen hervor und standen wie ein Strahlenkranz von beiden Schenkeln ab. Darüber trug sie Hosen aus dickstem, weichstem Karibufell, den Oberkörper aber bedeckte lediglich eine enganliegende, buntgemusterte Seidenbluse. Dazu duftete sie nach Parfüm und hatte kreisrunde, rosenrote Bäckchen, als hätte sie eben frisch Rot aufgelegt.

Aber die Polizisten, die in Bache und Craig mit ihr zusammenlebten, versicherten, daß sie die tüchtigste Frau sei, die man sich denken kann. Eine andere hätte Nooka auch kaum brauchen können; denn er ist einer der tüchtigsten Jäger. Ein tüchtiger Jäger aber braucht als Begleiterin eine tüchtige Näherin. Das ist die Hauptaufgabe der Eskimofrau. Die Stiefel aus Karibu- und Seehundsfell, die einen für die Jagd auf dem Land, die andern für die auf dem Eis, sind zwar die beste und zweckmäßigste Fußbekleidung, die es für die Arktis gibt. Nur halten sie nicht lange. Auf großen Märschen müssen sie alle vierzehn Tage erneuert werden. Auf besonders felsigem Gelände sind die Sohlen mitunter bereits nach zwei Tagen durch. Auch die Fellkleidung bedarf ständiger Ausbesserung.

Eskimofrau beim Stiefellederkauen

Der Eskimomann näht nicht. Er hat auch gar keine Zeit dazu. Eine Familie in der Arktis mit Nahrung zu versorgen, erfordert die ganze Kraft eines Mannes. Die Eskimos ebenso wie ihre Hunde sind gewaltige Esser. Wir kamen aus dem Staunen nicht heraus, wenn wir sie essen sahen. Fünf Pfund Fleisch sind für den Eskimo eine Kleinigkeit. Es kommt ihm auch nicht darauf an, acht Pfund Fett jeden Tag zu verzehren. Für eine Familie von drei bis vier Köpfen muß man also schon einen Seehund alle zwei Tage rechnen. Ich finde, nebenbei bemerkt, Seehundsfleisch recht schmackhaft, vorausgesetzt, daß es von einem jungen Tier stammt. Es schmeckt wie Hase mit recht fettem Schwein als Hasenpfeffer zusammen bereitet. Es sieht auch ähnlich aus, tiefschwarz.

Da die Hunde keine geringeren Liebhaber von Seehundsfleisch sind, muß der Mann also schon an die vierhundert Seehunde im Jahr beschaffen, abgesehen von etlichen Walrossen und Karibus.

Nun könnte man meinen, daß die Eskimofrau nicht nur eine fleißige Näherin, sondern auch eine gute Köchin sein müßte, um so gewaltige Mengen von Lebensmitteln zu bereiten. Aber die Kocherei spielt auch heute noch eine geringe Rolle. Das Wort »Eskimo«, das aus dem Algonkinausdruck »Ayaeskimeow« abgeleitet ist, bedeutet nicht umsonst »Rohfleischesser«. Zum mindesten auf Jagd und Wanderung wird auch heute noch der größte Teil der Nahrung roh verzehrt, und auch wenn sie zubereitet wird, wird sie nicht in unserm Sinne gekocht, sondern eigentlich nur gewärmt. Bei der geringen Heizkraft der Tranlampe würde ersteres auch viel zu viel Zeit und Brennstoff kosten.

Wie der Mann als Jäger, so ist die Frau als Näherin viel zu beschäftigt, um noch eine gute Köchin sein zu können, abgesehen von den Mutterpflichten und davon, daß sie gelegentlich selbst Flinte und Wurfspieß handhabt und neben dem Luftloch im Eis auf den Seehund lauert.

Die Frau als Näherin ist für den Mann so wichtig, daß er mitunter die eines andern auf einen Jagdzug mitnimmt, wenn die eigene durch irgendwelche Umstände verhindert ist. Hierin besteht der von mancher Seite behauptete Frauenkommunismus der Eskimos. Dieser Brauch ist aber keineswegs die Regel. Die übliche Gemeinschaftsform der Geschlechter ist die Einehe. Von Ehe kann man nur insofern nicht reden, als der Vereinigung der jungen Leute keinerlei Zeremonie vorauszugehen pflegt. Meist ziehen sie auch nicht in eine eigene Behausung, sondern für das erste Jahr in die der Eltern der Frau, für das zweite und gegebenenfalls dritte in das der Manneseltern. Doch wechseln die Gebräuche bei den verschiedenen Stämmen. Ganz allgemein aber lebt ein Mann mit einer Frau zusammen, und sobald Kinder da sind, ist Trennung eigentlich ausgeschlossen. Es gibt in vereinzelten Fällen allerdings auch Polygamie, wenn einer eben ein so tüchtiger Jäger ist, daß er zwei Frauen samt Nachwuchs mit Fleisch versorgen kann. Umgekehrt kommen auch vereinzelte Fälle von Polyandrie vor, die aber auch durch jagdliche Qualitäten bestimmt ist. Ist ein Mann ein so schlechter Jäger, daß seine Familie Mangel leidet, so mag es geschehen, daß ein anderer, geschickterer zu ihm zieht und ihm aushilft, dafür aber auch seinen Anteil an der Frau verlangt. Meist endet aber ein solches Verhältnis zu dritt damit, daß der Schwächere schließlich das Feld räumt.

Die Eskimos besitzen ausgeprägtes Moralgefühl, aber keinerlei klar umrissene Moralgesetze. Jeder Fall trägt seine besondere Moral in sich, wie das die Anpassung an ungewöhnlich schwierige Lebensumstände bedingt.

Nookapinguaq sieht freilich nicht danach aus, als ob er seine kleine, zierliche Ena einem andern auch nur leihweise überlassen würde. Sie ist seine zweite Frau und höchstens halb so alt wie er.

Nooka fiel mir gleich beim Betreten des Schiffes durch seine stolze, abweisende, beinahe hochmütige Haltung auf. Er zeigte auch nicht die geringste Überraschung beim Anblick meiner Frau. Aber als er Ralph sah, stutzte er, trat dann mit strahlendem Lächeln auf den Jungen zu und streckte ihm beide Hände entgegen.


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