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6. H. B. C.

Churchill.

Vom »Heiligen Römischen Reich« hat man behauptet, daß es weder heilig, noch römisch, noch ein Reich war. Mit dem gleichen Recht mag man von der »Kompanie der Gentlemen-Abenteurer von England, die in der Hudsonbucht Handel treiben«, sagen, daß ihre Teilhaber weder Gentlemen noch Abenteurer waren. Jedenfalls stimmt die historische Legende von den glänzenden, in Samt und Seide gekleideten Kavalieren Karls II. von England, die auszogen, das Empire zu gründen und die Nordwestliche Durchfahrt zu entdecken, in keiner Weise.

In Samt und Seide macht man keine Entdeckungen, zum mindesten nicht in der eisigen Hudsonbucht und der rauhen Wildnis des amerikanischen Nordens, und von all den achtzehn glänzenden Kavalieren, die sich die »Gentlemen Adventurers« nannten, ist kein einziger selber auf Entdeckung ausgezogen, ja, hat auch nur die Gebiete, die ihnen der großzügige Karl II. schenkte, nach ihrer Entdeckung besucht. Und an ein künftiges Empire dachten sie ebensowenig wie an die Nordwestliche Durchfahrt. Die Entdeckung der letzteren stand zwar als Zweck und Ziel der neugegründeten Hudson's Bay Company in der königlichen Charter, aber es wurde nicht einmal der Schein gewahrt, als ob man sich um diese Durchfahrt bemühte, die für die damalige Zelt ungefähr das war, was für uns der Stratosphärenflug ist oder die Weltraumschiffahrt. Nein, man hatte von Anfang an lediglich im Sinne, Geschäfte zu machen, von den Eingeborenen möglichst billig Pelze einzuhandeln und sie in London so teuer wie möglich zu verkaufen.

Wenn die Gentlemen-Abenteurer mit irgend etwas abenteuerten, so höchstens mit ihrem Gelde. Die Art aber, in der sie es taten, läßt es einem zweifelhaft erscheinen, ob ihnen auch das zweite Prädikat der »Gentlemen« zukommt. Ein Teil des gezeichneten Aktienkapitals der Hudson's Bay Company wurde nicht voll eingezahlt, und da die Aktionärliste mit Herzögen und Fürsten beginnt und über Ritter und einfache Adlige mit einem Bürgerlichen endet, mit John Portman, Bürger und Goldschmied von London, so kann man wohl mit Recht annehmen, daß dieser »Bürger und Goldschmied« seinen Anteil bestimmt voll einzahlte und daß die hohe Ehre, mit Earls und Lords auf einer Liste zu stehen, ihm noch ein wenig mehr kostete.

So abenteuerte der hochfürstliche Teil der Gentlemen-Abenteurer nicht einmal mit seinem Gelde. Er hatte es auch nicht nötig, da er etwas Besseres in die Gesellschaft einbrachte: seine Beziehungen zum König. Der war gleichfalls einem guten Geschäft nicht abgeneigt, und obwohl in der königlichen Charter nichts davon stand, so war es doch selbstverständlich, daß der Monarch ein entsprechendes Aktienpaket und seinen Anteil an der Dividende erhielt. Dafür brauchte sich die Kompanie nicht um Schiffe für ihre ersten Handelsfahrten zu sorgen. Diese wurden ihr kostenlos von der britischen Admiralität gestellt.

Die so glanzvolle und ruhmreiche Gründung der Hudson's Bay Company entpuppt sich, näher besehen, als ein typisches Spekulationsgeschäft mit Hilfe einer korrupten Regierung. Es war etwas Ähnliches wie der berüchtigte »Teapot-dome-Skandal« in Amerika, bei dem mit Hilfe eines bestochenen Senators und wie viele glauben, auch eines bestochenen Präsidenten, reiche Ölfelder, die als Ölreserven der USA-Marine für den Kriegsfall zurückgestellt waren, einer privaten Gesellschaft zur Ausbeutung überlassen wurden.

Auch die Art und Weise, wie die Gentlemen-Abenteurer Radisson behandelten, den Entdecker des Landweges zur Hudsonbucht, dem allein sie ihre reichen Einkünfte verdankten, war nicht gerade gentlemanlike. Sie setzten ihn, nachdem seine Arbeit getan, auf ein geringes Gehalt und verweigerten ihm jeden Anteil an den Einnahmen. Das Ende war, daß der Mann, der der eigentliche Gründer der Hudson's Bay Company, ja, des britischen Pelzhandels überhaupt ist, sich als alter Mann vergeblich um die Stelle eines Magazinverwalters bei der Großen Kompanie bewarb.

Freilich war Radisson selber bei all seiner unerhörten Energie und Kühnheit charakterlich eine höchst zweifelhafte Erscheinung. Als Franzose wechselt er zu den Engländern hinüber, kehrt in französische Dienste zurück und geht dann wieder auf die englische Seite. Dauernd verrät er die einen an die andern.

Aber schließlich entsprach das nur dem Zeitgeist. Volk und Nation in unserem Sinne gab es damals nicht. Man war viel kosmopolitischer als in der heute zu Ende gehenden liberalen Ära des 19. Jahrhunderts. Es war in keiner Weise unehrenhaft, selbst seinen Degen dem zu verkaufen, der einen am besten bezahlte. Es ist nur einem Zufall oder der geschäftlichen Kurzsichtigkeit des britischen Hofes zuzuschreiben, daß der Genuese Kolumbus die Neue Welt für Spanien entdeckte, statt für Großbritannien. Was die Korruptheit des Hofes anbetraf, so stand es bei den Stuarts nicht schlimmer als sonst irgendwo in Europa.

Das Erstaunliche ist nur, daß eine Handelsgesellschaft, die aus solchen Verhältnissen und Zeitumständen entsprang, sich im Verlauf ihrer jahrhundertelangen Entwicklung zu einem Muster von Ehrenhaftigkeit und Zuverlässigkeit entwickelte. Von manchen Historikern ist der Dienst in der Kompanie geradezu eine Religion genannt worden. Mit Recht, es gehört eine wahrhaft religiöse Hingabe dazu, um im Dienst eines geschäftlichen Unternehmens ein derart entbehrungsreiches Leben auf sich zu nehmen, eine solche Fülle von Mühsal und Gefahr, Anstrengungen, Hunger und Kälte. Die Angestellten der Kompanie, die Clerks, Faktoren und Trader waren alles andere als glänzend bezahlt, unermeßliche Werte gingen fast unkontrolliert durch ihre Hände, die Angestelltenschaft der Kompanie aber wurde eine der saubersten, die es je gegeben hat.

Seitdem ich hier an der Hudsonbucht bin, komme ich aus dem Staunen und der Verwunderung nicht heraus, daß es Menschen geben konnte, die den Mut fanden, sich an solch unwirtlicher Küste niederzulassen. Ich war in Mexiko und Peru, in den Ländern der spanischen Konquistadoren. Ich bin den Weg nachgezogen, den die amerikanischen Settler durch die Prärie nahmen, die Buren durch das südafrikanische Veldt, ich bin an den öden Küsten Südaustraliens gewandert, an denen eine Schiffsladung Auswanderer ausgesetzt wurde, aber ich habe noch kaum irgendwo auf der Welt ein so trostlos ödes und dabei rauhes Land getroffen wie hier an der Hudsonbucht.

Dabei ist jetzt Sommer. Jetzt ist die beste Zeit. In Kürze beginnt der Winter, der hier acht Monate dauert, ein Winter voll eisiger Stürme. Den Winter verbrachten die Angestellten der Kompanie in ihren kleinen Forts, in dürftigen Blockhäusern. Dabei gab es fast ständig Krieg, weniger mit den Indianern als mit den Franzosen, die immer wieder die Forts und Posten der Kompanie angriffen.

Mit den Indianern hatte es die Hudson's Bay Company von Anfang an verstanden, sich gutzustellen und sie richtig zu behandeln. Es ist dies um so erstaunlicher, als die Angelsachsen, im Gegensatz zu den Franzosen, sonst überall in Amerika in ständiger Fehde mit den Rothäuten lagen, die erst mit der fast völligen Ausrottung der letzteren endete. Nach dem Ende der französischen Herrschaft in Kanada, die eine ununterbrochene Drohung für die Hudson's Bay Company war, wurde diese erst wahrhaft zur unumschränkten Herrin in dem ganzen riesigen Gebiete, das sich von der Hudsonbucht bis an den Arktischen Ozean erstreckt. Gouverneur und Komitee der Kompanie wurden tatsächlich die »Herrn der Seen und Wälder«, und jeder einzelne Faktor und Händler auf seinem einsamen Posten wurde es; denn hinter ihm stand die grenzenlose Macht der Kompanie. Es ist der größte Ruhmestitel der Gesellschaft, daß sie diese Macht nie mißbrauchte. Die drei Buchstaben H. B. C., die weißleuchtend auf dem roten Tuch der Kompanieflagge stehen, wurden zu einem Symbol für Ehrenhaftigkeit und Zuverlässigkeit durch ganz Nordamerika.

»Here Before Christ – Hier Vor Christus«, das heißt, die Kompanie steht über jeglicher göttlichen und weltlichen Autorität, so wurden die Initialen H. B. C. von böswilligen Kritikern gedeutet. Es ist etwas wahres daran, für die Angestellten der Kompanie stand sie wirklich an erster Stelle. Es war tatsächlich ein religiöser Dienst, der Dienst an der Hudson's Bay Company. Das gleiche galt für die Indianer, die zu einem großen Teil der Gesellschaft treu blieben, auch als deren Monopol gebrochen und andere Händler ihnen mehr für ihre Pelze boten. So hat die historische Legende im Grunde doch recht; denn es war tatsächlich ein Geschlecht von Gentlemen-Abenteurern, das im Dienste der drei Buchstaben H. B. C. erwuchs.


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