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40. König, Kirche und Kompanie

Ponds Inlet (Baffinland).

Der Händler der Hudson's Bay Company hatte genau wie der Bischof den Vorstoß nach Devon- und Ellesmereland gewissermaßen nur als »Passagier« mitgemacht, genau wie wir. Nördlich des 74. Breitengrades gibt es weder Handelsposten noch Missionsstationen, da hier die Eingeborenen fehlen, die man missionieren oder die Füchse jagen könnten, um mit deren Pelzen gewinnbringende Geschäfte zu machen.

Ponds Inlet

Aber als wir nach Baffinland kamen, traten die drei Mächte, die sich in die Herrschaft über die kanadische Arktis teilen, wieder voll in Tätigkeit. Die erste Station, die wir anliefen, war Ponds Inlet. Es liegt an der Nordküste der Insel an einem schmalen Kanal, der es von Bylot Island trennt. Diese Insel, die lediglich von Füchsen und Lemmingen bewohnt wird, besteht aus einer grandiosen Komposition von Felsklippen und Gletschern, die jeden begeistern muß, der nicht gerade wie wir eben aus der nördlichsten Arktis herunterkommt.

So interessierten wir uns mehr für die Vorbereitungen unserer »Großmächte« zum Empfang ihrer Vertreter an Bord. Ponds Inlet ist arktische Großstadt. Staat, Kompanie wie Kirche haben demnach hier ihre Vertreter. Letztere sogar zwei; denn wie auf Southampton Island gibt es hier eine protestantische und eine katholische Mission.

Die Konstabler der Mounted Police erschienen in Uniform, die sie sonst an Bord nie trugen, und der Inspektor klirrte mit Sporen, die er nie anzulegen versäumt, wenn er an Land geht, obgleich es doch nur Hunde gibt, auf denen er reiten könnte. Der Major aber zieht sich, wie gewöhnlich, würdevoll in seine Kabine zurück, um dort die Meldung des Detachementführers entgegenzunehmen.

So eindrucksvoll diese Meldung jedoch auch inszeniert ist, so verblaßt sie diesmal völlig neben dem Empfang, der dem Bischof zuteil wurde. Die Vertreter der »Großmächte« kamen in drei Booten an. Das erste Boot, ein Segelkutter mit Motor, gehörte der Kompanie, dahinter kam in einer eleganten Motorjacht die Polizei, und ganz zum Schluß in einem kleinen, bescheidenen Ruderboot die protestantische Kirche. Die katholische verfügte nicht einmal über ein solches. Deren Vertreter war jedoch in den Kutter der Kompanie gestiegen und kam so als erster an. In der hohen Dünung tanzte das kleine Schiff, als würde es jeden Augenblick umschlagen. Der Pfarrer aber, eine schlanke Erscheinung mit schlohweißem Haar, stand vor dem Mast wie ein Jüngling, der auf Abenteuer in See sticht. Er sah so strahlend zum Dampfer herüber wie ein Bräutigam, der seine Braut erwartet.

Als der Kutter an der Gangway anlegte, drohte der Mast an der Schiffswand zu zerschmettern. Der junge Geistliche im weißen Haar fing den Stoß auf und schwang sich dann trotz seiner langen Soutane geschickt wie ein trainierter Leichtathlet von dem schwankenden Boot auf die Gangway, stürmte wie ein Jüngling die Treppe hinauf, beugte mit wahrhaft ritterlicher Geste ein Knie vor dem Bischof, der in vollem Ornat vor ihm stand, und küßte inbrünstig seinen Ring.

Als wir später die Mission an Land besuchten, wirkten Bischof wie Pfarrer allerdings weit weniger imposant. Wir trafen beide am Herd der Wohnküche beim Abendessen. Die Kirchen der Arktis müssen alles in einem sein: Gotteshaus, Sakristei und Wohnung für Pfarrer und Vikar nebst Vorratshaus. Das alles gruppiert sich um den einen Herd, der gleichzeitig als Ofen dient und das Ganze erwärmen muß. Kohle ist teuer in der Arktis. So eng das alles beieinanderliegt, so geschickt ist es angeordnet. Der Altar ist hinter Holzflügeln versteckt. Klappt man sie zurück, so ist die Wohn- und Schlafküche rasch in eine Kirche verwandelt.

Man mag über den Wert der Mission verschiedener Ansicht sein, über den Wert der Missionare jedoch kaum. Ich wenigstens habe sie in allen Breiten als hervorragende, ungewöhnlich weitblickende Menschen kennengelernt, die nicht nur im allgemeinen mehr von den Sitten und Gebräuchen wie von der Psyche der Eingeborenen wissen als irgendein anderer Weißer, sondern die gewöhnlich auch ein erstaunlich weitherziges Verstehen für die ursprünglichen religiösen Vorstellungen der Menschen haben, die sie zum Christentum bekehren.

Der Bischof wie der Pfarrer bildeten keine Ausnahme. Beide verstanden mehr von den Eskimos als die meisten Polarforscher und sprachen mit Bewunderung von der seelischen Anpassung der Eskimos an die eisige Welt, in der sie zu leben gezwungen sind. Sie gehörten auch nicht zu denen, die den Erfolg der Mission nach der Zahl der Taufen werten. Sie gaben ohne weiteres zu, daß ein getaufter Eskimo, selbst wenn er regelmäßig zur Kirche geht, noch lange kein Christ ist, sondern daß in ihm der alte Geisterglaube weiterlebt und vermutlich noch generationenlang weiterleben wird, genau wie sich der ursprüngliche Götterglaube der Germanen in christlicher Verkleidung bis ins späte Mittelalter, ja, teilweise in seinen Ausläufern bis in unsere Tage erhalten hat.

Vielleicht gibt es kein Bekehrungswerk, das so schwierig ist wie das in der Arktis, nicht nur wegen der ungewöhnlichen körperlichen Anforderungen, die hier an den Missionar gestellt werden, sondern vor allem auch, weil er seinen Schäfchen in die Eiswildnis nachziehen muß, wenn er sie erreichen will.

Eskimos sind Nomaden, die Kirchen in der Arktis sind solche mit Ebbe und Flut. Die Gotteshäuser in den arktischen Stationen können auf Zuspruch nur rechnen, wenn die Eingeborenen dort gerade zusammenströmen, um ihre Pelze einzutauschen. Sonst heißt es, ihnen auf den Jagdzügen folgen.

In Ponds Inlet ist gerade Ebbe. Die meisten Eskimos sind auf der Karibujagd. Wenn diese beendet ist, beziehen sie Winterquartier. Dann zieht auch der Pfarrer dorthin und baut sein Iglu, seine Schneehütte, wie jeder Eskimo. Die seine ist lediglich ein wenig geräumiger, und sie trägt über dem Eingangstunnel, durch den man auf allen Vieren kriechen muß, ein Kreuz; denn sie dient gleichzeitig als Kirche, und jeden Morgen wird in diesem Schneehaus die heilige Messe gelesen.

Das Iglu des Pfarrers

Von den drei Mächten, die die kanadische Arktis beherrschen, bemüht sich die Kirche jedenfalls am meisten um die Eskimos. Die Hudson's Bay Company läßt, der Überlieferung getreu, die Eingeborenen an sich herankommen. Sie kann sich das auch leisten, da deren materielle Wohlfahrt von ihr abhängt. In schlechten Jagdjahren müßten sie verhungern, wenn die Kompanie ihnen nicht Kredit gäbe, und im Grunde herrschen heute in der Arktis die gleichen Zustände wie vor zweihundert Jahren an der Hudsonbucht: es ist die Große Kompanie, die regiert.

Der Bischof hat einen ganzen Posten Bilder zur Verteilung mit an Land genommen, und zwar Bilder der Jungfrau von Orleans. Der Bischof ist Franzose, wie alle katholischen Missionare der Arktis, und die Jungfrau ist die französische Nationalheilige, aber was ausgerechnet die Eskimos mit dem Bild eines in Eisen gekleideten und schwertgegürteten Mädchens, das als Heilige zu verehren ist, anfangen sollen, ist mir ein wenig schleierhaft.

Ich hatte den ketzerischen Eindruck, daß die Freude der Eskimos über das Bild der Jeanne d'Arc ebenso groß war wie die der Mounted Police über das Bildnis König Georgs, das der Polizeiinspektor jedem Posten überbrachte.

Der Händler der Kompanie hat keine Bilder mitgebracht, sondern lediglich ein großes Rechnungsbuch, hinter dem er sich mit dem Postmanager zurückzieht, bis der Dampfer wieder abfährt. Die Hudson's Bay Company kann es sich leisten, auf Bilder und sonstigen Pomp zu verzichten, zumal in Ponds Inlet, wie gesagt, gerade Ebbe an Eingeborenen war, so daß sich der ganze Aufzug der staatlichen und kirchlichen Macht vor noch keinem Dutzend Frauen und Kindern vollzog.


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