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32. Landung auf Ellesmereland

Craig (Ellesmereland).

Als die vier Mann des Polizeidetachements an Bord waren, schien im ersten Augenblick alles gut. Aber an unserer Gesamtlage war nicht viel verändert. Noch immer saßen der dritte Polizist und die Eskimofrau in Craig, und noch immer war kein Gedanke daran, die für den Posten bestimmten Kisten und Säcke an Land zu bringen. Ohne neue Brennstoffvorräte und Lebensmittel aber war er nicht zu halten. Noch immer stand der Wind auf die Bucht zu und preßte das Eis in ihr zusammen, so daß weder die »Nascopie« durchbrechen konnte, noch das Ufer mit Booten erreichbar war. Es blieb nichts anderes übrig, als weiter zu warten.

Eines Morgens aber hörten wir in unserer Kabine die Ankerkette rasseln und den Maschinentelegraphen klirren, dessen Leitung unter der Decke unserer Kabine entlangzieht. Wir kamen gerade noch rechtzeitig an Deck, um zu sehen, wie unser Schiff auf die Eisbarriere zufuhr. Wie ein Kampfstier ging es das Eis an, langsam erst, aber voll verhaltener Kraft!

Unbeweglich weiß und höhnisch lag das Eisfeld vor uns. Wir standen am Bug, hielten uns mit beiden Händen fest und warteten voll atemloser Spannung auf den Zusammenprall. Jetzt war der Bug des Eisbrechers nur noch wenige Meter von seinem Gegner entfernt, jetzt nur noch einen, und im nächsten Augenblick krachte er gegen die eisige Masse.

Das Schiff erzitterte in allen Fugen wie ein lebendes Wesen. Eine Sekunde lang schien das Eis stärker, aber dann schob sich der gekrümmte Bug die glitzernde starre Fläche hinauf. Das ganze Schiff hob sich, und es sah aus, als würde es auf dem Eise umkippen.

Wir standen am Bug und hielten den Atem an

Wir umklammerten die Reling und hielten den Atem an. Der Kampf zwischen Eis und Eisbrecher glich dem zweier vorsintflutlicher Ungeheuer, beide gleich stark, beide gleich unüberwindlich. Aber dann gab das Eis nach. Unter dem ungeheuren Gewicht des Schiffes und dem gewaltigen Druck der Maschine brach es. Unter krachendem Tosen barst es auseinander. Riesige Schollen bäumten sich beiderseits des Buges auf wie in ohnmächtiger Wut. Mit unwiderstehlicher Kraft fraß sich die »Nascopie« ihren Weg durch das Eis. –

Die erste Barriere war überwunden

Die erste Barriere war überwunden. Langsam glitten wir zwischen treibenden Schollen vorwärts.

Vor uns lag die zweite Eisbarriere. Sie reichte bis unmittelbar an die Küste. Durch sie kam selbst die »Nascopie« nicht hindurch, vor allem weil hier das Wasser zu seicht war. Wieder rasselte die Ankerkette, und gleichzeitig wurde eins der großen, schweren und dabei flachen Motorboote zu Wasser gelassen.

Die Hunde, die wir von Dundas mitgenommen hatten und die in Craig bleiben sollten, wurden mit erheblichen Schwierigkeiten die Gangway hinuntergetrieben. Dann folgten die Eskimos, und zum Schluß schickte sich der Inspektor an, mit seinen Polizisten ins Boot zu steigen, um diesen ersten Durchbruchsversuch durch die Barriere des Küsteneises zu leiten. Zwischen Hunden, Eskimos und Polizisten blieb gerade noch ein Plätzchen für uns drei.

Vorne am Bug standen zwei Matrosen mit langen Bootshaken, um die Eisschollen auseinander zu schieben. Sie sollten bald in Tätigkeit treten. Aber der zweite Offizier steuerte so geschickt durch die schmalen Wasserrinnen hindurch, daß ein leichtes Stemmen gegen die im Wege schwimmenden Eisbrocken genügte, die Straße frei zu bekommen.

Sie wurde jedoch schmäler und schmäler. Immer kräftiger mußten sich die beiden Männer in die Stangen legen, und schließlich gab es einen Ruck – wir staken fest.

Hunde, Eskimos und Polizisten fielen übereinander und wir mitten darunter. Aber schon sprangen die Männer aufs Eis, als erster Korporal Stallworthy und Nookapinguaq. Wir andern folgten. Alles griff zu Bootshaken und Stangen und versuchte, das Eis auseinanderzustemmen.

Alles griff zum Bootshaken

Frischer Schnee lag auf dem Eisfeld, in dem sich deutlich die Spuren eines alten und eines jungen Polarbären abzeichneten. Wir hatten keine Zeit, darauf zu achten. Noch waren wir nicht durch. Für den Notfall hatten wir zwar ein Schlittenboot im Schlepp, aber es kam ja nicht so sehr darauf an, daß wir an Land gelangten, als daß wir eine Straße schufen, durch die die Boote mit der Ladung an die Küste gelangen konnten.

Wir fuhren durch märchenhaftes Eis hindurch, durch einen wahren Feengarten blauen und grünen Eises. Ich hatte keine Muße, darauf zu achten. Alle Spannung und alle Kraft war darauf gerichtet, den Weg durchs Eis zu brechen.

Es war wunderbar, wie diese Männer, die alle den Norden seit Jahren kannten, sich in die Hände arbeiteten, ohne daß ein Kommando fiel, ja, kaum, daß ein Wort gewechselt wurde. Fabelhaft waren die Eskimos, die gar nicht wie sonst Eingeborene sich von der Arbeit zu drücken suchten, sondern ihren Ehrgeiz darein setzten, überall die ersten zu sein.

So wurde es geschafft. Schließlich hielten wir an der letzten Eisscholle, die eine feste Brücke zur Küste bildete und sprangen an Land.

Landung auf Ellesmereland

Vor uns lag die Station: ein Haus, ein Schuppen und ein Zelt. Alle drei klein, grau und unscheinbar. An der Tür des Hauses lehnte ein Mann, der dritte Polizist. Er hatte dort schon die ganze Zeit gestanden, während wir uns durch das Eis vorwärts arbeiteten, als ginge ihn das alles gar nichts an. Jetzt kam er unentschlossen auf uns zu, halb scheu, halb unwillig. Er war barhaupt, aber sein langes Haar hing ihm so dicht und wirr um den Kopf, daß es aussah, als stecke er in dem gleichen zottigen Pelz, der seinen übrigen Körper bedeckte.

Das Gesicht des Korporals war undurchdringlich gewesen, als er aufs Schiff kam; es war nichts als letzte, gesammelte und abweisende Energie. In dem Antlitz des dritten Polizisten aber stand in dem Augenblick, in dem er uns entgegentrat all das, was die drei Männer in den vergangenen Jahren durchgemacht hatten an Einsamkeit, Entbehrung und leiblicher wie seelischer Not.

Auch der dritte Polizist war ein Hüne, nicht ganz so groß wie der Korporal, aber mit Pranken wie ein Bär. Als der Inspektor ihn begrüßte, lachte er. Es war ein Lachen, das einem durch und durch ging.


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