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VII. Jenseits der äußersten Grenze

29. Es wird Ernst mit der Arktis

An Bord der »Nascopie« im Jonessund.

Wir hatten Glück in Dundas Harbour. Das Wetter blieb gut und die Bucht fast eisfrei. Es gab keinerlei Schwierigkeiten, auch die letzten Vorräte des Detachements von der Devoninsel zu laden.

Das war keine Kleinigkeit. Die Mounted Police hatte für alle Fälle hier Vorräte gestapelt, die für Jahre reichten. Ungezählte Säcke Kohle mußten an Bord geschleppt werden, ebenso viele Kisten mit Konserven und anderen Lebensmitteln. Dann kam erst die ganze Jagd- und Polausrüstung, die Einrichtung des Hauses, Möbel, Öfen, Instrumente. Schließlich auch etliche Tausend Kilo Walroß- und Seehundfleisch, als Futter für die Schlittenhunde, die auch an Bord kamen, mitsamt den dazugehörigen Eskimos, einschließlich des zwei Monate alten Babys. Als letztes wurden die Hunde an Bord genommen. Es war lange nach Mitternacht, aber noch so hell, daß man bequem im Freien lesen konnte.

Vor der Eisbarriere von Craig

Eine ganz eigenartige Stimmung lag über Land und Meer. Die Felsen waren wie eine Kohlezeichnung auf den blauen Himmel geworfen, der einer gespannten Leinwand glich. Nach unten zu wurde die Leinwand schwarzblau, und die Berge spiegelten sich in ihr in hellen Linien. Der große Gletscher aber war wie ein langgestrecktes, schlankes, schneeweißes Fabeltier, das glatt und lautlos ins Wasser glitt.

Eine ganz eigenartige Stimmung lag über Land und Meer

Man selbst fühlte sich in dieses seltsame Landschaftsgemälde hineinverwoben wie ein zweidimensionales Wesen. Vielleicht rührte das Gefühl auch daher, daß wir uns nur in einer Richtung hin und her bewegen konnten, auf dem schmalen Raum, der an Deck zwischen Booten, Kajaks und Schlitten noch frei blieb. Zwischen zwei Reihen Polarhunden, die an der Reling wie an der Ladeluke angebunden waren, schritten wir auf und ab, hin und her. Es war viel zu schön und seltsam, sich schlafen zu legen. Die Landschaft hielt einen fest, man konnte einfach nicht unter Deck gehen.

Schließlich gingen wir doch. Es war uns, als würden wir aus der geheimnisvollen Landschaft herausgeschnitten, und als wir uns in unserer Kabine hinlegten, in der Ralph seit langem fest schlief, war alles wieder ganz wirklich und alltäglich. Wir fuhren der letzten Etappe unserer Reise zu, und in uns war fast ein leises Bedauern, daß alles so einfach und harmlos ablief. War das die gefährliche Arktis? – Die »Nascopie« hatte für ein volles Jahr Verpflegung an Bord. Der Notfall der Überwinterung im Eise war also immerhin vorgesehen. Schließlich hatte man uns auch keinen Zweifel daran gelassen, daß eine Fahrt bis in den Smithsund hinauf, die enge Meeresstraße, die zwischen dem nördlichen Grönland und Ellesmere auf den Pol zuführt, immer ein Risiko einschließt. Zum ersten Male hatten wir denn auch Anordnungen für den Fall getroffen, daß wir nicht zurückkommen sollten, was wir nicht einmal vor unserer Australiendurchquerung getan hatten, die im Grunde ein viel größeres Wagnis war. Aber schließlich war es auch das erstemal, daß wir ein Kind zurückgelassen. –

Am andern Morgen sah es freilich bereits ganz anders aus. Wir fuhren an der Ostküste von Devon- und Philpots-Island entlang. Waren bisher zwischen den Gletschern doch noch immer braune, graue und schwarze Felsen gewesen und geschützte Buchten, in denen wenigstens ein bißchen Moos und Flechten wuchs, so war hier nur noch Schnee und Eis. Eine einzige Kette blendendweißer Hänge und Hügel zog sich den Horizont entlang, ebenso großartig wie bedrückend in ihrer totenhaften Starre.

Noch stärker wurde der Eindruck, als wir mit sinkender Sonne Kap Fitzroy rundeten und in Lady-Ann-Straße einbogen. Jetzt tauchte zu unserer Rechten Coburg Island auf, das wie Thron und Feste des Eiskönigs selber wirkte. Eis und festgefrorener Schnee türmten sich zu einer weißschimmernden Gralsburg. Ein einziger dunkler Punkt in dem untadeligen Weiß der eisigen Coburgfeste, ein schwarzer Konus, ganz ähnlich dem, auf dem wir vor kurzem noch auf der Devoninsel standen, erhob sich an der äußersten Ostspitze der Insel. Er war nur noch eindrucksvoller, da sich der untadelige Kegel unmittelbar am Strande erhob. Vor ihm, aus dem Wasser heraus, ragte ein kleiner Fels, wie ein Junges, das der große geworfen. Kein Pharao und kein Timurlan hätte sich ein auch nur halbwegs so eindrucksvolles Denkmal setzen können wie dieses natürliche Monument, das die Einfahrt in den Jonessund bewacht.

Als wir jetzt aus der Lady-Ann-Straße in den Sund einfuhren, lag die letzte Abendsonne auf den Gipfeln der Nordküste der Devoninsel. Ihr Licht konnte das tote, unendliche Weiß kaum erwärmen. Es war das hinreißendste, herrlichste Skigelände, das ich in meinem Leben gesehen habe. Nicht in den Alpen, nicht auf den Gletschern Neuseelands gibt es derartige Abfahrten. Aber trotzdem überwog der erschreckende Eindruck grenzenloser und überwältigender Einsamkeit.

Es hatte heute früh so ausgesehen, als ob wir noch gegen Abend den Craighafen an der Südküste von Ellesmere erreichen würden. Aber wie wir jetzt weiter in den Sund einfuhren, frischte der Wind auf, und im Handumdrehen war es ein regelrechter Sturm, gegen den die »Nascopie« schwer ankämpfte.

Sturm auf dem Meer ist uns von so vielen Seefahrten her wahrhaftig vertraut. Wir hatten Stürme in der Biscaya erlebt wie am Kap der Guten Hoffnung, in der Tasmanischen See, wie im Gelben Meer. Dies war der erste Sturm im arktischen Meer, den wir mitmachten, und er hatte etwas Neuartiges und wahrhaft Erschreckendes an sich. Die weißen Berge rechts und links des Sundes wuchsen mit dem schneesatten Himmel über uns zu einem Leichentuch zusammen, das sich langsam auf das Schiff herabsenkte und es mit seiner Todesstarre zu erdrücken drohte. Die aufgewühlten Wasser aber stürzten sich schwarz und gichtig wie Rudel hungriger Wölfe dem Schiff entgegen.

In das Heulen des Windes, in das Stöhnen der schwer arbeitenden Maschine, in das Knurren des in allen Fugen erzitternden Schiffes mischte sich das Winseln der Hunde. Sie waren auf dem Vorschiff festgebunden. Die eiskalten Brecher gingen über sie, und sie schrien wie Kinder in Todesnot. Seelen im Fegefeuer mögen so winselnd und klagend aufheulen.

In der Messe saßen wir warm und hell beieinander, und diese Wärme und Helle machte die tobende Eishölle draußen noch unheimlicher. Von dem ungestörten Funktionieren der Maschine hängt es ab, daß es warm und hell bleibt. Auf einer der letzten arktischen Expeditionen der kanadischen Regierung war es gewesen, daß die überkommenden Brecher in den Maschinenraum geschlagen und die Feuer unter den Kesseln gelöscht hatten.

Der Craighafen lag nicht weit von uns. Allein es war kein Gedanke daran, ihn bei diesem Sturm anzulaufen. Der Hafen heißt nur Craighafen, in Wirklichkeit ist die Bucht viel zu seicht und in der Regel auch zu vereist, als daß der Dampfer sie anlaufen könnte. Wir müssen auf der offenen Reede ankern, nur sehr dürftig durch Smith Island geschützt, das sich gegenüber der Bucht erhebt. Der Kapitän kann nichts anderes tun, als sein Schiff draußen im Sund gegen den Wind zu halten und darauf zu hoffen, daß sich das Wetter bessert.

War es nicht erst gestern Abend, daß wir uns heimlich darüber beklagten, die Reise verliefe zu harmlos? – Man soll vorsichtig sein mit seinen Wünschen. Wünsche gehen mitunter unheimlich rasch in Erfüllung.


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