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II.
Cousin und der Eklekticismus.

Als Victor Cousin auftrat, herrschte die Philosophie Schelling's in Deutschland; er hatte einige Kenntniss von derselben und erfuhr durch sie eine Beeinflussung, die besonders in seinen ersten Schriften hervortrat. Unter diesem Einflusse unternahm er, noch sehr jung, die Herausgabe der noch nicht veröffentlichten Werke des Proclus, des letzten Vertreters der neu-platonischen Schule, deren Lehren soviel Uebereinstimmung mit dem deutschen System des absoluten Idealismus zeigen. Der Neu-Platonismus war bestrebt, die Hauptlehren, welche der Geist der Griechen hervorgebracht hatte, zu einem von ihm sogenannten eklektischen System zu vereinigen; Cousin seinerseits gedachte in einem neuen Eklekticismus alles zu verbinden, was an den zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern hervorgebrachten Systemen Wahres sei. Nötig war vor Allem die Kenntnis, welche man von denselben hatte, zu verbessern und zu ergänzen. Cousin gab daher ausser der erwähnten Ausgabe des Proclus und den Commentaren seines Schülers Olympiodorus zu verschiedenen Dialogen Plato's eine vollständige Uebersetzung Plato's heraus, sowie Ausgaben von Descartes, Abälard und mehrerer Schriften M. de Biran's; ferner die Uebersetzung des »Handbuches der Geschichte der Philosophie« von Tennemann u. s. w. Ausserdem verdankt man seiner Anregung und seinen Ratschlägen eine grosse Zahl von Publikationen, welche bestimmt waren, die Geschichte der Wissenschaft an verschiedenen Punkten aufzuhellen und die eins der Hauptverdienste der neuen philosophischen Epoche bleiben werden; z. B.: die Uebersetzung von Reid durch Jouffroy, die mehrerer Schriften von Dugald Stewart durch denselben; diejenige der Geschichte der Moralphilosophie von Mackintosh und des Handbuches der Philosophie von Matthiae durch H. Poret; die des Aristoteles durch Barthélémy Saint-Hilaire, der ausserdem die indische und buddhistische Philosophie zum Gegenstand mehrerer Abhandlungen machte; die Uebersetzungen von Baco und Plotin durch Bouillet, die Spinoza's durch Saisset, die Kant's durch Tissot und Jules Barni; die Geschichte des Cartesianismus durch Bouillier, die der alexandrinischen Schule durch Jules Simon und Vacherot; die Studien von Paul Janet über die Dialektik des Plato, die Werke von Adolphe Franck über die jüdische Kabbala und die Geschichte der Logik; die Bücher von Charles de Rémusat über Anselmus, Abälard und Baco, von Hauréau und Rousselot über die Philosophie des Mittelalters, von Montet und Jourdain über die Philosophie des Thomas v. Aquino, von Nourrisson über die Philosophie des Leibniz und Bossuet, von Chauvet über die Theorien des menschlichen Verstandes im Altertum, von Waddington über die Psychologie des Aristoteles, von Ferraz über die Psychologie des hl. Augustin von E. Charles über Roger Baco u. s. w.; nicht zu vergessen zahlreiche gelehrte Artikel über alle Epochen der Geschichte der Philosophie in dem Wörterbuche der philosophischen Wissenschaften herausgegeben durch A. Franck.

Indes ist Thatsache, dass die Auswahl des Wahrsten und Besten aus jeder Philosophie, die Cousin sich vorgenommen hatte, niemals ausgeführt wurde. Er unternahm es nicht nur, die Philosophie Locke's und aller derer, welche im Anschluss an ihn alle Erkenntnis aus der Empfindung zu erklären versuchten, als Sensualismus zu widerlegen; sondern bei der Mehrzahl der Philosophen von Aristoteles bis Leibniz und Kant hob er vor allem vermeintliche Irrtümer hervor. Wenn er von Kant auch die allgemeinen Grundzüge seiner Theorie der Moral entlehnte, so bekämpfte er ihn doch als einen Skeptiker in fast allen Punkten. Wenn er sich darin gefiel, seine Ideen mit den Principien des Platonismus und Cartesianismus in Zusammenhang zu bringen, so erklärte er dieselben im Sinne des schottischen Empirismus. Bei seinem Unterrichte in der Geschichte der Philosophie ordnete Cousin alle Systeme in 4 Klassen ein: Sensualismus, Idealismus, Mysticismus und Skepticismus: Unter mystischen Systemen, zu welchen vor allem die christliche Theologie gehört, versteht er diejenigen, in denen man eine unmittelbare Verbindung zwischen Gott und den Menschen annimmt. Er hält sie alle für chimärisch. Unter den 4 Klassen, auf welche sich die verschiedenen Systeme zurückführen liessen, schliesst also eine einzige nach seiner Meinung ein Korn Wahrheit ein: der sogenannte Idealismus, mit dem er Plato und Descartes einbegreift; aber, es sei nochmals gesagt, unter der Voraussetzung, dass man sich an die durch Reid und Stewart gezogenen Grenzen nahe halte. Und in dem Masse, als Cousin sich weiter entwickelte, kam er, obwohl immer noch nach seinen Ausdrücken die Fahne des Eklekticismus hochhaltend, mehr und mehr auf ein besonderes System, zu dem die Gedanken der schottischen Philosophen und einige von denen M. de Biran's und Ampère's die Grundlage lieferten, und das man als eine bestechende Entwicklung des Halb-Spiritualismus definieren kann, welchen Royer-Collard anstrebte.

Reid, Stewart und Royer-Collard hatten nicht nur das allgemeine Princip der modernen Wissenschaft angenommen, dass alle Erkenntnis auf die Erfahrung als ihre Quelle zurückweist; sie hatten mit Locke und allen seinen Schülern zugegeben, dass in der Philosophie, wie in den physischen Wissenschaften die Methode in der Beobachtung und Analyse der Erscheinungen bestehe, wozu sie noch die Anwendung der Induktion fügten. In der That fänden wir, was der Sensualismus mit Unrecht leugnete, in uns Principien, welche uns zu einem Fürwahrhalten über das Gesehene hinaus berechtigten, zur Annahme von Ursachen, Substanzen, mit einem Worte von Dingen an sich bei Gelegenheit der sinnlichen Wahrnehmung. Aber was diese Ursachen und Substanzen wären, könne uns allein die Induktion lehren. Cousin nahm diese Ideen an; es gäbe, sagte er, nur eine Methode, die nämlich, deren Princip und Regeln Baco aufgestellt hätte. Nur lasse dieselbe sich auf zwei grosse Klassen gänzlich verschiedener Erscheinungen anwenden: einerseits auf die äusseren physischen und physiologischen Phänomene, welche Baco im Auge hatte, andrerseits auf die inneren Erscheinungen. Die wahre philosophische Methode bestände darin, nach einer Beschreibung und Klassifikation der Phänomene, daraus die Erkenntnis des Wesens der Seele zu schöpfen und sich dann auf dem von Descartes gezeigten Wege bis zu Gott zu erheben. Cousin nannte dies die psychologische Methode. Mit andern Worten: es giebt zwei ganz verschiedene Stufen der Erkenntnis, Vorstellungen und Begriffe. Die Vorstellungen beziehen sich auf die Erscheinungen, die einzigen Gegenstände der Erfahrung, die Begriffe auf die Dinge selbst und auch auf das Wahre, das Schöne und Gute, Raum und Zeit u. s. w. Alles, was über die Erscheinungen hinausgeht, wird uns nur durch eine Art geheimnissvolle und unerklärliche Offenbarung gelehrt, das Werk der Vernunft.

Ein Umstand trug neben dem Einfluss der schottischen Schule hauptsächlich dazu bei, den Begründer des Eklekticismus zu der Unterscheidung der Objekte der unmittelbaren Erkenntnis und derjenigen des reinen Begriffes, in welcher seine ganze Philosophie gipfelt, zu bestimmen: das war die Lehre, welche zur Zeit Royer-Collard's über die Kunst und das Schöne herrschte. Nach dieser Lehre, welche Winkelmann in der eigenartigen Renaissancezeit am Ende des 18. Jahrhunderts ausgesprochen hatte, und die Quatremère de Quincy zum System machte, hatte die Kunst die Darstellung der Schönheit nicht in den eigentlich natürlichen und, wie man meinen sollte, wirklichen Formen, sondern im Gegenteil in mit der Wirklichkeit unverträglichen Zügen zur Aufgabe. Die Wirklichkeit ist bestimmt, begrenzt; das Ideale, wie es Winkelmann und de Quincy definierten, war etwas Allgemeines, also Unbestimmtes. Eine Figur von wahrhaft idealer Schönheit sollte durch die Abwesenheit dieser und jener Besonderheiten sich über der wirklichen und individuellen Existenz halten. Das hiess aber die Abstraktionen zu Ehren bringen, diese unvollständigen Vorstellungen, deren Mangelhaftigkeit Aristoteles, Berkeley und Leibniz gezeigt hatten. Die modernen Verfechter des Idealen stützten sich auf die Lehre des Plato, welche derartige Ideen zu den höchsten Mustern der Vollkommenheit machte; sie stützten sich vor allem auf die Beispiele der antiken Kunst, die wiederum der Gegenstand enthusiastischer Bewunderung geworden war, die man aber nur unvollkommen kannte durch Denkmäler, die grösstenteils Epochen des Verfalles angehörten, in denen die Tradition und das Conventionelle die frische Begeisterung ersetzten und in denen demnach in der Regel abstrakte Formeln herrschten. Unterdes wurden die Skulpturen und Reliefs, welche das Parthenon schmückten, zu uns gebracht, und man erkannte jetzt, was die Denkmäler der griechischen Literatur hätten lehren können, dass, wenn auch die griechische Kunst in der Zeit ihres Höhepunkts vielleicht noch nicht so tief als möglich in den Grund des Lebens eingedrungen war, sie doch allen ihren Werken mit der höchsten Schönheit einen verblüffenden Charakter der Wahrheit verliehen hatte. Ein sehr bewunderter und den Theorien de Quincy's, der ihn über die Alten stellte, mehr entsprechender Künstler, Canova wusste doch den Phidias zu schätzen; er erklärte, dass das Studium dieses grossen athenischen Bildhauers einst eine Umwälzung in der Kunst hervorbringen würde. Es hat zum mindesten eine beträchtliche Veränderung in den Ideen hervorgebracht und die Theorie des abstrakten, der Natur entgegengesetzten Ideals um allen Beifall gebracht. Cousin indes blieb bei dieser Lehre, welche ihn in der Jugend verführt hatte. In seiner Dissertation über das Real- und Ideal-Schöne (1818) liest man: »Das Ideale ist beim Schönen wie überall die Negation des Realen«. In den Vorlesungen über das Schöne wird das Ideal-Schöne als eine allgemeine Qualität dargestellt, welche von jeder Besonderheit abstrahiert und unvereinbar ist mit der wirklichen Existenz, und mit einem Worte nicht Sache der Wahrnehmung, sondern des reinen Begriffes ist. Auch bekämpfte Cousin mit de Quincy den Gedanken, dass ein Kunstwerk, welches ein lebendes Wesen darstellt, den Schein des wirklichen Lebens erwecken müsste, ein Gedanke, den indes alle grossen Meister gehabt haben, und den selbst die sokratische und platonische Philosophie, mit der der Eklekticismus Berührung suchte, teilte. »Wie muss man es machen, fragt Sokrates einmal einen Bildhauer, um den wirksamsten Effekt hervorzubringen, nämlich dass die Statuen zu leben scheinen«? und der Bildhauer antwortet: »Man muss sie nach dem Muster des Lebenden bilden.« Pascal äussert im gleichen Sinne: »Anmut und Wahrheit sind erforderlich; aber die Anmut muss ihrerseits aus der Wahrheit entspringen.«

In der That begnügte sich aber Cousin auch für die Schönheit nicht mit dem Begriffe eines allgemeinen und unbestimmten Idealen; mit Reid sah er im Schönen den Ausdruck der moralischen Vollkommenheit, den Ausdruck des Guten. Aber was war nun dieses Gute? Er versuchte nicht, es zu definieren; und überhaupt ist über dieses Uebersinnliche, das nach seiner Theorie die Vernunft uns gelegentlich der einzelnen sinnlichen Wahrnehmungen offenbart, nichts Bestimmtes zu sagen, da man keine Erkenntnis im eigentlichen Sinne, sondern nur einen Begriff (conception, Idee im Sinne Hegels) von demselben hat. Dasselbe gilt vom Guten und Wahren, von der Seele und von Gott. Wir urteilen über Gott auf Grund des Seelenbegriffes, und über die Seele selbst urteilen wir nur nach den Phänomenen, welche in jedem Augenblicke in dem Bewusstsein auftreten. Wie sehr man sich auch auf Induktion berufen möge, wie soll man durch das Bedingte das Absolute, durch das Accidenz die Substanz, durch das Sinnliche das Uebersinnliche verstehen? Sagen, dass die Vernunft uns hinter den Accidenzen die Substanz, jenseits der Wirkungen eine Ursache offenbart, heisst das nicht einfach neben den positiven Thatsachen der Erfahrung ein unbekanntes Etwas einführen, von dem man nichts behaupten kann, als das, was von jenen Thatsachen entlehnt ist? Auf einen allgemeinen oder idealen Menschen sich berufen, um Rechenschaft von der Existenz der Menschen im Einzelnen zu geben, das heisst, wie Aristoteles sagte, einfach das zu Erklärende verdoppeln. Diese an sich selbst undefinierbaren Wesenheiten, von denen man nur sagen kann, dass man gelegentlich bestimmter Thatsachen die Idee derselben denkt, waren sie etwas Anderes als eine Art Reflex dieser Thatsachen in unserem Verstande? Man kann nicht umhin, hier an die Meinung Hume's zu denken, dass die Ideen nichts anderes sind, als schwächere Abbilder der Eindrücke.

Das Princip dieser Ansicht ist in der That die dem sensualistischen Empirismus wesentliche Ueberzeugung, nach der wir eine unmittelbare Erkenntnis nur von Phänomenen haben.

Im Jahre 1834 veröffentlichte Cousin eine Sammlung mehrerer Schriften von Maine de Biran, welche bis dahin Handschriften waren. Indem er bei diesem Anlasse die bis dahin wenig bekannten Gedanken desselben genauer studierte, würdigte er besser als zuvor ihre Genauigkeit und Tiefe, und in der Vorrede, welche er der Sammlung vorausschickte, ist er nahe daran, mit dem Autor der »Neuen Erörterungen über die Beziehungen des Physischen und Geistigen« anzunehmen, dass, da die Wissenschaft des Geistes nicht die blosse Erkenntniss der Erscheinungen, sondern das unmittelbare Bewusstsein ihrer Ursache zur Grundlage hätte, die Methode in derselben nicht die bakonische sein könne. Wenige Jahre später nahm der bedeutendste Schüler Cousin's Théodore Jouffroy anstatt der bis jetzt von ihm vertretenen Lehre eine gerade entgegengesetzte an. Lange Zeit hatte er alle Kräfte eines von Natur spekulativen und eindringenden Geistes daran gewandt, den von seinem Lehrer aufgestellten Plan auszuführen und sorgfältig die von beiden sogenannten psychologischen oder inneren Thatsachen zu sammeln, um später daraus mittelst der Induktion die Lösung der metaphysischen Fragen zu ziehen, hauptsächlich derjenigen, welche sich auf die Existenz der Seele und Gottes beziehen. Indem er ohne Zweifel den geringen Erfolg seines Unternehmens bemerkte und vielleicht auch seinerseits von den Ideen Maine de Biran's beeinflusst wurde, kam er zu dem Zugeständnis, dass der Satz, welcher bis dahin die Grundlage aller seiner Arbeiten gewesen war, mehr als zweifelhaft sei.

In einer Abhandlung »Ueber die Rechtmässigkeit der Unterscheidung von Psychologie und Physiologie«, welche in der Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften verlesen wurde, sagte er in ausdrücklichen Worten, dass der Mensch ein Bewusstsein von etwas mehr als den blossen Erscheinungen hat, dass er in sich selbst das erzeugende Princip derselben erreicht, welches »Ich« heisst; dass die Seele sich als die Ursache aller ihrer Akte und als das Subjekt aller ihrer Bestimmungen fühlt. »Man muss«, fährt er fort, »aus der Psychologie die hergebrachte Behauptung entfernen, dass die Seele uns nur durch ihre Handlungen und Modifikationen bekannt ist.«

Der dem Eklekticismus übrigens fernstehende Autor einer »Abhandlung über die Metaphysik des Aristoteles« (1837-40), in welcher derselbe auseinandersetzt, dass der Schöpfer und Begründer der Wissenschaft des Uebernatürlichen als ihr Princip an Stelle der »Zahl« oder »Idee«, jener nichtssagenden Wesenheiten und zu Realitäten gemachten Abstraktionen, die Intelligenz bezeichnete, welche durch unmittelbare Erfahrung in sich selbst die absolute Realität erfasst, von der alles abhängt, dieser Autor legte in einer Arbeit über die Philosophie der Gegenwart (Revue des Deux mond. 1840) die bedeutende Differenz dar, welche zwischen dem von den Schotten und Cousin aufgestellten Grundsatz und dem Maine de Biran's besteht, welchen damals Cousin nicht mehr zu verwerfen schien, und zu dem sich Jouffroy förmlich bekannt hatte. Er suchte weiter zu zeigen, dass Maine de Biran, indem er unser absolutes Wesen hinter der thätigen Kraft sucht, deren wir uns bewusst sind, selbst noch nicht völlig zu dem inneren Blickpunkte vorgedrungen sei, von dem aus die Seele sich in ihrem Grunde wahrnimmt, welcher ganz Thätigkeit ist, ohne dass es nöthig oder angänglich ist, sich noch weiter eine ruhende Substanz als ihren Träger zu denken. Wie dem auch sei, selbst wenn man da stehen bleiben müsste, wohin Maine de Biran und Jouffroy gekommen waren, so sei dies doch genügend, um den scheinbaren Parallelismus aufzugeben, den man zwischen der Methode der exakten Wissenschaft und der der Philosophie hatte behaupten wollen.

Wenn man in den Naturwissenschaften von den Wirkungen zu den sogenannten Ursachen wie von einem Glied zu einem andern einer ganz gleichartigen Reihe übergeht, so kommt das daher, dass das, was man hier Ursache einer Thatsache nennt, nur die Thatsache selbst ist, welche, von den zufälligen und gleichgültigen Umständen befreit, in grössere Allgemeinheit erhoben wird, nebst den ebenfalls physischen Umständen, mit welchen sie verknüpft ist. In der Psychologie kann man ohne Zweifel bei dem Studium der inneren Erscheinungen in ihren einfachen Beziehungen der Gleichzeitigkeit und der Folge ähnlich vorgehen; aber die wahre erzeugende Ursache der Thatsachen, die sich wie die Seele zum Körper gegen sie verhält, kann man nicht auf diesem Wege erreichen.

Die inneren Erscheinungen ohne Rücksicht auf das Ich betrachten, um dasselbe dann aus ihnen abzuleiten, das heisst eigentlich sie zu äusseren machen, von denen man niemals zum Ich gelangen dürfte. Wie soll man begreifen, sagt Jouffroy, dass ich von Gedanken, die ich hatte, ohne zu wissen, dass ich sie habe, jemals auf mein Ich komme? Die wahre psychologische Methode, die wenigstens, welche zu einer nationalen oder metaphysischen Psychologie führt, scheint also nicht als eine solche definiert werden zu dürfen, welche von den inneren oder Bewusstseinserscheinungen durch Induktion zu ihren Ursachen aufsteigt, sondern als die Methode, in allem, dessen wir uns bewusst sind, und was sich uns als Erscheinung darstellt, das aufzufinden, was von unserer Selbstthätigkeit abhängt, die allein im eigentlichen Sinne innerlich genannt werden kann, und die über den Bedingungen des Raumes und der Zeit stehend in ihrem Wesen transcendent und metaphysisch ist; die wahre psychologische Methode ist die, welche von der Thatsache dieser oder jener Empfindung oder Wahrnehmung durch eine ganz besondere Operation das unterscheidet, was derselben ihren eigenen Charakter als unserer Empfindung und Wahrnehmung verleiht, und das ist unser Ich selbst. Diese Operation ist die Reflexion; »die Reflexion, sagt Farcy in der Vorrede zu seiner anonymen Uebersetzung von Dugald Stewart, welche den Geist auf sich selbst richtet und ihn gewöhnt, sich immer in seiner lebendigen Thätigkeit aufzufassen, statt sich aus den äusseren Wirkungen zu erschliessen«.

Dem Bericht über die Veränderung, welche sich vermutlich unter dem Einfluss der Ideen von Maine de Biran in den Ansichten Jouffroy's vollzogen hätte und auch in den Lehren Cousin's sich vollziehen zu wollen schien, wurde in dem erwähnten Schriftchen hinzugesetzt, dass die Schüler dieser berühmten Meister ihnen zweifellos auf dem betretenen Wege folgen würden.

A. Garnier, wie Jouffroy mit den schottischen Philosophen vertraut, widmete die bedeutendste seiner Schriften den »Fähigkeiten der Seele«. Aufmerksam auf die Unterschiede der studierten Erscheinungen hat er mit Scharfsinn eine grosse Anzahl derselben von einander getrennt; er hat vielleicht in Folge dessen bisweilen äussere Differenzen für wesentliche gehalten und auf einander zurückführbare Erscheinungen als unabhängig betrachtet; auch ist zu bedauern, dass er sich mit den Psychologen schottischer Schule darauf beschränkt, die verschiedenen Arten von Phänomenen, nachdem er sie beschrieben hat, auf ebenso viele ursprüngliche Fähigkeiten zu beziehen, dass er also auf der ersten Stufe der Beobachtungswissenschaft stehen bleibt, bei der Klassifikation. Immerhin sprach Garnier in demselben Werke – seinem letzten – seine Beistimmung zu der Ansicht aus, dass die Seele eine unmittelbare Kenntnis ihrer selbst hat. Hätte er länger gelebt, so würde er ohne Zweifel verstanden haben, die Consequenzen derselben zu ziehen, und vom Gesichtspunkte der Beschreibung zu einem metaphysischen überzugehen. Dasselbe kann man von Saisset sagen, dem wie Jouffroy und Garnier durch einen frühen Tod ein Ziel gesetzt wurde. Charles de Rémusat hat, ohne den methodischen Ansichten der schottischen Philosophen und ihrer französischen Schüler direkt zu widersprechen, in seinen Essais (1842) bemerkt, dass die experimentelle Methode derselben nicht das Höchste wäre, und dass die Philosophie mehr als die Beobachtung und Induktion nötig habe. In seinem späteren Buche über Baco sagt er: »Mit den Methoden des Plato und Aristoteles gelangt man aus der Physik heraus in die Metaphysik, während man mit der bakonischen Induktion an der Grenze der Phänomene Halt machen muss, wofern man nicht in blosse Hirngespinste geraten will.« – A. Franck, Paul Janet, M. Caro haben im wesentlichen die nach Maine de Biran durch Jouffroy verkündete Lehre angenommen. In ihrem Unterrichte und in ihren Schriften bemerkt man Tendenzen, welche, so verschieden sie sind, sie mehr und mehr vom Ausgangspunkte der eklektischen Schule entfernen.

Was den Führer der Schule betrifft, so verharrte er nach einem kurzen Schwanken bei seinen anfänglichen Anschauungen. In seinen Veröffentlichungen seit 1840 und den neuen Ausgaben seiner früheren Schriften findet man allerdings die sonst von ihm so oft wiederholte Nebeneinanderstellung der Methoden der Philosophie und der Naturwissenschaft nicht mehr, aber bis zuletzt hielt er die Ansicht aufrecht, dass wir von uns unmittelbar nur Erscheinungen und kein Wesen kennen. Wie konnte auch diese Voraussetzung aufgegeben werden von einer Philosophie, die ganz auf der Entgegenstellung der unmittelbaren Wahrnehmung (perception) und des Begriffes (conception) oder, um mit Kant zu reden, der Phänomena, der Gegenstände der Erfahrung, und der Noumena, der Gegenstände der Vernunft, aufgebaut ist?

Im Jahre 1840 legte ein Schriftsteller, der bis dahin unbekannt war und in der Zurückgezogenheit einen grossen Schatz von Kenntnissen, besonders mathematischen, gesammelt hatte, zugleich ein vorzüglicher Stilist, Bordas-Dumoulin der Akademie eine beachtenswerte Abhandlung über den Cartesianismus vor, welche preisgekrönt und 1843 veröffentlicht wurde. Der Verfasser derselben liess den ungeheueren Wert der philosophischen, mathematischen und physikalischen Entdeckungen des Descartes glänzend hervortreten. Zugleich zeigte er, wie dieselben grossenteils von der Art abhingen, in welcher der Vater des grossen Gedankens »cogito, ergo sum« das Denken zur Selbstbesinnung auf dem Wege der Reflexion gebracht hätte. Die Schrift von B. erhöhte auf Kosten des Gesetzgebers der Induktion die Verdienste des Erneuerers der Philosophie. Sie war, wie es scheint, nicht ohne Einfluss auf die Veränderung, welche Gedanken und Sprache des Urhebers des modernen Eklekticismus zu gleicher Zeit erfuhren. Seit dem Erscheinen des erwähnten Schriftchens über die »Philosophie der Gegenwart« hörte der Eklekticismus fast ganz auf, sich in Betreff der allgemeinen Frage der Methode auf Baco zu stützen; seit der Veröffentlichung des »Cartesianismus« berief er sich allein auf Descartes.

Aber der von Cousin angerufene Descartes ist nicht derjenige des Bordas-Dumoulin; es ist auch nicht der Urheber der »Geometrie« und der »Dioptrik«, selbst nicht derjenige der »Principia« und der »Meditationen«. In dem Grundsatze, welcher nach der Erklärung des Descartes alle seine Arbeiten beherrschte und den Leibniz annahm, nämlich, dass alle Wahrheiten aus einander folgen müssen, wie diejenigen, mit welchen die Mathematiker sich beschäftigen, sieht Cousin einen verhängnissvollen Irrtum. Der Dämon der Geometrie, sagt er, war der böse Geist des Descartes, Ausdrücke, die sich bei Saisset wiederfinden. Nur dies Princip hielt der Eklekticismus vom Cartesianismus fest, dass die Philosophie mit dem: »Ich denke« anfängt, und von da sich zu Gott erhebt. Aber selbst dies Princip versteht Cousin nicht so wie Descartes. In dem Satze, durch welchen dieser mit einer ganz neuen Einfachheit und Kürze den grossen Gedanken aussprach, dass unser Wesen sich ganz in dem Denken findet und sich selbst besitzt, sah Cousin immer nur die Beobachtung der als einfache Erscheinungen zusammengefassten Thatsachen des Bewusstseins mit dem unbestimmten Begriffe eines unbekannten Trägers derselben. Das ist der Cartesianismus ohne seine Allgemeinheit und Tiefe: ohne die Allgemeinheit, welche ihm die Vorstellung des rationalen Zusammenhanges aller Dinge und der unbegrenzten Tragweite der Vernunft, und ohne die Tiefe, welche ihm der Begriff der Reflexion, die das Absolute der geistigen Natur erfasst, verleihen.

Indem der Eklekticismus fortfuhr, die Unvollkommenheiten und Irrtümer, welche die sensualistischen Systeme einschlossen, und ihre moralischen, socialen und ästhetischen Folgerungen zu entwickeln und im Gegensatz dazu die Schönheit der Ideen und der Gegenstände des Reiches der Vernunft hervorhob, begnügte er sich mehr und mehr, die Methode der Beobachtung und Induktion, die er die psychologische genannt hatte, als die allein dienliche zu verkünden, um in den notwendigen Stufen zu diesem höheren Grade der Erkenntnis aufzusteigen. Von allen Wissenschaften, sowohl physischen als mathematischen zurückgezogen, schloss er sich immer mehr in den Kreis von Spekulationen über die Ordnung der geistigen und sittlichen Thatsachen ein, den er sich einmal gezogen hatte, Spekulationen, die eigentlich mehr logischer als psychologischer Art waren. Nach dem Aufgeben einiger allgemeinen Sätze, mit denen er anfänglich im Anschluss an Schelling und Hegel auf eine pantheistische Kosmologie abzuzielen schien, und dem Verzicht auf jeden Versuch einer Erklärung des Natürlichen, riet Cousin schliesslich in den Gebieten der Philosophie, welche von der Existenz der Seele und Gottes handeln, fast ganz von einem geordneten Schlussverfahren ab und missbilligte die Logik fast wie die Mathematik. Zuletzt beschränkte sich seine Lehre auf Allgemeinheiten, die eine Art Einleitung zu der psychologischen Theorie über den Ursprung der Ideen bildeten; Allgemeinheiten, die immer in Sätzen gipfelten, in welchen man unter Ausdrücken aus dem Wortschatze des Jakobi'schen Halbmysticismus die Betrachtungsweisen Reid's und Stewart's antraf; dass die Erfahrung uns nur Erscheinungen darböte, und dass die Vernunft uns bei diesem Anlasse durch einen eigenartigen Vorgang und wie durch ein unerklärliches Wunder Dinge einer ganz anderen Ordnung offenbare, Gegenstände nicht der Wahrnehmung, sondern des reinen Begriffes. Gleichzeitig hielt sich der Eklekticismus mit einiger pedantischen Trockenheit fern von den Gegenständen des Gemüts und des Herzens, welches doch vielleicht noch mehr seine Offenbarungen hat. Indem er die Harmonie zwischen Philosophie und Religion empfahl und sich den Anschein gab, für dieselbe zu wirken, so war es doch meist die Religion, auf welche die unvorteilhaften Schilderungen, durch die er den Mysticismus charakterisierte, gemünzt zu sein schienen; alles Haltbare in derselben würde nach seiner Meinung in dem Wenigen liegen, was sie von der Vernunft zu erwarten hat, und das Wahre von der Liebe in ihrer Lehre von der Gerechtigkeit. – Nachdem er eine grosse Anzahl auserwählter Geister, sei es durch die immer edle Tendenz seiner sittlichen Theorien, sei es durch die Unterstützung, welche er in der Kunst der in erster Linie nach Schönheit strebenden Schule brachte, gewonnen hatte, befriedigte er am Ende weder die wissenschaftlichen Geister, noch die religiösen Gemüter. Lange glaubte man in den gleichzeitig allgemeinen und bilderreichen Ausdrücken, die er gebrauchte, die Lösung für die Hauptfragen der Philosophie gefunden zu haben, schliesslich bemerkte man, dass dieselben meistens nicht enthielten, was man wissen wollte. Der Eklekticismus hatte viel angekündigt und versprochen, und Dank der Beredtsamkeit ihres Begründers hatte man viel von ihm erwartet; mehr und mehr musste man in dem Philosophen, der so grosse Erwartungen erregt hatte, einen Rhetor erkennen, dem, wie den Rednern überhaupt nach Aristoteles, das Wahrscheinliche in Ermangelung des Wahren genügte. Da, wo man sich für überzeugt gehalten hatte, war man meistens der Verführung der Sprache und des Stiles erlegen. Aus allen diesen und noch anderen Gründen hatte der Eklekticismus in seinen letzten Jahren, obwohl immer noch fast überall im öffentlichen Unterricht herrschend, viel von seinem Credit und Einfluss verloren.


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