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Die Türme der Münchner Frauenkirche, deren abgestumpfte Kuppen etwas an Maßkrüge mit Zinndeckeln erinnern, sind banal im Vergleich mit dem luftigen Bau des Regensburger Domes, und an Höhe werden sie von dem Turm der Landshuter Martinskirche (178 Meter), dem höchsten bayrischen Kirchturm, übertroffen. Das hindert aber nicht, daß sie viel berühmter sind. So geht es auch mit andern Dingen, für die München den Ruhm hat, während sie besser in Augsburg, Nürnberg oder Regensburg sind. München ist die Kunststadt, aber die schönsten Reste älterer Kunstpflege haben jene andern Städte. Von München ist die deutsche Renaissance ausgegangen, deren alte Muster man in jenen andern studieren muß. München erzeugt zwar das meiste, aber nicht immer auch das beste Bier in Bayern. Aber München ist der Sitz der Regierung, die seit einem Jahrhundert planmäßig zentralisiert und dadurch in wenig günstiger Lage eine der schönsten, sehenswertesten und einflußreichsten Hauptstädte Mitteleuropas geschaffen hat. Man sagt, Ludwig der Erste habe das neue München geschaffen; in Wirklichkeit hat er auf dem Kunstgebiet nur fortgesetzt, was die Bureaukratie unter seinem Vater begonnen hatte. Und so hat späterhin die Regierung besonders durch eine wohlüberlegte Verkehrspolitik mächtig zum Aufschwung Münchens beigetragen, während das benachbarte Augsburg gleichzeitig so benachteiligt wurde, daß es nicht bloß viele von seinen wohlhabendern Bewohnern, sondern auch einige seiner Industrien an München verlor.

Aber kommen wir auf Münchens Stellung zu Bayern zurück. Nachdem erst die Regierung, dann die Kunst, dann die Wissenschaft, endlich in den letzten Jahrzehnten die Kunstindustrie mit einigen Industriezweigen und die Fremdenindustrie die fähigsten Köpfe des Landes nach München hingezogen hatten, ist München mehr als ein bayrischer Mittelpunkt geworden. Es ist gegenwärtig die größte Fremdenstadt Deutschlands, und zwar in viel größerm Maße, als es Frankfurt a. M. und Dresden gewesen sind. Allerdings hat München als Fremdenstadt auch vor seinen nächsten Wettbewerberinnen, Wien und Berlin, Vorzüge, die ihm eine Art von Unbesieglichkeit verleihen. Die frische Natur, die Nähe der Alpen und Italiens, die Kunstschätze und Kunstschulen, die Bibliothek, das behaglichere, einfachere und im ganzen noch immer billigere Leben, die Gemütlichkeit der Bevölkerung sind unverwüstliche Vorzüge. Mag auch das eine oder das andre Fach am Theater, in der Musik, in den Künstlerwerkstätten oder auf dem Katheder nicht so gut besetzt, und mögen vor allem die Sammlungen und Institute weniger glänzend ausgestattet sein, das macht gegenüber so großen Vorzügen gar keinen Unterschied mehr. Es ist und bleibt eine sinnige und wohltuende Vereinigung von Genüssen, nach einigen Sommerwochen naturwüchsigen Lebens an einem frischen See oder in einem Gebirgstal durch die Bildersäle des Glaspalastes zu wandern oder eine Mozartsche Oper in dem zierlichen Rokokosaal des Residenztheaters zu hören und in so geschmackvoller Ausstattung zu sehen. München ist besonders auch für die Nichtdeutschen ein Wallfahrtsort ersten Ranges geworden. Für die Franzosen, die seit 1871 langsam gelernt haben, ihre Flüge über Baden-Baden hinaus auszudehnen, sind München und Bayreuth die großen Anziehungspunkte, ebenso wie sie 1890 ein unerwartet großes Kontingent zu den Besuchern des Oberammergauer Passionsspiels gestellt haben. Die englische, die nordamerikanische und vor allem auch die italienische Kolonie sind sehr stark. Vor allem aber übt München eine mächtige Anziehung auf die Deutschen aller Lande. Schweizer und Österreicher akklimatisieren sich hier leichter als irgendwo sonst in Deutschland, wofür besonders die Künstlerschaft beredte Beispiele liefert; Holbein hat seine zweite Heimat in Basel, der Basler Böcklin Heimat und Schule in München gefunden. Die Norddeutschen, die im Anfang über manches die Nasen rümpfen, was sie hier finden, zaudern nicht, sich der Vorteile ihres Aufenthalts bewußt zu werden. Die Südwestdeutschen endlich fühlen sich hier erst recht zuhause. Ich kenne Frankfurter, Stuttgarter, Karlsruher, die jedes Jahr mindestens eine Woche in München zubringen. Tief in Tirol hört man von Bauern und Jägern die Reize des Münchner Oktoberfestes preisen, der größten Vereinigung von Sehenswürdigkeiten und originellen Bierschenken, die man sehen kann, gewürzt durch Wettrennen, Wettschießen, Wettturnen u. dergl., durch Preisverteilung an Landwirte, deren Ausstellung Nebensache geworden ist. Soviel man auch gegen das Überhandnehmen des Biertrinkens und Würstelessens beim Oktoberfest losgezogen ist, man kann nicht leugnen, daß das Fest volkstümlicher geblieben ist als irgendein andres sogenanntes Volksfest im heutigen Deutschland. Es kann und muß veredelt werden, aber hoffentlich bleibt dabei dem bayrischen Volke die harmlose Genußfreude, die »die Wiese« zu einer gemein-bayrischen Angelegenheit gemacht hat. Alle andern Feste der Art werden heutzutage in Deutschland nur vom niedern Volk genossen, auch wo sich ein regierender Fürst herabläßt, eine halbe Stunde dabei zu sein; in München hat sich das Bürgertum noch nicht davon ausgeschlossen. Für die Stämme Bayerns hat dieses Volksfest die Bedeutung einer behaglich-festlichen Vereinigung, von der der Ruhm Münchens in die entlegensten Gaue getragen wird.

Die assimilierende Kraft des bayrischen Stammes, die sich gegen die Deutschen andern Stammes immer stark gezeigt hat, bewährte sich auch in weiterm Felde. Sie gehörte einst zu den politischen Kräften Österreichs. Leider einst! Es ist von einsichtigen Österreichern oft hervorgehoben worden, daß Österreichs deutsche Bevölkerung nur durch die ununterbrochene Aufnahme reichsdeutscher Elemente die Anforderungen erfüllen konnte, die die Führung des Kaiserstaates in Krieg und Frieden an sie stellte. In den Fürstenschlössern Böhmens und in den alten Bürgerhäusern Wiens findet man gleich häufig die Erinnerungen an deutschen Ursprung der Begründer. Besonders die süddeutschen Reichsstädte haben zahlreiche Einwandrer geliefert. Es ist ganz begreiflich, daß man in Österreich selbst der Abnahme des Donauverkehrs nach Wien von Ulm abwärts einen Anteil an dem Rückgang des Wiener Deutschtums zuschreibt. In der österreichischen Armee spürt man den Mangel der einst so zahlreichen reichsdeutschen Offiziere noch empfindlicher; kein österreichischer Stamm ersetzt den Kitt, den sie zwischen den Kameraden verschiedner Nationalität und besonders auch zwischen den »Kavalieren« und Bürgerlichen bildeten. Die Biographie Vinzenz Lachners gibt ein hübsches Beispiel der Einwanderung aus Bayern nach Wien auf dem Donaufloß. Altbayern ist dem Zufluß fränkischer und schwäbischer Elemente seit der Bildung des Königreichs unter der pfälzischen Dynastie weit offen, und seit einem Menschenalter nimmt der Südstrom Norddeutscher immer zu, von dem sich ein starker Arm nach München ergießt. Während es nun dem Altbayern schon in Schwaben und Franken nicht recht gefällt, und gar die Pfalz ihm ganz zuwider ist, fühlen sich die Fremden fast ausnahmlos in Bayern wohl. Es ist eine wichtige politische Tatsache, daß das vor allem von den Schwaben und Franken gilt, die darauf angewiesen sind, mit den Bayern unter einem Zepter zu leben. Ob der heitre Unterfranke oder Pfälzer als Regierungsdirektor oder als »Schandi« (Gendarm) zu den schwerfälligen Altbayern versetzt wird, er ist in kurzer Zeit daheim und vergißt im Bierland seine sonnigen Weingehänge. Bedenkt man die bunte Verschiedenheit der politischen Fetzen, aus denen das bayrische Königreich durch Napoleons Gnaden zusammengeflickt wurde, so ist die Annäherung der drei Hauptstämme überraschend gelungen. München hat dazu sein redliches Teil beigetragen. Welcher Franke oder Schwabe ist nicht einmal in München gewesen und hat die Überzeugung mitgenommen, daß der bayrische Untertan mit einer so glänzenden, jeder Art und Stufe von Genußliebe entgegenkommenden Hauptstadt wohl zufrieden sein könne?


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