Wilhelm Raabe
Stopfkuchen
Wilhelm Raabe

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Um diese Stunde des Tages war in einer so soliden Stadt wie der unsrigen noch niemand in der Schenkstube des Goldenen Arms vorhanden als das Schenkmädchen, die Sommerfliegen, die für den Abend blank gescheuerten Lindenholztische, die Stühle und Bänke, die auswärtigen Zeitungen vom gestrigen Tage nebst dem heutigen »Abendblatt« der städtischen Presse. Wir kamen so früh, daß die Kellnerin ganz verwundert aufschaute, als wir eintraten. Aber es fand sich auch hier, daß man den dicken Schaumann von der roten Schanze ganz gut persönlich kannte, ohne daß er den Fuß von seinem Wall in die große Welt hinaussetzte.

Heinrich wurde natürlich von der jungen Dame mit seinem Namen begrüßt, und indem sich dieselbe nach unsern Befehlen erkundigte, fragte sie höflich auch nach dem Befinden meines Freundes.

»Kind, erst etwas Kühles, dann die warme Anteilnahme. Herz, früher pflegte des dicken Schaumanns wegen immer frisch angestochen zu werden!«

»Und es ist auch diesmal geschehen. Grad als wenn wir Sie erwartet hätten, Herr Schaumann!«

Es kam ein säuberlich Getränke. Stopfkuchen hob den Krug, beäugelte Farbe und Blume, sog, setzte ab, reichte den Humpen geleert hin, kniff wahrhaftig die Mamsell in die Backe, als komme er noch jeden Abend als Stammgast. Dazu nannte er sie dann sein »liebes Mäuschen«. Der Stoff mußte also ganz seinen Beifall haben.

Es wurden zwischen ihm und dem Mädchen noch einige Scherzreden gewechselt, bis er mit einem Male sich wieder zu mir wendete: »Nun aber zu unserm Geschäft, lieber Eduard.«

Das Fräulein verstand den Wink, zog sich in ihren dunklen Winkel hinter dem Schenktische zu ihrem Strickstrumpf zurück und sah nur von Zeit zu Zeit um die Schrankecke nach unsern Bedürfnissen aus. Wir beiden andern am offenen Fenster, mit dem Ellenbogen nach alter Weise auf dem Tische und dem Bierkruge vor uns, hatten hier am Platze Quakatzenburg, das Viertel Sankt Matthäi am letzten, das deutsche Volk und die Welt »so im ganzen« eine genügende Zeit für uns allein.

»So macht es sich ja wirklich ganz behaglich, und jedenfalls viel besser, als wie ich es mir in unnötigerweise überreizter Phantasie manchmal zurechtgerückt habe«, brummte der Freund. »Du glaubst es mir vielleicht nicht, Eduard, aber es ist doch so: ich habe mir manchmal den Kopf darüber zerbrochen, zu welcher Tagesstunde, an welchem Orte und zu wem ich am bequemsten und liebsten von, von – nun von dem Hahn Gockel reden würde. Es macht sich alles, alles doch gewöhnlich leichter, als man es sich unter seinen Beängstigungen einbildet. Diese Stunde gefällt mir ausnehmend, dieser Ort paßt mir ganz, und das Kind da hinter seinem Schenkentisch kann mir auch nur von der allerhöchsten Weltregierung dahingesetzt worden sein.«

»Heinrich?!«

»Eduard? ... Nun bitte ich dich aber dringend, Eduard, daß du dich auch fernerhin als bloßen Chorus in der Tragödie betrachtest. Fahre du dreist morgen wieder ab nach deinem Kaffernlande und singe mir da meinetwegen so viele Begleitstrophen und Begleitgegenstrophen zu der Geschichte, wie du willst: ich für mein Teil denke doch nur: Da habe ich dem guten alten Kerl doch noch eine nette Erinnerung an die alte gemütliche Heimat mit aufs Schiff gegeben.«

Ich konnte nur durch eine matte Handbewegung antworten; Stopfkuchen warf noch einen Blick in die Gasse und einen hinter den Schenktisch und sagte: »Von allen Menschen, so auf Erden um diese grausame und erschreckliche Historie herumwandelten, schnüffelten und sich die Köpfe zerbrachen, hätte von Rechts wegen ich der letzte sein sollen, dem das Vergnügen, sie vor einer gemalten Leinwand und zu einer Drehorgel kundzumachen, aufgehalst werden durfte. Meinst du nicht, Eduard?«

»Aber nein – nein! Du, der Mann und Eroberer der roten Schanze! der Schützer und Trostbringer der armen Valentine, der – Rechtsnachfolger, ja der Rechtsnachfolger des Bauern Quakatz!«

»Ach was! ich meine natürlich dem Charakter und der körperlichen Veranlagung nach, Menschenskind! Ich hatte doch sowohl dem einen wie der anderen nach gar nichts damit zu tun. Was hatte der dicke Schaumann vor und von der roten Schanze mit Kienbaums Morde und Kienbaums Mörder zu schaffen, soweit es auf die juristische Lösung der Frage ankam? Nichts! Gar nichts! Nun, das Schicksal hat's mir so bestimmt, und ich kann denn weiter nichts dagegen machen, als mir wenigstens die Form vorzubehalten oder auszuwählen. Kommt dieselbe der Weltregierung und allerhöchsten Justiz nicht dramatisch effektvoll genug heraus, so ist das nicht meine Schuld. Na, wenn mich Meta da hinter der Anrichte noch nicht ganz versteht, so würde mich ein gewisser Stratforder Poet gewiß schon verstehen und sich auf der Stelle vornehmen, auch aus mir mal was Dramatisches zu machen.«

»Riefen Sie, Herr Schaumann?« fragte es über die Anrichte und um den Gläserschrank herum. »Wünschen Sie etwas?«

»Nein, Herz. Jetzt noch nicht; aber bald. Bleib jedenfalls in der Nähe: wir brauchen dich ganz gewiß noch, und ich kann durchaus nicht ohne dich fertig werden.«

»Ich bin immer hier und höre mit beiden Ohren.«

»Schön. Bist ein gutes Mädchen. Also, lieber Eduard, wir, meine Frau und ich, haben dir vorhin den Tag über unter unsern Bäumen und hinterm Wall des Prinzen Xaver einiges über die letzten Jahre unseres alten Herrn, unseres Vaters Andres, mitgeteilt, und du wirst daraus entnommen haben, daß es unser Bestreben gewesen sein mußte, sie ihm so behaglich wie möglich zu machen. Das ist uns gottlob, soweit es eben möglich war, gelungen. Zu dieser Aufgabe konnte mich die ewige Gerechtigkeit schon eher, sowohl meiner Körper- wie Geisteskonstitution nach, auch mehr nach meinem Geschmack nützlich verwerten. Dagegen hatte ich gar nichts einzuwenden. So gut wie mir selber konnte ich auch einem andern und noch dazu dem Vater meiner Frau, vulgo Schwiegervater, ein Kopfkissen unter den Kopf legen. Das ländliche Geschäft hob ich uns natürlich bald soviel wie möglich vom Nacken. Der Herrgott hatte es wohlwollend so eingerichtet, daß die besten Zuckerrüben der ganzen Gegend auf unserm Grund und Boden wuchsen. So verpachtete ich den größten Teil der Äcker vortrefflich an die nächste Zuckerfabrik und führte auf dem Reste von Tinchens Erbgute persönlich den Pflug nur so weit zu Felde, als das eben zu dem gewohnten Behagen meines Bauernmädchens gehörte. Dein afrikanisches Kolonistenauge wird es dir gezeigt haben, lieber Eduard, daß es heute gar so übel nicht aussieht, sowohl auf der roten Schanze wie um sie her. Ich mache übrigens gar kein Hehl daraus, daß der Schwiegervater, der Bauer Andreas Quakatz, auch abgesehen von seinem Grundbesitz, ein vermöglicher Mann war; daß er Geld hatte, einerlei woher das stammte, ob von Kienbaums Morde oder nicht.«

Es fuhr hastig ein Weiberkopf aus dem Winkel vor.

»Ja, es ist recht, Schatz! komm her und fülle ein. Dem Herrn da auch noch einen Schoppen«, sagte Stopfkuchen. »Er, Eduard, ich meine der alte Andres, wußte nur nichts mit dem Mammon anzufangen, als ihn höchstens den Advokaten in seiner Sache in die Taschen zu stecken. Dabei steckte ich einen Pfahl mit einem Strohwisch und der Inschrift: ›Lasset die Toten ihre Toten begraben. In andern Geschäftsangelegenheiten wende man sich an Heinrich Schaumann, Rentner. Sprechstunden nach Verabredung.‹ Einen Hinweis auf euern Scherznamen ›Stopfkuchen‹ ließ ich aus, denn der verstand sich ja bei jedermann auf Meilen Weges in der Runde von selber, wo es sich um mich und gar noch in meiner jetzigen Verbindung mit der roten Schanze handelte. Bleiben wir bei dem richtigen Herrn derselben. Sie hatten ihm Knochen genug in den Weg geworfen: ich gewann ihn für die Paläontologie. Ich nahm ihn mit auf mein Feld hinaus. Am Stock, auf Krücken, im Rollstuhl nahm ich ihn mit an meine Steinbrüche, Kies- und Mergelgruben und überzeugte sein armes, konfuses Gehirn vollständig, daß diese Knochensuche sehr genau mit der Zuckerraffinerie und also auch mit dem Steigen und Fallen unserer Fabrikaktien zusammenhänge. Hatte ich ihm als dummer Junge durch mein Latein imponiert, so imponierte ich ihm jetzt durch Paläozoologie und Paläophytologie. Tinchen, der ich von Frauenrechts wegen mit meiner Liebhaberei lächerlich vorkommen mußte, wußte sie in dieser Hinsicht aber doch zu schätzen, ja weinte Tränen der Rührung, der dankbarsten Rührung über sie. Als wir unser Olimsfaultier gefunden hatten und ihr Papa kindisch-kichernd und behaglich grunzend sich die Hände in seinem Lehnstuhl rieb, nannte auch sie es ein herziges Geschöpf und großartig und räumte ihre beste Wäschekammer aus, um einen würdigen Aufbewahrungsplatz für das Scheusal zu schaffen. – Was soll ich dir noch viel davon reden, Eduard? Wir halfen unserm Vater so gut als möglich über seine letzten Lebensjahre weg und ließen, nach Verordnung des Arztes, Kienbaum so wenig als möglich an ihn heran. Wenn ich mich bescheiden mal rühmen will, so sage ich: Ja, es ist mein Stolz und darf mein Stolz sein, daß ich diesem langweiligen Spuk ein Ende gemacht habe, daß ich diesem Gespenst die dürre Lemurengurgel zudrücken und ihm mit den Knien den modrigen Brustkasten einstoßen durfte, daß der dicke Schaumann es war, der das Gerippe zu Staub verrieb. Das andere Gerippe, unsern allgemeinen Freund Hein, hielt ich freilich nicht dadurch von der roten Schanze ab. Das fraß den Bauer Quakatz, wie es den Prinzen Xaver von Sachsen gefressen hatte, von Kienbaum gar nicht mehr zu reden. Und wenn ich meinerseits zuletzt doch noch einmal einen Wall hätte gegen es aufwerfen können: wer weiß, ob ich es getan hätte? Es war doch eine Erlösung, als wir dem alten Herrn das letzte, schwere Deckbett aus guter Dammerde auflegten. Er selber hat sich wohl in seinem Leben kein leichteres über den Kopf gezogen, und er tut jedenfalls heute noch einen guten Schlaf darunter nach den ungemütlichen Träumen, die ihm der sogenannte helle lichte Tag seines Vorhandenseins in der Präsenz- und Steuerliste des Menschentums beschert hatte. Wir begruben ihn in Maiholzen an einem wunderschönen Sommermorgen, ganz in der Frühe. Das Dorf war natürlich vollständig an der Versenkung versammelt; aber wir hatten auch Herrschaften aus der Stadt dabei. Da war zum Beispiel der Exekutor Kahlert, der in der heiligen Frühe in Amtsgeschäften bei uns draußen sich eingefunden hatte, da war Schneidermeister Buschs Junge, der unserm Pastor die neue Hose herausgebracht hatte, in welcher, wie ich dir gleich auseinandersetzen werde, der geistliche Hirte meine Rede hielt. Da war Fräulein Eyweiß, die durch ihre Brunnenkur zu uns hinausgeführt worden war und die ihre Karlsbader Brunnenflasche auf einem der nächsten Grabsteine abgestellt hatte, um sich freier ihrer angenehm-gerührten Teilnahme an dem immer interessanten Vorgang überlassen zu können. Auch den Landbriefträger Störzer, der auch in seinem Amte schon draußen war, sah ich in der Versammlung am Grabe. Meta, Sie sind doch noch da? Grausame Schöne, willst du denn wirklich den dicken Schaumann von der roten Schanze verdursten lassen?«


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