Wilhelm Raabe
Stopfkuchen
Wilhelm Raabe

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Schön Wetter auf See! Wie hätte ich mein Garn aber auch so fortspinnen dürfen, wie es eben geschehen ist, wenn dem nicht so gewesen wäre? Halkyonische Tage haben uns, die letzte Woche durch, das Geleit über das große Meer gegeben. Infolge davon angenehme Stimmung auf dem Schiff und wenig Störung des »sonderbaren Herrn im Rauchzimmer, der von Hamburg an ununterbrochen über seinem Geschäftskonto brütet und wahrscheinlich erst am Jüngsten Tage damit zu Rande kommen wird.«

Die Herrschaften und die Leute haben aber recht mit ihrer Verwunderung, ihrem Lächeln und Kopfschütteln, Kopfzusammenstecken und Flüstern. Da sitzt ein sonderbarer Herr auf dem guten Schiff Hagebucher, und sonderbar von ihm ist's im hohen Grade, grade auf dem hohen Meer den Versuch zu wiederholen, das Leben mit einem Fingerhut ausschöpfen zu wollen! ...

Was aber würden die Herren und Damen, die einige Male sogar den Versuch gemacht haben, mir beim freundschaftlichen Auf-die-Schulter-Klopfen über die Schulter auf die »absonderliche Schreiberei« zu sehen, sagen, wenn ihnen der Versuch gelungen wäre?

Wahrscheinlich nichts weiter als: »Nun, das hätte er zu Hause auch bequemer haben können.«

Darin würden sie sich aber doch auch irren. Ich hätte das nicht zu Hause bequemer haben können, und deshalb eben schrieb ich's auf dem Schiffe mir auf, um es späterhin, zu Hause, im Wirrsal der Tage für einen möglichen stillern Augenblick bequem zur Hand zu haben.

Seinen Stuhl mir näher rückend, sagte Stopfkuchen, noch einmal einen vorsichtigen Blick nach dem Hause sendend: »Evasit – sie trippelte ab. Jawohl, Eduard, wenn die Welt irgendwo und -wann das Recht hatte, einem ducknackigen, mürrischen, widerwärtigen Patron, kurz einem unangenehmen Menschen mit dicker, die Oberlippe einsaugender Unterlippe und malaiischen Wülsten hinter den Ohren – einen Mord als sein kleinstes Verbrechen zuzutrauen, so war das bei meinem seligen Schwiegervater – Gott hab ihn selig! – der Fall. Im Grunde war er ein greulicher Kerl, dem keiner deiner bösartigsten, schlimmsten Kaffern das Wasser reichte. Eine mißtrauische, stänkerhafte, auf Kisten und Kasten hockende Bauernseele vom faulsten Wasser! Ob er Kienbaum totgeschlagen hat, der alte Quakatz, wirst du ja wohl nachher noch erfahren; aber daß ich ihn nicht drei oder vier Dutzend Male totgeschlagen habe, das war keine Kleinigkeit, das sage ich dir jetzt schon. Es gehörte eben eine Natur oder, wenn du lieber willst, ein Gemüt wie das meinige dazu, um so einem mißglückten Ebenbilde Gottes an den Kern zu kommen! Nun, weißt du, Eduard, Apfel, Reis und Mandelkern frißt der kleine Affe gern; aber auch Nüsse mag er und knackt sie ihres süßen Inhalts wegen: seines süßen Inhalts wegen habe ich denn auch den Bauer Andreas Quakatz auf der roten Schanze mit der roten Schanze geknackt. Freilich nicht ohne die harte Nuß eine erkleckliche Weile aus einer Backentasche in die andere gewälzt zu haben und mit allen Backenzähnen und aller Kinnbackenkraft drangewesen zu sein. Ob er Kienbaums wegen gehängt zu werden verdient hätte, wollen wir immer noch auf sich beruhen lassen. Aber aus manchem andern Grunde hätte er sicherlich verdient, wenn nicht gehängt, so doch geprügelt zu werden. Vor allen Dingen seines Tinchens wegen. Sie läßt sich immer abrufen, wenn darauf die Rede kommt. Diesen närrischen Frauenzimmern ist eben die Pietät auf keine Weise auszutreiben; und, beiläufig, man mag sich manchmal darüber ärgern wie man will; man stellt sich und andern doch nur sehr selten die Frage, wozu dieses gut sei? Gut – das heißt, großer Gott, die Welt war schlecht gegen das Kind von der roten Schanze; aber so schlimm wie der Papa, der Bauer auf der roten Schanze, war sie doch nicht gegen es. Da hielt sie ihm noch lange nicht die Stange! Die Schule war arg, und meine Herren Eltern waren grade auch nicht von der liebenswürdigsten Sorte; aber so verschüchterten sie mich doch nicht, wie der alte Quakatz seine Krabbe zu verschüchtern verstand. Aus der alleruntersten Schublade seiner verstockten Seele holte er sein Wesen gegen sie; und tausendmal mochte er meinetwegen Kienbaum totgeschlagen haben und der Menschheit, ihr Jüngstes Gericht eingeschlossen, es ableugnen: so – in solcher Weise brauchte er seinen Verdruß nicht auf sein eigen Fleisch und Blut abzuladen! Eduard, leugne es nicht: ihr habt mich dann und wann nicht bloß für einen faulen, sondern auch für einen feigen Burschen taxiert: doch wirklich mit Unrecht. Ihr armen Hasen, deren ganzes Heldentum auf dann und wann eine zerrissene Hose, einen Buckel voll Schläge oder ein paar Stunden Karzer hinauslief! Die rote Schanze hättet ihr mal erobern sollen! Das wäre etwas gewesen, was einen neuen Plutarch auch für euch wünschenswert gemacht haben würde. Und dann der Oberlehrer Blechhammer, wenn der mal wieder in meinem Kopf mit der Stange gestört, nach der Eule der Minerva geforscht hatte und von neuem zu der Überzeugung gekommen war, daß da vielleicht eben noch eine Eule, aber freilich nicht die der Pallas Athene gesessen hatte! War der brave Mann – Gott erfülle alle seine Verheißungen an ihm und rangiere ihn unter seine beflügeltsten Engel! – war der alte ciceronianische Kochinchinaknarrhahn einer Würdigung meiner Lebensaufgabe fähig? Wahrlich nicht! im höchsten Pathos dieses aus der Erinnerung heraus gesprochen. Doch ich schweife ab; – der warme Tag öffnet einem so angenehm alle Poren des Leibes und der Seele! Wo war ich denn eigentlich, was die Hauptsache anbetrifft? Jawohl, natürlich, immer noch beim Vater Quakatz. Du großer Gott, wo in aller Welt haben wir, ich und Tinchen, uns vor dem verkrochen? Wie und wo haben wir hier unter dem Schutze Sancti Xaverii, comitis Lusatiae vor seiner Unvernunft Unterschlupf suchen müssen, nachdem ich schon längst Vernunft zu ihm geredet hatte und stellenweise auch damit durchgedrungen war?! Im Taubenschlag, im Schweinestall, auf dem Heuboden, im Wandschrank, hinter und unter dem Bett. Wo suchte er nicht sein Kind mit dem Prügel und der Peitsche in der Hand? Ihr Helden führtet derweilen eure Indianergeschichten, euren Fenimore Cooper draußen im Felde dumm und phantasielos genug auf: ich schützte Cora und versteckte Alice im Leben und in der Wirklichkeit, wenn nicht in der Felshöhle, so doch hinter dem Küchenschrank und ließ den verrückten, wütenden alten Mingo mit geheimstem, wollüstigstem Grausen suchen und hörte ihn schnüffeln und sein Kriegsgeheul erheben. Wenn dann Tinchen flüsterte: ›Ich habe ihm die Schnapsflasche auf den Küchentisch gestellt!‹, so weiß ich es heute ganz genau zu taxieren, wieviel mehr sie auf Miß Cora als auf Miß Alice zugeschnitten war. Damals wußte ich es noch nicht so und hielt mich mehr, als mir zukam, für den edlen, urwalderfahrenen Lederstrumpf. Aber die Hauptsache war natürlich, daß der Alte die Flasche fand. Sowie wir sein ›Hugh‹ vor ihr hörten, waren wir einmal noch gerettet, und die Welt und die rote Schanze gehörten uns wieder allein! Aus Pietät steht sein Sorgenstuhl, wie du bei Tische bemerkt haben wirst, noch immer hinter dem Ofen, und wenn ich jetzt darin sitze und mir überlege, wie ich damals schon den Fall Kienbaum gegen Quakatz frühreif ansah und sagamorenhaft dem aus seinem Feuerwasserdusel erwachenden armen Kerl sagte: Herr Quakatz – du liebster Himmel, da ist sie schon wieder! keinen Augenblick hat man doch Ruhe vor ihr. Na, Eduard, denn das Weitere vielleicht bei Sonnenuntergang.«


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