Wilhelm Raabe
Stopfkuchen
Wilhelm Raabe

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Jawohl, wie fuhr auch ich, der Herr Eduard, der Gastfreund der roten Schanze, zurück, als mein Freund Heinrich trotz seines Fettes mit jugendlich-frischestem Nachdruck anstimmte:

»Was kommt dort von der Höh?
Was kommt dort von der Höh?
Was kommt dort von der ledern Höh?
Si, sa, ledern Höh!
Was kommt dort von der Höh?«

»Stopfkuchen?!«

»Jawohl, Stopfkuchen, Herr Eduard!« sagte Frau Valentine lächelnd. »Sollten Sie es für möglich halten, Herr Eduard, daß dieses närrische Menschenskind sich in dieser Nacht vor unsern Fensterladen wirklich und wahrhaftig mit dem dummen Lied bemerkbar machte? und natürlich umwinselt und umschmeichelt von allem Hundevolk der roten Schanze? Nach dem ersten Blaff alles so still und stumm vor Verwunderung wie ich nach seinem ersten albernen Verse! Aber es dauerte doch eine geraume Weile, ehe ich mich so weit gefaßt hatte auf den Schrecken, daß ich dem Narren die Haustür aufschließen konnte; ich –«

»Da hörst du eben wieder einmal, wie sie, seit wir uns kennen, von ihrem ihr von Gott vor- und aufgesetzten Herrn und Haupte redet. Tinchen, nimm Rat an und blamiere euer Geschlecht hier in Europa nicht unnötigerweise. Bedenke, der Mann, dieser Eduard, kommt als Gatte aus Afrika: da sind die Weiber äußerlich wohl etwas schwärzer als ihr; aber inwendig –«

»Natürlich viel weißer. Ich weiß das ja, oder wenn ich es nicht weiß, so gestehe ich es gern zu; aber laß mich dafür auch ausreden, bester Heinrich. Ich öffnete ihm also, Herr Eduard, und er kam herein. Ja, Herr Eduard, und wie von der Vorsehung geschickt zur richtigen Stunde; denn gleich nach ihm kam der Knecht betrunken und wollte mich erst küssen und mir dann die Kehle zusammendrücken. Und die Magd, die ein Sonntagstuch von mir trug, nannte in meiner Gegenwart meinen Vater noch einmal einen alten Mörder und riet ihm, sich doch selber an dem Nagel an der Tür aufzuhängen, da er dem öffentlichen Galgen entgangen sei. Sie waren beide sehr lustig und spaßhaft und hatten beide keine Ahnung davon, wer da jetzt hinter dem Schrank stand und sich die Szene mit anhörte und mit ansah. Ja, er trat zur rechten Zeit hinter dem Schranke vor und seinerseits auf die Szene: der Herr und Meister und das Haupt der roten Schanze, mein –«

»Liebes Dickerchen – Heinrich Stopfkuchen – in wohltuendster Fülle der Erscheinung, Eduard, und mit allem Humor und Animus, aber auch mit der dazugehörigen Faust für die Sache.«

»Ja, ja, und wem nicht die Kehle in dieser Nacht zusammengedrückt wurde, das war die Tochter von der roten Schanze! und wer der Magd nicht das Schuhband aufzubinden hatte, das war ebenfalls die Tochter von der roten Schanze!«

»Und wer einfach und ganz gemütlich auf den Tisch schlug, die nötige Ordnung wiederherstellte und dem alten Herrn im Lehnstuhl das Kissen zurechtrückte und das junge Mädel mit dem blutdürstigsten aller Hackmesser um die Hüften nahm und ihr den ihr in dieser Nacht bestimmten Kuß aufdrückte, daß der Schmatz alles Sturmgeheul draußen übertönte, das war ich! Wenn es dich langweilt, Eduard, sag es ja! wir beide von der roten Schanze können jeden Augenblick mit unsern Dummheiten aufhören und dich von deinen erzählen lassen. Auf meine Frau brauchst du nicht die geringste Rücksicht zu nehmen in deinen Gefühlen. Ich tue es in den meinigen auch nie.«

»Diese Redewendung wird jedenfalls allmählich langweilig, Schaumann.«

»Schön!« sagte Schaumann und behielt jetzt das Wort wiederum für längere Zeit allein. Ich legte nur einen Augenblick leise wieder meine Hand auf die der Frau Valentine, was soviel hieß wie: Es ist wundervoll!

»Die Geschichte war ganz einfach«, sagte Stopfkuchen, »und einfach so: Draußen und im wissenschaftlichen Brotstudium hatte es mir absolut nicht gepaßt. Ich fiel dabei für meine Natur viel zu sehr vom Fleisch. Es mag der Welt unglaublich erscheinen, aber es ist dessenungeachtet lächerlich wahr: auch die vergnüglichste Seite des Universitätslebens war nicht für mich. So eine deutsche Alma mater ist doch die reine Amazone. Sie hält dir die eine Brust hin, und du saugst oder saufst. Sie dreht dir die andere zu, und du empfindest dich in der Tat als das bekannte Tier auf dürrer Heide. Jeder Blick in eure Gerichtsstuben, auf eure Schulkatheder und Kirchenkanzeln und in eure Landtage und vor allem in den Deutschen Reichstag zeigt, was dabei herauskommt, soweit es unsere leitenden gelehrten Gesellschaftsklassen anbetrifft. Entschuldige, Tine, ich bin gleich wieder bei dir; aber wenn man so einem alten, lieben, gelehrten Afrikaner gegenüber auf sein Studentenleben kommt, geht einem das Herz auf, wie die Welt sagt. Da ist es denn aber für dich gleich ein wahres Glück, Tinchen, daß mich der Bursche hier schon auf Schulen da unten in dem Neste im Tal nicht für den Gerichtsstuhl, das Katheder, die Kanzel und das Reichstagsmandat, sondern für die rote Schanze hat miterziehen helfen, indem auch er mich unter der Hecke hat liegenlassen, meiner schwachen Füße wegen. Von meinen Fäusten hatte er eben, meiner angeborenen Gutmütigkeit wegen, nicht die genügende Ahnung. Aber es ist einerlei, denn es ist so: was ein Mensch bei mäßigen Geistesgaben, schwachen Füßen und einer unmäßigen Anlage zum Fettwerden aus sich für die Jungfer Quakatz und den Prinzen Xaver und die rote Schanze machen konnte, das ist gemacht worden. Was, Tine Schaumann? wie, Tine Quakatz? Für dich armen, zerzausten Spatz ließ mich die Weltentwicklung unter der Hecke in der Sonne liegen und auf der Studentenbude im Schatten und Tabaksgewölk. Um dich, Himmlische, nach deinem vollen Werte zu erkennen, machte es mir für sechs Semester einen Platz am Freitische der Universitas literarum aus. Fasse es ganz, Eduard: Stopfkuchen am Freitische! Das alte Mädchen da neben dir schiebt ihr Entsetzen in jener stürmischen Winternacht auf alles Mögliche, nur nicht auf das Richtige, nämlich auf den Knochenfinger, mit welchem ich an ihren Fensterladen pochte. Laß du dir mal, um Mitternacht in Afrika, vom Freund Hein an den Laden klopfen und erschrick nicht vor seinem dürren Knöchel! Hat mich nicht das Studieren meines eigenen Knochengerüstes im achten Semester auf meine jetzige Liebhaberei gebracht? Hat mir nicht mein sogenanntes Brotstudium die fürchterlichst günstigste gute Gelegenheit geboten, das vorsintflutlichste Riesenfaultier wissenschaftlich einwandsfrei tadellos zu rekonstruieren? Auf diese Wissenschaft hin hätte ich freilich Doktor werden können; aber – schweigen wir davon, die Erinnerung an das Studieren greift mich heute noch zu sehr an! ... Als ich wieder zu Hause ankam, roch es hinter mir ganz verdammt nach verbrannten Schiffen, und zwar nach meinen eigenen. Ich wußte es ganz genau, daß ich weder das Katheder noch die Kanzel oder den Richterstuhl je besteigen werde! Auch zur praktischen Ausübung der Arzneikunst reichte meine Kenntnis der Osteologie doch nicht aus. Meine Mutter war tot. Freunde hatte ich nicht – auch du, teuerster meiner Freunde, warst in der Ferne, wenn ich nicht irre, bereits als Schiffsarzt ununterbrochen auf dem Wege zwischen Hamburg und New York und New York und Hamburg. Was mein Vater sagte? nun so juckt es mich natürlich, das Meinige dazu zu bemerken; aber ich lasse es doch lieber. Es mischt sich da zum bissigen Nachtragen doch etwas wie Gewissensbisse ein. Er war recht grob und hatte sehr das Recht dazu. Als er mir erklärte, da die Welt nichts mit mir anzufangen wisse, so könne ich nicht verlangen, daß er zum zehnten Male den Versuch mache, mit mir was zu beginnen, war mir in der Tat nichts geblieben, was ich dagegen einwenden konnte. ›Geh zu deinem Mordbauern, dem Quakatz!‹ brauchte er grade nicht mir vorzuschlagen; aber es war kein übler Rat. Ob er an jenem unbehaglichen Abend, an welchem wir das Fazit unseres gegenseitigen Verhältnisses in der Welt und im Leben zogen, der Meinung war, daß ich ihn auf der Stelle befolgen werde, weiß ich nicht, glaub ich eigentlich auch nicht. Aber er rief mich auch nicht zurück, als ich ihm von der Türschwelle zumurrte: ›Moriturus te salutat!‹ Der gute Alte! Er hätte freilich für seine dürren Subalternbeamtengefühle einen strebenderen, einen weniger gemütlichen, einen weniger bequemen, einen weniger feisten Sprößling verdient: aber konnte ich dafür, daß ich sein Sohn war und er nicht der meinige? ... Gottlob, wir können ja jetzt ohne Gewissensbisse und Reuegefühle darüber lächeln – was, Tinchen, alte Sibylle? Wir sind doch noch auf den allerbesten Fuß miteinander gekommen. Dort, hinter uns, unter den Linden hat auch er noch manchmal sich seinen Nachmittagskaffee von meiner Frau einschenken lassen. Und er hat sich sogar auch noch für meine und Tinchens Knochen – unsere Urweltsknochen meine ich – interessiert. Er stieg nämlich nach seiner Pensionierung mit Vorliebe, weniger der schönen Natur wegen, als um ihrer selbst willen um die rote Schanze herum und hat mir mehr als einmal von seinen Spaziergängen einen aufgepflügten Kalbsschädel oder ein Schinkenbein mitgebracht und es meiner Sammlung einverleiben wollen mit der Überzeugung, einen Fund für mich getan und alte Sünden durch ihn an mir wieder gutgemacht zu haben. Nun, in jener Nacht oder vielmehr an jenem Nachmittag und Abend waren wir natürlich so weit in Güte noch nicht miteinander. Der alte Herr hatte eben die Überzeugung gewonnen, daß ich ihm jetzt bis zum längsten auf der Tasche gelegen habe, und gab es mir zu verstehen, wie der Vater Jobs seinem Hieronymus. Laß mich dich verschonen, Eduard, mit Einzelheiten, die sich in die Tage und Stunden zwischen meiner letzten Heimkehr ins Vaterhaus und meinem endgültigen Verlassen desselben drängten. Ich stand plötzlich mit sehr beunruhigtem Gewissen und mit einem herzlichen Mitleid mit dem alten Mann draußen in der Straße im wehenden Sturm und treibenden Schnee und konnte dreist von neuem die bittere Frage an das ewige Dunkel und die gegenwärtige Finsternis stellen: Wer hatte eigentlich das Recht, dich so als geistigen und körperlichen Kretin so hier hinzustellen: So! – ? – Glücklicherweise war im Goldenen Arm Licht, und da ich doch in der Straße nicht stehenbleiben konnte, ging ich hinüber und fand die Gesellschaft, die mir augenblicklich allein gemäß war, und mit ihr die Lösung der eben aufgeworfenen Frage. Es war gottlob noch so früh am Tage, daß selbst die trostlosesten Philister der Stadt noch nicht zu Bette waren. Da fand ich und nahm ich meinen Trost, wo mir aller Welt Schönheit, Weisheit und Tugend zu gar nichts von Nutzen gewesen sein würde. Juchhe, lauter gute alte Bekannte, die sich zwischen Schoppen und Schoppen immer das Beste wünschten, und mir natürlich auch – an diesem Abend sogar in ausgiebigster Fülle! Ich kam ihnen grade zur rechten Zeit; bei sinkender Unterhaltung und epidemischer Maulfäule wahrhaftig als ein gefundenes Fressen; und ich hatte bloß hinzuhorchen, um von ihnen die Antwort auf jenes große fragende Warum hinzunehmen. Es hätte mir jedermann im Kreise gern auch einen Bleistift geliehen, wenn ich den Wunsch ausgesprochen haben würde, mir den Schicksalspruch ihres Mundes lieber doch auch noch zu notieren. Dies war aber durchaus nicht nötig. Gottlob haben es mir die Götter, die mir so vieles versagten, gegeben, mich betreffende Reden und Redensarten an mich herankommen zu lassen, das dazu passende Gesicht dabei zu machen und nötigenfalls mit den darauf passenden Gegenbemerkungen aufzuwarten. Ihr habt diese Gabe lange nicht genug an mir gewürdigt, lieber Eduard; ihr waret wohl noch nicht reif genug dafür. Nun, für ein paar Schoppen reichte es an jenem historischen Abend auch noch, und bei denen vernahm ich denn das Meinige, überlegte mir das Meinige und fand das Richtige. Selbstverständlich kam sofort bei meinem Eintritt in das alte, wohlbekannte Eckzimmer die Rede auf mich. Man war so freundlich, sich zu freuen, mich noch zu sehen: je später der Abend, desto schöner die Leute! Aber daß man bereits ziemlich genau wußte, wie es mit mir daheim im Vaterhause stand, war klar und quoll rundum auf in jedem lautern Wort und leisen Geflüster. Wenn sie auch um alles in der Welt nicht gern in meiner Haut gesteckt hätten, so hätten sie doch allesamt unmenschlich gern gewußt, wie ich mich bei so bewandter Lebenslage in ihr fühle. Mit dem Humor der Verzweiflung, wie ja wohl das Wort lautet, schenkte ich ihnen den reinsten Wein ein, nahm diesen Herren vom Spieß diese ihre edle Väterwaffe ab und ließ sie kneipengerecht drauflaufen. Was hätte ich an diesem in der Tat recht ungemütlichen Abend vor dem Sturz in den Abgrund Besseres beginnen können, um – deutsches Gemüt zu zeigen? Daß ich von Universitäten endgültig weggegangen sei, gab ich zu; aber die genauen Umstände stellte ich nunmehr in das rechte Licht. Daß von Zwang oder dergleichen die Rede gewesen sei, lag ja vollständig außer Frage; doch daß ich herzlicher Bitte und langem, wiederholtem, inständigem Zureden endlich, vielleicht allzu gutmütig Folge gegeben habe, müßte jetzt doch, und noch dazu bei so passender Gelegenheit und in so trautem teilnehmendem Kreise bester Bekannter, Schul- und anderer Freunde, klargestellt werden. Eduard, ich hatte Humor an jenem Abend! Nicht den des Satans, aber den eines armen Teufels, welchen ein Mißverhältnis zwischen körperlicher und geistiger Veranlagung faktisch unfähig machte, mit dem, was gedeihlich durch den Lebenstag hastet, wettzulaufen. Ja, denen zeigte ich an jenem Abend, wie man einer öden Welt auf dem Wege zum Ideal voranlaufen, und welche zu üble Folgen ein zu gutes Beispiel in dieser Hinsicht haben könne. Da standen in meiner Generalbeichte die Wirte vor den leeren Bänken, die vollen Fässer hinter sich, da saßen die Mädchen im Kämmerlein und verschluchzten ihre jungen Seelen, weil sich meine sämtlichen Mitstrebenden ein zu gutes Exempel an meinem Streben genommen hatten. Sämtliche Studierende sämtlicher Brotwissenschaften saßen so sehr über ihren Büchern, daß verschiedene Male die Feuerwehr alarmiert werden mußte, ob des Dampfes, der von ihren Köpfen aufstieg. Da ging es denn nicht anders: die Ärzte – Sanitäts- und Medizinalräte – mußten sich einmischen, der Verein für öffentliche Gesundheitspflege mußte einschreiten. Die ersten gingen selber in corpore, der letztere schickte seinen Vorsitzenden sowie zwei Abgeordnete, und alle verlangten sie ein und dasselbe vom Profax, nämlich meine schleunige Abreise (guck mal, Eduard, wie das Tinchen hierbei so vergnügt wie die Maus aus der Hede guckt!), grade als ob Mutter Eruditio, unser germanisches verschleiertes Bild zu Sais, einen Menschen von meinem Gewicht so leicht wie einen Floh aus dem Gewande schüttele! Sie kamen auch zu mir. Sie schickten auch mir eine Deputation, eine Abordnung. Wenn nicht mit der Aufforderung, so doch mit der Bitte: ›Gehe uns aus dem Kasten!‹ Wer hätte so herzlichem Anflehen widerstehen können; zumal da auch von Hause ein ähnliches Rufen kam. Ich ging ihnen aus dem Kasten, und noch am Bahnhof war mancher, der sich schluchzend mir an den Hals hing: ›Bruder, laß uns das wenigstens von deinem Wissen, wofür du zu Hause gar keine Verwendung hast.‹ Natürlich sagte ich, mit einem Fuße im Wagen: ›Gerne!‹ und sagte damit keine Unwahrheit. Ich konnte ihnen in dieser Hinsicht mit Vergnügen vieles dalassen. Ich war im Goldenen Arm wirklich gut im Zuge, spaßhaft in das Nichts zu sehen, bis ich plötzlich die Maulschelle heiß und brennend spürte, den Schlag auf die ironische Nase, den ich mir so wohl verdient hatte, nicht bloß an meinem armen kümmerlichen Erzeuger, sondern auch an diesen wohlverdienten und wohlverdienenden braven Philistern und guten Leuten und Staatsbürgern. – Sagte einer: ›Es geht also aus allem diesem einzig und allein hervor, Heinrich, daß du dich allein und einzig die ganzen Jahre durch auf deine rote Schanze, den seligen Kienbaum und deinen Freund Quakatz einstudiert hast.‹ – ›Was?‹ frage ich. – ›Nu, was ich sage, und worin mir die andern Herren hier am Tische beistimmen werden: so wie du jetzt bist, können sie grade jetzt dich wirklich vielleicht recht gut da brauchen. Vermißt haben sie dich da oben ja wohl lange genug.‹ – Oh, wie der Mensch recht hatte! nicht wahr, Valentine Quakatz? Das ganze große Wort: Volkes Stimme, Gottes Stimme! hielt mir in ihm grinsend das Gehörorgan hin, und ich konnte ihm nicht hinter den Löffel schlagen! – Wie, Valentinchen Quakatz? Ich konnte dem Mann, der da für Tausende sprach, nur freundschaftlichst näher rücken, die Allgemeinunterhaltung abbrechen und mich noch eine Viertelstunde ihm allein widmen, das heißt, ihn und durch ihn die Tausende hinter ihm gemütlich ausfragen. Nachher ging ich; aber nie vorher hatte ich mich und nie nachher habe ich mich so fest auf den Beinen gefühlt wie an jenem Abend, als ich nun aus der überheizten Kneipe, aus dem Bier-, Grog- und Tabaksgedünst in den wehenden Wintersturm hinaustrat und die weichen Füße in den fußhohen Schnee setzte. Willst du genau erfahren, Eduard, was im bürgerlichen Leben das Richtige ist, so frage nur beim nächsten Spießbürger an. Der sagt es dir schon! Ich kann es natürlich nicht wissen, wie das bei euch in Afrika ist, aber hier in Deutschland spricht man immer dann nachher von Intuition, Führung von oben, Zuge des Herzens, Stimme des Schicksals, Vorsehung und dergleichen. – Gegen den Wind wäre es mir wohl unmöglich gewesen. Mit dem Winde ging es, und merkwürdigerweise um so besser, je weiter ich die Gassen der Stadt und ihre Gärten hinter mir ließ. Er fegte gegen die rote Schanze, der Wind, und über die Höhenrücken trieb er den Schnee vom Pfade und schob mich schnarchend, aber gutmütig, als meine auch er: ›Wo wolltest du an diesem Abend wohl anders hin als zum Vater Quakatz, Heinrich?‹ – Auch den Graben des Prinzen Xaver hatte der gute Dämon zugeweht und den Übergang klar gemacht; aber dann kam die weiße Mauer am Tor und an der Hecke durch den Garten bis an die Fensterladen: na, ob Schnee oder Reisbrei: Stimme des Schicksals, Zug des Herzens, Führung von oben, und nicht zu vergessen, von unten der Stammgast im Goldenen Arm, alles half. Ich war dazu geboren worden, mich durchzufressen ins Schlaraffenland und in Jungfer Quakatzens weiche, weitgeöffnete Arme.«

»Oh, aber Heinrich?!« rief errötend Frau Valentine Schaumann.

»Sammetpfötchen, behalte die Krallen eingezogen! wir erzählen ja nur Eduard aus Afrika hiervon, und der sagt es unter seinen Kaffern und seiner Frau nicht weiter.«


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