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Fünfunddreißigstes Kapitel.
Der Antrag.

Mit dem Scharfsinn der Liebe hatte Helene all die Wandlungen wahrgenommen, die Jan seit dem verhängnisvollen Konzert durchgemacht: zuerst wachsende Menschenscheu, dann den Wunsch, die Umgebung zu wechseln, was ihn zwei lange Monate in die österreichischen Nachbarländer geführt hatte, wo er landwirtschaftliche Verbesserungen studieren wollte, dann bei seiner Rückkehr den hartnäckigen Eifer, mit dem er sich wieder in die Arbeit gestürzt, das wachsende Reformfieber, das ihn jetzt den Kampf gegen den Alkohol aufnehmen ließ, wobei die begeisterte Baronin ihm vollen Beifall spendete.

Durch dieses neue Einverständnis waren natürlich die gegenseitigen Beziehungen noch inniger geworden.

Wie der Jäger, der auf seine Beute lauert, wartete und beobachtete Helene also, ohne daß ihr verschlossenes Antlitz je einen ihrer geheimen Gedanken verraten hätte. Bald schäumte sie vor Zorn, wenn sie Jan noch leiden sah, bald wieder verging sie vor Freude, wenn sie irgend ein Zeichen wahrnahm, das auf Gleichmut, auf Befreiung von der Vergangenheit schließen und die Rückkehr zu einem normalen Leben in aussichtsvoller Nähe erscheinen ließ. Sie wußte wohl, daß auf eine Zeit des Zornes und des Trotzes eine Periode der Reaktion ganz natürlich, ganz von selbst folgen würde. Daher hatte sie mit unaussprechlichem Vergnügen von Jans Anwesenheit auf einem Ball in der Nachbarschaft gehört, den sie ihrer Trauer halber noch nicht besuchen konnte.

Bald aber hatte sie, Krepp und Schleier abwerfend, sich gleichfalls in den Festjubel gestürzt, um, an seine Schulter gelehnt, ihr Gesicht dem seinen zugeneigt, Hand in Hand mit ihm vor den entzückten, billigenden Blicken Tante Anielas, Onkel Anastasius' und der Baronin im Kreise zu wirbeln.

Auch Jan hatte den gemeinsamen Wunsch auf all diesen Gesichtern gelesen, und er überlegte: War er jetzt nicht frei? Zwang ihn nicht die Logik der Dinge, den seinem ehrenwerten Vormund so teuren, von der Konvention gewiesenen Weg zu gehen? Sich zu verheiraten, eine Familie zu begründen? Warum dann nicht Helene? Der Gedanke, sich mit ihr zu vermählen, war ihm weniger zuwider als der, irgend ein ihm unbekanntes junges Mädchen der Nachbarschaft zu heiraten, und er rief sich ihr Bild ins Gedächtnis: die leuchtenden Augen, das seltsame Mienenspiel, die zierliche Adlernase, den roten Mund, den feinen, goldumrahmten Kopf des Fräulein von Rudowitz.

*

Unter den von der untergehenden Sonne bestrahlten lila Glyzinien saßen Fräulein Ursula und die Oberstin auf der Veranda beim Bezigue, während Herr Anastasius sie, einen langen Tschibuk rauchend, beobachtete.

»Ich glaube, sie sind so weit,« sagte plötzlich die Oberstin, sich vorbeugend, »das ist wirklich nicht übel.«

»Was denn, Liebe?« fragte die Schwägerin.

»Jan hat mit Helene gesprochen. Da, seht ihr sie den Weg auf und ab gehen. Seit einigen Tagen schon merkte ich, daß er sich damit trug, ohne zum Entschluß zu kommen. Endlich hat er's getan, aber wie ernst sehen die beiden aus! Die wahren Leichenbittermienen! Als mein armer Ignaz mir den Hof machte, benahm er sich wirklich anders.«

»Du möchtest vielleicht, daß er sie bei der Taille faßte,« sagte Ursula mit spitzem Ton, »oder daß Helene sich ihm, wie die erste beste Bauerndirne, an den Hals würfe?«

»Na, was wäre dabei Schlimmes?« antwortete die lebhafte Oberstin. »Wenn man sich liebt, darf man sich's auch zeigen, und dein verstorbener Bruder Ignaz, du kannst mir's glauben, war ein sehr fescher Mann ...«

Aber Herr Anastasius hatte sie unterbrochen: »Verzeih, liebe Aniela, wenn ich die Dinge etwas anders auffasse. Jans Ernst gefällt mir im Gegenteil, er flößt mir Vertrauen zur Zukunft ein. Weißt du, die Zeit der tollen Leidenschaften ist vorbei; unser Mündel schließt eine Vernunftehe.«

»Schlimm genug!« konnte die unverbesserliche Oberstin nicht umhin auszurufen.

»Und bei dieser Verbindung,« fuhr Herr Anastasius fort, »ist alles reiflich, weise vorbereitet und überlegt: vor allem die Geldfrage, denn wenn Helene von der Baronin Torna eine schöne Mitgift erhält, so ist es meine Absicht, für Jan das Gut zu erwerben, wo er sich seit zwei Jahren als Verwalter so vorzüglich bewährt. Was die Charaktere der beiden betrifft, so glaube ich aus ihren Gesprächen, die ich manchmal mitangehört habe, auf großen Ernst bei ihnen schließen zu können, und wenn Jan politisch noch etwas überspannte Ideen hat, so glaube ich, auf die Ruhe und Mäßigung seiner Frau rechnen zu dürfen, die ihn darin schon zügeln wird. Vergessen wir auch nicht die Übereinstimmung der Neigungen und Ideen zwischen Jan und der Baronin ...«

»Du sprichst wie ein Buch, lieber Anastasius,« sagte Tante Aniela, nicht ohne ein leicht ironisches Lächeln, »ich gestehe aber, wenn ich eine Tochter zu verheiraten hätte, wäre mir etwas weniger Vernunft und etwas mehr Feuer lieber. Aber ich bin ja noch von der alten Schule!«

An der Hecke mit den vielen roten Hagebutten gingen Helene und Jan Seite an Seite. Die Sonne versank mit purpurnem Glorienschein, und harzige Düfte kamen in warmen Wogen aus dem nahen Gehölz. Beide schwiegen, die Blicke in die geheimnisvolle Tiefe der Abendschatten versenkend, die ihnen unergründlich schien wie ihr Schicksal. Ein Rotkehlchen sang noch sein Abendlied, und man hörte die geschwätzigen Elstern ihr Nest aufsuchen.

Jan hatte die Hand auf den Arm seiner Gefährtin gelegt und flüsterte ganz unvermittelt, ohne jede Einleitung: »Helene, wollen Sie meine Frau werden?«

Sie glaubte ihn mißverstanden zu haben. Nein, es war nicht wahr, er hatte es nicht gesprochen, dieses Wort, das sie so lange erwartet hatte! Ihre Augen verschleierten sich, und blaß wie eine Sterbende blieb sie stumm, wagte nicht, den Zauber dieser holden Ungewißheit zu brechen.

Er wiederholte: »Helene, wollen Sie meine Frau werden?«

Da empfand sie ein wonniges Schwindelgefühl, und unwillkürlich machte sie eine Bewegung, als wolle sie sich fester an ihn lehnen.

»Sie glauben also, Jan,« sagte sie mit schwachem Lächeln, das, obgleich ihr die Lippen zitterten, eine gewisse Ironie ausdrücken sollte – »Sie glauben also wirklich, daß ich Sie glücklich machen könnte?«

Er drückte die kleine Hand, die sie ihm überließ, an seine Lippen.

»Ich glaube,« sagte er einfach, »daß wir im Leben als zwei gute Kameraden Schritt halten könnten.«

Und als diese gemessenen Worte wie ein Trauergeläut in ihrem Herzen widerklangen, schien ihr ein Eiseshauch die siegreich-triumphierende Sonnenglut, das Gold der Wolken ausgelöscht, die Vögel zum Schweigen gebracht zu haben.

Ein Schauer überlief sie vom Wirbel bis zur Sohle, ihre Wangen wurden noch blasser. Ach, war das alles, was er ihr zu sagen fand? Sollte der Geist Malvas ewig zwischen ihnen stehen? Ein zorniger Blitz glühte in ihren Augen auf. Eine Kameradschaft! Das schlug er ihr vor? Großer Gott! Wofür hielt er sie? Glaubte er, daß sie das dankbar -demütig annehmen würde? Begriff er denn nicht, daß ihre leidenschaftliche Seele bei seinen Worten vor Zorn schäumte, daß sie sein Anerbieten verachtete? Was sie wollte? Geliebt werden, um ihrer selbst willen, mit Anbetung, Raserei, mit all der Leidenschaft, deren sie sich selbst fähig fühlte. Und sie war versucht, ihm zuzurufen: »Zurück. Ich bin nicht das gute Geschöpf, für das Sie mich halten. Wenn Ihr Herz verbraucht ist, taugt es nicht für mich.«

Aber schon kam der Verstand ihr zu Hilfe und verhinderte diesen unsinnigen Ausbruch.

Jan fuhr fort: »Ich habe Ihren Geist und Ihre Schönheit stets bewundert, Helene, dessen entsinnen Sie sich, nicht wahr? Damals machten mich Ihre leidenschaftlichen Ausfälle ein wenig stutzig, doch seitdem hat der Schmerz Sie – ganz wie mich übrigens – weiser gemacht ... Ich glaube, in Ihnen die zärtliche, ernste und kluge Gefährtin gefunden zu haben, die mit mir durch das Leben wandern und mir helfen will, die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, zu lösen. – Sollte ich mich getäuscht haben?«

Sie hob im Dunklen ihren glanzlosen Blick zu ihm auf.

In ihrem Hirn brannte ein Satz mit feurigen Lettern: Jan fragte, ob sie sein Leben teilen wolle? Vermöchte sie, das auszuschlagen, nach allem, was sie getan, um ans Ziel zu gelangen? Nein, nein!

Schon hatte sie sich wieder bemeistert. Das wäre zu dumm gewesen.

Und mit entschlossener Geste legte sie ihre Hand in die seine.

Erhobenen Hauptes betrat sie dann den Salon, fest entschlossen, ihr Glück zu erobern. Der die beiden scharf beobachtenden Tante Aniela erschien Jan der Bewegtere von beiden.

*


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