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Vierunddreißigstes Kapitel.
Im Hafen.

Als Thekla nach Malvas Flucht aus ihrer Lethargie erwacht und, wie durch ein Wunder dem Leben wiedergegeben, die Augen öffnete, galt ihre erste Frage ihrem Kind. Da hatte der Spielmann, noch ganz verstört von der Gewißheit, daß Malva unwiderruflich fort war, ihr die Wahrheit gesagt.

»O, Danyl,« hatte die Bäuerin, den Kopf in die Hände begrabend, gejammert, »ich habe sie verjagt.«

Empörung hatte sich auf des braven Mannes Antlitz ausgedrückt.

»Unselige, es war also nicht genug, daß du sie durch deine Eitelkeit Und deinen Eigensinn zu Grunde gerichtet hast. Weiß Gott, in welchen Abgrund sie jetzt fallen wird. Ja, es war auch recht nötig, daß du das Dorf verließest! Welcher Teufel hieß dich, sie zu den Piks führen? Und wenn sie dich bat, warum ihr nicht die Wahrheit sagen? Warum, wenn ein braver Mann dir die Ehre antat, um ihre Hand zu bitten, nicht seiner Ehrenhaftigkeit vertrauen? Wieviel Unglück wäre vermieden worden! Aber du hast nie Rat von mir angenommen. Und doch ließ ich mich von meinem Herz und meinem Verstand leiten, während du deiner Unwissenheit, Eitelkeit, deinem Großtun gehorchtest.«

In ihrer tiefen Niedergeschlagenheit wagte Thekla nicht mehr wie früher verächtlich zu sagen: »Schweig, Bauer, das verstehst du nicht.«

Den ganzen Winter hatte Danyl vergeblich nach Malvas Zufluchtsort geforscht. Was konnte ein armer Bauer ohne Verbindungen, mit geringen Mitteln auch erfahren? Da war plötzlich an einem regnerischen Frühlingsnachmittag ein Reiter mit einer von Spiridon unterschriebenen Botschaft gekommen; er hatte die unglaubliche Neuigkeit gebracht, Malva komme mit ihrem Sohn.

*

Der Regen hat gänzlich aufgehört. Im Westen rötet sich der Himmel, und ein grünumbuschter Türrahmen bildet ein helles Viereck in der umgebenden Dämmerung. Drei dunkle Gestalten stehen dicht dabei und gestikulieren aufgeregt in angstvoller Erwartung.

Beim Nahen des Karrens beginnt ein Hund zu heulen, will von der Kette los.

»Kusch, Kamar,« ruft eine Männerstimme.

Und sogleich lassen sich andre Stimmen vernehmen: »Gelobt sei Gott! Sie lebt.«

Allen voran stürzt Thekla mit gerungenen Händen, wildem Blick; ihr folgen Danyl und Marina. Einen Augenblick kann man vor Rufen, Schluchzen, Hundegebell nichts verstehen. Endlich tritt Ruhe ein. Mit unendlicher Sorgfalt trägt man die junge Mutter ins Haus, wo sie jetzt nebst ihrem Kinde in einem weißen Bette ruht, von Thekla mit eifersüchtiger Sorgfalt gehegt. Thekla bedeckt die Hand ihrer armen kleinen Herrin, bedeckt das Kind, an dem sie sich nicht sattsehen kann, mit leidenschaftlichen Küssen. Und stammelnd, stotternd kann sie nicht genug zärtliche, beruhigende Worte für die finden, die so grausam von ihr verstoßen ward.

Im Zimmer nebenan herrscht Festfreude. Marina und Danyl wollen ihre Gäste prächtig bewirten. Es sind ihrer drei, Herr und Frau Spiridon und ein alter römischer Priester, den man rasch zur Taufe des Kleinen geholt hat. Auf den Tisch ist ein weißes Tuch gebreitet, darauf befinden sich wirkliche Teller, Messer und Stahlgabeln, die ganze Einrichtung, die Thekla aus Czernowitz mitgebracht hat. Eine Lampe steht in der Mitte und erhellt mit ihrem sanften Licht die guten, ehrlichen Gesichter all dieser braven Leute.

Feierlich verzehrt man die Rosinenwurst, das Sauerkraut mit Speck, die kleinen von Marina gebackenen Hühnchen, wozu ein vom Spielmann gebrauter trefflicher Met gereicht wird. Die Flasche macht freigebig die Runde.

»Sie trinken ja nicht, Herr Wohltäter!«

»Auf Ihre Gesundheit, Herr und Frau Spiridon, und auf die Ihres Patenkindes! Ach, ohne Sie wären der neue kleine Christ und seine arme Mutter in Abrahams Schoß.«

Der Priester ist fort, die Frauen sind ins Zimmer der jungen Mutter zurückgekehrt. Danyl und der Walache haben die Pfeifen angezündet und plaudern miteinander, während sie dicke Rauchwolken zur Decke blasen.

»Die bleiben bei uns,« sagt der Spielmann. »Man wird anbauen, und mit dem Geld, das der Vater gegeben hat, wird man schon dafür sorgen, daß es ihnen an nichts fehlt.«

Spiridon hebt neugierig den Kopf und fragt schüchtern: »Und dieser Vater?«

Danyl antwortet mit unbestimmter Gebärde: »Ein gebrochener Mann. Denkt doch, er hatte nur noch eine Hoffnung, die, sein Kind in die Arme zu schließen, und da bringt Thekla ihm eine solche Nachricht. Das Schicksal ist grausam ... und weiß Gott, wie sie ihm das noch erzählt hat. Denn ich kenne meine Schwester. Dazu noch in der furchtbaren Aufregung, in der sie war! Ach, wenn ich den Schlag nur hätte abwenden können!«

»So ist,« sagt der Sänger, der die Geschichte stückweise zu erfahren hofft, »Malvas Vater also von Adel?«

»Nun ja, er gehört einer der besten Familien an. Er wohnte als Maler in Paris. Die verfluchte Gefallsucht seiner Frau hat ihm die schreckliche Geschichte eingebrockt. Um seine Ehre zu rächen, hat er sich ohne Zeugen in seinem Atelier mit dem andern, einem der vornehmsten galizischen Adligen, duelliert. Der war ein mächtiger Mann. Er fiel. Welche Beweise für ein ehrliches Duell hatte man? Da dachte Malvas Vater an den Skandal, den Prozeß, all den Schmutz, den man aufwühlen würde, und hat sich lieber aus dem Staube gemacht, das Kind aber Thekla anvertraut. Und deshalb hat sie nie etwas sagen wollen und hat nicht begriffen, daß es hundertmal besser gewesen wäre, dem Kind seine Lage klar zu machen.«

Der gute Spiridon war ganz ergriffen. »Und was ist aus der Mutter geworden?« fragte er noch.

»Die soll tot sein, Gott sei ihrer Seele gnädig! Was mir aber Angst macht, ist Malvas Schicksal; so jung schon verlassen, und noch dazu mit einem Kind.«

Ringsumher herrscht feierliches Schweigen, alles schläft in der Hütte, man hört nur das Surren der Schmetterlinge, die sich an der Lampe verbrennen, oder den Wind, der wie Orgelton durch die Buchen rauscht. Die Lampe hat ihr Öl verzehrt, ist dem Verlöschen nahe. Seit einem Weilchen spricht der Spielmann nicht mehr: er sinnt, er träumt.

»In achtzehn Monaten,« murmelt er, »tritt Verjährung ein.«

Und der Walache, dessen weiße Zähne und großaufgerissene Augen in der Dunkelheit schimmern, wagt ihn nicht weiter zu befragen; er weiß nicht, bedeutet dieses Wort, das er nicht recht versteht, eine Drohung oder eine Hoffnung?

*


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