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Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Herr Anastasius.

Herr Anastasius war sehr ärgerlich vom Notar zurückgekommen: gegen den Kontrakt war nichts zu machen!

Die Begutachtung, die Jan und ein Sachverständiger vorgenommen, war eigens darin erwähnt, überall fand man, geschickt versteckt, die Spur von Piks gewandten Fingern. Was Herrn von Rudowitz betraf, so hatte er erwiesenermaßen keinen roten Heller für das Gut bekommen, sondern es gegen einen andern Vertrag, bei dessen Abschluß ihm eine Expropriation in Aussicht gestellt wurde, gegen Häuser und Grundstücke in Lemberg eingetauscht. So sagte Herr Anastasius sich denn, daß, wenn »Grüntann« einmal zu schlechtem Preis losgeschlagen sei, man gerade noch genug haben würde, um die letzten Tratten zu zahlen und die Schulden zu tilgen. Jan war also ruiniert. – »Na, geschieht ihm recht,« murmelte der Onkel. »Die Lektion ist hart, die Bekehrung wird aber um so gründlicher sein.« – Die Wunden des Säckels können Gott sei Dank mit Arbeit und Ausdauer geheilt werden. Die Hauptsache war vorerst, das verlorene Schaf in die Hürde zurückzuführen, ihm eine gebührende Schätzung der Vorzüge der Familie beizubringen. Dicht neben dem Gut, das Herr Anastasius an der Grenze der Bukowina besaß, lag ein seit dem Tode des Besitzers verlassenes Grundstück. Dank seiner Beziehungen zu den Erben würde Herr Anastasius Jan sicher dort als Verwalter unterbringen können. Seine Autorität sowie die Liebe der Großmutter und der beiden Tanten würden dann die Heilung vollenden.

Als Herr Anastasius den Fuß in das Hotelzimmer setzen wollte, wo Jan ihn abholen sollte, wurde er von drei, vier Individuen angehalten, die vor der Tür aufgereiht standen, Kerle, die lange, schmutzige Kaftane und Zylinderhüte trugen und deren Gesicht von zwei korkzieherförmigen Locken eingerahmt war. Sie hatten nach Herrn Jan Korab gefragt. Sie kamen, gewisse Rechnungen über Toilettengegenstände für die »gnädige Frau« einzukassieren: einen Pelzmantel, ein Kleid, Wäsche ...

»Die gnädige Frau?« wiederholte Herr Anastasius ganz überwältigt. Was sollte denn das heißen?

Da hatten ihm die Juden stückweise und nicht ohne einen gewissen Hohn die Geschichte der seltsamen Heirat erzählt, die in der Stadt umlief. Wortlos hatte Herr Anastasius die Rechnungen bezahlt, freilich erst, nachdem er sie auf die Hälfte reduziert hatte. Als Jan dann kam, hielt er sie ihm vors Gesicht.

»Kannst du mir dies Rätsel lösen? Es gibt also eine Frau Korab?« fragte er, und das Zittern seiner Lippen verriet seine nervöse Erregung.

Mit düsterer Miene blieb Jan vor ihm stehen. Es war hart, seinen Stolz vor diesem triumphierenden Richter so demütigen zu müssen. Sein Gesicht war purpurn geworden, und die Anstrengung, mit der er sich beherrschte, mußte fürchterlich sein, denn seine Stirnadern waren zum Bersten geschwollen. Zuletzt stieß er zwischen den Zähnen hervor: »Ja, es ist wahr, ich bin verheiratet.«

»Geh doch, du scherzest ...«

»O, es ist keine Heirat in aller Form, aber ich habe sie, so wie sie ist, anerkannt und habe nicht das Recht, mein Wort zurückzunehmen.« Dann hatte er seinem Onkel die ganze Sache erklärt.

Am Ende der Erzählung stieß Herr Anastasius einen schweren Seufzer aus: »Mein armer Junge, ich hätte nicht gedacht, daß es so schlimm mit dir stände. Es gibt in den Irrenhäusern Leute, die weniger wahnsinnig sind als du. Du vergißt, daß die Frau, der zuliebe du dich in ein solches Abenteuer gestürzt, eine Nichte von Pik ist ... Es ist ganz klar, daß er von Anfang an versucht hat, dich einzufangen. Das alles ist sehr geschickt angezettelt, so daß du glauben konntest, du seiest der Schiebende und nicht der Geschobene. Herr Pik ist ein feiner Kenner, er rechnet auf die Leichtgläubigkeit, die Vertrauensseligkeit der Verliebten. Übrigens,« fügte er hinzu, »wo befindet sich deine Pseudogattin augenblicklich?«

Jan war errötet. »Ich glaubte sie in ›Grüntann‹ zu finden,« sagte er leise, »sie hatte sich aber zu den Piks begeben, und als ich ihr darüber Vorwürfe machte, hat sie die Stadt verlassen.«

»Allein?« fragte Herr Anastasius ironisch.

Jan senkte den Kopf, ohne zu antworten.

»Nun, das ist ja vortrefflich, mein Lieber. Ich bewundere die Klugheit dieser jungen Frau, die, zweifelsohne von deinem Ruin unterrichtet, dir zartfühlend deine Freiheit wiedergibt. Übrigens enden solche Abenteuer meist so ... gratuliere dir also dazu, so leichten Kaufs davongekommen zu sein. Den Liebhabern der Fräulein Pik wird es sicher schlechter ergehen. Ein gewisser Russe ist vor zwei Jahren auch vor die Hunde gegangen, nur ist ihm die Älteste auf dem Hals geblieben. Was den Bankier Tedesco betrifft, den legitimen Besitzer der Jüngsten, so sagt man, der Ärmste habe sich verleiten lassen, eine Unzahl Aktien der ›Stambul-Bukarester Produktivgesellschaft‹ zu zeichnen, einer Spekulation seines Schwiegervaters, bei der Pik eine horrende Kommission bekommt, ohne irgend eine Verantwortung zu tragen, einer Spekulation, die meiner Ansicht nach gar keine tatsächliche Basis hat und nur auf dem Papier besteht. Man hat mir auch gesagt, dein Freund Severin, Stammgast im Pikschen Hause, habe sich gleichfalls mit ein paar tausend Gulden beteiligt.«

Seines Onkels Worte machten den schon verstörten Jan vollends irre. Alles trug ja dazu bei – von Malvas eigentümlichem Benehmen bis zu den zweideutigen Geheimnissen Theklas. Ach, welche Kämpfe und Qualen mußte er durchmachen! Wo lag seine Pflicht?

Die Ellbogen auf den Tisch stützend, drückte er die Hände an seine zermarterte Stirn. Zuletzt sagte er, langsam den Kopf hebend: »Du sagst, ich sei frei, Onkel. Wie meinst du das?«

»Lieber Junge, das ist doch höchst einfach. Jedes Kind weiß, daß eine solche Heirat nichtig ist.«

»Ich bin nicht deiner Ansicht. Für mich ist das eine Gewissensfrage. Der Austausch eines Eheversprechens, während der Priester den Segen spricht, bildet das ganze Sakrament. In der urchristlichen Zeit tat man nichts andres. Für einen anständigen Menschen genügt das, und ich erhebe den Anspruch, einer zu sein.«

»Ich auch,« sagte Zenowitz lakonisch und zuckte die Achseln. Er dachte: Welche Pest, guter Gott, sind doch die Leute mit Phantasie. Wie komplizieren sie das Leben der friedfertigen Menschen, die in Ruhe leben möchten!

»Na, dann bist du eben zum Zölibat verurteilt, weil es Herrn Pik beliebt hat, dir seine Nichte aufzuhängen. Du schaffst dir da eingebildete Fesseln. Denn, zum Teufel, es gibt Gesetze in der Religion wie in der Politik, und sie übersehen wollen, bedeutet den Anfang der Anarchie.«

»Laß das jetzt, Onkel, ich bitte dich. Du siehst ja, in welcher Verfassung ich bin. Augenblicklich bin ich – leider – verhältnismäßig frei, da die, welche ich zu meiner Gefährtin gemacht, für gut befunden hat, fortzugehen. Ich werde mir diese Freiheit jedoch erst an dem Tage zu nutze machen, wo ich gewiß weiß, daß sie dasselbe getan hat. Heute kann ich nur mutmaßen ... sie hat vielleicht nur unbedacht gehandelt, vielleicht bei ihrer Tante Zuflucht gesucht ... das will ich vor allem feststellen.« Und leiser setzte er hinzu: »Ich war so hart gegen sie, so heftig! Als ich sie aber in dieser zweideutigen Gesellschaft mit diesem Manne fand ... und nach allem, was ich gehört ... allem, was geschehen war ... ich war wild ... Und doch, Onkel, ich versichere dir, wenn du sie gekannt hättest in ihrer Schlichtheit, ihrer Ehrbarkeit, du hättest sie nicht mit den trägen und koketten Töchtern des Herrn Pik verwechselt.«

Er sagte das mit so tiefer Bewegung, so viel unterdrücktem Schmerz, daß Herr Anastasius davon ein wenig gerührt ward.

»Und überlege, daß – man sage, was man wolle – ich sie ihrer Familie entrissen, sie zu meiner Frau gemacht habe und deshalb eine ungeheure Verantwortung trage.«

In seinen Lehnstuhl gedrückt, mit zusammengezogenen Brauen, betrachtete Herr Anastasius seinen Neffen unverwandten Blicks. Er überlegte.

Zuletzt sagte er: »Untersuche die Sache, Jan.«

Dann setzte er einfach hinzu: »Ich werde nie jemand tadeln, weil er seine Pflicht tut.«

*


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