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Vierundzwanzigstes Kapitel.
Der Brief.

In ihrem Karren sitzend, mit gesenktem Kopf, von Schmerz vernichtet, auf den Knieen das kleine sargförmige Violinkästchen, rollt Thekla über die Chaussee, durch die Dörfer. Manche bekreuzigen sich, wenn sie sie vorbeifahren sehen.

»Wen begräbt die wohl?«

Andre lüften gottesfürchtig den Hut ... Hunde schlagen an. Die auf den Schwellen schwatzenden Frauen haben sie wiedererkannt.

»Ei, das ist ja die Jungfer Thekla!«

Man behandelt sie achtungsvoll, weil sie im Ausland war und in der Stadt wohnt. Ein Jude, der aus dem Flecken kommt, wo das Postbureau ist, läuft ihr plötzlich nach.

»Ich wollte gerade zum Spielmann gehen,« sagte er, »denn da ist ein Brief an Sie, unter seiner Adresse, Jungfer Thekla; nun braucht er ihn Ihnen nicht nachzuschicken.«

Sie scheint verwundert, wirft dem Mann eine Kupfermünze zu und dreht das steife Kuvert mit dem roten Siegel, der steilen Handschrift in ihren zitternden Fingern hin und her.

Und vor ihren Augen wird es dunkel, das Blut braust ihr in den Ohren, denn diese Schrift, sie hat sie erkannt, es ist die ihres Herrn, und dieser Brief ist der, den sie all diese Jahre erwartet hat.

Da zerreißt sie das Kuvert mit fiebernder Hand. Ja, ihr schreibt Malvas Vater, Andreas Ostoya, dessen Familie sie diese starre Anhänglichkeit gewidmet hat, und den sie nie mehr wiederzusehen geglaubt. Und jetzt kommt er, kommt vom andern Ende der Welt, verlangt sein Kind, verlangt sie alle beide. Er will seine kleine Malva in die Arme schließen, sie, die der braven Thekla anzuvertrauen ein grausames Verhängnis ihn gezwungen, um sie einem verhängnisvollen Beispiel zu entziehen, das sie sonst hätte vor Augen haben müssen ... Aber der Gedanke, sie in so sicheren Händen zu wissen, hat das Elend und die Schmerzen des Exils gemildert. Jetzt drängt es ihn, Thekla seine Dankbarkeit zu beweisen.

Dem Brief war ein Scheck für die Reisekosten beigelegt, und Malvas Vater gab seine Adresse in Krakau an, wo er sie erwartete. Er hoffe, fügte er hinzu, daß die kleinen Summen, die er ihr durch einen Mittelsmann habe schicken lassen, ihren Unterhalt wenigstens zum Teil gedeckt hätten. (Ach, niemals hatte Thekla etwas erhalten.) – Wenn er heute wiederkomme, wo er doch auf Nimmerwiedersehen geschieden, so ziehe ihn die unwiderstehliche Liebe zum Vaterland ... Noch war die Verjährung nicht eingetreten, aber der Tod hatte sein Werk getan. Noëmi war nicht mehr, andre waren gleichfalls verschwunden ... Vielleicht hatte man vergessen, sich beruhigt ... auch würde er still für sich unter anderm Namen in einem Asyl leben, wo ernste, von der Welt zurückgezogene Männer ihn aufnehmen würden.

Beim Lesen dieses Briefes hatte sich der unglücklichen Thekla ein dumpfer Schrei entrungen: »O Gott, mein Gott, zu spät. Und das hast du geschehen lassen?«

Toll vor Schmerz, faßt sie ihren Kopf mit beiden Händen, und ihr war, als rännen blutige Tränen über ihr pergamentweißes Antlitz.

Ach, was jetzt tun? Was dem Unglücklichen sagen?

Von weitem sieht sie schon ihr von Kirschbäumen und lustigen Sonnenblumen umgebenes Elternhaus sich auf dem Hügel abheben, und auf der Schwelle kann sie das rote Kopftuch ihrer Mutter, der alten Kräuterfrau, erkennen. Noch einige Drehungen der Räder, und sie wird vom Bienenhof das fröhliche Lied des Spielmanns hören.

Plötzlich hat sie den Kutscher angehalten und ist zu seinem großen Erstaunen abgestiegen: »Fahr allein hinauf und sage Danyl, ich käme nach.«

Totenblaß dreht sie um und schlägt den Weg nach der nächsten kleinen Station ein. Wie der Verurteilte zum Schafott, so ging sie zu ihrem Herrn.

Denselben Weg war sie vor achtunddreißig Jahren gegangen, als sie, von einem Bräutigam, der eine andre, schönere vorzog, betrogen, einen Dienst auf einem alten Hof tief in den Karpathen angenommen. Wie hatte sich ihr einsames Herz damals der neuen Herrschaft angeschlossen! Wie hatte sie ihre Freuden, Leiden, ja ihre Launen zu den ihren gemacht! Und als der gichtische Vater, der zwar reizbar, aber so gutherzig war, die Frau verloren, da hatte sie die Zügel mit eifersüchtiger Strenge in die Hand genommen. Denn wie der alte Herr, so erwartete auch sie den Tag, an dem sie das Regiment in die Hand der jungen Frau legen könnte, die der einzige Sohn des Hauses heimführen würde. – All diese Hoffnung war aber in ein Nichts versunken, als der junge Mann, ein Künstler, ein Anhänger der neuen Ideen, eine unerwartete, ganz unverständige Heirat mit einer Frau, einer schönen, schlauen Frau, geschlossen, die ihn bezaubert hatte und die einen unstillbaren Durst nach Luxus und Huldigungen empfand. Nach einem mißlungenen Versuch, in der Familie zu leben, hatte die geschickte Sirene ihrem Mann einzureden verstanden, daß nur in Paris sein Talent und ihre Schönheit zur Geltung kommen könnten. Verlassen, im Herzen getroffen, verlor der alte Vater alle Lebenslust, siechte eine Zeitlang dahin und verlosch eines Tages in den Armen der verstörten Thekla, der er die Aufsicht über das große Haus ließ. Sie wäre dort vor Schmerz sicher vergangen, wenn nicht ein unerhörtes Ereignis ihr Leben vollkommen auf den Kopf gestellt hätte.

»Thekla,« schrieb der Sohn des Hauses, »uns ist eine Tochter geboren; sie ist schon sechs Monate alt, siecht aber dahin, da sie fremden Händen überlassen wird. Du wirst sie in unsern alten Traditionen aufziehen und im Andenken an die, die nicht mehr sind.«

Und sie hatte alles verlassen, im Herzen tiefer, als sie sich's eingestehen wollte, durch den Gedanken an die neuen Pflichten bewegt, aber dennoch todestraurig, da sie in einer der verfluchten Städte leben mußte, die ihr alter Herr so gehaßt hatte, und sich unter die Herrschaft der unseligen Frau fügen, die das liebe, alte Heim zerstört hatte. – In dem kleinen, beim Park Monceau gelegenen Hause, dessen schreiender Luxus ihr von Anfang an zuwider gewesen, hatte sie sich sofort auf das Kind gestürzt und mit leidenschaftlicher Umarmung von ihm Besitz ergriffen. Anfangs hatte sie sich darauf gefaßt gemacht, die Mutter werde es ihr streitig machen, und sich auf ernste Abwehr vorbereitet. Dann hatte die Gleichgültigkeit der jungen Frau sie peinlich überrascht. In ihrem tollen Gesellschaftstaumel widmete diese ihrer Tochter kaum am Morgen und Abend einige Minuten.

Ganz anders der Vater. Er ließ sich gerne die Kleine in sein Maleratelier bringen, spielte mit ihr, bewunderte ihre rosigen Wangen, nannte sie sein Liebchen, seine kleine Malva. Thekla behandelte er wie ein Familienglied, auch fand er Zeit, mit ihr von seinem Vater und der Heimat zu sprechen, und gerne stöberte er mit ihr die melancholische Asche der Vergangenheit auf.

Aber wie schien er verändert! Er, der früher so Feurige, zeigte nur noch eine verdüsterte Stirn, und ohne Unterlaß arbeitete er, ausgenommen abends, wo er seine Frau in Gesellschaft führte, wenn sie nicht selbst Gäste hatten. Er malte Porträts, Paneele, Decken, Bilder ... Jeden Tag war das Atelier der Sammelplatz schöner Damen mit bloßen Schultern, reichem Schmuck und prächtigen Mänteln, deren Gesichter aber ebenso gemalt waren wie die Bilder ringsum.

Keine jedoch war schöner, noch reicher gekleidet als die Herrin des Hauses.

Sobald Malva gehen konnte, hatte ihre Mutter das geputzte, frisierte kleine Ding in den mit Blumen und kostbaren Nippes gefüllten Salon bringen lassen. Dann amüsierten die schönen Damen und eleganten Herren sich mit der niedlichen Kleinen, überhäuften sie mit Liebkosungen und stopften sie mit Süßigkeiten derart voll, daß sie am nächsten Tage stets krank war.

Nach und nach hatte Thekla auf diese Art das eigentliche Wesen dieses von allem, was sie bisher gesehen, so verschiedenen Haushalts kennen gelernt. Mit wachsendem Staunen bemerkte sie die Verschwendungssucht ihrer Herrin, entsetzte sich über die Rechnungen, die sich im Schubfach ihres Schränkchens anhäuften, über die Klagen, ja die Drohungen der Lieferanten, die man unbezahlt wegschickte. Und als sie eines Tages durch eine Indiskretion erfuhr, daß das Gut in den Karpathen schon zu drei Viertel mit Hypotheken belastet sei, da hatte sie geglaubt, ein gähnender Abgrund öffne sich vor ihr, der sie und das ganze Haus bald verschlingen werde. – Alles aber blieb beim alten, die Ausgaben nahmen eher noch zu, und Theklas Angst mit ihnen. Sich sagen, daß von dem Geld des Erbes, das man nie hätte angreifen sollen, diese tollen Feste und Toiletten bezahlt wurden!

Die junge Frau hatte auch eine Freiheit der Manieren, die Thekla den Atem benahm. Sie umgab sich absichtlich mit einem Hof junger Müßiggänger, die sie ins Bois und ins Theater begleiteten, behandelte ihren Mann mit verächtlichem Mitleid und entblödete sich nicht, ihn vor den Dienstboten einen ungeleckten Karpathenbären zu schelten.

Und Thekla sah die listigen Blicke, das höhnische Grinsen der Diener, die den Szenen beiwohnten. Eines Tages hatte ein Kammerdiener sie im Korridor am Arm gefaßt und ihr mit hämischem Lachen durch eine Glastür Madame gezeigt, die im Salon von einem ihrer eleganten Verehrer verfolgt und mit Rosen bombardiert wurde. – Dann hatte er, Thekla hänselnd und ihr schlechtes Französisch nachäffend, gesagt: »Oben Herr arbeiten, unten Frau lustig sein.« –

Ein wütender Zorn hatte Thekla gepackt. Sie wollte ins Atelier eilen, ihrer Empörung Luft machen, die herzlose Kokette entlarven. Denn den Herren hatte sie wohl wiedererkannt. Schon früher hatte er die junge Frau durch seine Annäherungsversuche bloßgestellt. Als sie aber vor der Tür stand, waren Thekla die Arme bei dem Gedanken an den vernichtenden Schlag, den sie gegen den nichtsahnenden Gatten führen sollte, schlaff heruntergefallen. Und sie hatte geschwiegen, während sie mit Entsetzen die unausbleibliche Katastrophe erwartete.

An einem drückenden Nachmittag Ende Juni war sie mit dem von einem drohenden Gewitter beunruhigten Kind früher als sonst aus dem Park Monceau heimgekehrt und hatte sich in dem großen, sonnenhellen Kinderzimmer inmitten einer lächerlichen Menge kostbaren Spielzeugs hingesetzt. Totenstille herrschte in dem kleinen Haus. Es schien, als hätten Herrschaft und Diener es wie auf Verabredung verlassen. Plötzlich erscholl gleichzeitig mit einem Donnerschlag ein durchdringender Schrei, der sie aufschreckte ... Es blitzte heftig ... sie machte rasch das Zeichen des Kreuzes und verbarg das Köpfchen des schreienden Kindes in ihrem Schoß. Da wurde die Tür aufgerissen, und der Herr kam herein: totenblaß, mit wirrem Haar, irrem Blick. Er war ohne Rock und sein Hemd blutbedeckt ... Mit herrischer Gebärde hatte er sie, die entsetzt fliehen wollte, zurückgehalten, die Kleine gefaßt und sie an die Brust gedrückt, als wolle er sie ersticken. Dann hatte er Thekla rasch fünf, sechs, sieben blaue Scheine gegeben. »Da nimm und mach dich fort, Thekla, verliere keinen Augenblick, hörst du!« Seine Stimme war rauh und befehlend: »Fort, sag' ich dir, mit meiner Tochter, die ich dir anvertraue. Geh in deine Heimat zurück und mache ein braves Mädchen aus ihr ... in deiner Familie.« Dann mit erstickter Stimme: »Nie aber, nie – schwöre mir's – gib sie ihrer Mutter ...«

Thekla hatte die Hand zum Schwur erhoben, wollte sprechen, fragen ... doch schon stieß des Herrn eiserne Faust sie zur Tür: »Fort ... bald ist es zu spät.« Da hatte sie Tücher und Mäntel zusammengerafft und war mit dem Kind die Treppe hinuntergelaufen. Dann war sie aufs Geratewohl durch die breiten, von Menschen und Wagen wimmelnden Straßen gewandert, die sie sonst nie allein betreten.

Lange schritt sie gerade vor sich hin, ohne auf Zeit und Ort zu achten.

Es hatte zu regnen begonnen, aber sie merkte es nicht; sie drückte nur das Kind krampfhaft an ihre Brust.

Todmüde war sie zuletzt auf eine Bank gesunken, ratlos, was tun, wo hingehen. Da war ihr ein Vetter eingefallen, der in der Rue du Mail Nummer zwölf eine kleine Garküche für Landsleute hielt. Das war ihr Heil! Wie aber hinkommen? Mit geschlossenen Augen dachte sie nach, als ihr eine Hand auf die Schulter fiel: »Na, Frauchen, schlafen müssen Sie schon wo anders.«

Sie richtete sich auf und blickte den Polizisten aus ihrem mageren, verstörten Antlitz an.

»Ich zwölf Rie du Mail gehen!« stotterte sie in ihrem Negerfranzösisch, »ich nix sprechen Französisch ... ich gehen zwölf Rie du Mail ...«

»Wie meinen Sie?«

Eine Gruppe hatte sich um sie gebildet, und jeder wollte seinen Senf zu der Sache geben.

Da blitzte es ihr: »Börse,« Die rue du Mail liegt nahe der Börse. sagte sie.

»Ach so, nach der Rue du Mail will die Kindsfrau.«

Darauf hatte man sie und das Kind in eine Droschke gesetzt. Am Abend hatte sie dann durch die Zeitungen das Drama erfahren. Herr X., ein wohlbekannter ausländischer Maler, mit einer der hübschesten Frauen der Fremdenkolonie verheiratet, hatte in seinem Atelier einen Landsmann, der dem höchsten galizischen Adel angehört, den Grafen Adalbert, der sich seit längerer Zeit sehr auffällig um die schöne Frau X. bemühte, tödlich verletzt. Hatte zwischen den beiden Männern ein Säbelduell ohne Zeugen stattgefunden? Das würde die Untersuchung ergeben. Jedenfalls war die in Österreich sehr einflußreiche Familie des jungen Mannes entschlossen, den Mörder, der, wie man sagte, mit seinem Kind und dessen Wärterin die Flucht ergriffen, energisch zu verfolgen. Die bedauernswerte Heldin des Dramas war von Freunden aufgenommen worden.

Ganz entsetzt über den Vorfall, hatten Thekla und ihre Verwandten beschlossen, daß sie am nächsten Morgen mit dem frühesten nach der Bukowina abreisen solle.

Das war neunzehn Jahre her.

Seitdem hatte sie der schreckliche Gedanke verfolgt, ihr Herr könne von den Gerichten ergriffen, in Ketten gelegt, eingekerkert, vielleicht zum Tode verurteilt werden, und ein unvorsichtiges Wort von ihr ihm den Untergang bringen.

*

Als Danyl und seine Mutter am Abend dieses Tages den Karren mit den Kisten und dem Violinkasten ankommen sahen, hatten sie begriffen, daß etwas Ernstes vorging, und angstvoll hatten sie gewartet.

Und zwei Tage später, als sie an einem trüben Morgen die Hüttentür geöffnet, erblickten sie Thekla, die mit verstörtem Blick, ihr Tuch verkehrt umgebunden, an der Wand lehnte und wirre Reden führte. Kaum hatte sie die Hütte betreten, so hatte sie mit den Armen in der Luft herumgefuchtelt und war hingeschlagen. Abends delirierte sie im Fieber. So hatte Danyl stückweise all die dramatischen Ereignisse erfahren, die sich in den letzten Wochen zugetragen, und von denen er nichts wußte. Auf ihrem Lager redete, gestikulierte Thekla. Fortwährend sprach sie mit einem unsichtbaren Jemand, den sie mit gerungenen Händen anflehte, wenn sie sich nicht in Anfällen von Verzweiflung wand: »Gnade, Herr, Gnade, ich habe sie gepflegt, gehegt, behütet wie meinen Augapfel. Wenn Sie sie hätten sehen können, wie niedlich sie war ... Jeder, der sie sah, beneidete mich, sie ging wie ein Prinzeßchen, und wenn sie Violine spielte, hätte man sie für einen Engel vom Himmel gehalten. Wo sie ist? Ach, mein guter Herr, ich weiß es nicht. Irgendwo in der Walachei, in Bulgarien, vielleicht auch in der Türkei. Ach, als ich sah, wie sie sich rotes Band ins Haar flocht, da habe ich von Kopf bis Fuß gezittert ... denn man weiß, daß die Mädchen sich für die Männer putzen ... Da, Herr, habe ich mit ihr geredet, ernst geredet, habe ihr gesagt, sie sei nicht wie die andern, in ihrem Leben sei ein Geheimnis, sie dürfe nicht an Liebe und Heirat denken, sondern müsse warten, geduldig warten, wie ich. Zuerst lachte sie, als aber der Türke zu Piks kam, da war sie ganz verändert. O, wie trotzte sie mir! ... Ich glaubte, ihre Mutter zu sehen! O, wie hat sie mir ihr Spiel verborgen! Erst als sie dem Priester den Segen gestohlen, habe ich alles gemerkt ... aber da waren sie schon weit, auf dem Wege nach Jassy!«

Diesem seltsamen Wortschwall, den sie mit unglaublicher Schnelligkeit hervorsprudelte, folgte dann eine so tiefe Erschöpfung, daß man die Unglückliche mehrmals am Rande des Todes glaubte. Marina, die Kräuterfrau, hatte all ihre Kunst aufgeboten, um Thekla beizustehen. Auf dem Herd kochten in schwarzen Tontöpfen Geheimmittel aus Kräutern, die nach allen Regeln der Kunst gesammelt waren. Am Bett der Kranken war eine weiße Dolde Beifuß aufgehängt, ein geweihtes Kraut, das die bösen Geister bannt. Und Danyl hatte Befehl erhalten, den alten Holunder in der Hecke auszuroden, weil der Teufel gerne in dessen Wurzeln sitzt.

Wie traurig er war, der gute Spielmann. Sein sonst so fröhliches Antlitz war ganz verfinstert. Eine tiefe Falte durchzog seine Stirn, und schwere Seufzer entrangen sich seiner Brust.

»O Malva, kleine Lerche, Sonne unsres Hauses, wo bist du jetzt? Ach, hast du uns vergessen? Uns, deine Alten, die dich so lieb hatten?«

Seinem geraden Bauernsinn war es nicht entgangen, daß Theklas Eitelkeit, die sich von des Agenten süßen Worten hatte ködern lassen, viel zu dem Unglück beigetragen hatte, und er verwünschte den treulosen Pik von neuem.

Aber die Wochen vergingen, und jetzt war es schon sechzig Tage her, daß Thekla, die immer wieder Rückfälle bekam, sich auf ihrem Schmerzenslager wand.

*


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