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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Der Bruch.

Als er sich dem Pikschen Hause näherte, tauchte plötzlich Tymoftes spitzes Gesicht unter einer Straßenlaterne auf.

»Ei, Effendi,« rief der Bursche, »Sie kommen sicher zu Papa. – Leider ist er gerade mit dem Expreß nach Bukarest und geht vielleicht bis zum Bosporus. Ein Riesengeschäft! Aber Sie werden eine Überraschung erleben ... Malva ist hier.«

»Wie, Malva?«

Jans Gesicht war purpurn geworden.

»Nun ja, Malva, was ist denn dabei? Nur nicht gleich eifersüchtig! Sie langweilte sich allein in ›Grüntann‹, das Kätzchen ...«

»Du könntest wohl ›Frau Korab‹ sagen, Bengel!«

»Da ist sie denn zu uns gekommen, gerade vor einer Woche, und da Lina von Jassy hier ist, sind die Damen zusammen zu der schönen Euphrosine in Gesellschaft gegangen. Sie kennen sie doch, die Witwe, die zwei Männer gehabt hat. Seit drei Tagen wird dort getrunken, gegessen und getanzt, und das amüsiert die Kleine ... Verzeihung – Frau Korab.«

Staunen und Zorn benahmen Jan die Sprache. Malva, die er pflichttreu im Schutz des häuslichen Herdes glaubte, vergnügte sich in seiner Abwesenheit in so zweideutiger Gesellschaft?

»Soll ich Sie hinführen?« fragte Tymofte.

Jan hatte ihm aber schon den Rücken gedreht. Das gastfreie Haus der schönen Euphrosine war an seiner offenen Tür, seinem hellen Lichterglanz, dem Geigengetön und dem Stampfen der Tänzer in dieser engen Gasse leicht zu erkennen. Lärmend gingen die Gäste dort fortwährend ein und aus, als sei hier ein öffentliches Lokal. Seit drei Tagen hörte das Tanzen nicht auf. Waren ein Herr oder eine Dame zu ermüdet, so zogen sie sich entweder in den dem männlichen, oder in den dem weiblichen Geschlecht reservierten Teil des Hauses zurück. Da standen eigens errichtete Ruhebetten, und die Damen konnten sich umkleiden. Als Jan in das rauchige, von Spielern angefüllte Zimmer vor dem Tanzsaal trat, stand ein hochgewachsener Walache, mit Augen wie die Kohlen und blinkenden Zähnen, inmitten eines Kreises Neugieriger, die er um Haupteslänge überragte. Er versicherte, er könne einen Kreuzer zerbeißen.

Man begann darum zu wetten. Eine Gruppe junger Frauen war aus dem Nebenzimmer dazugekommen, Malva mitten unter ihnen. Sie trug ein helles, fast gar nicht ausgeschnittenes Kleid und in ihren schwarzen Haaren eine rote Geranienblüte. Lachend, entzückend hübsch, die eine Hand auf Linas Schulter, die andre unter Nastunias Arm, kam sie heran. Jan beobachtete sie mit zitterndem Herzen.

Als Malva den Walachen sah, grüßte sie ihn mit einem freundlichen Wink, warf ihm dann geschickt eine kleine Kupfermünze zu, die der Mann im Fluge auffing, um sie an seine Lippen und dann an sein Herz zu drücken. Darauf nahm er die Münze zwischen seine blendenden Zähne, und als ob es sich um ein gewöhnliches Schokoladenplätzchen handelte, biß er sie in zwei, dann in vier Stücke.

»Hurra, Spiridon! Bravo!« riefen die Spieler. »Das ist ein Kerl!«

Und die jungen Frauen betrachteten ihn mit bewunderndem Lächeln.

Da zerbiß er, durch seinen Erfolg angefeuert, noch drei, vier Münzen.

»Und jetzt ein Lied!« rief man von allen Seiten.

»Ja, ein Lied, Spiridon!« wiederholte Malva.

Ohne sich weiter bitten zu lassen, stimmte der schöne Mensch mit schallender Stimme eines seiner Bravourstücke an: »An die Walachei!« das damals Mode war.

»Ich sah den frechen Janitscharen,
Entzündet von der Schlachten Gier,
Vergreifen sich an meiner Liebe,
Bedrohen Leib und Leben ihr!«

Während der ganzen Romanze waren seine blitzenden Augen fest auf Malva gerichtet, als ob er nur für sie singe.

Die Hörer stampften vor Wonne.

Als er aufhörte, gab es einen unbeschreiblichen Tumult: man schrie und applaudierte; alle waren aufgestanden, schüttelten ihm die Hand, und die jungen Mädchen warfen ihm voller Begeisterung Blumen und Bänder zu. Unbedachtsam nahm Malva die Geranienblüte aus dem Haar und reichte sie ihm. Er lächelte, so daß man seine glänzenden Zähne sah, zwirbelte seinen Schnurrbart sieghaft auf, warf ihr mit den Fingerspitzen einen Kuß zu und steckte die Blume dann, so daß sie jeder sehen mußte, an die Brust.

In ihrem unschuldigen Herzen dachte Malva sich nichts dabei, war sie doch an das ungenierte Leben im Pikschen Hause gewöhnt.

Sie war in diesem Augenblick völlig glücklich: das Verhängnis, das über »Grüntann« hereingebrochen, kannte sie nicht; von der Angst, die ihr die versteckte Feindseligkeit des Inspektors und der Dienstboten bereitete, war sie befreit; von Lina und Nastunia wurde sie mit liebevoller Sorgfalt gehegt, und was vor allem ihr Herz mit Freude erfüllte, war der Gedanke an ihres teuren Jan baldige Heimkehr und seine frohe Überraschung, wenn er sie auf dem Perron sehen würde.

Jetzt hatte Spiridon die Menge durchbrochen, Malva mit ausgestreckter Hand begrüßt, ihr den Arm geboten, sich einen Augenblick mit ihr im Kreise gedreht und sie dann in ein entlegenes Boudoir geführt, wo die beiden sich in eine sehr lebhafte Unterhaltung vertieften, wenigstens konnte man das aus der aufgeregten Mimik des Sängers schließen, der bald laute Rufe ausstieß, bald mit zärtlicher oder empörter Geste die kleinen Hände seiner Gefährtin an die Lippen führte.

Das war alles im Handumdrehen geschehen, und Jan blieb, von wütender Eifersucht verzehrt, unentschlossen stehen, während in seinem Geiste das Echo der geringschätzigen Reden widerhallte, die er im Coupé gehört.

Indessen flüsterte der Walache, zärtlich über die junge Frau gebeugt: »Sie wissen, Malva, was ich Ihnen versprochen, und Spiridon hält sein Wort. Es gibt nichts auf der Welt, was ich nicht für Sie täte. Ja, ich werde Thekla aufsuchen, werde ihr beweisen, wie schlecht sie sich benommen hat, und ich werde so beredt, so hartnäckig sein, daß der alte Eigensinn wird nachgeben müssen.« Damit war er aufgestanden.

»Heute nacht,« sagte er, »muß ich zu meinen Musikern zurück, ich bin nämlich Direktor einer Wandertruppe. Da sie in Luzan ist, kann ich leicht einen Sprung nach eurem Dorf machen, das fast auf meinem Weg liegt. Und jetzt auf Wiedersehen, Frau Malva, und behüt' Sie Gott.«

Gedankenvoll, mit feuchtem Blick sah sie ihm nach: Ach, das gute Herz! Ja, er würde sicher tun, was er gesagt, und vielleicht würde er Erfolg haben.

Plötzlich hob sie die Stirn – sie fühlte einen schweren Druck darauf.

»Jan!«

Sie sprang empor. Totenblaß stand er an die Tür gelehnt vor ihr.

Sie wollte sich ihm in die Arme werfen, fand ihn aber starr wie Eis. Verstört blickte sie ihn an: »Mein Gott, was hast du? Freust du dich denn nicht, mich wiederzusehen? Sag! Ich bin vor Freude rein toll.«

Sie lachte jetzt, glaubte an einen Scherz. »Mir schien, als würde der Tag nie kommen. Ich war so unglücklich in ›Grüntann‹. Die Leute gehorchten mir nicht ... und dann war ich auch krank ...«

Er sah sie mit einem bösen Lächeln an.

»Davon merkt man nichts mehr, Gott sei Dank. Du hast die nötige Zerstreuung gefunden.«

Sie faßte den verletzenden Sinn seiner Worte noch nicht.

»Ja,« sagte sie unbefangen, »sie sind alle sehr nett gegen mich ... Lina, Nastunia und der brave Junge, der eben fortging. Er sagte mir ...«

Jan richtete sich in voller Größe auf: »Ich bitte, erspare mir die Wiedergabe deiner galanten Unterhaltungen. Die Reden dieses Herrn sind mir sehr gleichgültig.«

»Dieses Herrn!« Sie lachte laut auf. »Ich bitte dich, hast du ihn denn nicht wiedererkannt? Es ist ja Spiridon, der brave Spiridon. Du wirst doch nicht eifersüchtig sein? Höre, was er mir gesagt hat.«

Jan warf ihr einen vernichtenden Blick zu. »Genug,« sagte er, sie wild beim Handgelenk packend, »meine Geduld hat Grenzen. Treibe mich nicht zum Äußersten. Du siehst, ich kann mich kaum noch beherrschen.«

Jetzt bekam sie Angst.

»Mein Gott, was habe ich denn getan?« stammelte sie.

»Ei, findest du es nicht genug, daß ich dich hier in dieser gemischten Gesellschaft treffe, statt daß du mich zu Hause erwartest?«

Sie sah seinen harten Blick, den verächtlichen Ausdruck seiner Augen, die ohne jede Spur von Mitleid waren.

Kalter Schweiß bedeckte sie, und sie murmelte: »Ich wollte dir eine Überraschung bereiten, dich früher wiedersehen ...«

»Die Überraschung ist dir völlig gelungen,« höhnte Jan; »sie konnte gar nicht größer sein. Ich komme nach Hause, mein Haus ist leer, meine Frau auf dem Ball, wo sie mit dem ersten besten kokettiert, und mein Gut ist ruiniert, hin, dank der Freundlichkeit ihrer Familie.«

Sie sah ihn fassungslos an. Was er da erzählte, ging über ihren Verstand.

Aber sie war tapfer, daher richtete sie sich auf. Nein, ihr Glück konnte so nicht versinken, das war unmöglich, sie wollte kämpfen, sich verteidigen.

Mit hastiger Gebärde umklammerte sie ihn: »Bitte, erkläre, es muß irgend ein schreckliches Mißverständnis vorliegen ... du weißt, daß ich dich von ganzer Seele liebe, nie aufgehört habe, dich zu lieben. All meine Gedanken gehören dir. Du magst in meiner Vergangenheit suchen, du wirst dort nur einen Namen finden, den deinen ... nur ein Unrecht – das, der öffentlichen Meinung getrotzt, dir gehorcht und in diese Art der Heirat eingewilligt zu haben.«

Jan hatte sich nervös losgemacht: »O, keine Szene hier, ich bitte dich. Da kommen Leute. Deine Familie,« er betonte das Wort, »muß in Sorge um dich sein.«

Sie stammelte erschreckt: »So nimmst du mich nicht mit?«

»Geh zu denen, die dich hergebracht haben,« sagte er in grausamem Ton.

Die kalt-förmliche Verbeugung, die er ihr gemacht, schnitt ihr ins Herz wie eine Messerklinge.

Sie rang die Hände, hielt eine herzzerreißende Klage zurück: »Jan, Jan, sei gut ...«

Doch die Worte blieben in ihrer ausgedörrten Kehle stecken, und ihre Füße schienen an den Boden geschmiedet.

Zuletzt ließ sie sich auf eine Bank am offenen Fenster fallen, verkroch sich hinter einer Falte des Vorhangs und blieb, eiskalt, gebrochen, die Brust von Schluchzen zerrissen, dort sitzen. – – Jan, halte ein, komm zurück zu deiner kleinen Malva, zu dem Kind, dem du seine Familie genommen, das auf der Welt nur noch dich hat, das ohne Stütze vielleicht untergeht. Jan, wenn sie gefehlt, ist es aus Unbedacht und aus Unkenntnis der Gebräuche geschehen. Wo hätte sie die lernen können? Etwa in Theklas Hütte?

Aber Jan hielt nicht ein.

Morgen geht er zu den Piks, da wird er all die Ränke aufdecken. Heute hebt er das Haupt als unfehlbarer Richter, denn, ach, der Stolz des Menschen ist oft stärker als sein Verstand.

Ein frischer Wind blies Malva ins Gesicht. Sie hob den Kopf. Der Morgen graute, die Lichter ringsum erloschen, und der Lärm des Tanzes verstummte. Sie öffnete das Fenster ganz, und nun kam ihr die Erinnerung wieder: Jan war fort und sie allein auf der Welt! –

»Malva, Fräulein Malva,« rief eine Stimme von der Straße, »ach, wie habe ich Sie gesucht!«

Ein Bauer mit der Peitsche in der Hand stand vor ihr. Es war ein Nachbar von Onkel Danyl.

»Ich sollte Ihnen sagen, daß Thekla ... sie ist sehr krank, sie wird vielleicht sterben ... sie hat eine Krankheit da innen, aber vor allem im Kopf ...«

Malva hatte, ihren eigenen Schmerz zurückdrängend, ihre Tränen getrocknet und sich aufgerichtet. Sie dachte nur noch an Thekla, ihre Adoptivmutter, die sie auferzogen, gehegt, gepflegt hatte und der sie's so schlecht vergolten. O Gott, wenn sie nur nicht zu spät käme, Thekla dem Tode abringen, ihre Verzeihung erlangen könnte.

»Wo ist dein Karren, Piotr? Ich begleite dich.«

Aber der Mann fährt erst am nächsten Tage zurück. Da übersteigt sie, ohne eine Sekunde zu verlieren, die Brüstung des niedrigen Fensters, und barhaupt, im hellen Kleid eilt sie durch die Straße, gelangt zum Hotel am Markt, wo man, wie sie weiß, Pferde mieten kann.

Gerade hat der Walache sich im Hof in einen alten Mietswagen gesetzt, und sie fleht ihn an: »Spiridon ... Thekla liegt im Sterben ... ich muß zu ihr.«

Der Mann streckt ihr wortlos die Hand hin: »Steigen Sie auf, Kukunitza, ich werde Sie fahren.«

Die Peitsche knallt, das magere Pferd wiehert, bäumt sich ... und rast im Galopp davon.

Mit Erstaunen sehen Lina und Nastunia, die vom Ball kommen, das Paar vorüberfahren.

Von dem Gerassel des seltsamen Fuhrwerks angelockt, ist Jan an das Fenster seines Hotelzimmers getreten, und sein Stolz empfängt den letzten Stoß.

*


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