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Fünfzehntes Kapitel.
Auf der Terrasse.

Draußen, unter den Cystusrosen, im leichten Schatten der wilden Clematis, wandelten Jan und Helene Seite an Seite. Sanfte Winde hatten die Blütenblätter der Apfelbäume zu Tausenden auf den Boden gestreut, so daß er mit einer rosa Decke bedeckt erschien.

»Sie hätten sicher die Gesellschaft meiner Schwester vorgezogen,« rief Helene trotzig.

Lächelnd entgegnete er: »Ich werde Ihnen das Gegenteil beweisen.«

»Meine Schwester ist aber die Tugend, die Weisheit in Person und vor allem der Verstand.«

»Ein französischer Autor, mein Fräulein, sagt, daß das Herz Gründe hat, die der Verstand nicht faßt.«

»In freier Übertragung: der Älteren die Jüngere vorziehen, ist eine liebenswürdige Torheit.«

»Was tun die Worte, wenn der Inhalt köstlich ist?«

Helenes Lider zuckten, und um ihre Erregung zu verbergen, beugte sie sich über einen Primelbusch.

»So teilen Sie die allgemeine Meinung meiner Familie, die mich unausstehlich findet, nicht?« Dabei versuchte sie, eine freundliche Miene anzunehmen.

»Erlauben Sie, ich erhebe nicht den Anspruch, mit einem einzigen Wort eine so vielseitige Natur wie Sie zu erschöpfen. Ich halte Sie für außerordentlich begabt, für sehr vielseitig.«

»Ja,« sagte sie, »im Guten wie im Bösen ...«

»Ihr seltsames Wesen, Ihr kaustischer Witz, die Herbheit und der Stolz, die Sie zur Schau tragen, hatten mich zuerst verblüfft. Seitdem habe ich mein Urteil berichtigt, habe eingesehen, daß Sie, da Ihre Natur dem Wesen Ihrer Familie direkt entgegengesetzt ist, mit einer Art Scham die Aufrichtigkeit und Großmut verbergen, die Sie sicher besitzen.«

Sie schlug ihre prächtigen Augen zu ihm auf und ihre Züge verklärten sich.

»Bin ich zu streng?« fragte er in der Furcht, zu weit gegangen zu sein.

Sie waren inzwischen an eine von einem niedrigen Mäuerchen umgebene Terrasse gelangt, von wo man das herrliche Tal des Pruth überblickte. Auf die Brüstung gelehnt, die Augen zu dem unendlichen Himmel erhoben, sagte Helene leise: »O nein, niemals hat jemand so zu mir gesprochen. Wie gerne höre ich Ihnen zu.«

»Sehen Sie,« fuhr der junge Mann fort, »heute sind Sie für alle, die mit Ihnen in Berührung treten, noch eine Art Sphinx. Ihre wirkliche Persönlichkeit ist im Larvenzustand, und je nach den äußeren Umständen Ihres Daseins wird ein heller oder ein dunkler Schmetterling ihr entfliegen.«

Mit verlorenem Blick, als spreche sie zu sich selbst, erwiderte sie: »Sie haben recht, eine Sphinx, eine Sphinx auch mir gegenüber. Weiß ich denn, was ich will? Manchmal erschreckt mich das Rätsel des Lebens derart, und ich mache mir von den Menschen eine so niedrige, so abscheuliche Vorstellung, daß mir das Dasein nicht der Mühe wert erscheint, daß ich den Tod wie eine Erlösung herbeirufe ... Dann wieder empfinde ich eine so überschwengliche Freude am Leben, daß ich mich zusammennehmen muß, um nicht vor Wonne aufzuschreien, daß ich glaube, die Welt gehöre mir, daß sie für mich allein gemacht sei und ich das Recht hätte, all ihre Genüsse und Empfindungen auszukosten!«

Ihre Worte machten ihm einen seltsam tiefen Eindruck.

»Sie wundern sich über mich,« sagte Helene.

»Nein ... aber ich bedauere Sie, denn Sie werden viel leiden müssen.«

»Und Sie ziehen Roses Verständigkeit vor,« sagte sie bitter.

»Rose und immer Rose! Warum sie fortwährend aufs Tapet bringen?«

Helene krauste die Stirn, zögerte einen Augenblick, und dann einen Entschluß fassend, sagte sie: »Warum Verstecken spielen? Ich weiß, daß Sie – aus Sympathie oder andern Gründen – um ihretwillen hieherkommen.«

Auf Jans Gesicht ging eine Veränderung vor.

»Sie gehen zu weit, mein Fräulein. Weshalb diese Beleidigung? Wären Sie ein Mann, ich würde Sie zur Rechenschaft ziehen.«

»Wenn ich auch nur ein Mädchen bin, so bin ich doch bereit, für meine Worte einzustehen,« antwortete sie von oben herab.

»Ich habe viele Fehler, zum ersten Male aber wirft man mir Berechnung vor.«

Helene fühlte, wie eine brennende Röte ihre Stirn bedeckte.

»Unsre ganze Familie hat geglaubt ...« sagte sie leidenschaftlich.

»Ihre ganze Familie hat sich geirrt, mein Fräulein; ich habe nie an Ihre Schwester gedacht.«

Sie hörte ihm zu, als ob ihr Leben von den Worten abhinge, die er sagen würde.

»Ich war heute mit der Absicht gekommen, bei Ihren Eltern einen andern Schritt zu tun, von dem meine ganze Zukunft abhängt.«

Es schien Helene, als stehe ihr Herz still.

Welchen Schritt meinte er? Es schwindelte ihr vor den Augen.

Schweigend betrat sie mit dem jungen Mann wieder den Pfad, der zum Haus führte.

Im Garten erhob sich Geräusch. Sie sah die Schweizerin, die ihr winkte, und zu gleicher Zeit kam ein Kammerdiener, um Jan zu melden, daß Herr und Frau von Rudowitz ihn im Salon erwarteten.

Helene war, als sie das Haus erreicht hatte, sofort aufgeregt in ihr Zimmer gegangen, um Fräulein Santous Fragen auszuweichen.

Ein Todesschweigen lag über dem Hause, als ob es ausgestorben sei, und doch entschied sich dort in dem Salon, dessen Fenster sie sehen konnte, ihr Schicksal!

Drei Viertelstunden vergingen. Endlich setzte ein Fiaker, der vor dem Hause so lange gehalten, sich in Bewegung. Sie sah Jan in Herrn Piks Begleitung hineinsteigen. Cyprian schüttelte diesem kräftig die Hand, und ihre Gesichter drückten sämtlich lebhafte Genugtuung aus. Helenes bis dahin so gepreßtes Herz fühlte sich plötzlich erleichtert.

Doch da hörte man die Türen schlagen, und Frau Julies gefürchtete Person machte sich wieder lärmend bemerkbar.

Ein scharfer Ruf schreckte Helene auf. Sie eilte herbei und fand ihre Mutter totenblaß, mit verzerrten Zügen.

»In welcher Absicht,« sagte sie mit ihrer scharfen Stimme, »hast du für gut befunden, dich durch das lange Tete-a-tete mit Herrn Korab zu kompromittieren?«

Alles schien um Helene zu tanzen, doch trotzig und sehr rasch sagte sie: »Wir finden augenscheinlich großes Vergnügen daran, miteinander zu plaudern.«

»Darauf wirst du in Zukunft verzichten müssen, Herr Korab soll den Fuß nicht mehr in unsern Salon setzen.«

Dieses Mal entrang sich ein Schrei Helenes Brust: »Ihr habt ihn fortgejagt, weil er mich Rose vorzieht! Das ist empörend!«

Aber die Mutter antwortete mit drohender Geste: »Weder dich, noch deine Schwester, noch sonst jemand!« Und sie drehte Helene den Rücken, sie in einer Ungewißheit lassend, die weit grausamer als die brutale Wahrheit war.

*


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