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Siebentes Kapitel.
Die kleine Geigerin.

Am nächsten Tage hielt Jan Korab, eine Zeitung in der Hand, auf einer Chaiselongue des großen Salons seine Mittagsruhe, als die sanften Töne einer Geige, die ein schwermütiges Volkslied spielte, durch einen Türausschnitt zu ihm drangen.

»Wer spielt denn da?« rief er, sich mit erheuchelter Unwissenheit an Lina wendend, die nachlässig mit ihrer Halskette aus Bernstein spielte, und dabei deutete er nach dem Pavillon.

»Ach, das ist ein junges Landmädchen, eine echte, kleine Wilde, die mein Vater zu sich genommen hat. Sie wohnt da mit ihrer Tante. Sie sind arm ... Soll ich sie holen ... ich eile.«

Und rasch wie der Blitz hatte sie ein Tuch über die Schultern geworfen, den Garten durchlaufen und war in dem von Thekla und ihrer Nichte bewohnten Landhaus verschwunden.

»Komm schnell herüber, Malva, du sollst Effendi Vorspielen.«

Ganz verblüfft hatte Malva den Bogen fallen lassen, und die dichten Haare, die ihr in wilden Locken in die Stirn fielen, zurückwerfend, sagte sie mit blassen Lippen: »O, niemals!«

Mit unruhigem Blick beugte sie sich vor, um zu sehen, ob Thekla das Gesprochene gehört habe. Die Alte aber schien ganz in das Salzen ihrer Käse vertieft.

»Dummchen, er wird dich nicht fressen ... und wenn du lieber willst, magst du in Mamas Zimmer spielen; wir lassen die Tür offen ... Komm, komm!«

Auf den Zehenspitzen war Malva ihr gefolgt, in tiefster Seele bewegt.

Der kleine Bogen zitterte sehr, als das junge Mädchen in Frau Piks Zimmer, zwischen durcheinandergeworfenen Kleiderhaufen und konfitürebeklebten Untertassen, ihre ersten Noten erklingen ließ.

Effendi! Sie entsann sich noch des tiefen Mitleids, das sie empfunden, als sie ihn vor sechs Wochen, bleich, abgespannt, den Arm in der Binde, in Herrn Piks Schlitten hatte ankommen sehen. Und welche ungeheure Bewegung hatte sich ihrer bemächtigt, als sie später, hinter dem Vorhang versteckt, ihn mit dieser zu Herzen gehenden Stimme die heroischen Plewnakämpfe hatte erzählen hören! Und welches Mitgefühl vor allem mit dem besiegten Helden, dessen männliches Gesicht eine so finstere Schwermut ausdrückte ... War er nicht Slave, Pole, wie sie, nicht etwa ein Gemisch von Deutschem und Moldaven, wovon die Bukowina wimmelte? Hatte sie, die Schüchterne – ganz heimlich gestand sie sich's ein, außer sich darüber, daß sie so gar nichts von einem Krieg wußte, von dem man so viel sprach –, nicht ein großes Pack alter Zeitungen aus Herrn Piks Bureau genommen und sie nachts, sich vor ihrer Tante versteckend, mit fieberhaftem Eifer gelesen?

Daran dachte sie, als ihr Bogen über die Saiten glitt.

Etwas befangen, hatte sie zuerst eine ernste Melodie gespielt. Nach und nach ward sie freier, und sich ganz ihrer unschuldigen Inspiration hingebend, ließ sie ihre Geige bald singen, bald klagen. Sie sprach von ihrer Lebenslust, ihrem kindlichen Staunen, der Schönheit des Sternhimmels und der grünen Wiesen, wo wilde Blumen üppig blühen. Sie flüsterte von den unbestimmten Hoffnungen in der Tiefe ihrer jungen Seele, die einer Blume gleich nur den ersten Sonnenstrahl erwartete, um sich zu entfalten.

Wohl eine Stunde lang hatte sie so gespielt, dann hörte sie auf, beschämt darüber, daß sie sich derart von ihrer Phantasie hatte fortreißen lassen, und angstvoll wartete sie auf einen ebenso ersehnten als gefürchteten Ruf.

Da war Lina wie ein Wirbelwind hereingesaust: »Sehr gut, Kleine! Du kannst gehen. Komm morgen zur gleichen Stunde wieder.«

Mit etwas schwerem Herzen war sie gegangen, jedoch am nächsten Tage und an den folgenden war sie wiedergekommen, denn, ach, sie fühlte wohl, daß von nun an diese Stunde die schönste des ganzen Tages war.

»Wo gehst du denn hin?« hatte Thekla mißtrauisch gefragt.

Rasch hatte sie hervorgestottert: »Ich spiele in Frau Piks Zimmer.«

Und Thekla hatte gelächelt, entzückt, sowie sich's darum handelte, den erlauchten Wohltätern zu gefallen.

Heute spielte Malva zum zehnten Male. Gewiß, Effendi sah sie nicht, wenn sie sich aber ein wenig vorbeugte, konnte sie ihn sehen. Aufmerksam und träumerisch hörte er zu, die Augen an die Decke geheftet, eine Zigarette zwischen den Lippen, und auf seinen beweglichen Zügen bemerkte sie einen Ausdruck wirklicher Freude. Bei dem Gedanken, daß auf diese Art ein Band zwischen ihrer unbedeutenden Seele und der Seele dieses Helden bestand, hatte ihr Herz vor Stolz gebebt. In begeistertem Drang hatte sie ihrer Improvisation freien Lauf gelassen, hatte von glühender Vaterlandsliebe, von der unter Fremdenjoch seufzenden Heimat, den Kämpfen der Verzweiflung gesungen, und aus einem Ruf zu den Waffen, mit wilden Lauten und Kriegsfanfaren untermischt, war zuletzt ein heroisches Siegeslied geworden.

Dieses Mal hatte sich ein Schrei unwillkürlicher Bewunderung Jans Lippen entrungen. Er war überwältigt, bis in seine geheimsten Fibern aufgewühlt. Wie konnte der unberührten Seele eines einfältigen Kindes so hohe edle Leidenschaft entströmen?

»Aber die Kleine hat ein außerordentliches Talent!«

»Ja,« sagte Lina gleichgültig, »sie spielt sehr gut zum Tanz.«

Jan kniff unmerklich die Lippen zusammen.

»Sie sagten mir, Lina, daß sie arm sei, und ich möchte ihr gerne danken. Wie kann ich das? Glauben Sie, daß zehn, fünfzehn Gulden genug wären?« Und er zog die Scheine aus seiner Brieftasche.

»Fünfzehn Gulden! Was denken Sie! Zehn sind genug, übergenug. Ich bringe sie ihr rasch, sie wird entzückt sein.«

Kaum war Lina aber im Nebenzimmer verschwunden, so hörte man ein heftiges Gespräch, das auf der einen Seite von Schluchzen, auf der andern von lebhaften Scheltworten begleitet war: »Du Gans, du Närrin, was fällt dir denn ein, die Prinzessin zu spielen?«

Jan war gerade noch rechtzeitig erschienen, um das junge Mädchen in dunklem Kleid, das sein rotes Gesicht in beiden Händen verbarg, weglaufen zu sehen.

»Da, Effendi,« rief Lina, »nehmen Sie Ihre Gulden wieder. Sie hat sie mir ins Gesicht geworfen, der unverschämte kleine Racker. Sie habe nicht für Geld gespielt, sagt sie. Der Stolz nimmt wunderliche Formen an ... Zehn Gulden! Was sie sich alles dafür hätte kaufen können.«

»Und ich erst,« grinste der junge Tymofte, der die beiden Scheine auf dem Boden aufgelesen hatte und im Scherz Miene machte, sie einzustecken.

»Ei, so behalte sie,« sagte Jan Korab rauh. Schamröte bedeckte seine Stirn, er war außer sich, gegen sich selbst aufs heftigste erzürnt: wie hatte er je glauben können, das große Vergnügen, das ihm dieses Mädchen bereitet hatte, sei mit gemeinem Gelde zu bezahlen.

»Ich werde zu ihr gehen, mich entschuldigen,« sagte er zu Lina.

Sie lachte laut los.

»Was für eine Idee ... und ihre Tante würde Sie schön empfangen; die hütet sie wie ihren Augapfel und liebt Besuche nicht.«

Unentschlossen, geärgert, stand er da, als sein Blick plötzlich auf ein böhmisches Kristallglas fiel, in dem zwei prächtige Rosen standen, die er heute morgen gekauft hatte. Er ergriff sie vorsichtig und reichte sie Lina mit den Worten: »Wollen Sie sie ihr in meinem Namen bringen?«

Lina, die ein gutes Herz hatte, willigte gerne ein. Sie war schon im Hof, als die unverhoffte Ankunft zweier sehr geputzter walachischer Damen, die sie zu einem Fest abholen wollten, ihre Gedanken ablenkte. Rasch steckte sie die Rosen in ihr Kleid, lief davon, um ihren Pelzmantel zu holen, und sprang in den Schlitten.

*


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