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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Wie das Stiftsfräulein.

Am 3. (16.) Juni, in der Nacht der heiligen Mitrophane, Herrn Piks Schutzheiliger, schien der Mond so blendend hell, daß die Sterne davor erbleichten, und in den alten Gärten jauchzten die Nachtigallen so laut, daß man hätte glauben können, sie wollten einen Hochzeitsmarsch aufführen.

Vor der kleinen römischen Kirche wartete eine dichte Menge auf den Hochzeitszug.

Als Schlag neun Uhr die Braut in Weiß mit dem Myrtenkranz erschien, ertönte ein einziger Ruf der Bewunderung. Ein schmeichelhaftes Gemurmel begrüßte den Zug der weiß und rosa Brautjungfern, die dem Publikum Blumen zuwarfen und an einen anmutigen Schmetterlingschwarm erinnerten. Den Bräutigam fand man einstimmig alt. Aber ein türkischer Offizier, der mit dem krummen Säbel an der Seite in dem Zuge ging, machte großen Eindruck.

Das Brautpaar war vor dem Altar hingekniet, an dem der Priester, in einer Aureole stehend, die Worte sprach: »Der Mann wird Vater und Mutter verlassen und dem Weibe anhängen, und sie werden sein ein Fleisch ... Herr, befruchte mit deiner Gnade dieses Sakrament, das du zur Erhaltung des Menschengeschlechts gestiftet ...«

Das Publikum verfolgte die Zeremonie andächtig mit vielen Kreuzeszeichen und Kniebeugungen.

Plötzlich, als der Priester, die Ringe in der Hand, die Brautleute um ihr »Ja« fragte, warfen der türkische Offizier und eine bleiche Brautjungfer sich zusammen vor dem Altar nieder und wechselten rasch ihre Ringe, indem sie gleichzeitig mit dem andern Paar laut und deutlich das feierliche »Ja« aussprachen.

»Im Namen Gottes seid ihr vereinigt!« rief der Priester mit halbgeschlossenen Augen und gab seinen Segen, worauf die Orgel mit einem Jubelhymnus einfiel.

Das hatte sich alles so rasch abgespielt, daß, als der Priester die Augen öffnete, das junge Paar, das ihm seinen Segen gestohlen hatte, schon verschwunden war.

In ihre Gebete versunken, hatte Thekla nichts gemerkt. Aber im Publikum schwatzte man davon.

»Habt ihr das junge Paar gesehen? Die haben den Segen richtig gestohlen.«

»Sie haben ihn im Fluge erhascht.«

»Das ist aber ungesetzlich.«

»Warum? Haben sie das Ehegelöbnis nicht vor hundert Zeugen abgelegt? Die Ringe nicht gewechselt, nicht den Segen des Priesters erhalten? Was will man mehr? Gewiß konnten die armen Kinder nicht anders ...«

Einige dieser seltsamen Reden drangen auch zu Thekla, die mißtrauisch ihre Nichte im Hochzeitszuge suchte, aber dem Geschwätz keine große Bedeutung beilegte.

»Wissen Sie, wer die beiden waren?« sagte dann eine Stimme.

»Man nennt ihn, glaube ich, Effendi – und sie ist die kleine Malva, Sie wissen schon, die Geigerin ...«

Jetzt hob Thekla den Kopf; da kam auch Tymofte auf sie losspaziert.

»Wenn die Alten widerhaarig sind,« zischte er ihr ins Gesicht, »dann macht man's eben ohne sie.«

Thekla aber wollte nicht verstehen.

»Wo ist Malva?« fragte sie geistesabwesend.

»Ei, die ist mit ihrem Mann unterwegs nach der Walachei,« rief der Junge mit einem niederträchtigen Lachen.

Und eine andre Stimme rief aus dem Dunkel: »Das Gesicht der Tante möchte ich sehen!«

Jetzt hatte sie begriffen, und die Altarkerzen begannen vor ihr zu tanzen. »Die Elenden!« jammerte sie.

Der Zug schritt wieder in die helle Nacht hinaus, die Braut von zwei würdigen Matronen, der Bräutigam von zwei Herren in reiferen Jahren begleitet, die ihm an Alter nichts nachgaben.

Lärmend verlief sich die Menge. Der Küster löschte eine Kerze nach der andern und war schon im Begriff, die Tür zu schließen, als er eine Frau mit verzerrten Zügen und erhobener Faust am Weihwasserkessel stehen sah.

An ihrer seidenen Robe, ihren Handschuhen, ihrem etwas anspruchsvollen Putz erkannte er, daß sie zur Hochzeitsgesellschaft gehöre.

»Ei, Mütterchen,« sagte er, »wir haben wohl vorher ein wenig zu tief ins Glas geguckt!« und schob sie ohne weiteres hinaus.

Bis zum Morgen erfüllten der Lärm der Tanzenden und fröhliche Fanfaren das Piksche Haus.

Als der Agent gegen Mittag an seine Geschäfte gehen wollte, sah er mit Staunen die Tür des Häuschens offen stehen, und der gegenüberwohnende Schmied erzählte, daß Thekla mit ihren Sachen beim ersten Morgengrauen davongefahren sei.

»Sie weinte,« sagte der Mann, »und ihre Tränen fielen auf einen langen, schwarzen sargähnlichen Kasten, den sie auf den Knieen hielt.«

Pik erriet, daß es ihres Kindes Violine war, die sie mitgenommen.

*


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