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Zwölftes Kapitel.
Der Laubengang.

Raschen Schritts war Malva in den sonnerhellten Weg eingebogen, der von dem Häuschen zur Wohnung ihres Lehrers führte. Sie hatte eine besondere Vorliebe für diesen Pfad, den lachende Gärten einfaßten, und wo die Tante ihr allein zu gehen erlaubte. Heute aber mochten die Fliederblüten noch so freundlich über die alte Mauer grüßen, die Amseln ihre gelben Schnäbel noch so sehr recken, um Malva vorbeikommen zu sehen, sie achtete des nicht. Ihr kleines, sorglos-freudiges Herz war voll unsäglicher Trauer und Verzweiflung. – Müde schlich sie dahin, wie ein verwundetes Vögelchen, sie hatte den Geschmack am Leben verloren.

Da stolperte sie, doch faßte sofort eine kräftige Hand ihr unter den Arm.

Erschreckt aufschauend, erblickte sie Jan Korab. Da zog sie verwirrt ihren Arm zurück und wollte entfliehen.

»Nein, heute entwischen Sie mir nicht, mein Fräulein. Sie haben das schon zu oft getan. Ich habe Sie soeben von meinem Fenster aus fortgehen sehen. Wissen Sie denn nicht, daß ich Ihnen so viel zu sagen« – und leiser fügte er hinzu: »Sie für so viel um Verzeihung zu bitten habe?«

Seine zärtliche Stimme übte einen beruhigenden Zauber auf Malva aus. Dennoch fühlte sie, daß sie zitterte.

»Was fürchten Sie? Habe ich Ihre Tante nicht gebeten, mich zu empfangen? Sie aber hat mir's abgeschlagen. Soll ich um dieser ungerechten Laune willen darauf verzichten, mit Ihnen zu reden, Ihnen zu sagen, welch unaussprechliche Wonne ich empfinde, wenn ich Sie sehe, Sie höre? O, Sie ahnen nicht, was ich gestern empfand, als ich Sie auf der Estrade sah. Wie eine Offenbarung war's. Ringsum jubelten alle Ihrer Anmut zu, ich aber sagte mir, daß ich allein Ihre unschuldsvolle, heiße Seele kenne, die Sie mir jeden Tag ein wenig mehr enthüllt haben, so wie sich nach und nach die Blätter einer Blume öffnen.«

Das Gesicht scheu abwendend, errötete sie, und ihre Hand der Jans überlassend, hörte sie bewegt diese glühende, ihr so neue Sprache.

»Und Sie, Malva, werden Sie mich immer wie einen Fremden behandeln? Ihre Augen schienen heute morgen eine andre Sprache zu sprechen.«

Theklas Worte waren dem jungen Mädchen plötzlich wieder eingefallen; sie erblaßte und sagte dann ernst und mit Haltung: »Wir leben sehr zurückgezogen und empfangen niemand.«

»Niemand! Ausgenommen einen Riesen mit aufgezwirbeltem Schnurrbart, den ich neulich bei Ihnen herauskommen sah, und der Ihnen so feurig die Hände küßte.«

»Ach!« sagte sie, darüber lächelnd, daß er die kleine Szene so gut behalten, »das war Spiridon.«

»Meinetwegen war es Spiridon. Jedenfalls ist er ein Bevorzugter.«

»Der ist ein guter Kamerad, ein Freund,« sagte sie einfach, »aber er hat die Stadt verlassen.«

Ihre Worte waren ernst und zurückhaltend. Jan bewunderte die Harmonie ihrer Gesten und Bewegungen.

Ein unverdorbenes, naives Landpomeränzchen, sagt Lina. Eine abgefeimte Kokette und Schauspielerin, sagt Frau von Rudowitz. Wo liegt die Wahrheit? Und er senkte seine forschenden Blicke in diese geheimnisvollen Augen, und gerne hätte er gefragt: Wer bist du? Kann ich deinen Worten glauben?

Aber des Mädchens unschuldiger Blick hielt ihn zurück, und er verfiel wieder in den scherzenden Ton: »Nun, Fräulein Malva, bitte, sagen Sie mir, was muß ich tun, um den Namen eines Freundes zu verdienen?«

Sie waren nun an dem ganz mit Efeu bedeckten Haus des Violinlehrers angelangt. Aus diesem Anblick schöpfte Malva eine gewisse Sicherheit. Sie blieb stehen.

»Onkel Danyl hat mir immer gesagt, daß man, um sich ›Freunde‹ zu nennen, einen Scheffel Salz miteinander gegessen haben müsse,« sagte sie neckisch.

Und ehe Jan sie zurückhalten konnte, war sie die Stufen der Freitreppe hinaufgeeilt und im Hause verschwunden.

*


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