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Zweiter Band

Zwanzigstes Kapitel.
Empörung.

Linas Heirat war bekanntgemacht, und die Familie befand sich in hoher Stimmung, besonders die Jungen, die üppige Gastereien witterten. Daher widmeten sie Theklas Tun und Lassen ein besonderes Interesse, denn diese hatte die Oberaufsicht über den süßen Teil des Programms. Das alte Mädchen war eine vortreffliche Kuchenbäckerin, und allein von Torten kannte sie mindestens vierzig verschiedene Arten: Wiener Torte, Zigeunertorte, Karmelitertorte, Gewürztorte. Die Namen allein ließen den Buben schon das Wasser im Munde zusammenlaufen.

Im Salon waren die protzigen Geschenke des Bräutigams ausgestellt.

»Malva, ei, so komm doch, Malva!« rief Lina. »Ich will dir mein Perlenhalsband zeigen.«

Und als Malva kam: »Da, zähle! Gerade so viel Perlen, als der Altersunterschied zwischen Tedesco und mir Jahre beträgt ... und groß sind sie! – Sieh nur mein Silbernecessaire, meine Armbänder und Ringe ... da die Pelze, Seiden- und Samtstoffe. Werde ich schön sein! Sieh, die goldgestickten Pantöffelchen!« – damit zog sie sie auf ihre kleinen Füße – »O, du kannst mir glauben, der gute Tedesco soll gehörig unter den Pantoffel kommen.«

»Du liebst ihn sehr?« fragte Malva verträumt.

»O – ganz genügend. Vor allem liebe ich die schönen Sachen und die Stellung, die ich durch ihn bekomme ... ich werde eine wirkliche Dame. Tedesco ist adlig, und in Leopol werde ich in die katholischen Salons eingeführt werden ... er ist vom griechisch- zum römisch-katholischen Glauben übergetreten. Deshalb kann ich auch in einer römisch-katholischen Kirche getraut werden, was viel feiner ist! Ach, wenn wir nur am gleichen Tag Hochzeit haben könnten.«

Malva hatte ihr die Hand auf den Mund gehalten, die übermütige Lina fuhr aber unbeirrt fort: »Höre, ich will dir ein großes Geheimnis verraten. Gestern abend hat Effendi mit Papa geredet, und ich habe alles gehört. Er sagte, daß er dich heiraten wolle. Nein, was Papa gelacht hat! ... Er hatte das nie ernst genommen. Denke doch, du, Frau Korab-Pascha. Alle Wetter! – Na, jedenfalls will Effendi nicht locker lassen. Nur will er zunächst deine Geschichte kennen und wissen, was hinter Theklas Geheimniskrämerei steckt. Papa hat gesagt, davon habe er keinen Schimmer und gewiß seien es Dummheiten, übertriebene Ideen, die sich eine unwissende Bäuerin in den Kopf gesetzt habe, und Effendi könne jedenfalls ruhig nach ›Grüntann‹ gehen, um bei seiner Rückkehr alles in Ordnung zu finden. Und heute morgen hat Papa, der findet, daß die Frauen so etwas besser machen, Mama zu deiner Tante geschickt.«

Malva war erblaßt.

»Und deshalb, Lerchlein, habe ich dich hergerufen, denn in diesem Augenblick reden unsre beiden Damen miteinander.«

Ganz außer sich hatte Malva sich mit beiden Händen an den Kopf gefaßt.

»Mein Gott, mein Gott, was wird geschehen!« Sie hatte das Vorgefühl von etwas Schrecklichem.

»So denke doch nicht dran, Liebste. Komm, ich will sehen, wie dir dieser Korallenkamm steht,« sagte Lina und versuchte, Malvas schweres Haar aufzustecken; »du verstehst, daß die kleine Frau Effendi in Zukunft nicht mehr lange Zöpfe tragen kann ...«

»O, Lina, bitte, schweig! Das bringt Unglück.«

Und sie wendete ihre Blicke ängstlich nach den Fenstern des Häuschens, hinter denen, wie sie vermutete, sich ein Drama abspielte.

Plötzlich war Frau Diotima in einem rosa Morgenrock mit Goldtressen und mit aufgelösten Haaren im Hof erschienen. In ihrem Fett fast erstickend, warf sie die Arme gen Himmel und schrie überlaut: »Pik, Pik ... das Weib ist ja verrückt!«

Von dem ungewohnten Lärm im Häuschen angelockt, waren Tymofte und Simeon, die eben aus der Schule kamen, neugierig herbeigeeilt und liefen jetzt zu ihrem Vater.

»O je, o je, bei der Alten ist was los! Sie wirft alles durcheinander, rückt Kisten und Kasten, reißt die Kasserollen von der Wand ...«

Diotima war auf einen Lehnstuhl gesunken und hielt sich Riechsalz vor.

»Thekla will fort,« sagte sie, »will mit ihrer Nichte nach Pola zurück. Sie sagt, daß sie mir's angekündigt habe, und behauptet, man habe sie getäuscht, verraten ... Heute abend will sie einen Karren mieten ...«

Plötzlich zuckte die gute Dame zusammen; ein fürchterlicher Gedanke war ihr gekommen.

»Und meine Hochzeitskuchen,« jammerte sie, »meine Torten, Babas, meine französischen Cremes, Zefirs und Baisers! Thekla allein kennt die Rezepte. Wer macht sie jetzt?«

»Laß sie nicht fort,« heulten die Jungen, »man muß ihr die Deichsel vom Karren abschrauben, die Pferde davonjagen ...«

»Und wir werden Malva behalten,« riefen Lina und Nastunia, die das schluchzende Mädchen mit ihren Armen umfingen.

Da verwies Pik mit kurzer Handbewegung seine Familie zum Schweigen.

»Ich werde mit der Närrin reden,« sagte er. Ein feierlicher Ausdruck hatte sich über sein Gesicht gebreitet, mit majestätischem Schritt ging er zur Tür und begab sich in das Häuschen. Lina und Tymofte schlichen hinter ihm drein.

In ihrer Küche warf Thekla, der die Augen aus dem Kopf zu treten schienen, ihre Sachen wild durcheinander in eine Kiste.

»Was ist denn hier los?« donnerte der Agent.

Die alte Thekla schrak zusammen und warf ihm einen bösen Blick zu.

»Ich wollte gerade zu Ihnen kommen, Herr Pik, und Ihnen für Ihre Gastfreundschaft danken,« sagte sie.

Ihre Lippen waren aschfahl, ihre Stimme heiser, und man merkte, daß sie eine unerhörte Anstrengung machte, um nicht loszubrechen.

»Ich nehme Malva mit; wir kehren in unser Dorf zurück, das wir nie hätten verlassen sollen. Die Städte sind verflucht, sie verderben das Herz der Kinder, Herr. Diese unschuldige Malva, mich so zu hintergehen! Denn Diotima hat mir alles erzählt: die Promenaden im Laubengang, die Rendezvous ... den Antrag des Fremden. Und ich dumme Trine merkte nichts, ahnte nichts, vergaß, daß die Männer wie die Wölfe immer auf der Lauer liegen ...«

Ihre vor Schluchzen erstickte, immer schrillere Stimme hatte den Höhepunkt erreicht.

Mit strengem Ton befahl ihr Pik: »Setzen Sie sich!«

Sie gehorchte unwillkürlich.

»Mit welchem Recht wollen Sie dem Glück Ihrer Nichte im Wege stehen? Denn es wäre ihr Glück, den braven Edelmann zu heiraten, der um sie angehalten hat.«

Sie blickte ihn wild an.

»Mit dem Recht, das Gott denen gibt, die Kinder durch ihrer Hände Arbeit und unter Opfern aufgezogen haben.«

»Das ist ein moralisches Recht, aber das gesetzliche Recht gehört den Eltern, Thekla. Wer sind Malvas Eltern?«

»Ach, Herr Pik, Sie halten mich für eine dumme Person und wollen mich ausholen. Sie können mich aber in Stücke reißen – ich sage nichts. Selbst wenn Sie vor mir hinknieten, selbst wenn Sie der Kaiser wären ...«

»Mein Gott,« sagte der Agent verächtlich, »machen Sie Geschichten um eine illegitime Geburt!«

Er glaubte, sie wolle ihm an die Kehle springen.

»Das ist eine Lüge, hören Sie, eine Verleumdung!«

»Also,« fragte er vermittelnd, »geben Sie zu, daß Malva Papiere hat?«

Sie stotterte: »Malva hat sie und hat sie nicht ... und ich sage, sie hat keine, denn niemand wird sie zu sehen bekommen.«

»Sie reden verworrenes Zeug wie ein Papagei, wie eine Närrin. – Kurz und gut, Sie lehnen also die große Ehre ab, die Herr Jan Korab Ihnen antut?«

Sie bäumte sich auf: »Die Ehre! Finden Sie den Fuchs ehrenhaft, der das Haus umschleicht, um zu stehlen? Und wer ist er denn? Ein Fremder, ein Türke, einer, der weder an Gott noch an die heilige Jungfrau glaubt, der, wie man sagt, mehrere Frauen haben kann, kurz, ein Heide ...«

Tymofte, der, auf einem Kofferdeckel balancierend, Fratzen schnitt, bekam einen solchen Heiterkeitsanfall, daß er die Füße in die Luft warf. Er amüsierte sich wie im Theater.

Thekla wiederholte mit verglastem Blick: »Ehre! Malva täte ihm eine an, wenn sie ihn nähme.«

Jetzt riß dem Agenten die Geduld. »Mit Narren diskutiert man nicht. Ich kenne die Beweggründe nicht, denen Sie in Ihrem Eigensinn und Ihrer Unwissenheit gehorchen. Ich weiß nur, meine gute Frau, daß Sie da eine schwere Verantwortung auf sich nehmen ...«

Doch Pik sah, daß trotz aller Schlauheit seine Macht über Thekla zu Ende war.

Daher schlug er einen ernst-würdigen Ton an: »Ich habe mich in Ihrem Charakter geirrt, Thekla. Wir betrachteten Sie als eine Verwandte, zogen Sie bei allen Familienfesten zu. In wenigen Tagen sollten Sie die Hochzeit unsrer Lina feiern helfen, Malva sollte Brautjungfer sein ... Daher glaubte meine Frau, die Sie als eine Schwester ansah, auch auf Ihre Hilfe, Freundschaft, Ihren Beistand bei dieser einzigen Gelegenheit zählen zu können. Sie wird recht enttäuscht sein. Gerade in dem Augenblick, wo Sie sich für alles, was man Ihnen und Malva Gutes erwiesen, erkenntlich zeigen könnten, sagen Sie uns wie ein Mietling den Dienst auf, und das alles, weil Ihre Nichte eine Liebelei mit einem jungen Mann gehabt hat. – Warum, zum Teufel, haben Sie sie nicht besser behütet! Und jetzt,« fügte er mit einem Ton hinzu, in den er all seine Verachtung legte, »werde ich Diotima sagen, daß sie sich eine andre Dienstmagd suchen kann.«

Dies harte Wort traf mehr als alles andre Thekla direkt ins Herz. Man behandelte sie wie die geringste der Bauernmägde, sie, die auf ihre Verwandtschaft so stolz war! Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch, und an ihrer krausen Stirn, ihrem irren Blick sah man, wie sie mit sich kämpfte.

Lina kam und legte ihr sanft die Hand auf die Schulter.

»Kusinetzka,« sagte sie mit schmeichelnder Stimme, »wollen Sie kein Mitleid mit uns haben, uns in der Patsche sitzen lassen? Denken Sie, daß die arme Mama mit ihrem schwachen Kopf davon krank werden kann.«

Der Name »Kusinetzka«, der Appell an ihr Herz rührten die Bäuerin. Ihr stahlharter Blick wurde weicher, sie sah das junge Mädchen an und sagte mit kaum hörbarer Stimme: »Gut, sagt Diotima, daß ich bis zur Hochzeit bleiben und die Torten, die Mazurcks, Baisers machen werde.«

»Hurra!« schrie der junge Pik und rannte dem Haus zu.

Wie ein Gefangener, der sein Todesurteil erwartet, stand Malva vor der Tür.

»Wir behalten sie bis heute abend,« sagte Lina, »denn wir müssen Effendis Rückkehr abwarten, um zu beraten und zu einem Entschluß zu kommen.«

Bald darauf hatte das Rollen eines Wagens Jan Korabs Rückkehr verkündet, und kaum war das Abendbrot beendet, so hatte die Jugend sich in Diotimas Zimmer gestürzt, um dort Rat zu halten.

»So kann man die Dinge nicht gehen lassen,« sagte Lina, nachdem sie dem jungen Mann die Ereignisse des Tages erzählt hatte.

»Man muß die Alte zwingen,« gröhlten die beiden Buben.

»Ei, wenn man mit einer Verrückten zu tun hat, ist das Beste, sie laufen zu lassen,« sagte Graf Severin.

»Und wenn wir Malva gehen lassen,« fuhr Lina fort, »ist sie für Sie verloren, Korab. Denn weiß Gott, wo die tolle Alte das Mädchen hinschleppt ... sie ist zu allem fähig!«

»Wenn ich in dieser Lage wäre,« sagte Nastunia, »würde ich's wie das Stiftsfräulein von Buda machen – das ist eins der besten Mittel, den Widerstand der Eltern zu brechen.«

»Hurra!« riefen die Jungen, die sich bei all dem Wirrwarr so wohl fühlten wie Fische im Wasser.

»Meiner Treu, das ist ebensogut eine Trauung wie jede andre,« sagte die Braut des Bankiers ernsthaft.

Malva, die blaß und stumm in einer Ecke zusammengekauert saß, dachte plötzlich an das, was Danyl ihr am Tag des Ostermarkts angedeutet hatte, was aber durch Theklas Dazwischenkommen unterbrochen worden war.

Jan sah sie an.

Es war ein ernster Augenblick. Auch Jan hatte von den beiden Liebesleuten gehört, die, um den Widerstand der Eltern zu brechen, gezwungen gewesen waren, den Segen des Priesters sozusagen zu stehlen. Er dachte auch, daß Malva und er Waisen waren, die nach ihrem Belieben handeln konnten, und daß er die Sache schon riskieren wolle.

»Wenn Malva will, ich bin zu allem bereit,« sagte er entschlossen.

Lina hatte das junge Mädchen in die Arme genommen und sagte ihr leise ins Ohr: »Merke, Liebchen, das geschieht in einer Kirche, in Gottes Haus, und wenn sich's darum handelt, vor dem Priester ›ja‹ zu sagen, ist es doch egal, ob das so oder anders gemacht wird ... Du kannst glauben, daß Thekla nur zu glücklich sein und dir deine Papiere bringen wird. Und was bleibt dann noch zu tun? Nur noch eine Unterschrift in der Sakristei.«

Jan war zu Malva getreten und blickte sie mit einer Zärtlichkeit an, die sie im Tiefsten bewegte. Trotzdem rührte sie sich nicht, und kein Wort kam über ihre Lippen.

Da rief Lina schnell und ungeduldig: »Ei, so liebst du ihn nicht?« und schob ihre Gefährtin in des jungen Mannes Arme.

Da hatte Jan sie leidenschaftlich umfaßt, und die wenigen Worte, die er ihr entreißen konnte, ließen eine halbe Einwilligung ahnen.

Als Malva wenige Augenblicke später in das Häuschen zurückkehrte, war Thekla, bleich wie ein Gespenst, vor ihr aus dem Dunkel getaucht.

»Du hast mir nichts zu sagen?« fragte sie mit strengem Ton.

»O ja, o ja, Niania,« schluchzte das Kind und fiel ihr zu Füßen, »ich bitte, ich beschwöre dich, gestatte, daß ich Jan Korab heirate ...«

Aber Thekla war schaudernd zurückgewichen: »Nie! Das ist mein letztes Wort!«

In wildem Trotz stand Malva auf.

»Gut,« sagte sie zwischen den Zähnen, »du hast mich zum Äußersten getrieben.«

Zum ersten Male an jenem Abend trennten sie sich ohne Gutenachtkuß.

*


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