Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.
Beim Agenten.

Jetzt war Herr Cyprian auf der Straße. Wie einer, der nicht weiß, was er tut, lief er gerade vor sich hin über den hartgefrorenen Schnee, den die Sonne rosig färbte.

Er fühlte einen rotglühenden Reif um seine Stirn. »Tanzen,« murmelte er, »tanzen! Sie sind verrückt.«

Er gestikulierte und stieß Verwünschungen aus. Zwei auf einem Karren sitzende Bäuerinnen warfen ihm einen mitleidigen Blick zu und riefen: » To waryat!«

»Ja, ja, sie haben recht, ich werde verrückt,« sagte er laut. Und mit übergroß aufgerissenen Augen ins Leere starrend, sah er, wie in einem bösen Traum, den entsetzlichen Anblick vor sich, den er gestern gehabt, als das Dutzend hoher Tannen, das er für den Hausbau hatte schlagen lassen, sich innen ganz von Fäulnis zerfressen erwiesen. Da er seinen Augen nicht traute, hatte er sofort an hundert verschiedenen Stellen des Riesenwaldes schlagen lassen: überall das gleiche.

Wie hatte dieser elende Zustand bisher verborgen bleiben können? Herschel kannte ihn sicher. Und als er die leichte Verwertbarkeit des Waldes rühmte, hatte er ihn zum Narren gehalten. Jetzt begriff er, daß seine Hast, sich der von seinem Ingenieur so schlechtgemachten Petroleumquellen zu entledigen, ihn zum Opfer dieser neuen, nicht mit genügender Sorgfalt geprüften Spekulation gemacht hatte. Und was ihn vollends ergrimmte, war, daß wie durch Zauberei zwei reiche Quellen aus seinen alten Bohrlöchern gequollen waren.

Die Ursache des Ruins seines Waldes, erklärte der Verwalter feierlich, sei in den langsamen Sinterungen aus den umliegenden Sümpfen zu suchen, und er bedauerte lebhaft, nicht den Vorverhandlungen des Kaufs beigewohnt zu haben. Dank einer wissenschaftlichen Untersuchung, dank seiner gründlichen Studien hätte ein solcher Betrug ihm nicht entgehen können. – Da war Herr Cyprian wild geworden: Hat man jemals alle Bäume eines Waldes angeschlagen, eh' man ihn kauft? Der Gedanke aber, daß es besser sei, sich diesen Prahler gefügig zu machen, damit er die Geschichte nicht weitererzählte, war ihm gleichzeitig mit dem Entschluß gekommen, um jeden Preis einen geschickten Agenten zu finden, der es übernahm, den Wald wieder zu verkaufen.

Schwer atmend, mit rotem Gesicht, wanderte er planlos umher. Jetzt war er an der Hauptkirche, jetzt am Bischofspalast. Als er ans Judenviertel kam, fiel ihm der Auftrag seiner Frau ein. – Wütend stürzte er in eine enge Gasse, wo lauter hebräische Schilder hingen, wo junge Israeliten mit blondem oder rotem Haar und entzündeten Augenlidern in der Sonne wimmelten, die einen in langem Kittel, die andern in kurzen Hosen, die sie an gekreuzten Trägern über den Rücken heraufzogen. In einer kaum zwei Quadratmeter großen Schlächterei hingen unförmliche, zerfetzte, schwärzliche Fleischstücke an den blutbespritzten Wänden. Herr von Rudowitz beschritt einen Gang zur Linken und sprang eine wacklige Treppe hinauf. Dann stieß er eine halboffene Tür auf und fühlte, wie der scharfe Geruch einer Knoblauch- und Zwiebelbrühe ihn an der Kehle faßte.

Der große Raum war mit Kreidestrichen in vier Teile geteilt, von denen jeder an einen oder mehrere Mieter vermietet war, die nur eine Wand von Bettschirmen und Schränken voneinander trennte.

Bei Herrn Cyprians Erscheinen tauchten einige Köpfe voll mißtrauischer Neugier über den improvisierten Wänden auf.

In der Nähe der Schwelle besserte eine alte Jüdin, die eine Art Perlendiadem trug, einen zerfetzten Rock aus. Ihr zu Füßen lag ein vom Shohet Ein besonderer jüdischer Schlächter, der alle Einzelheiten der Talmudvorschriften in Betreff des Schlachtens der Vierfüßler und des Geflügels studiert hat. geschlachtetes Huhn.

»Fräulein Malva?«

Die Alte rührte sich nicht, doch sogleich erschien der Kopf eines hübschen Judenmädchens über der Wand, das näselnd, aber niedlich antwortete: »Sie wohnt nicht mehr hier. Euer Ehren, schon seit sechs Monaten nicht mehr; eines Tages hat ihr Verwandter sie mit ihrer Tante geholt. O, ein feiner Herr, mit einem schönen Pelz und Ringen an allen Fingern ... Herr Pik ... Geschäftsagent ... Villa Trianon ...«

Sie hatte Herrn Cyprian in den früher von den beiden Frauen bewohnten Winkel geführt, der noch leer stand.

Er sah umher. Auf der von Rauch geschwärzten Wand konnte man unterhalb eines Nagels noch als melancholische Erinnerung den weißen Umriß einer kleinen Violine erkennen.

»Jetzt hat sie Stunden bei einem feinen Lehrer,« fuhr die kleine Jüdin fort; »sie wird eine Künstlerin werden ...«

Durch das kahle Fenster sah man über das Wirrsal der abschüssigen Hausdächer weg die weiße Fläche der fernen Felder, die weiten, bläulichen Waldungen, die blassen Umrisse der Beskiden und ganz hoch oben die unendliche Himmelsbläue.

Die arme, kleine Lerche, wie oft mochte sie beim Spielen ihrer einfachen Lieder diesen weiten Luftraum betrachtet haben, den man ihr wenigstens nicht streitig machte.

»Pik, Geschäftsagent,« wiederholte der Gutsbesitzer mechanisch. War es nicht ein Wink der Vorsehung, die ihn so auf die Spur des gewünschten Helfers brachte?

Jetzt war er auf der Straße, wo er die jüdischen Händler zurückstieß, die ihm sämtlich ihre Waren anbieten wollten.

Er warf sich in einen Schlitten: »Villa Trianon.«

Bald befand er sich in einem Hof, in dessen Mitte sich ein großes Schweizerhaus befand, dessen Garten reizvoll nach dem Flusse abfiel.

Ein Ziehbrunnen, Stallungen und der ganze betäubende Lärm eines großen Geflügelhofes gaben der Wohnstätte einen vollends ländlichen Charakter.

Man hatte Cyprian in ein mit Plänen und staubigen Aktenbündeln bedecktes Zimmer geführt, wo er sich allein glaubte, als er plötzlich ein von seinem hohen Pult verdecktes Männchen auftauchen sah.

»Herr von Rudowitz,« rief dieses und eilte mit zahlreichen Verbeugungen auf ihn zu. »Sie hier? Was verschafft mir die ungemeine Ehre?«

»Man sagte mir,« erwiderte der Gutsherr, »daß ich bei Ihnen Fräulein Malva finden würde.«

»Gewiß, gewiß, Malva, die kleine Lerche Mauviette auf Französisch, kleine Lerche., wie wir sie nennen. O, die wird zu etwas kommen, die hat Talent. Ihre Tante ist eine Art Base meiner Frau. Durch einen außerordentlichen Zufall haben wir sie im Judenviertel entdeckt, und – was wollen Sie, on a le ker Für coeur. sensible,« setzte er auf Französisch hinzu. »Ich habe sie hierher genommen. Die Tante besorgt die Hühner und die Meierei, und der Kleinen lasse ich Stunden geben. Sie wird gleich kommen.« Und er schickte ein Bürschchen mit frecher Miene, das vor dem Pult an der Erde gehockt hatte, nach ihr aus.

Herr Pik hatte dunklen Teint, durchdringende Augen, geschmeidige, salbungsvolle Gesten. Seit einem Augenblick betrachtete er sein Gegenüber aufmerksam, suchte in seinem Gedächtnis.

»Nein, es kann kein Irrtum sein,« sagte er plötzlich, »ich habe gewiß das Vergnügen, mit dem Besitzer von ›Grüntann‹ zu sprechen.«

Cyprian sagte, unwillkürlich errötend: »Allerdings, aber ich scheue mich etwas vor den Scherereien eines so großen Unternehmens. Und fände ich einen Käufer, so wäre ich nicht abgeneigt, das Grundstück zu veräußern.«

»Bah, ein so schöner Besitz, mit einem Wald, der allein schon ein Vermögen bedeutet,« sagte der kleine Mann gewichtig.

»Ja, sehen Sie, ich habe aber keinen Geschmack am Holzgeschäft, und meine Frau mag das Gut auch nicht leiden ...« Er errötete über diese neue Lüge.

»Vielleicht wegen der Ausdünstungen der umliegenden Sümpfe?« ließ der Agent mit boshafter Sorglichkeit einfließen.

Cyprian schrak zusammen.

»O nein, mehr der Entfernung wegen. Sie möchte gerne in Lemberg wohnen, um für unsere Töchter Partieen zu finden.«

»Ich glaubte aber, Sie wollten als Kandidat auftreten ...«

»Darin bin ich andern Sinnes geworden. Ich bin nun einmal ein unverbesserlicher Geschäftsmann, und mich in ›Grüntann‹ begraben, würde wirklich mein Ende sein.«

Er fühlte, daß er Unsinn redete.

Pik nickte langsam mit dem Kopf, und ein seltsames Lächeln umspielte seine dünnen Lippen.

»Mein lieber Herr von Rudowitz, weshalb wollen Sie mit mir Versteckens spielen? Ich bin ein alter Fuchs und höre, wie man sagt, das Gras wachsen. Um die Wahrheit zu sagen. Sie haben etwas zu spät bemerkt, wie wertlos der Besitz eines schönen Waldes ist, der eitel Blendwerk ist.«

Cyprian war erblaßt: Woher wußte der Teufelskerl das, was er selbst erst gestern erfahren hatte?

»Jawohl, geehrter Herr, Ihr Wald ist nichts wert, kaum daß Sie ihn als Brennholz verkaufen können.«

»Nun ja,« schrie endlich der Gutsbesitzer los, »betrogen bin ich, von diesem Hund von Herschel, bestohlen. Aber ich bring's vor Gericht.«

»Um zu verlieren und sich zu Grunde zu richten. Viel besser ist es, die Sache geheimzuhalten und einen andern Käufer zu suchen.«

Darauf hoffte Cyprian, dessen Gewissen im Verkehr mit so vielen geriebenen Leuten einen Knacks bekommen hatte. Doch glaubte er mit einem gewissen Hochmut sagen zu müssen: »Mögen Sie wissen, Herr Pik, daß ich niemand betrügen will. Ich bin ein anständiger Mensch.«

Der kleine Agent empfand das Wort wie einen Peitschenhieb: »Der Ausdruck, mein Herr Edelmann, soll Ihnen teuer zu stehen kommen.«

»Ich bitte Sie, wir sind anständige Leute,« verbesserte Pik mit seinem freundlichsten Lächeln. »Das verhindert ja aber nicht gewisse geistige Vorbehalte in Geschäften ... Wenn ich Ihnen ein Gut verkaufe, mögen Sie alle möglichen Untersuchungen darauf anstellen, verlangen Sie aber nicht von mir, daß ich Ihnen die Fehler aufdecke. Das wäre ja kindisch. Jeder ist sich selbst der nächste. Ein Beispiel, lieber Herr: Sie haben eine heiratsfähige Tochter. Werden Sie von den Dächern schreien, daß ein Fall von Geisteskrankheit in Ihrer Familie vorgekommen ist, daß Ihr Bruder an der Tuberkulose gestorben, und daß Ihre Tochter wohl hübsch, aber auch zänkisch und verschwenderisch ist? Fällt Ihnen nicht im Traume ein. Halten Sie es aber nicht für eine viel größere Schuld und tun Sie einem Mann nicht viel größeres Unrecht, wenn Sie ihm die physischen und moralischen Defekte verschweigen, die sein häusliches Glück vernichten müssen, als wenn Sie ihm verfaulte Baumstämme verkaufen?«

Das Blut war Herrn von Rudowitz ins Gesicht gestiegen. Mit Bitterkeit dachte er, daß nicht nur seine Baumstämme verrottet waren, sondern auch seine Töchter unliebenswürdig, und daß er seiner Frau lange den Tod eines im Irrenhaus gestorbenen Bruders verschwiegen hatte. Wenn er diese Defekte nicht bekanntgeben wollte, so mußte er seine drei zukünftigen Schwiegersöhne wissentlich täuschen. War das Leben wirklich nur ein großer, gegenseitiger Betrug?

»Wie wollen Sie, daß mein Mißgeschick nicht bekannt wird, lieber Herr Pik? Haben Sie selbst doch schon Wind davon bekommen.«

»Das gehört zu meinem Geschäft,« entgegnete der kleine Mann mit Stolz. »Wollen Sie mir die Sache überlassen?«

Cyprian atmete auf: »Hätten Sie einen Käufer?«

»Wer weiß, vielleicht rascher, als Sie glauben,« entgegnete der Agent geheimnisvoll. »Bringen Sie mir einmal Ihren Kontrakt.«

»Über all diesen Sorgen hätte ich fast den Zweck meines Besuches vergessen,« murmelte Cyprian, »Malva –«

Aber schon hatte die Tür sich geöffnet, und von dem jungen Burschen herbeigeschleppt, erschien ein ganz junges, errötendes Mädchen in dunklem Kleid, mit einer rosa Hyazinthe in ihrem schwarzen Haar.

»Immer hübsch, unser Fräulein Malva, wie die Blume, deren Namen sie trägt,« sagte der Gutsbesitzer mit galanter Schmeichelei.

Und er brachte sein Gesuch an.

Das junge Mädchen runzelte die Augenbrauen. Augenscheinlich hatte die Erinnerung an Frau von Rudowitz und ihre Töchter nichts Reizvolles für sie.

»Mein Lehrer verbietet mir nämlich, in den Häusern zu spielen,« stotterte sie mit einem hilfeflehenden Blick auf den Agenten.

Der kleine Mann schien das nicht zu sehen. »Nun, wir werden eine Ausnahme für die verehrte Frau von Rudowitz machen, die dir stets eine so mütterliche Sorgfalt bewiesen hat,« sagte der Agent und verabschiedete mit deutlicher Handbewegung das junge Mädchen, dessen empörtes Gesicht ein beredter Protest war.

*


 << zurück weiter >>