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Zweiunddreißigstes Kapitel.
Im alten Pavillon.

Baron Torna hatte der Musikkapelle gestattet, die Nacht in einem an die Dienerwohnungen stoßenden alten Pavillon zu verbringen. Die Behausung bestand aus drei Räumen, wovon einer dem Direktor und seiner Frau als Nachtquartier diente, während sich in den beiden andern die Musiker und Musikerinnen einrichteten.

Gegen Mitternacht wurde eine alte Näherin, die mit ihrer Nichte im Dienstbotengelaß wohnte, durch ungewohntes Geräusch, das vom Pavillon herkam, aufgeweckt.

Sie sah Lichter rasch hinter den Fenstern hin und her tragen, und es schien ihr, als ob jemand schnell in der Richtung nach dem Dorfe davonreite. Von brennender Neugier erfaßt, war sie hinausgeschlichen und hatte, auf den Zehenspitzen stehend, versucht, die Vorgänge im Pavillon zu erkennen. Sofort aber war sie, ein großes Kreuz schlagend, zurückgewichen.

Beim Schein dünner Lichter hatte sie das blutlose Gesicht einer ganz jungen Frau gesehen, die am Boden liegend von geheimnisvollen Gestalten umgeben war.

Welch ein fürchterliches Verbrechen mochten diese Heiden da verüben?

Mehr tot als lebendig war sie zurück in ihr Bett getappt, hatte die Hände über die Ohren, den Kopf unters Kissen gelegt, um das, wie ihr schien, zunehmende Geschrei nicht zu hören. So hatte sie bis zum Morgen ausgehalten. Mit der ersten Dämmerung hatte sie, unfähig, ihre Neugier länger zu zügeln, ihre Nichte hinübergeschickt, um nachzusehen. Das junge Mädchen war ganz betreten wiedergekommen. Aus dem Innern des Pavillons, wo alles zu ruhen schien, ertönte das Weinen eines kleinen Kindes. Die Männer waren draußen mit hastigen Reisevorbereitungen beschäftigt.

Die Baronin trank mit Helene im Boudoir Tee, als der Baron schnell hereintrat.

»Denken Sie, meine Damen, während wir heute nacht ruhten, hat eine der Frauen der Kapelle einen kleinen Jungen in die Welt gesetzt.«

»O, die Arme!« rief Frau von Torna. »Warum hat man mir nichts gesagt? Ich hätte ihr Pflege und alles Nötige besorgt.«

Schon war sie aufgestanden, um ihre Anordnungen zu treffen.

»Beruhige dich, Liebe, es ist unnötig; die armen Teufel haben sich ganz allein beholfen, und wahrscheinlich aus Furcht, uns zu stören, haben sie mit einer Heimlichkeit und Stille hantiert, die bei solchen Leuten erstaunlich ist. Einer der Ihren, der anscheinend das Dorf kannte, hat die Baba geholt, und sowie es möglich war, und ehe man davon hier irgend was erfahren, haben sie Mutter und Kind sorgfältig auf einen mit Heu ausgepolsterten Karren gepackt, auf den sich dann auch der Direktor mit seiner kleinen Frau setzte. Die übrigen sind mit ihren Instrumenten auf ein andres Gefährt geklettert.«

»Arme Leute!« sagte die Baronin. »Was für ein elendes Dasein! Das kann der Unglücklichen ja das Leben kosten.«

»Ach, nicht doch. Diese Leute sind abgehärtet.«

Totenblaß hörte Helene zu. Wenn Malva diese Frau wäre! Bei dem Gedanken glaubte sie den Verstand zu verlieren. Aber nein, das war unmöglich! Hatte sie sie nicht mit den andern auf der Estrade sitzen sehen, den Bogen in der Hand?

Mit ihrer ganzen Energie verscheuchte sie diesen Gedanken wie einen schrecklichen Alp, und sie glaubte nicht daran, wollte nicht daran glauben.

»Da siehst du sie langsam die Höhe erklimmen,« sagte der Baron und öffnete den Vorhang.

Als sie hinter den dichten Buchen verschwanden, war es Helene, als sei ihr ein Stein vom Herzen gefallen, als sei das Hindernis, das sie von Jan trennte, endgültig in nebelhafter Ferne versunken.

*


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