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Drittes Kapitel.
Die Familie Pik.

»Gestatten Sie mir, lieber Effendi, Sie meiner Frau und meinen Kindern vorzustellen,« hatte Herr Pik zu Jan Korab gesagt, als er ihn in ein halb orientalisch möbliertes Zimmer führte, das nach Rosenessenz und Serailpastillen duftete.

Und der junge Mann hatte eine pagodenartig auf einen breiten türkischen Diwan hingegossene, in helle, seltsame Gewänder gekleidete riesige Fleischmasse erblickt, die von einem entzückenden griechischen Köpfchen überragt wurde.

Zwei junge Mädchen mit Rosenwangen und wunderbaren Augen unter langen, gebogenen Wimpern saßen neben der Mutter und lächelten mit ihren auffallend roten Lippen.

Alle drei rauchten winzige Zigaretten und tranken bald einen Schluck Wasser, bald nahmen sie einen Löffel Rosenkonfitüre oder mit Honig gemischte gestoßene Nüsse, die in Untertassen vor ihnen standen.

»Diotima, mein Herz, ich stelle dir Jan Korab-Pascha, einen der Helden von Plewna, vor, den Freund Osman-Paschas,« sagte Herr Pik; »er hat eingewilligt, während seiner Rekonvaleszenz unser Gast zu sein.«

Die Erscheinung dieses schönen, blassen, von Fieber verzehrten Jünglings mit dem Arm in der Binde hatte bei den drei Frauen lebhafte Neugierde hervorgerufen. Sie betrachteten ihn daher mit ihren großen Augen voll kindlicher Bewunderung. Zuletzt reichte Frau Pik Jan ihre kleine, von Ringen beschwerte Hand und sagte leise: »Seien Sie willkommen, Korab-Pascha. Ei, Nastunia, Lina bietet dem Effendi Sorbett und Süßigkeiten an.«

»Dies hier sind meine beiden Söhne Tymofte und Simeon, die Hoffnung unsrer Bukowina,« fuhr der kleine Agent voll Stolz fort.

Zwei Buben von fünfzehn und sechzehn Jahren, mit schlauen Gesichtern, räkelten sich auf den Kissen der Ottomane, grüßten mit hastiger Verbeugung und wandten sich mit tausend Grimassen ab.

Jan hatte sich in diese seltsame Umgebung rasch eingelebt und mit gerührter Dankbarkeit die freundliche Sorgfalt, die Verwöhnung entgegengenommen, die die Frauen ihm angedeihen ließen. Die korpulente Diotima mit ihrem feinen Griechenkopf und ihren müßigen Händen, die ewig Süßigkeiten austeilten, Nastunia und Lina mit ihren Samtaugen und ihrer unerschöpflichen Heiterkeit machten ihm den Eindruck reizender Houris, die für ihn aus Mohammeds Paradies herabgestiegen.

Übrigens umgab das Haus den Fremden wirklich mit einem eigenen Reiz, man atmete dort die großartige slavische Gastfreundschaft mit einem Beisatz orientalischen Sichgehenlassens.

Da der Hausherr gezwungen war, viel mit Leuten zu verkehren, hielt man offene Tafel, und von Morgen bis Abend gingen Personen aller Stände ab und zu, die zwischen Mittagsmahl und Abendessen, zwischen einer Partie Whist oder Préférence ihre Geschäfte abmachten. Abends verkündete Tanzmusik, daß die Jugend sich vergnügte. Jan jedoch, den sein Arm noch schmerzte und der immer wieder an Fieber litt, nahm an diesen lärmenden Vergnügungen noch keinen Teil. Er begnügte sich damit, nachmittags mit den Söhnen des Hauses, jungen Nichtsnutzen, deren Streiche ihn belustigten, eine Partie Schach zu spielen, oder sich, nachlässig auf ein Ruhebett gestreckt, von den hübschen Romanzen der dunkelhaarigen Nastunia einwiegen zu lassen oder begierig den politischen Nachrichten zu lauschen, die Lina, die jüngere, vorlas.

»Ohne Papa lägen Sie dort auf dem Schlachtfeld,« sagte das hübsche Mädchen und senkte ihren feuchten Blick in die Augen des jungen Mannes.

Er ergriff dann ihre kleine Hand, die sie ihm nicht entzog, und küßte sie innig.

»Glauben Sie, daß ich's nie vergessen werde, Kukunitza,« sagte er, sich des hübschen walachischen Ausdrucks für »kleines Fräulein« bedienend.

Auch Herr Pik war voller Zuvorkommenheit gegen seinen jungen Freund. Zuerst hatte er ihn mit einem jüdischen Bankier der Stadt in Verbindung gesetzt, der ihm ein Konto eröffnet hatte. Dann war es ihm zur Gewohnheit geworden, jeden Tag zu einem Plauderstündchen in Jans Wohngemach hinaufzusteigen, und in diesen Wechselgesprächen war der junge Mann eitel Freimut und Vertrauen, während der Geschäftsagent ihn, gleich einem geschickten und geschmeidigen Inquisitor, aushorchte. Dank seiner scharfsinnigen Erkundigungen kannte er jetzt die genaue Finanzlage seines Gastes, wußte, daß er das Recht hatte, von seinem Vormund Rechnungslegung zu fordern, und daß, wenn er trotz seines Wunsches, sich der starren Zucht seines Onkels zu entziehen, zögerte, dieses nur aus einem Gefühl von Stolz geschah. Da Herrn Pik solche Sentimentalitäten fremd waren, wandte er all seine Diplomatie auf, um den jungen Mann andern Sinnes zu machen.

»Ich habe die größte Hochachtung vor der Geschicklichkeit und der Tüchtigkeit Ihres verehrten Vormunds,« sagte Pik, »doch weiß jeder, daß er ein kurzsichtiger Mann von sehr realer Gesinnung ist, der die moralische Größe und Schönheit der Aufopferung und des Heldenmuts nicht begreifen kann. Für ihn sind Sie ein Tor, den er um alles in der Welt wieder auf den rechten Weg bringen möchte. Zu ihm zurückkehren, hieße, die Vergangenheit Ihres verehrten Vaters, ja Ihre Grundsätze, Ihren ruhmreichen Feldzug verleugnen. – Weshalb, statt wie er's will, in eine Musterwirtschaft einzutreten, kaufen Sie mit Ihrem Kapital nicht lieber selbst ein Gut? Die Grundstücke gehen augenblicklich herunter, wie es der Krieg mit sich bringt – und wohl dem, der Bargeld hat, er kann jetzt einen guten Kauf abschließen. Sie haben mir gesagt, daß Ihnen aus der Erbschaft Ihrer Mutter achtundvierzigtausend Gulden zukämen, nebst dreitausend aus der Verlassenschaft Ihres Vaters ...«

Jan entsann sich nicht, jemals genaue Zahlen genannt zu haben. Aber wer konnte wissen? Sein Kopf war noch so schwach.

»Wir müssen also auf eine Gelegenheit passen. Sie sind noch leidend, sagen Sie ... ja, bin denn ich nicht da?«

Und Jan erging sich in Danksagungen. Von Herrn Piks lockenden Versprechungen und seinen groben Schmeicheleien berauscht, gefiel er sich lieber in dem Glauben an die Ergebenheit dieses Unbekannten, als an die Zuneigung und die herbe Erfahrung seines Onkels.

Welch ein Triumph, dachte er, dem beschränkten Vormund zeigen zu können, daß er ohne ihn fertig geworden, und daß der Narr, der überspannte, auch praktische Fähigkeiten hatte ...

Jans Fenster gingen einerseits auf einen großen Garten, anderseits auf den Hof, und oftmals, wenn er fiebernd oder träumend dalag, vertrieb er sich die Zeit damit, das Kommen und Gehen eines anmutigen jungen Mädchens zu beobachten, das er dann und wann in einem neben den Ställen liegenden Häuschen verschwinden sah. Und als er sich bei den jungen Piks nach ihr erkundigt, hatten sie ihm gesagt, das sei eine kleine Violinspielerin, der ihr Vater aus Mildherzigkeit Unterricht geben lasse, und deren Tante die Milchwirtschaft besorge.

»Wie kommt es, daß ich sie nie gesehen habe?«

»O, sie ist scheu, aber sie kennt Sie gut, und wenn Sie von Ihrem bulgarischen Feldzug erzählen, versteckt sie sich hinter den Vorhängen und hört mit ganzer Seele zu.«

Seitdem bildete in Jans Müßiggang das Hoffenster einen besonderen Anziehungspunkt.

*


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