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Dreiundzwanzigstes Kapitel.
Flitterwochen.

»Da kommen die gnädigen Herrschaften!« riefen die Bauern.

Im Glanz der sinkenden Sonne, die ihr blutiges Rot über den herrlichen Tannenwald ausgoß, erschien der Wagen auf der Landstraße.

Gleichzeitig begannen die Glocken der kleinen griechischen Kirche langsam zu läuten.

Ihre Hand in der ihres Mannes, sprang Malva leichtfüßig aus dem Wagen. Warum aber klangen ihr diese Glocken wie Trauer- und nicht wie Festgeläute?

»Was bedeutet denn das?« fragte Jan den Kutscher.

»Ach nichts, gnädiger Herr, eine alte Frau wird begraben.«

Malva konnte sich eines Schauders nicht erwehren.

Aber von allen Seiten hörte man fröhliche Willkommenrufe.

Auf der Schwelle des Hauses, das mit Tannen bekränzt war, standen Herr Pik, Graf Severin und ein paar Feldzugskameraden Effendis, sowie die Tagelöhner des Gutes, die Salz und Brot trugen.

»Dank, meine Freunde, Dank, liebe Leute,« sagte der junge Mann bewegt, und dann, Malva sanft vor sich herschiebend: »Hier bringe ich euch meine Frau.«

Ein »Hoch« antwortete ihm, dann kamen endlose Umarmungen, Versicherungen der Ergebenheit und so weiter. Die Bauern küßten der neuen Herrin mit Unterwürfigkeit die Hände, Kniee und Füße.

»Hübsch ist die neue gnädige Frau,« sagten die Bäuerinnen, »aber blaß und ein bißchen traurig.«

Jans etwas nervöse Lustigkeit hingegen gefiel sehr.

»Branntwein, Rum und Met her!« rief er, und als er hastig einige Gläser getrunken hatte, hielt er den Bauern eine Rede, versicherte ihnen, daß er mehr ihr Freund als ihr Herr sein wolle, sprach von Solidarität und vielen schönen Dingen, die Herr Pik in petto Flausen nannte. Jedenfalls schien der menschenfreundliche kleine Speech den Bauern viel weniger Eindruck zu machen als die nachfolgende freigebige Bewirtung mit Branntwein.

Zuletzt wünschte Jan in seinem Überschwang, Malva im Triumph durch alle Zimmer zu tragen. Trotz ihres Sträubens hob er sie in die Höhe und zog, unterstützt von zwei Dienern, feierlich mit ihr durch die sechs Räume der ländlichen Wohnung, die er für sie mit dem Notwendigen hatte einrichten lassen.

Dann wurde drinnen und draußen getafelt: Scheunen, Küchen, Schuppen, alles war voll, und am nächsten Morgen, als Pik und die andern Gäste nach der Stadt zurückfuhren, fanden sie hier und da im Graben noch einige gar zu eifrige Verehrer von Met und Arrak.

Malvas erste Frage, als sie sich mit dem Agenten allein befand, war: »Und Thekla?«

Sie erhoffte eine Antwort auf den flehenden Brief, den sie von der Walachei aus geschrieben, und glaubte, daß, wie die Dinge einmal lagen, die alte Thekla sich ergeben würde. Irrtum!

Pik hatte ihr Theklas schnellen Aufbruch in der Morgenfrühe nicht verschwiegen. Von Linas Programm hatte sich nur der erste Teil erfüllt.

Brennende Tränen quollen unter der armen Malva Wimpern hervor. Ach, was würde Jan sagen? Würde er ihr nicht trotz aller zärtlichen Liebe zürnen?

Von Malvas feuchten Augen und verstörten Zügen erschreckt, zog der junge Gatte seine Frau ans Herz: »Sag mir, Liebste, bereust du, was geschehen?«

Da hatte sie sich leidenschaftlich dem an die Brust geworfen, der von nun ab ihre einzige Zuflucht war.

»O nein, nein! Was geschehen ist, ist geschehen. Wir beide sind nun auf Leben und Tod vereint ... Wenn ich weine, Jan, so liegt es daran, daß durch mein unschuldiges Verschulden es uns unmöglich ist, unsre Heirat zu legalisieren.«

Er drückte sie noch fester an sich.

»Als ich den entscheidenden Schritt tat, Geliebte, hatte ich von vornherein alle Folgen mit auf mich genommen. Die Verantwortung fällt auf die, die uns dazu gezwungen. Was sie uns aber nicht nehmen können, ist unsre Liebe, die Freude jedes Augenblicks, die wir aus unserm Zusammenleben schöpfen.«

Jan war aufrichtig, als er so sprach. Als Sohn eines Emigranten war er auf seinen vielfachen Wanderungen in der Fremde in Bezug auf Sitte und Herkommen ganz von selbst sehr unabhängig geworden. Er hatte so viele verschiedene Menschen gesehen, so viele verschiedene Religionen kennen gelernt, daß er sich eine eigene, sehr tolerante Philosophie zurechtgemacht. Von den drei Grundbedingungen, auf denen eine Nation sich aufbaut, Religion, Familie, Vaterland, hatte einzig die dritte in seinem Herzen eine feste Basis.

»Hier sind die Schlüssel Ihres Reichs, gnädige Frau,« hatte Jan lustig gesagt, als er einen schweren Schlüsselbund in die Hände der jungen Frau legte. »Ihnen Haus, Stall und Hühnerhof. Mir Wald und Feld. Natürlich hat jeder eine Zahl dienstbarer Geister zur Verfügung.«

Die Kunst der Innenwirtschaft auf einem großen slavischen Gutshof beherrscht man aber nicht von heute auf morgen. Für gewöhnlich lernt die Mutter ihre Töchter an und hilft ihnen während dieser Lehrzeit mit Rat und Tat.

Die arme Malva hatte leider keine solche Stütze, und früher hatte die kleine Geigerin ja keine andre Arbeit gekannt, als mit ihren hübschen Händen den Bogen zu führen. In dem Häuschen bei Piks war Thekla es, die alle Arbeit verrichtete, und wenn Malva helfen wollte, sagte die Bäuerin: »Geh doch, solche Plackerei ist nicht für mein Prinzeßchen.« Die neue und verantwortliche Rolle einer »Gospodyna« erfüllte Malva daher mit Bangen.

Immerhin hatte sie sich sofort mit dem fieberhaften Eifer des Neulings ans Werk gemacht, nur mangelhaft von den ziemlich trägen, aber schlauen Mägden unterstützt, die sich über ihre Unerfahrenheit lustig und sie sich zu nutze machten.

Aber Malvas Eifer war unregelmäßig. Drei Tage lang sah man sie mit dem Morgengrauen, ihren Schlüsselbund in der Hand, Speck, Grütze, Mehl und Milch für die Leuteküche herausgeben, ohne daß sie gemerkt hätte, wie die Köchin sich doppelte Portionen nahm. Am vierten Tag aber bedurfte es nur eines Vogelliedes, eines Rufes von Jan, der sie mit sich in den Wald nehmen wollte, und sie eilte nebst ihren Schlüsseln davon ...

Und kehrten die armen Scharwerker hungrig heim, so mußten sie rasch einige Kartoffeln für ihre Mahlzeit ausgraben, und resigniert meinten sie: »Unsere Herrin ist ein Kind.«

Der wöchentliche Besuch des jüdischen Fleischers war für Malva ein andrer Gegenstand des Schreckens. Er kam, warf einen schmutzigen Sack, aus dem ein riesiges rotes Fleischstück hervorsah, auf den Küchenestrich, und Malva betrachtete angstvoll diese Fleischmasse, die man zu Beefsteaks, Koteletten, Rumsteaks zerschneiden mußte, nachdem sie vorher allerdings abgewaschen und gespült war.

Dank ihrer Unkenntnis war es manchmal passiert, daß das Filet zu Leutesuppe verkocht ward, während die Köchin spöttisch lachend einen Braten auftrug, an dem selbst die kräftigen Zähne des Hausherrn zu schanden wurden.

Jan sagte sich lachend: »Sie wird das alles schon noch lernen.« – Er lachte aber schon weniger, als zwei etwas grobe und unmanierliche Besitzer der Nachbarschaft, die ihn aus Neugier besuchten, und die wegen des schlechten Wetters über Nacht bleiben mußten, am nächsten Morgen beim Frühstück mit ziemlich sarkastischem Ton sagten, sie hätten in Damasttischtüchern geschlafen ...

»Und dies ist gewiß eins der uns zugedachten Laken,« setzten sie höhnisch hinzu, indem sie die Leinwand des Tischtuchs betasteten und die verwirrte junge Gutsfrau unverschämt ansahen.

Dieser Zwischenfall, den man, wie Jan voraussah, überall breittreten würde, hatte ihn besonders geärgert und zugleich die erste ernste Wolke im Waldhause heraufbeschworen. Aber der Kummer der armen, kleinen Hausfrau hatte den Gatten entwaffnet, und um die Szene in Vergessenheit zu bringen, hatte er heimlich bei einem berühmten Geigenbauer in Bukarest das kostbare Instrument bestellt, das Malva nun schon seit zwei langen Monaten entbehren mußte.

Bei dem unerwarteten Anblick der Violine war sie vor Freude außer sich gewesen. Und als Jan, eine Zigarette rauchend, vom Diwan aus den Klängen eines polnischen Mazur oder einer herrlichen Improvisation gelauscht, da war sein Herz von Zärtlichkeit und Stolz übergeströmt. Gewiß, ein solches Talent wog viele Unzulänglichkeiten auf. Und von nun an bemühte er sich, wenn er eine Ungehörigkeit entdeckte, sich vor jedem verletzenden Worte zu hüten. Kurz, das Leben lachte den beiden, und manchmal, wenn sie morgens erwachte, erschrak Malva über ihr Glück.

Der Czernowitzer Bankier freilich, der die Tratten einzulösen versprochen, war nicht gerade sehr pünktlich, und mehrmals hatte Jan ihn aufsuchen und ihm Vorstellungen machen müssen. Diese wenn auch kurzen Abwesenheiten waren eine Qual für Malva. Mit Recht oder Unrecht glaubte sie, daß, wenn ihr Gatte nicht da war, das Gesinde ihr mit weniger Achtung begegne. Ihr schien, als lese sie in den Blicken der Dienerinnen einen verächtlichen Ausdruck, der sie unwillkürlich bedrückte. Was mochten diese Mädchen eigentlich denken? Wollten sie sie wirklich demütigen?

Ein andres Geschehnis ging ihr noch mehr zu Herzen. Die Maisernte kam heran, ein Ereignis, das in der Bukowina ein Fest bedeutet. Bei diesen halb slavischen, halb walachischen Völkern, die leidenschaftliche Tänzer sind, verzichten die Arbeiter auf ihren Schnitterlohn für den Mais, wenn der Herr die Musik und den Branntwein zahlt. Das große Feld von »Grüntann« war daher an jenem Tag in einen riesigen Festsaal verwandelt, wo Freudengeschrei und lärmende Fanfaren sich in den Takt der Sensen mischten, die keck mit scharfem Schwung in die gewaltigen Maisstengel hieben. Die helle Sonne durchbrach das Laub mit goldigen Lichtern, gleich Lampionschnüren. Schöne Mädchen mit roten Blumen im Haar, Hand in Hand mit prächtigen Burschen, tanzten Farandolen oder schwangen sich leicht im Kreise. Malva blickte belustigt auf diese fröhliche Szene, und ganz von selbst gedachte sie jener fernen Zeit, wo sie, an Onkel Danyls Rock geklammert, ähnlichen Festen beigewohnt hatte. Und heute war sie die Herrin! Und dieselben Bauern, die ihr früher lachend einen Apfel, eine Nuß zugeworfen, stritten sich heute um den Vorzug, ihr die Hand küssen zu dürfen. Unwillkürlich füllte sich ihr Herz mit Stolz, und gleichzeitig jubelte sie dankbar dem zu, der sie zu seiner Lebensgefährtin gemacht. Sie sah ihn da inmitten der Arbeiter stehen, die er durch seine Lebhaftigkeit und Munterkeit anfeuerte. Und sie bewunderte die kühne Gestalt, die sich so kräftig von dem klaren Himmel abhob.

Plötzlich war ein Wagen mit zwei Ponys auf der Landstraße erschienen, und Malva hatte eine sehr junge Frau mit feinem Profil, neben ihr aber einen Herrn und ein Kind erblickt.

»Das sind die Herrschaften von Sadagora,« sagten die Bauern, »eine so schöne, gute und so fromme Dame ...«

Jan war an den Wagen getreten, und das junge Paar schien lebhaft mit ihm zu sprechen.

Malva erinnerte sich jetzt, daß Jan die junge Frau als die einzige Dame der Nachbarschaft bezeichnet hatte, deren Umgang ihm für sie wünschenswert erschien, und sie sagte sich, daß er sie zu ihr bringen, sie gewiß vorstellen würde, ein Gedanke, bei dem sie von Kopf bis zu Fuß zitterte. Aber die Unterhaltung spann sich aus, und niemand schien an sie zu denken. Ja sie glaubte um die Lippen des Inspektors, der wenige Schritte von ihr die Leute beaufsichtigte, ein spöttisches Lächeln wahrzunehmen.

Jetzt hatte der Wagen umgedreht und fuhr in raschem Trabe davon. Jan aber, statt zu ihr zu kommen, war nach dem andern Ende des Feldes gegangen, und Malva ahnte, daß es ihm schwer ums Herz war, auch ihm war das eine Enttäuschung gewesen.

Er hatte sicher erwartet, man werde den Wunsch äußern, seine Frau kennen zu lernen ... er hielt diese Leute für so gut, so tugendhaft, so über Vorurteile erhaben ... und er hatte sich geirrt.

Als sie sich abends einander gegenübersaßen, hatten sie zum ersten Male eine gewisse Befangenheit empfunden. Tapfer hatte Malva jedoch sofort, um ihrem Manne seine Unbefangenheit wieder zu geben, in ganz natürlichem Tone gesagt: »Du hast vorhin mit Fremden gesprochen; sie fragten dich gewiß nach dem Weg? Ich war zu weit ab, sie zu unterscheiden.«

Jan hatte genickt.

Da hatte sie ganz sachte ihre Violine geholt, und obgleich ihr das Herz blutete – nie hatte sie mit fröhlicherem Schwung gespielt.

Eines Morgens, als Jan aufs Feld gegangen, kam ein in Schweiß gebadeter Mann mit einem Brief auf ihn zu.

Es war eine bedeutende, von dem Czernowitzer Bankier acceptierte Tratte, die protestiert worden war, und wenn Jan nicht sofort zahlte, war ihm die Pfändung sicher.

Das Geld für die ersten Einrichtungen aber war aufgebraucht. Die Eingänge waren gering, besonders hatte die schlechtgeleitete Meierei nichts abgeworfen, und ein Holzkäufer, den Pik schicken sollte, war ausgeblieben.

Zuerst hatte Jan ein Wort an Pik geschrieben, ihn von seinen Schwierigkeiten unterrichtet, ihn gebeten, den Wechsel prolongieren zu lassen, und hinzugefügt, er komme selbst und werde das nötige Geld schon in Czernowitz auftreiben. Dann wolle er um jeden Preis nach Wien, wo die Landwirtschaftliche Bank bereits von ihm um eine Hypothek auf den Wald angegangen sei.

Als Malva, die in den Feldern herumirrte, nach Hause kam, fand sie das Haus ganz auf den Kopf gestellt. Überall aufgerissene Schubfächer, geöffnete Koffer, alles Zeichen einer hastigen Abreise. Und sofort hatte sie an ein Unglück gedacht. Gewiß wurde Jan von seinem Onkel abgerufen.

»Beruhige dich, Liebste, es ist eine einfache Geschäftsreise nach Wien ... aber es eilt ... ich muß morgen mit dem frühesten von Czernowitz weg.«

»Und wie lange wirst du ausbleiben?«

Zögernd sagte er: »Zwei, drei Wochen.«

Da hatte sie sich ihm um den Hals geworfen: »Nimm mich mit, ich bitte dich, nimm mich mit, ich vergehe hier, allein mit meinem Schmerz ...«

Sie wollte ihm nicht gestehen, daß das Verhalten der Leute ihr Furcht einflößte.

Jan hatte sie beruhigt: »Und wer wird das Korn bewachen, wenn ich fort bin? Vernachlässigt mein tapferes Frauchen ihre erste Pflicht? Währenddessen werde ich mich meinerseits tummeln, und wenn ich die Hypothek habe, denke, welche Freude des Wiedersehens! Dann können wir uns behaglicher in dem neuen Hause einrichten, das bald fertig ist. Ich werde Möbel, Vorhänge, Toiletten für die gnädige Frau mitbringen, werde einen sehr erfahrenen Verwalter für die Forstwirtschaft und eine geschickte Meierin engagieren, die meinem Liebchen alle Plackerei abnimmt. Dann fängt ein besseres und schöneres Leben an!«

Sie schüttelte traurig den Kopf.

»Nichts kann über unser jetziges Leben gehen ... Vergangenes kommt nicht wieder. Man kann den zerrissenen Faden wohl wieder anknüpfen, nicht aber dasselbe Glück zweimal genießen!«

Sie sprach mit einer Art Sehermiene, die Jan zu Herzen ging. Er fühlte, daß sie recht hatte. Bei seiner Rückkehr würde der Winter vor der Tür stehen und in dem größeren Hause begann dann ein ernsteres, gewissermaßen offizielles Leben, das weniger Kindereien, weniger Sichgehenlassen und wonniges Ineinanderaufgehen gestatten würde, als sie zu Anfang in dem Waldhäuschen genossen hatten.

Als er in die Britschka sprang, fragte sie mit erstickter Stimme: »Also in drei Wochen?«

»Gewiß,« rief er mit seinem freundlichen Lächeln.

Aber er kannte die Langsamkeit der Verhandlungen, ahnte, daß lange Zeit vergehen würde, bis er ihren letzten Kuß erwidern könnte.

Ganz niedergeschlagen setzte Malva sich dann auf einen Bühl am Wege, und lange folgten ihre tränenumflorten Blicke der dunklen Gestalt, die zwischen Heide und weißen Kamillen dahinflog, die immer kleiner ward, und mit der alles verschwand, was ihr das Leben lebenswert machte.

*


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