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Neunzehntes Kapitel.
Der Kontrakt.

Die Unterzeichnung der Urkunde, durch die Jan der Besitz von »Grüntann« übertragen werden sollte, war nur noch eine Sache der Form. Er aber lebte wie im Fieber, eilte von einer Beratung mit seinem Notar zu einer Beratung mit Herrn von Rudowitz.

Von Geldschwierigkeiten war nicht mehr die Rede, da Herr Anastasius durch Vermittlung eines Lemberger Bankiers Jans väter- und mütterliches Erbe hatte zu seiner Verfügung stellen lassen.

Trotzdem sah Jan, daß dieses kleine Kapital fast ganz von der Baranzahlung und den am Tage der Unterzeichnung zu verteilenden Kommissionen verschlungen werden würde. Zugleich wurde er von Piks geheimen Agenten belästigt, die ihm ihre Dienste anboten, ihm seine veralteten Maschinen ersetzen, seine Herden vergrößern wollten u. s. w. Zu all dem gehörte Kredit. Aber war der Czernowitzer Bankier, mit dem Pik ihn zuerst in Verbindung gesetzt, nicht so gefällig, ihm anzubieten, daß er die einlaufenden Tratten honorieren wolle?

Ein Umstand, der Jan, wenn er den Kopf freier gehabt, frappiert hätte, war, daß jedesmal, wenn er den Wunsch ausgedrückt, Frau von Rudowitz und ihren Töchtern seine Aufwartung zu machen, er die banale Formel zu hören bekam: »Die Damen sind mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt.«

Als geheime Zuschauerin all dieser Manöver zermarterte Helene sich das Hirn, um zu erraten, welchen Motiven ihr Vater und noch mehr ihre Mutter gehorchten. Denn sie ließ sich durch Frau Julies lärmende Klagen über »diese neue Marotte« ihres Mannes nicht täuschen.

All das war nicht echt, das fühlte sie wohl. Der Verkauf geschah nicht freiwillig. Aber welcher Zusammenhang bestand zwischen dem Verkauf und der hartnäckigen Weigerung, Jan zu empfangen, nachdem man ihn zuerst so auffällig herangezogen hatte?

Von Helenes Schmerz gerührt, fragte sich Fräulein Santou, die voller Erstaunen dieses kleine Familiendrama verfolgte und mehrmals dabei gewesen war, als Jan darauf bestand, in den Salon geführt zu werden, ob die Sache nicht im Grunde auf einem Mißverständnis beruhe. Und eines Tages, als er wieder in ihrer Gegenwart eine der Damen zu sprechen wünschte, nahm sie, da sie wußte, daß Frau Julie abwesend war, es auf sich, die Salontür zu öffnen. Helene, die dort in ihrem fieberhaften Argwohn auf und ab ging, wurde beim Anblick des jungen Mannes totenblaß.

Lachend sagte er: »Ich komme, mich bei Ihnen, mein Fräulein, zu beklagen, daß ich in Quarantäne gehalten werde. Sie haben mich früher verwöhnt. Aber ich ahne, daß Ihre Frau Mutter dem Käufer eines Gutes zürnt, von dem sie sich gegen ihren Willen trennt.«

Jans freundschaftlicher, aufrichtiger Ton ging Helene zu Herzen.

»Es ist noch nicht lange her,« fuhr er fort, »da haben Sie mich als Kameraden, fast als Freund behandelt, und mit Vergnügen erinnere ich mich unsrer interessanten Gespräche. Werden die nie fortgesetzt werden? Werden Sie des Bauern in seinem Wald, der Sie nicht vergessen wird, gar nicht mehr gedenken? O, ich weiß, Sie gehen nach Lemberg, und in der dortigen glänzenden Gesellschaft wird es Ihnen an Erfolgen nicht fehlen. Darf ich Sie dort einmal aufsuchen? Lemberg liegt nicht am Ende der Welt, und meine Geschäfte werden mich manchmal hinrufen.«

Eine unbestimmte Hoffnung, kaum wie ein Hauch, streifte noch einmal Helenes Seele.

Jan ergriff ihre eiskalte Hand und drückte sie an seine Lippen.

Da sagte sie mit bestimmter, aber sehr leiser Stimme: »Sie werden stets willkommen sein, Effendi – auch ich werde Sie nie vergessen.«

Da erschien Herr von Rudowitz, und das Tete-a-tete war zu Ende.

»Der Wagen ist vor der Tür, mein lieber Korab. Ich bin bereit. Sie nach Grüntann zu begleiten.«

Als Helene eine Viertelstunde später, noch ganz von ihrer Unterredung mit Jan erfüllt, den Salon verließ, traf sie den früheren Verwalter ihres Vaters. Da kam ihr eine Idee: der mußte es wissen ... sicherlich ... aber würde er's sagen? Und sie verfiel darauf, wörtlich den Satz zu wiederholen, der neulich ihrer Mutter entschlüpft war.

»Sie haben also nichts geahnt, Kasper?« sagte sie in unbefangenem Ton zu dem Manne.

»Gott soll mich hier auf der Stelle vernichten, Fräulein, wenn ich so etwas geargwöhnt habe! Wer konnte das denken! So schöne Tannen, anscheinend so gesund, so schlank, und doch von der Fäulnis zerfressen, ausgehöhlt! Man könnte an Teufelswerk glauben.«

Er hielt inne, da er ein Geräusch von Schritten zu hören glaubte, und setzte dann mit pfiffigem Ausdruck hinzu: »Aber gelobt sei Jesus Christus ... es wird noch alles gut ... morgen unterzeichnet er den Vertrag.«

Helene hörte nichts mehr. Rot vor Scham war sie entflohen. Also betrügen wollte man Jan, ihn bestehlen! Deshalb hatte man ihn gewiß erst geschickt angelockt, ihn als angeblichen Schwiegersohn geködert, bis er im Netz zappelte. Und nun erklärte sie sich auch die Heftigkeit ihrer Mutter, als sie durch das Zimmer rief: »Nicht dich, noch deine Schwestern, noch sonst jemand!«

Aber das sollte nicht geschehen. Sie wollte Jan schreiben, das Verbrechen aufdecken. Eine solche Niedertracht durfte nicht geschehen. Ihre ganze leidenschaftliche Natur wachte auf. Sie war zu allem fähig. – Mit wildem Blick eilte sie an ihres Vaters Schreibtisch und warf mit fiebernder Hast die Worte hin: »Der Wald von ›Grüntann‹ ist verrottet. Lassen Sie neue Sachverständige kommen, ehe Sie den Vertrag unterzeichnen!« Dann adressierte sie.

Wer aber würde den Brief besorgen?

Sie dachte an den kleinen Stefanek, einen Betteljungen, der oft des Morgens an der Küchentür stand.

Übrigens würde Jan erst abends nach Hause kommen ... aber morgen mit dem frühesten sollte er gewarnt werden.

Während dieses ganzen langen Tages befand Helene sich in einem an Wahnsinn grenzenden Zustande und durcheilte das Haus, den Kopf stolz aufgerichtet, mit flammendem Auge, ein Genius der Rache.

Ihre Mutter und die Schwestern, die ja an Helenes Eigentümlichkeiten gewöhnt waren, fragten sich doch, ob sie nicht den Verstand verliere. Noch fürchterlicher war die Nacht. Fortwährend wachte sie auf. Bald sah sie ihren Vater, der sie traurig anblickte und sagte: »Mit welchem Recht richten Kinder über ihre Eltern?« Bald war es Jan, der inmitten seines verrotteten Waldes vor ihr auftauchte und sie verfluchte.

Dann wieder setzte sie sich im Bett auf, verscheuchte den Alp und eilte ans Fenster, die Morgenluft zu atmen. Wenn nur die Entscheidung käme, gleichviel welche!

Die ganze Familie war im Eßzimmer beim Morgenfrühstück versammelt. Helene hatte den Brief in ihrem Kleid versteckt und tastete von Zeit zu Zeit danach. Wenn sie jetzt mit ihren Schwestern und der Schweizerin in die Kirche ging, würde sie schon Gelegenheit finden, ihn mit einem Gulden Stefanek zuzustecken.

Fräulein Santou schenkte den Tee ein.

»Soll die Kiste mit den Gartengeräten und der Hängematte der Fräulein nach ›Grüntann‹ geschickt werden?« fragte sie Herrn von Rudowitz.

»Ach ja. Was sollen wir mit einer Hängematte in der Stadt?«

»Die zukünftige Frau Korab wird Muße genug haben, sich darin zu räkeln,« sagte Frau von Rudowitz ironisch.

»Ei, ei, meine liebe Julie, du ahnst nicht, wie wahr du sprichst!«

»Ach, was für ein Hirngespinst!«

Und unwillkürlich blickten die vier Frauen auf Helene.

»Durchaus nicht. Und du kennst die Erwählte. Man spricht zwar bei Piks noch nicht davon, aber es ist Allerweltsgeheimnis. Ich glaube, die beiden Hochzeiten werden am gleichen Tage stattfinden.«

»Welche Hochzeiten? Du sprichst in Rätseln.«

»Nun, die Lina Piks mit dem Bankier Tedesco und die Jan Korabs mit Malva.«

Fräulein Santou hatte Helene am Arm gefaßt und drückte ihn mit aller Kraft, um sie zu zwingen, sich zusammenzunehmen.

»Effendi scheint ganz sterblich in die Kleine verliebt,« fuhr Cyprian fort; »er hat sich neulich in ›Grüntann‹ sogar um ihretwillen ein bißchen lächerlich gemacht.« Und er erzählte die Jagd im Wasserlabyrinth, während verächtliche und empörte Ausrufe seine Worte begleiteten.

Auf Helenes wachsbleichem Gesicht war nur eine eisige Gleichgültigkeit zu bemerken. Mechanisch stand sie auf. Alles drehte sich um sie, der Boden verschwand unter ihren Füßen, und sie fühlte, daß sie nichts weiter ertragen könne. Beim Vorbeigehen glaubte sie ein Gespenst im Spiegel zu sehen. Mitleidig folgte ihr die Schweizerin mit den Blicken.

Auf ihrem Zimmer angelangt, ringt sie die Hände, und ihre brennenden Tränen fließen unaufhörlich.

Oh, Fluch dem treulosen Verräter, der gestern noch mit freundlichen, zärtlichen Worten die Hoffnung in ihrem Herzen entfacht hatte, und dennoch mit seinen Gedanken bei einer ganz andern war ... und welcher andern! Diese Zigeunerin, diese Intrigantin ... dies aufgelesene Ding! ... O gerechter Gott, und um eines solchen Geschöpfs willen verschmäht zu werden! Sie glaubt eine Ohrfeige auf ihrer Wange zu fühlen ... Wie gut hat die Schlaue aber ihr Spiel hinter geheuchelten Manieren verborgen! Und hat sie nicht – Helene entsinnt sich dessen jetzt – ihre geschickten Manöver, ihre Koketterieen schon am Tage des Balls begonnen?

Es klopft.

»Sind Sie bereit für die Messe, liebe Helene?« fragt die Erzieherin.

Da fällt Helene plötzlich der Brief wieder ein und ihre Rolle als Engel der Gerechtigkeit. – Gerechtigkeit! ... Helene hegt ja nur noch Haß im Herzen, einen unerbittlichen Haß, der sich am Leiden andrer, am namenlosen Schmerz aller gütlich tun möchte, besonders aber der beiden, die ihr das angetan.

Nun ist sie auf der Straße, dicht bei der am Fluß stehenden Kirche.

Als sie sich der Tür nähert, tritt ein zerlumpter kleiner Bub auf sie zu, hängt sich an ihr Kleid und hält seine magere Hand hin: »Seien Sie barmherzig, Kukunitza, einen Kreuzer für Stefanek.«

Ärgerlich stößt sie das Kind zurück.

»So laß mich doch in Ruhe, dummer Junge, sonst wirst du eingesteckt.«

In ihrer Hand krampft sie die Fetzen eines zerrissenen Papiers zusammen, und nun sieht sie, auf die Brüstung gelehnt, wie die letzten Reste dessen, was sie gestern einen ›Akt der Gerechtigkeit‹ nannte, stromabwärts schwimmen.

Als Herr und Frau von Rudowitz mittags, nachdem der Vertrag unterzeichnet war, nach Hause kamen, fanden sie Helene, die sie auf der Schwelle des Bureaus erwartete, starr, eisig, aber mit ihrem kampfbereiten Ausdruck.

»Ich will nicht mehr bei euch leben!«

Das Ehepaar blickte sie höchst verwundert an: »Was fällt dir ein? Wo willst du hingehen?«

»Zu meiner Cousine nach Torna ... sie hat mir's oft angeboten.«

»Deine Cousine ist eine Heilige.«

»Das wird wenigstens eine Abwechslung sein,« murmelte Helene boshaft.

»Du Undankbare ... du Herzlose ...«

»Ja, ja, man weiß schon ... Also ihr gestattet?«

»O, wenn es dir für einige Zeit Spaß macht! Nachdem du dir's einmal in den Kopf gesetzt hast, würdest du ja auch, wenn wir nein sagten, Mittel und Wege finden, deinen Willen durchzusetzen.«

»Allerdings.«

Und sie machten ihr weiter keine Schwierigkeiten. Helenes Blick war ihnen unheimlich: die mußte etwas wissen.

 

Ende des ersten Bandes.

 


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