Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

43. Kapitel.
Geburt des Lebenden Buddha

Der Lebende Buddha stirbt nicht. Seine Seele geht manchmal in den Körper eines Kindes über, das an des Buddha Todestage geboren wird, manchmal, noch während des Lebens des Buddha, auch in den Körper eines anderen Wesens. Dieser neue sterbliche Wohnsitz des geheiligten Geistes Buddhas wird fast immer in der Jurte einer armen tibetanischen oder mongolischen Familie gefunden. Dafür sprechen politische Gründe. Wenn der Buddha in der Familie eines reichen Fürsten in Erscheinung treten würde, dann könnte das zu dem Emporkommen einer Familie führen, die vielleicht nicht geneigt wäre, dem Klerus Gehorsam zu erweisen. (Das ist in der Vergangenheit tatsächlich vorgekommen.) Wenn indessen eine arme, unbekannte Familie auf den Thron Dschingis Khans kommt und auf diese Weise Reichtümer erwirbt, so wird sie im allgemeinen bereit sein, sich dem Willen der Lamas zu unterwerfen. Nur drei oder vier Lebende Buddhas sind bisher rein mongolischen Ursprungs gewesen. Alle übrigen waren Tibetaner.

Einer der Rate des Lebenden Buddha, Lama Khan Jassaktu, hat mir Folgendes erzählt:

»In den Klöstern von Lassa und Taschi Lumpo ist man ständig durch Briefe von Urga über den Gesundheitszustand des Lebenden Buddha unterrichtet. Sobald der menschliche Körper des Bogdo alt wird, und der Geist Buddhas das Bestreben zeigt, eine Wanderung anzutreten, beginnen besondere Tempeldienste in den tibetanischen Tempeln, bei denen versucht wird, mit astrologischen Mitteln die Zukunft zu bestimmen. Diese Riten zeigen die besonders frommen Lamas an, die entdecken können, wo der Geist Buddhas von neuem inkarniert zu werden wünscht. Die so gefundenen frommen Lamas haben dann das ganze Land zu bereisen und Beobachtungen anzustellen. Oft gibt ihnen Gott selber die notwendigen Winke. Gelegentlich wird ein weißer Wolf in der Nähe der Jurte eines armen Schafhirten erscheinen, oder es wird ein Lamm mit zwei Köpfen geboren werden oder ein Meteor vom Himmel fallen. Einige Lamas pflegen Fische aus dem heiligen See Tangri Nor zu nehmen und auf deren Schuppen den Namen des neuen Bogdo Khan zu lesen. Andere greifen Steine auf, deren Risse ihnen anzeigen, wo sie den neuen Buddha zu suchen haben. Andere wiederum ziehen sich in die Einsamkeit enger Bergschluchten zurück, um den Stimmen der Berggeister zu lauschen, die ihnen den Namen des von den Göttern neu Erwählten verkünden. Wenn der neue Bogdo gefunden ist, dann wird heimlich alles Wissenswerte über seine Familie eingezogen und dem hochgelehrten Taschi Lama unterbreitet, der den Namen Erdeni, »der große Edelstein des Wissens«, führt und der nach den Runen Ramas die Wahl nachzuprüfen hat. Wenn er sie billigt, dann sendet er einen Geheimbrief an den Dalai Lama, der im Tempel des »Geistes der Berge« einen besonderen Opferdienst abhält und die Wahl bestätigt, indem er sein großes Siegel auf den Brief des Taschi Lama setzt.

Sollte der alte Lebende Buddha noch leben, so wird der Name seines Nachfolgers streng geheim gehalten. Wenn jedoch der Geist Buddhas den Körper des Bogdo Khan bereits verlassen hat, dann erscheint eine Sonderdelegation von Tibet mit dem neuen Lebenden Buddha. Das gleiche Verfahren wird bei der Wahl der Gheghen und Hutuktus aller lamaistischen Klöster der Mongolei befolgt. In diesem Fall aber liegt das Recht der Bestätigung der Wahl bei dem Lebenden Buddha. Die Wahl wird lediglich nach Vollziehung aller Formalitäten nach Lassa gemeldet.«


 << zurück weiter >>