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33. Kapitel.
»Der Tod in Gestalt eines weißen Mannes wird hinter Ihnen stehen«

»Der schreckliche General, der Baron« traf von den Posten Oberst Kazagrandis völlig unbemerkt ein. Nach einer Unterredung mit Kazagrandi forderte der Baron Oberst N. N. Philipoff und mich auf, zu ihm zu kommen. Oberst Kazagrandi brachte mir diese Nachricht. Ich wollte sogleich fortgehen, doch hielt mich der Oberst etwa eine halbe Stunde lang auf. Dann entließ er mich mit den Worten:

»Jetzt möge Ihnen Gott helfen! Gehen Sie!«

Das war ein sonderbarer Abschiedsgruß, der sicherlich nichts weniger als tröstlich und höchst rätselhaft klang. Ich nahm meinen Revolver mit und versteckte mein Cyankali in meinen Aermeln.

Der Baron hatte in der Jurte des Militärarztes Quartier genommen. Als ich den Vorhof betrat, kam mir Hauptmann Weseloffsky entgegen. Er trug einen Kosakensäbel und im Gürtel einen Revolver ohne Futteral. Er ging in die Jurte hinein, meine Ankunft zu melden.

»Treten Sie näher,« sagte er, als er wieder aus dem Zelte herauskam. Am Eingang der Jurte fiel mir eine Blutlache auf, die noch nicht hatte versickern können – ein ominöser Gruß von jemandem, der hier vor mir gewesen war. Ich klopfte.

»Herein!« erklang die Antwort in einem hohen Tenor. Als ich die Schwelle überschritt, sprang mir eine Gestalt in rotem mongolischen Seidenmantel mit dem Satz eines Tigers entgegen, ergriff meine Hand und schüttelte sie, um sich dann der Länge nach auf das Bett an der Zeltseite fallen zu lassen.

»Sagen Sie mir, wer sind Sie! Es gibt hier überall viele Spione und Agitatoren,« rief der Mann im Zelt mit hysterischer Stimme, indem er seine Augen fest auf mich heftete. Ein Augenblick genügte mir, um seine Erscheinung und Psychologie zu erfassen. Ein kleiner Kopf auf breiten Schultern; blondes, unordentliches Haar; ein rötlicher, struppiger Schnurrbart und ein hageres, erschöpftes Gesicht, ähnlich den Gesichtern auf alten byzantinischen Ikonen. Doch trat alles hinter der großen, vorragenden Stirn zurück, die über stählernen Augen stand. Diese Augen waren auf mich gerichtet wie die Augen eines wilden Tieres im Käfig. Meine Beobachtungen dauerten nur eine Sekunde. Doch verstand ich sofort, daß ich einen sehr gefährlichen Mann vor mir hatte, der jederzeit imstande wäre, Unwiderrufbares zu begehen. Obgleich ich mich sicherlich in großer Gefahr befand, fühlte ich mich schwer beleidigt.

»Setzen Sie sich!« fuhr er mich mit zischender Stimme an, wies auf einen Stuhl und zerrte ungeduldig an seinem Schnurrbart. Ich fühlte, wie der Zorn in mir aufstieg, und entgegnete ihm, ohne Platz zu nehmen:

»Sie haben sich erlaubt, mich zu beleidigen, Baron. Mein Name ist so bekannt, daß Sie sich in solchen Kränkungen nicht ergehen durften. Sie können mit mir machen, was Sie wollen; die Macht ist auf Ihrer Seite. Aber Sie können mich nicht zwingen, mit jemand zu reden, der mich beleidigt hat.«

Als ich das sagte, schwang Baron Ungern seine Beine vom Bett herab und musterte mich mit offensichtlichem Erstaunen, indem er den Atem anhielt und immer noch an seinem Schnurrbart zerrte. Ich bewahrte äußerlich meine Ruhe und blickte gleichgültig in der Jurte umher. Da bemerkte ich erst, daß auch General Rezukhin zugegen war. Ich grüßte diesen mit einer Verbeugung und empfing seine Erwiderung auf meinen Gruß. Danach richtete ich meine Blicke wieder auf den Baron, der mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen dasaß, sich von Zeit zu Zeit die Augenbrauen rieb und vor sich hinmurmelte.

Plötzlich stand der Baron auf und sagte, an mir vorbeisehend:

»Gehen Sie hinaus! Ich brauche das nicht mehr ...« Ich drehte mich um und sah erst jetzt Hauptmann Weseloffsky mit seinem weißen, kalten Gesicht. Ich hatte ihn nicht eintreten hören. Er machte Kehrt und verschwand durch die Tür.

Der Tod in der Gestalt eines weißen Mannes hat hinter dir gestanden, dachte ich. Aber ist er bereits völlig von mir gewichen?

Der Baron stand eine Zeitlang nachdenklich da. Dann begann er in sprunghaften, unfertigen Sätzen zu reden:

»Ich bitte Sie um Entschuldigung ... Sie müssen verstehen, es gibt so viele Verräter! Ehrliche Menschen sind verschwunden. Ich kann niemandem trauen. Alle Namen sind entweder falsch oder angenommen. Dokumente werden gefälscht. Augen und Worte täuschen. Alles ist demoralisiert. Vom Bolschewismus verseucht. Soeben gab ich Befehl, Oberst Philipoff niederzusäbeln, der sich einen Vertreter der Russischen Weißen Organisation nannte. Im Futter seiner Kleider sind zwei bolschewistische Geheimcodes gefunden worden ... Als mein Offizier über ihm das Schwert schwang, rief er noch: »Warum töten Sie mich, Tavarische?« Ich kann niemandem trauen ...«

Dann schwieg er. Auch ich schwieg.

»Ich bitte Sie um Entschuldigung,« begann er von neuem. »Ich habe Sie beleidigt, aber ich bin nicht nur ein Mensch, sondern auch der Führer großer Streitkräfte und mein Kopf hegt mancherlei Sorgen und Kummer!«

Seine Stimme drückte zugleich Verzweiflung und Aufrichtigkeit aus. Freimütig streckte er mir seine Hand entgegen. Wiederum Schweigen. Schließlich antwortete ich:

»Was befehlen Sie mir jetzt zu tun? Denn ich habe weder gefälschte noch wirkliche Dokumente. Doch viele Ihrer Offiziere kennen mich, und in Urga gibt es so manche, die bezeugen können, daß ich nicht fähig bin, weder ein Agitator noch ...«

»Unnötig, unnötig,« unterbrach mich der Baron. »Alles ist klar! Ich bin in Ihre Seele eingedrungen und kenne alles. Was Hutuktu Narabantschi über Sie geschrieben hat, war die Wahrheit. Was kann ich für Sie tun?«

Ich setzte ihm auseinander, wie mein Freund und ich aus Sowjetrußland entkommen waren, um in die Heimat zu gelangen, und wie eine Gruppe polnischer Soldaten in der Hoffnung, Polen wieder erreichen zu können, sich uns angeschlossen hatte. Ich bat ihn, mir Hilfe zu gewähren, damit ich den nächsten Hafen erreichen könnte.

»Mit Vergnügen, mit Vergnügen ... Ich werde Ihnen in jeder Beziehung helfen,« antwortete er erregt. »Ich werde Sie in meinem Automobil nach Urga fahren. Wir werden morgen aufbrechen und in Urga werden wir dann das Weitere bereden.«

Ich verabschiedete mich und verließ die Jurte. Als ich in meinem Quartier ankam, fand ich Oberst Kazagrandi in großer Sorge vor.

»Gott sei Dank!« rief er aus, indem er sich bekreuzigte.

Seine Freude war sehr rührend; aber ich sagte mir doch, daß der Oberst hätte viel mehr für die Rettung seines Gastes tun können, wenn er gewollt hätte.

Die Aufregung dieses Tages hatte mich ermüdet, und ich fühlte mich um Jahre gealtert. Als ich in den Spiegel blickte, glaubte ich, grauer geworden zu sein. In der Nacht konnte ich keinen Schlaf finden. Immer wieder mußte ich an das junge, hübsche Gesicht des Obersten Philipoff, die Blutlache, die kalten Augen des Hauptmanns Weseloffsky und den Klang der Stimme des Barons Ungern mit ihren Tönen der Verzweiflung und des Kummers denken. Schließlich versank ich in tiefen Schlummer.

Aus ihm wurde ich durch Baron Ungern geweckt. Er war gekommen, sich zu entschuldigen, weil er mich nicht in seinem Automobil mitnehmen könne, da er gezwungen sei, Daitschin Van aufzunehmen. Aber er ließ mich wissen, daß er befohlen habe, mir sein weißes Kamel als Reittier und zwei Kosaken als Bedienung zur Verfügung zu stellen. Ich hatte keine Zeit, ihm zu danken, so schnell stürzte er nach dieser Mitteilung aus dem Zimmer.

Der Schlaf war völlig von mir gewichen. Ich zog mich an und rauchte eine Pfeife nach der anderen. Dabei dachte ich: Wie viel leichter ist es doch, die Bolschewiki auf den Sümpfen des Seybi zu bekämpfen und die Schneegipfel von Ulan Taiga zu überqueren, wo die bösen Dämonen alle Reisenden erschlagen! Dort war alles einfach und verständlich. Hier aber ist alles ein toller Alpdruck, ein dunkler Schicksalssturm! – Ich fühlte, daß irgendeine Tragödie, etwas Entsetzliches in jeder Bewegung Baron Ungerns lag, hinter dem dieser stille, weißgesichtige Weseloffsky und der Tod schritten.


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