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Teil III.
Das Herz Asiens in Zuckungen

29. Kapitel.
Auf der Heerstraße der großen Eroberer

Der große Eroberer Dschingis Khan, der Sohn der traurigen, ernsten, strengen Mongolei, war, einer alten mongolischen Legende zufolge, auf die Spitze des Berges Karasu Togol gestiegen und blickte mit seinen Adleraugen nach Westen und nach Osten. Im Westen sah er Meere menschlichen Blutes, über denen blutiger Nebel schwebte, der den Horizont erfüllte. Dort konnte er sein Geschick nicht erkennen. Und doch befahlen ihm die Götter, nach Westen zu gehen und dorthin alle seine Krieger und die mongolischen Stämme zu führen. Im Osten aber sah er reiche Städte, glänzende Tempel, Mengen glücklichen Volkes, Gärten und Felder mit reicher Erde, was dem großen Mongolen sehr gefiel. Er sagte zu seinen Söhnen: »Dort im Westen werde ich Feuer, Schwert, Zerstörer und rächendes Schicksal sein. Im Osten aber werde ich als der gnädige, große Aufbauer kommen, der Volk und Land Glückseligkeit bringt.«

Solches meldet die Legende. Ich fand in ihr sehr viel Wahrheit. Ich bin über einen großen Teil des nach Westen gerichteten Weges Dschingis Khans gegangen und fand überall Gräber und Steinmäler. Ich habe auch einen Teil des östlichen Weges des Helden, des Weges, über den er nach China ging, gesehen. Dort bot sich ein ganz anderes Bild.

Als unsere Gesellschaft von Uliassutai aufbrach, machten wir es uns zunächst auf unserer Reise bequem. Wir legten nur fünfunddreißig bis fünfzig Meilen am Tage zurück, bis wir uns in einer Entfernung von etwa sechzig Meilen von Zain Shabi befanden. Dort trennte ich mich von den übrigen, um mich zu diesem Ort zu begeben, wo ich Oberst Kazagrandi treffen wollte. Die Sonne war gerade aufgegangen, als mein einziger mongolischer Führer und ich die niedrigen, bewaldeten Bergrücken bestiegen, von deren Höhe ich meine Begleiter noch einmal unten im Tale sehen konnte. Ich hatte keine Ahnung von den vielen Gefahren, denen ich auf diesem Ausflug, der sich viel länger ausdehnte, als ich erwartet hatte, ausgesetzt sein sollte.

Als wir einen kleinen Fluß mit sandigem Ufer überschritten, erzählte mir mein mongolischer Führer, wie es die Mongolen machen, wenn sie im Sommer hierherkommen, um trotz des Verbots der Lamas im Fluß Gold zu waschen. Die Arbeitsweise ist sehr primitiv, aber die Ergebnisse zeigen, wie goldreich der Sand hier ist. Der Mongole, der Gold wäscht, legt sich flach auf den Boden, fegt den Sand mit einer Feder zur Seite und bläst in die so gebildete Aushöhlung hinein. Von Zeit zu Zeit feuchtet er einen Finger an und hebt mit dem angefeuchteten Finger ein kleines Goldkorn oder Goldklümpchen auf, das er in einem kleinen unter seinem Kinn hängenden Beutel verschwinden läßt. Auf diese Weise gewinnen die Goldsucher ungefähr den fünften Teil einer Unze Goldes am Tag.

Ich beschloß, den ganzen Weg bis Zain Shabi in einem Tage zurückzulegen. Auf den Ourtons suchte ich das Einfangen und Satteln der Pferde möglichst zu beschleunigen. Auf einer dieser Stationen gaben mir die Mongolen ein wildes Pferd, einen großen, starken Schimmelhengst. Als ich aufsitzen wollte und schon meinen Fuß im Bügel hatte, trat mich das Pferd gegen das Bein, das in dem Kampf in Tibet verwundet worden war. Das Bein schwoll sofort an und schmerzte stark.

Bei Sonnenuntergang zeigten sich mir die ersten russischen und chinesischen Häuser von Zain Shabi und danach tauchte auch das Kloster auf. Wir stiegen in das Tal eines kleinen Stromes hinab, der am Hange eines Berges fließt. Auf dem Gipfel dieses Berges bilden weiße Felsen eine so eigenartige Formation, daß sie das Bild der Worte eines tibetanischen Gebetes ergeben. Am Fuße dieses Berges lag eine Begräbnisstätte für Lamas, d. h. es befanden sich dort Haufen von Knochen und eine Hundemeute. Endlich lag das Kloster dicht vor uns, ein gewöhnliches Viereck, von einem Holzzaun umgeben. In der Mitte stand ein großer Tempel, der sich von den anderen Tempelbauten der Mongolei stark unterschied. Er war nicht im chinesischen, sondern im tibetanischen Stile gebaut, ein weißes Gebäude mit senkrechten Wänden und regelmäßigen Reihen von schwarz umrahmten Fenstern und mit einem Dach aus schwarzen Ziegeln. Ein anderes kleineres Viereck von Gebäuden lag etwas östlicher. Es umfaßte russische Wohnhäuser, die mit dem Kloster durch ein – Telephon verbunden waren.

»Das ist das Haus des Lebenden Gottes von Zain,« erklärte der Mongole und wies auf das kleinere Viereck. »Er liebt russische Sitten und Gebräuche.«

Im Norden des Klosters steht auf einem kegelförmigen Hügel ein Turm, der an den babylonischen Zikkurat erinnert. Dies ist der Tempel, in dem alte Bücher und Manuskripte, alter Tempelschmuck, die Gegenstände, deren man sich bei den religiösen Zeremonien bedient und die Gewänder verstorbener Hutuktus aufbewahrt werden. Hinter diesem Museum ragt eine steile Klippe in die Höhe, die man nicht erklimmen kann. Auf der Klippenwand sind in freier Anordnung mancherlei Bilder lamaistischer Götter eingraviert. Jedes der Bilder ist bis zu einem halben Meter hoch. Vor ihnen pflegen die Mönche des Nachts Lampen zu entzünden, so daß man die Bilder der Götter und Göttinnen von weit her sehen kann.

Wir betraten die Handelsniederlassung. Die Straßen waren verlassen. Zu den Fenstern sahen nur Frauen und Kinder heraus. Ich nahm in einer russischen Firma Quartier, deren Filialen in andern Teilen des Landes ich kannte.

Zu meiner Verwunderung wurde ich in Zain Shabi als Bekannter begrüßt. Der Hutuktu von Narabantschi hatte an alle Klöster Weisung ergehen lassen, daß, wohin ich auch kommen werde, man mir Hilfe gewähren solle, da ich das Narabantschi-Kloster gerettet habe und, wie klare göttliche Kundgebungen gezeigt hätten, eine von den Göttern geliebte Inkarnation Buddhas sei. Der Brief, der von dem mir so günstig gesinnten Hutuktu in Umlauf gesetzt worden war, war mir äußerst nützlich. Ja, ich sollte ihn eigentlich noch mehr preisen, denn er sollte mir das Leben retten.

Die Gastfreundschaft, die ich hier genoß, war mir recht willkommen, denn mein verletztes Bein zeigte sehr starke Schwellungen und war außerordentlich schmerzhaft. Als ich meinen Stiefel auszog, war mein ganzer Fuß blutüberströmt, denn die alte Wunde hatte sich durch den Pferdetritt von neuem geöffnet. Man verband mich und nach drei Tagen konnte ich wieder umhergehen.

Ich fand Oberst Kazagrandi nicht mehr in Zain Shabi. Nachdem er die chinesischen Irregulären hier vernichtet hatte, war er nach Van Kure zurückgekehrt. Der von ihm zurückgelassene Befehlshaber überreichte mir einen Brief des Obersten, in dem dieser mich herzlich einlud, ihn zu besuchen, sobald ich mir in Zain etwas Ruhe gegönnt hätte. Dem Briefe war ein mongolisches Dokument beigefügt, das mich berechtigte, von Herde zu Herde mittels der Urga, die ich später beschreiben werde, Pferde und Karren zu empfangen. Diese weitere Reise von zweihundert Meilen war eine sehr unangenehme Aufgabe für mich; aber offenbar hatte Kazagrandi, dem ich bis dahin noch nicht begegnet war, gute Gründe, unser Zusammentreffen zu wünschen.

Am Tage nach meiner Ankunft erhielt ich um ein Uhr mittags den Besuch des »Gottes« vom Orte, der Gheghen Pandita Hutuktu hieß. Eine sonderbarere und merkwürdigere Erscheinung eines Gottes hätte ich mir niemals vorstellen können. Er war ein kleiner, dünner, junger Mann von zweiundzwanzig Jahren mit schnellen, nervösen Bewegungen und ausdrucksvollem Gesicht, das, wie die Züge aller mongolischen Götter, von großen erschreckten Augen beherrscht wurde. Er trug einen blauseidenen, russischen Uniformrock mit gelben Epauletten, die das heilige Zeichen des Pandita Hutuktu aufwiesen, blauseidene Hosen, hohe Stiefel und hatte auf dem Kopf eine weiße Astrachankappe mit gelber Spitze. In seinem Gürtel staken Revolver und Säbel. Ich wußte nicht recht, was ich von diesem verkleideten Gott denken sollte. Er nahm von meinem Gastgeber eine Tasse Tee an und begann in einem Gemisch von Mongolisch und Russisch zu sprechen.

»Nicht weit von meinem Kure liegt das alte Kloster Erdeni Dzu, das auf der Stätte der Ruinen von Karakorum, der ehemaligen Hauptstadt Dschingis Khans, erbaut wurde. Dorthin lenkte Kublai Khan später des öftern seine Schritte, um Zuflucht zu finden und um von seinen Mühen als Kaiser von China, Indien, Persien, Afghanistan, der Mongolei und halb Europas auszuruhen. Jetzt sind nur noch Ruinen und Gräber übrig geblieben, an der Stätte dieses ehemaligen »Gartens glückbringender Tage«. Die frommen Mönche von Baroun Kure haben in dem Unterbau der Ruinen Manuskripte gefunden, die viel älter sind als Erdeni Dzu. In diesem fand mein Maramba Meetchik-Atak ein Dokument, das die Voraussage enthielt, der Hutuktu von Zain werde bald den Titel eines Pandita führen, er werde nur einundzwanzig Jahre alt sein, aus dem Herzen der Länder Dschingis Khans stammen und auf seiner Brust das natürliche Zeichen der Swastika tragen. Dieser Hutuktu werde in den Tagen eines großen Krieges und großer Unruhen vom Volke sehr geehrt werden und den Kampf mit den Dienern des »Roten Uebels« beginnen. Er werde sie besiegen und die Ordnung im Weltall wiederherstellen, um dann diesen glücklichen Tag in der Stadt der weißen Tempel und der Gesänge von zehntausend Glocken zu feiern. Ich bin Pandita Hutuktu. Die Zeichen und Symbole treffen auf meine Person zu. Ich werde die Bolschewiki vernichten, die schlechten Diener des »Roten Uebels«, und in Moskau werde ich mich von meiner ruhmvollen und großen Arbeit ausruhen. Deshalb habe ich Oberst Kazagrandi gebeten, mich unter die Truppen Baron Ungerns aufzunehmen und mir Gelegenheit zum Kämpfen zu geben. Die Lamas wollen mich daran hindern fortzugehen. Wer aber ist hier der Gott?«

Er stampfte energisch mit den Füßen, während die Lamas und die Mitglieder der Wache, die ihn begleiteten, ehrfürchtig ihre Köpfe senkten.

Als er mich verließ, beschenkte er mich mit einem Hatyk. Meine Satteltaschen durchstöbernd, fand ich einen einzigen Gegenstand, der mir als Gabe für einen Hutuktu würdig zu sein schien, nämlich eine kleine Flasche mit Osmiridium, diesem seltenen, natürlichen Begleitelement des Platin.

»Dies ist das festeste und härteste aller Metalle,« sagte ich. »Möge es das Zeichen Ihres Ruhmes und Ihrer Stärke sein, Hutuktu!«

Der Pandita dankte mir und forderte mich auf, ihn zu besuchen.

Nachdem ich von meiner Verletzung einigermaßen wiederhergestellt war, begab ich mich zu seinem in europäischer Weise ausgestatteten Hause: elektrisches Licht, elektrische Klingeln und Telephon. Er setzte mir Wein und Süßigkeiten vor und machte mich mit zwei sehr interessanten Persönlichkeiten bekannt. Die eine von diesen war ein alter tibetanischer Arzt mit von Pockennarben tief durchwühltem Gesicht, mit starker, dicker Nase und schielenden Augen. Dies war ein merkwürdiger Arzt. Seine Pflichten bestanden darin, Hutuktus zu behandeln und zu heilen, wenn sie krank waren, und sie ... zu vergiften, wenn sie zu unabhängig oder extravagant wurden, oder wenn ihre Politik nicht in Uebereinstimmung mit den Wünschen des Konzils der Lamas, des Lebenden Buddha oder des Dalai Lama stand. Mittlerweile wird Pandita Hutuktu wahrscheinlich schon im ewigen Frieden auf dem Gipfel irgend eines heiligen Berges ruhen, wohin ihn wohl die Sorgfalt seines außerordentlichen Hofarztes entsandt hat. Die kriegerische Gesinnung Pandita Hutuktus war nämlich im Konzil der Lamas ungern gesehen.

Pandita liebte Wein und Karten. Eines Tages, als er in der Gesellschaft von Russen war und dabei einen europäischen Anzug trug, kamen Lamas herbeigerannt, um zu melden, der Gottesdienst habe bereits begonnen und »der Lebende Gott« müsse am Altar Platz nehmen, um angebetet zu werden. Ohne die geringste Verlegenheit zog der Pandita seinen roten Hutuktumantel über den europäischen Anzug und dessen lange graue Hosen und ließ die Lamas ihren »Gott« in dieser Verfassung im Tragstuhl hinwegtragen.

Außer dem ärztlichen Giftmischer traf ich in der Wohnung des Hutuktu noch einen Knaben von dreizehn Jahren, dessen jugendliches Alter, rote Robe und geschorenes Haar mich vermuten ließen, daß er ein Bandi oder ein im Heime des Hutuktu dienender Student sei. Aber es zeigte sich, daß er eine andere Stellung inne hatte. Dieser Knabe war der erste Hubilgan, ebenfalls eine Inkarnation Buddhas, ein gewitzigter Wahrsager und der Nachfolger des Pandita Hutuktu. Er war stets betrunken, ein leidenschaftlicher Kartenspieler und liebte es, schlechte Witze zu machen, woran die Lamas starken Anstoß nahmen.

Am gleichen Abend machte ich die Bekanntschaft des zweiten Hubilgan. Dieser stattete mir einen Besuch ab. Er war der eigentliche Verwalter von Zain Shabi, das ein dem »Lebenden Buddha« unmittelbar unterstehendes unabhängiges Gebiet ist. Dieser Hubilgan war ein ernster, asketischer Mann von zweiunddreißig Jahren, der eine gute Erziehung hatte und in mongolischer Folklore sehr bewandert war. Er kannte die russische Sprache und war in ihr sehr belesen. Er interessierte sich besonders für das Leben und die Geschichte anderer Völker. Groß war besonders seine Achtung für das schöpferische Genie des amerikanischen Volkes. So sagte er zu mir:

»Wenn Sie nach Amerika gehen, dann bitten Sie die Amerikaner, zu uns zu kommen und uns aus der Finsternis, die uns umgibt, herauszuführen. Die Chinesen und die Russen werden uns nur in die Zerstörung hineinbringen. Allein die Amerikaner können uns retten.«

Nachdem mein Bein wieder hergestellt war, lud mich der Hutuktu ein, mit ihm nach Erdeni Dzu zu reisen, wozu ich mich gerne bereit erklärte. Am Morgen des Aufbruchtages wurde ein leichter und bequemer Wagen für mich herbeigebracht. Unsere Reise dauerte fünf Tage. Wir besuchten Erdeni Dzu, Karakorum, Hoto-Zaidam und Khara Bolgasun. An allen diesen Orten befinden sich die Ruinen von Klöstern und Städten, deren Erbauer Dschingis Khan und seine Nachfolger Ugadai und Kublai im dreizehnten Jahrhundert waren. Jetzt sind dort nur noch die Ueberbleibsel von Mauern und Türmen, einige große Gräber und, unter den Trümmern, Bücher mit alten Legenden und Geschichten zu finden.

»Sehen Sie diese Gräber!«, sagte der Hutuktu zu mir. »Hier ist der Sohn des Khan Uyuk beerdigt worden. Dieser junge Prinz wurde durch Bestechung von den Chinesen dazu verführt, seinen Vater zu töten. Doch seine eigene Schwester hinderte ihn daran, indem sie ihn aus Sorge um ihren alten Vater, den Kaiser und Khan, umbrachte. Dort liegt das Grab von Tsinilla, der geliebten Gemahlin des Khan Mangu. Sie verließ die Hauptstadt von China, um sich nach Khara Bolgasun zu begeben, wo sie sich in den tapferen Schafhirten Damcharen verliebte, der so schnell reiten konnte, daß er auf seinem Pferd den Wind einholte und wilde Yaks und wilde Pferde mit seinen bloßen Händen einfing. Der wütende Khan ließ seine treulose Frau erwürgen, doch begrub er sie später mit kaiserlichen Ehren und kam oft an ihr Grab, um seiner verlorenen Liebe nachzuweinen.«

»Und was geschah mit Damcharen?«, wollte ich wissen. Der Hutuktu selber konnte keinen Bescheid geben. Aber sein alter Diener, ein wirklicher Archivar von Legenden, erwiderte:

»Mit Hilfe von wilden Tschahar-Räubern kämpfte er lange Zeit gegen China. Doch ist es unbekannt, wie er den Tod fand.«

Die Mönche beten zu festgesetzten Zeitpunkten an der Stätte der Ruinen und suchen dann dort nach heiligen Büchern und Gegenständen, die unter den Trümmern verborgen liegen. Kürzlich fanden sie hier zwei chinesische Gewehre, zwei Goldringe und zwei Bündel mit alten Manuskripten, die mit Lederschnüren zusammengebunden waren.

Warum hat diese Gegend die mächtigen Kaiser und Khane, die von dem Pazifischen Ozean bis zum Adriatischen Meer regierten, angezogen? fragte ich mich. Die Anziehungskraft kam sicherlich nicht von diesen mit Lärchen und Birken bedeckten Bergen und Tälern, auch nicht von diesen weiten Sandstrecken, den zurücktretenden Seen und den nackten Felsen. Doch glaube ich, daß ich auf meine Frage die Antwort fand.

Die großen Kaiser, die sich der Vision Dschingis Khans erinnerten, suchten hier neue Offenbarungen und Wahrsagungen über sein wunderbares, majestätisches Geschick, das in so hohem Maße von göttlicher Verehrung, Gehorsam und Haß umwoben war. Wo aber sollten sie mit den Göttern und den guten und bösen Geistern in Berührung kommen, wenn nicht hier an dieser Stätte! Das Gebiet von Zain mit seinen alten Ruinen eignet sich trefflich dafür.

»Diesen Berg können nur Männer besteigen, die in direkter Linie von Dschingis Khan abstammen,« erklärte mir der Pandita. »Auf halber Höhe findet der gewöhnliche Mensch den Erstickungstod, wenn er wagt, weiter hinanzusteigen. Kürzlich haben mongolische Jäger eine Wolfsmeute auf diesem Berge gejagt. Als sie aber an die betreffende Stelle des Berghanges kamen, verloren sie alle ihr Leben. Dort an den Hängen des Berges liegen die Knochen von Adlern, großen gehörnten Schafen und von Kabarga-Antilopen, die leicht und schnell sind wie der Wind, aber doch umkommen mußten. Dort haust der böse Dämon, der das Buch der menschlichen Geschicke besitzt.«

Das ist die Antwort, die ich suche, dachte ich.

Im westlichen Teil des Kaukasus habe ich einmal einen Berg zwischen Soukhoum Kale und Tuopsei gesehen, auf dem Wölfe, Adler und wilde Ziegen ebenfalls umkommen und wo auch Menschen umkommen würden, wenn sie dort nicht die Gewohnheit hätten, diese Zone auf Pferden zu durchreisen. Dort entströmt nämlich der Erde Kohlensäure, sodaß sich über ihr in einer Höhe von etwa einem halben Meter eine Schicht dieses Giftgases bildet. Menschen, die auf Pferden reiten, befinden sich oberhalb dieser Schicht und sind deshalb außer Gefahr. Die Pferde halten stets ihren Kopf in die Höhe und schnauben furchtsam, bis die Gefahrzone hinter ihnen liegt. Hier auf dem Gipfel dieses Berges, wo der böse Dämon in dem Buche der menschlichen Geschicke blättert, handelt es sich um die gleiche Erscheinung. Mir war die religiöse Furcht, die dieser Ort den Mongolen einflößt, wie auch die Anziehungskraft der Gegend für die hochaufgeschossenen, fast gigantischen Nachkommen Dschingis Khans verständlich. Ihre Köpfe ragten über die Schicht des Giftgases hinaus, so daß sie den Gipfel dieses geheimnisvollen und schrecklichen Berges erreichen konnten. Es ist auch möglich, diese Naturerscheinung geologisch zu erklären; denn die Gegend hier ist der südliche Rand von Kohlenlagern, die oft Kohlen- und Sumpfgase ausströmen.

Nicht weit von den Ruinen liegt in den Ländern von Hun Doptschin Djamtso ein kleiner See, dessen Oberfläche gelegentlich in roter Flamme brennt, was den Mongolen und Pferdeherden großen Schrecken einjagt. Selbstverständlich ist auch dieser See reich an Legenden. Hier ist früher einmal ein Meteor heruntergefallen, das sich tief in die Erde eingegraben hat. In dem auf diese Weise entstandenen Loch bildete sich der See. Jetzt, so glauben die Mongolen, bemühen sich die Bewohner unterirdischer Gänge, halb Menschen, halb Dämonen, den »Stein des Himmels« aus seinem tiefen Bett herauszuziehen. Wenn der Stein gehoben wird, entzündet sich das Wasser, worauf der Stein jedesmal trotz aller Bemühungen wieder zurückfällt. Ich habe den See nicht persönlich gesehen, aber ein russischer Kolonist sagte mir, es könne sich Petroleum auf dem See befinden, das sich infolge der Lagerfeuer am Ufer oder infolge der sengenden Sonnenstrahlen entzünde.

Jedenfalls ist es wohl verständlich, daß sich die großen mongolischen Potentaten hierher gezogen fühlten. Den stärksten Eindruck machte mir Karakorum, der Ort, wo der grausame und weise Dschingis Khan lebte und seine gigantischen Pläne zur Ueberströmung des ganzen Westens mit Blut und zur Beschenkung des Ostens mit nie dagewesenem Ruhme entwarf. Dschingis Khan baute zwei Karakorum, eins hier in der Nähe von Tatsa Gol an der Karawanenstraße, das andere im Pamir, wo seine trauernden Krieger den größten der menschlichen Eroberer in einem Mausoleum beerdigten, das von fünfhundert Gefangenen erbaut worden war, die nach getaner Arbeit dem Geist des Verstorbenen geopfert wurden.

Der kriegerische Pandita Hutuktu betete an der Ruinenstätte, wo die Schatten dieser Potentaten umgingen, die die halbe Welt beherrscht haben. Hier betete der Hutuktu, dessen Seele nach chimärischen Taten und dem Ruhme Dschingis Khans und Tamerlans dürstete.

Auf dem Rückwege wurden wir nicht weit von Zain eingeladen, einen sehr reichen Mongolen zu besuchen. Dieser hatte bereits die für den Empfang von Fürstlichkeiten geeigneten Jurten, die mit reichen Teppichen und seidenen Draperien geziert waren, bereitgestellt. Der Hutuktu nahm die Einladung an. Wir legten uns auf den weichen Kissen in der Jurte nieder, während der Hutuktu den Mongolen segnete, indem er dessen Kopf mit seiner heiligen Hand berührte und die Hatyks in Empfang nahm. Der Gastgeber ließ dann ein ganzes Schaf für uns hereinbringen, das in einem ungeheuer großen Gefäß gedämpft war. Der Hutuktu schnitt ein Hinterbein ab und bot es mir an, während er das andere Hinterbein für sich mit Beschlag belegte. Dann gab er ein großes Fleischstück dem kleinsten Sohne des Gastgebers, was das Zeichen war, daß der Pandita Hutuktu die Anwesenden aufforderte, den Schmaus zu beginnen. Im Nu war das Schaf völlig zerschnitten, auseinandergerissen und in den Händen der Banketteilnehmer. Als der Hutuktu die weißen Knochen des Schafbeins, ohne ein bißchen Fleisch zurückzulassen, neben dem Feuerbecken hinwarf, zog der Gastgeber knieend ein Stück Schafshaut aus dem Feuer und bot es mit beiden Händen zeremoniell dem Hutuktu dar. Der Pandita kratzte mit seinem Messer die Wolle und die Asche ab, schnitt es in dünne Streifen und machte sich dann sogleich an dieses wirklich sehr schmackhafte Gericht. Das betreffende Hautstück ist der Teil der Haut, der oberhalb des Brustknochens liegt. Es wird in der Mongolei Tarach oder »Pfeil« genannt. Wenn ein Schaf enthäutet wird, so wird dieser kleine Hautteil herausgeschnitten und auf heiße Kohlen gelegt, wo er langsam geröstet wird. Auf diese Weise zubereitet, stellt er den schönsten Leckerbissen dar und wird immer dem Ehrengast dargereicht. Es darf nie geteilt werden, so verlangen es Brauch und Sitte.

Nach dem Essen schlug unser Gastgeber eine Jagd auf Dickhörner vor, von denen, wie man wußte, eine große Herde in den Bergen kaum eine halbe Meile von den Jurten entfernt graste. Man brachte Pferde mit reichen Sätteln und reichem Zaumzeug. Das Zaumzeug des Tieres des Hutuktu war mit roten und gelben Zeugfetzen geschmückt, um den Rang des Reiters anzuzeigen. Ungefähr fünfzig mongolische Reiter galoppierten hinter uns her. Als wir, am Ziel angekommen, von den Pferden absaßen, wurden wir hinter Felsen aufgestellt, die etwa dreihundert Schritt von einander entfernt waren. Dann begannen die mongolischen Treiber die Einkreisungsbewegung um den Berg herum. Nach ungefähr einer halben Stunde bemerkte ich, daß oberhalb zwischen den Felsen etwas huschte, und stellte bald fest, daß dort ein schönes Dickhorn mit riesigen Sätzen von Fels zu Fels sprang und hinter ihm eine Herde von mehr als zwanzig Stück mit blitzartiger Geschwindigkeit über den Boden setzte. Höchst ärgerlich wurde ich, als es mir schien, daß die Mongolen die Treibjagd verdorben hätten, indem sie nämlich die Herde vor Vollendung der Einkreisung an der Seite vorbeiziehen ließen. Doch glücklicherweise befand ich mich im Irrtum. Es sprang nämlich gerade hinter einem Felsen, der sich vor der Herde befand, ein mit den Armen herumfuchtelnder Mongole in die Höhe. Nur das große Leittier ließ sich dadurch nicht abschrecken. Es stürmte an dem unbewaffneten Mongolen vorbei. Doch der Rest der Herde schwenkte plötzlich herum und raste den Hang hinab gerade auf mich zu. Ich schoß und erlegte zwei Tiere. Auch der Hutuktu brachte ein Dickhorn zur Strecke wie auch eine Moschus-Antilope, die unerwartet hinter einem Felsen hervorkam. Das größte Paar von Hörnern der erlegten Tiere wog ungefähr dreißig Pfund. Dabei stammte es von einem jungen Schaf.

Am Tage nach unserer Rückkehr nach Zain Shabi beschloß ich, nunmehr die Reise nach Van Kure anzutreten, da ich mich völlig wiederhergestellt fühlte. Als ich von dem Hutuktu Abschied nahm, gab er mir einen großen Hatyk und drückte zugleich seinen wärmsten Dank für das Geschenk aus, das ich ihm am ersten Tage unserer Bekanntschaft gegeben hatte.

»Es ist eine wunderschöne Medizin,« rief er aus. »Nach unserem Ausflug fühlte ich mich ganz erschöpft. Da nahm ich Ihre Medizin. Das gab mir meine Jugendkraft völlig wieder. Vielen, vielen Dank!«

Der arme Kerl hatte mein Osmiridium geschluckt. Es konnte ihm sicherlich nicht schaden. Daß es ihm aber geholfen hat, ist merkwürdig. Vielleicht mögen nun Aerzte im Westen wünschen, dieses neue harmlose und sehr billige Mittel – von dem es in der ganzen Welt nur acht Pfund gibt – anzuwenden. Doch muß ich sie bitten, mir dafür Patentrechte für die Mongolei, Barga, Sinkiang, Koko Nor und alle anderen Länder Mittelasiens zu lassen.

Ein alter russischer Kolonist begleitete mich als Führer. Man gab mir einen großen, aber leichten und bequemen Wagen, der auf merkwürdige Weise gezogen wurde. Eine gerade, vier Meter lange Stange war quer vor den Deichseln befestigt. Diese Stange wurde von zwei Reitern auf die Sattelknöpfe genommen, die nun mit mir über die Ebene galoppierten. Hinter uns galoppierten vier weitere Reiter mit vier Extrapferden.


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