Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

35. Kapitel.
In der Stadt der lebenden Götter, der dreißigtausend Buddhas und sechzigtausend Mönche

Endlich lag nun der Sitz des Lebenden Buddha vor uns. Am Fuße des Bogdo-Ol erhebt sich ein weißes tibetanisches Gebäude, das mit grünblauen in der Sonne glitzernden Ziegeln bedeckt ist. Inmitten von Baumgruppen liegt es prächtig neben phantastischen Dächern von Kapellen und kleinen Palästen. An der dem Berg abgekehrten Seite ist es durch eine lange, über den Tolafluß führende Brücke mit der Stadt der Mönche verbunden, die im ganzen Osten als Ta Kure geheiligt ist. Hier wohnen ganze Scharen zweitrangiger Wundertäter, Propheten, Zauberer und heilkundiger Aerzte. Alle diese Leute haben göttlichen Ursprung und werden als lebende Götter verehrt. Zur Linken liegt auf einer flachen Erhöhung ein altes Kloster mit einem ungeheuer hohen dunkelroten Turm. Dieses Kloster ist bekannt als »Tempel Lamas Stadt«. Es enthält eine riesenhafte vergoldete Bronzestatue Buddhas, die auf einer vergoldeten Lotosblume sitzt. Viele kleinere Tempel, Kapellen, Obos, offene Altäre, Türme für astrologische Zwecke und der graue, aus einstöckigen Häusern und Jurten bestehende Stadtteil der Lamas, in dem ungefähr sechzigtausend Mönche jeden Alters und aller Rangstufen wohnen, Schulen, heilige Archivgebäude und Bibliotheken, die Häuser der Bandi und die Gasthöfe für die geehrten Gäste aus China, Tibet und den Ländern der Burjetten und Kalmücken bilden die eigentliche Mongolenstadt.

Unterhalb des Klosters liegt die ausländische Niederlassung, wo die russischen, die ausländischen und die reichsten chinesischen Kaufleute wohnen und der farbenreiche orientalische Bazar sein pulsierendes Leben zeigt. Ein Kilometer unterhalb schließt die Umwallung von Maimaitscheng die übrigen chinesischen Handelsniederlassungen ein, und noch weiter das Tal abwärts sieht man eine lange Reihe russischer Privathäuser, ein Hospital, eine Kirche und endlich auch das ungeschickt gebaute, vierstöckige rote Ziegelhaus, das früher das russische Konsulat war.

Wir befanden uns bereits in der Nähe des Klosters, als ich mehrere mongolische Soldaten an der Eingangsstelle einer in der Nähe gelegenen Schlucht bemerkte. Sie zerrten drei Leichen in die Schlucht hinein.

»Was tun diese Leute?« fragte ich.

Die Kosaken lächelten nur, ohne zu antworten. Plötzlich richteten sie sich zu strammem Gruße auf.

Aus der Schlucht kam ein kleiner mongolischer Pony heraus, auf dem ein untersetzter Mann saß. Als er an uns vorbeiritt, erkannte ich auf seinen Achselstücken die Rangzeichen eines Oberst. Er musterte mich mit kalten, farblosen Augen, die unter dichten Brauen lagen. Im Vorbeireiten nahm er seine Mütze vom Kopfe und wischte den Schweiß von dem kahlen Schädel. Mir fielen die sonderbar gewellten Linien der Schädelform auf. Es war der Mann »mit dem Kopf wie ein Sattel«, vor dem ich vor dem alten Wahrsager auf dem letzten Ourton vor Van Kure gewarnt worden war!

»Wer ist dieser Offizier?« fragte ich.

Obgleich er sich schon in einiger Entfernung befand, wagten die Kosaken nur zu flüstern: »Oberst Sepailoff, der Kommandant von Urga.«

Oberst Sepailoff, die dunkelste Erscheinung in der Flucht der mongolischen Ereignisse! Ehemals Techniker, nachher Gendarm, war er unter dem Regime des Zaren schnell befördert worden. Der Mann war als völlig anormale Erscheinung bekannt. Sein Körper befand sich stets in nervösen Windungen und Schwingungen. Wenn sein Redestrom floß, stieß er dabei recht wenig anziehende Laute hervor, während Speichel und Schaum auf seine Lippen traten. Sein Gesicht war immer von Zuckungen verzerrt. Sepailoff war wahnsinnig. Baron Ungern hatte zweimal eine Aerztekommission ernannt, um ihn untersuchen zu lassen, und ihm befohlen, sich der Ruhe hinzugeben. Er hatte gehofft, ihn, seinen bösen Genius, auf diese Weise loswerden zu können. Doch es war vergeblich. Zweifellos war Sepailoff ein Sadist. Später hörte ich, daß er die Hinrichtungen der Verurteilten selber vornahm und bei dieser Arbeit zu lachen und zu singen pflegte. Furchtbare Geschichten waren über ihn in Urga im Umlauf. Er war ein Bluthund, der sich an seine Opfer mit den Klauen des Todes heftete. Der Ruhm der Grausamkeit Baron Ungerns gebührt ihm. Baron Ungern erzählte mir einmal, daß Sepailoff ihm im Wege sei und auch ihn jederzeit umbringen könne. Der Baron hatte Furcht vor Sepailoff, nicht vor ihm als Menschen, sondern infolge eines Aberglaubens; denn der wahnsinnige Oberst hatte in Transbaikalien einen Zauberdoktor gefunden, der vorausgesagt hatte, der Baron würde den Tod finden, wenn er Sepailoff aus seinen Diensten entließe. Sepailoff kannte für Bolschewiki oder für Personen, die irgendwie mit den Bolschewiki verbunden waren, keinen Pardon. Der Grund seiner Rachsucht war, daß die Bolschewiki ihn im Gefängnis gefoltert und nach seinem Entkommen seine ganze Familie getötet hatten.

Ich nahm bei einer russischen Firma Quartier, wo mir meine Gefährten von Uliassutai sofort einen Besuch abstatteten. Sie begrüßten mich mit großer Freude; denn sie hatten sich wegen der Ereignisse in Van Kure und Zain Shabi meinetwegen in beträchtlicher Sorge befunden.

Nachdem ich gebadet und mich wieder ein wenig zum Menschen gemacht hatte, ging ich mit meinen Freunden auf die Straße. Wir betraten den Bazar. Auf dem ganzen Markt herrschte starkes Gedränge. Den Gruppen kaufender, verkaufender und Waren anpreisender Menschen gaben die glänzenden Bänder aus chinesischem Tuch, die Perlenketten, Ohrringe und Armbänder, die überall feilgeboten wurden, ein festliches Aussehen. Während hier Käufer lebende Schafe abfühlten, um festzustellen, ob sie fett oder mager seien, schnitt dort der Metzger große Fleischstücke aus aufgehängten Tierleibern. Wohin man blickte, sah man lachende und scherzende Steppensöhne. Mongolische Frauen mit ihren hohen Haartrachten und schweren Silberkappen, die wie umgekehrte Untertassen auf ihren Köpfen saßen, bewunderten die ausgelegten Seidenbänder und langen Korallenketten. Ein imposanter großer Mongole sah sich prüfend eine kleine Herde prächtiger Pferde an und feilschte mit dem mongolischen Zahachine, dem Eigentümer der Pferde. Ein knochiger, flinker, schwarzverbrannter Tibetaner, der nach Urga gekommen sein mochte, um den Lebenden Buddha anzubeten oder vielleicht um von dem anderen »Gott«, in Lassa, eine Geheimbotschaft zu bringen, schwatzte und schacherte um die Abbildung eines Lotos-Buddhas, der in Achat geschnitten war. An einer anderen Stelle stand eine Menge von Mongolen und Burjetten um einen chinesischen Kaufmann herum, der schön bemalte Schnupftabakfläschchen aus Glas, Kristall, Porzellan, Amethyst, Jade, Achat und Nephrit zum Kaufe anbot und für einen dieser Gegenstände, der aus grünlich-milchigem Nephrit mit braunen Adern geschnitten war, von den mongolischen Kauflustigen zehn junge Ochsen forderte. Und überall waren Burjetten mit ihren langen, roten Röcken und ihren roten, goldgestickten Kappen zu sehen. Im farbigen Gegensatz zu ihnen Tataren in schwarzen Mänteln, die schwarze Samtkappe auf den Hinterköpfen. Das Durcheinander ergab wirklich ein orientalisches Bild.

Die Lamas bildeten in diesem Gemälde den Hintergrund. Sie wanderten umher in gelben und roten Roben mit Kappen, die malerisch über ihre Schultern geworfen waren, Kappen verschiedenartiger Formen, von denen einige gelben Pilzen, andere roten phrygischen Mützen oder alten rotfarbigen griechischen Helmen glichen. Sie mischten sich unter die Menge, schwatzten feierlich, zupften an ihren Rosenkränzen und sagten die Zukunft denjenigen, die sie hören wollten, sich dabei hauptsächlich die reichen Mongolen aussuchend. Auch mancherlei politische und religiöse Spionage wurde hier auf dem Markte betrieben. Die vielen Mongolen, die in dieser Zeit aus den verschiedenen Teilen der Mongolei nach Urga kamen, waren beständig von einem unsichtbaren Netz beobachtender Lamas umgeben.

Ueber den Gebäuden wehten die russische, die chinesische und die mongolische Flagge. Nur ein einziges Sternenbanner war über einem kleinen Laden am Markte zu sehen. Doch auch die in der Nähe gelegenen Zelte und Jurten prangten in reichem Flaggenschmuck. Da sah man Vierecke und Kreise, die den Wohnsitz von Prinzen oder Privatpersonen anzeigten, und auch dreieckige Flaggen, die kundtaten, daß hier Leute an Pocken und Aussatz litten und im Sterben lagen. Im Sonnenglanz machte dies alles einen überaus farbenprächtigen Eindruck. Hier und dort sah man auch Soldaten Baron Ungerns herumstolzieren, die Russen in langen blauen Röcken, die Mongolen und Tibetaner in roten Röcken mit gelben Achselstücken, auf denen die Swastika Dschingis Khans und die Initialen des Lebenden Buddha angebracht waren, und Chinesen des chinesischen Detachements der mongolischen Armee. Nach der Vernichtung des chinesischen Heeres hatten nämlich zweitausend chinesische Krieger bei dem Lebenden Buddha um das Vorrecht petitioniert, für seine Legionen angeworben zu werden, und ihm Treue und Gehorsam geschworen. Ihr Wunsch war erfüllt worden. Sie bildeten nun zwei Regimenter, die die alten chinesischen Silberdrachen auf ihren Mützen und Schulterklappen trugen.

Als wir den Markt überschritten, kam um eine Ecke ein großes Automobil gefahren. In ihm saß Baron Ungern, mit gelbseidenem mongolischen Rock und blauem Gürtel bekleidet. Sein Automobil fuhr in voller Fahrt. Dennoch erkannte er mich. Er ließ sogleich anhalten, stieg aus und forderte mich auf, ihn zu seiner Jurte zu begleiten.

Der Baron wohnte in einer kleinen, einfach eingerichteten Jurte, die in dem Hof eines chinesischen Hongs aufgestellt war. Sein Hauptquartier lag in zwei in der Nähe befindlichen Jurten, während seine Bedienung in einem chinesischen Fang-tze untergebracht war. Als ich ihn an sein Versprechen, mir auf der Weiterreise nach einem Seehafen behilflich zu sein, erinnerte, blickte mich der General mit seinen hellen Augen an und sagte in französischer Sprache:

»Meine hiesige Arbeit nähert sich ihrem Ende. In neun Tagen werde ich den Krieg gegen die Bolschewiki beginnen und in Transbaikalien einmarschieren. Ich bitte Sie, so lange noch hier zu bleiben. Viele Jahre habe ich ohne zivilisierten Umgang leben müssen. Ich bin stets mit meinen Gedanken allein. Was ich denke, würde ich Ihnen gerne mitteilen. Ich würde gern mit Ihnen eine Unterhaltung haben, bei der Sie nicht mit dem »blutigen tollen Baron«, wie meine Feinde mich nennen, noch dem »strengen Großvater«, so nennen mich meine Offiziere und Soldaten, sondern einem gewöhnlichen Menschen sprechen, der viel gesucht und noch mehr gelitten hat.«

Der Baron dachte einige Minuten lang nach. Dann fuhr er fort: »Ich habe mir Ihre Weiterreise überlegt und werde alles für Sie vorbereiten. Doch ich bitte Sie, diese neun Tage noch hier zu bleiben.«

Was konnte ich tun? Der Baron schüttelte mir dankbar die Hand und ließ Tee bringen.


 << zurück weiter >>