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41. Kapitel.
Staub der Jahrhunderte

Haben Sie jemals die staubigen Spinngewebe und den Moder in den Kellern eines alten Schlosses in Italien, Frankreich oder England gesehen? Das ist der Staub der Jahrhunderte. Vielleicht hat er einmal die Gesichter, Helme und Schwerter eines römischen Augustus, Ludwigs des Heiligen, des Inquisitors, oder eines König Richard berührt. Ihr Herz zieht sich unwillkürlich zusammen und Sie empfinden einen tiefen Respekt vor diesem Zeugen längst vergangener Zeiten. Dasselbe Gefühl hatte ich in Ta Kure, nur war es vielleicht noch tiefer und wirklicher. Hier setzt sich das Leben so fort, wie es seit acht Jahrhunderten gewesen ist. Hier lebt der Mensch nur in der Vergangenheit. Das Zeitgenössische kompliziert und hindert lediglich das normale Leben.

»Heute ist ein großer Tag,« sagte der Lebende Buddha einst zu mir. »Der Tag des Sieges des Buddhismus über alle anderen Religionen. Es war vor langer Zeit, als Kublai Khan an diesem Tage die Lamas aller Religionen zu sich rief und ihnen befahl, ihm auseinanderzusetzen, woran sie glaubten und worauf ihr Glaube beruhte. Bei dieser Zusammenkunft priesen die Lamas der verschiedenen Religionen ihre Götter und ihre Hutukten; Erörterungen und Streitigkeiten begannen; nur ein Lama blieb schweigsam. Schließlich lächelte er spöttisch und sagte:

»Großer Kaiser, befehle jedem der Anwesenden, die Macht seiner Götter durch Vorführung eines Wunders zu beweisen. Dann urteile und wähle.«

Kublai Khan tat so und befahl allen Lamas, ihm ein Wunder vorzuführen. Doch sie schwiegen alle, so verwirrt und ohnmächtig waren sie.

»Nun,« sagte der Kaiser und wandte sich an den Lama, der den Vorschlag gemacht hatte. »Jetzt mußt Du die Macht Deiner Götter beweisen!«

Der Lama blickte den Kaiser lange schweigsam an. Dann wandte er sich um und blickte ebenso auf die Versammlung. Danach streckte er ruhig seine Hand gegen die Anwesenden aus. In diesem Augenblick hob sich der goldene Becher des Kaisers von dem Tisch und berührte die Lippen des Khans, ohne daß ihn eine sichtbare Hand gehalten hätte. Der Kaiser fühlte, wie köstlicher Wein seinen Mund benetzte. Jedermann war überwältigt. Der Kaiser sprach:

»Ich werde zu Deinen Göttern beten, und zu Deinen Göttern müssen alle Völker beten, die mir Untertan sind. Wie nennst Du Deinen Glauben? Wer bist Du und woher kommst Du?«

»Meine Lehre ist der Glaube des weisen Buddha. Ich bin Pandita Lama Turjo Gamba, von dem entlegenen und berühmten Kloster Sakkia in Tibet, wo der Geist Buddhas, seine Weisheit und seine Macht in einem menschlichen Körper inkarniert lebt. Wisse, o Kaiser, daß die Völker, die diesen Glauben haben, das ganze westliche Weltall besitzen und innerhalb von achthundertundelf Jahren die Lehre Buddhas durch die ganze Welt verbreiten werden.«

Dies trug sich am heutigen Tage vor vielen Jahrhunderten zu. Lama Turjo Gamba kehrte nicht nach Tibet zurück, sondern wohnte nun in Ta Kure, wo es damals nur einen kleinen Tempel gab. Von hier reiste er zu dem Kaiser nach Karakorum und später mit ihm auch nach der Hauptstadt Chinas, um ihn im Glauben zu befestigen, ihm die Zukunft vorauszusagen und ihm nach dem Willen der Götter die notwendige Erleuchtung zu geben.«

Der Lebende Buddha blieb eine Zeitlang schweigsam. Nachdem er ein Gebet geflüstert hatte, fuhr er fort:

»Urga, das alte Nest des Buddhismus ... Mit Dschingis Khan zogen die Olets und Kalmücken auf den europäischen Eroberungszug aus. Sie blieben fast vierhundert Jahre in der Fremde, wo sie in den Steppen Rußlands lebten. Dann kehrten sie nach der Mongolei zurück, da sie von den Gelben Lamas zum Kampf gegen die Könige von Tibet und die Lamas der Roten Kappen gerufen wurden, die das Volk bedrückten. Die Kalmücken haben der Gelben Lehre große Dienste geleistet. Sie erkannten, daß Lassa im Verhältnis zu der übrigen Welt zu abgelegen ist und daß daher unser Glaube von dort aus nicht über die Erde verbreitet werden kann. Infolgedessen brachte der Kalmück Gushi Khan von Tibet einen heiligen Lama, Undur Gheghen, mit sich, der den König der Welt besucht hatte. Von jenem Tage ab hat der Bogdo Gheghen ununterbrochen in Urga als Beschützer der Freiheit der Mongolei und der chinesischen Kaiser, die mongolischen Ursprungs waren, gelebt. Undur Gheghen war der erste Lebende Buddha im Lande der Mongolen. Er hinterließ uns, seinen Nachfolgern, den Ring Dschingis Khans, der von Kublai Khan dem Dalai Lama in Anerkennung für das vom Lama Turjo Gamba gezeigte Wunder geschickt worden war. Er hinterließ uns ferner die Schädeldecke eines schwarzen mysteriösen Wundertäters aus Indien, aus welcher Strong-Tsang, ein König von Tibet, vor eintausendsechshundert Jahren bei den Tempelzeremonien getrunken hatte, wie auch eine alte Steinstatue Buddhas, die von Delhi durch den Gründer der Gelben Lehre, Paspa, herbeigebracht worden war.

Der Bogdo klatschte in die Hände. Einer seiner Sekretäre nahm darauf aus einem roten Tuchbündel einen großen silbernen Schlüssel. Mit diesem öffnete der Lebende Buddha die Siegeltruhe. Er griff in die Truhe und zog eine kleine geschnitzte Elfenbeinschachtel heraus, aus der er einen großen Goldring mit einem prächtigen, das Zeichen der Swastika tragenden Rubin entnahm.

»Dieser Ring ist immer von Dschingis Khan und Kublai Khan an der rechten Hand getragen worden,« sagte der Bogdo.

Nachdem der Sekretär die Truhe wieder verschlossen hatte, befahl ihm der Bogdo, seinen Lieblingsmaramba zu rufen, den er dann einige Seiten aus einem alten auf dem Tisch liegenden Buche vorlesen ließ. Der Lama las mit monotoner Stimme:

»Als Gushi Khan, das Haupt aller Olets, den Krieg mit den Roten Kappen beendigt hatte, brachte er den wundertätigen »schwarzen Stein« mit sich, der dem Dalai Lama von dem König der Welt gesandt worden war. Gushi Khan wollte die Hauptstadt der Gelben Lehre in der Westmongolei errichten. Doch die Olets befanden sich damals wegen des chinesischen Kaiserthrons im Kriege mit den Mandschukaisern und erlitten dabei Niederlage auf Niederlage. Der letzte Khan der Olets, Amursana, entkam nach Rußland, sandte aber vor seiner Flucht den heiligen »schwarzen Stein« hierher nach Urga. Solange dieser Stein in Urga blieb und der Lebende Buddha mit ihm das Volk segnen konnte, waren die Mongolen und ihr Vieh von Krankheit und Unglück verschont. Aber vor hundert Jahren wurde der heilige Stein gestohlen. Seit jener Zeit haben ihn die Buddhisten in der ganzen Welt vergeblich gesucht. Seit seinem Verschwinden hat das mongolische Volk begonnen dahinzusterben.«

»Genug,« bedeutete ihm der Bogdo Gheghen ... »Unsere Nachbarn verachten uns. Sie vergessen, daß wir einstmals ihre Herren gewesen sind. Wir aber bewahren unsere heiligen Traditionen, und wir wissen, daß der Tag des Triumphes der mongolischen Stämme und der Gelben Lehre kommen wird. Die Schützer unseres Glaubens sind die Burjetten. Sie sind die treuesten Bewahrer des Vermächtnisses Dschingis Khans.«

So sprach der Lebende Buddha, und so haben die alten Bücher gesprochen!


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