Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Neuntes Buch.

Erster Abschnitt.

Des andern Morgens ließ Säugling der Vater, welcher schon den ganzen vorigen Tag, mit Ungeduld nach seinem Sohne gefragt hatte, denselben sehr früh zum Thee rufen.

»Ich fürchte mich, sagte der Alte, du möchtest mir sonst heute wieder wegreisen, wie gestern.«

»Ich möchte auch wohl, versetzte der Sohn, nur erst muß ich Ihnen von meiner gestrigen Reise, wichtige Dinge erzählen, bester Vater!«

V. Laß seyn! Ich habe dir noch viel wichtigere Dinge zu sagen. Hör' nur, ob du gleich meinst, du machst alle deine Dinge so heimlich, daß es niemand merkt, so hab' ich dirs doch lange angesehen, daß du eine Zuneigung zur Jungfer Gertrudtinn hast. Ich habe sie heute nebst ihrer Mutter zu Mittage gebeten, – Nun, wie wärs, wenn ich für dich heute um sie anhielte? He?

S. (erstaunt) Aber, liebster Vater, wie können Sie darauf kommen, daß ein Mensch von Talenten wie ich, mit einem einfältigen Mädchen von unkultivirten Geiste, werde sein ganzes Leben zubringen wollen. Welche Gesellschaft für einen Geist, wie ich?

V. Einen Geist wie du? da schweben wir wieder oben im hohen Himmel! Aber glaub mir! Hienieden kenne ich, für einen Müßiggänger – und das bist du doch wohl – der wohl zeitlebens nicht auf Eine Entreprise denken wird, keine bessere Gesellschaft, als funfzigtausend Thaler, und die wird die Jungfer Gertrudtinn einmahl wohlgezählt von ihrer Mutter erben. Siehstu! Funfzigtausend Thaler!

S. Nein! Reichthum kann mich nicht glücklich machen. Mich, zum Umgange mit Musen und Grazien gewöhnt – Liebe, überschwengliche Liebe –

V. Und wie überschwenglich muß denn die Liebe seyn? Ihr waret doch beständig gern bey einander, hattet auch immer was zu flüstern, und wenn du denn die Jungfer Anastasia acht Tage lang nicht gesehen hattest, so wars denn, als ob dir was fehlte – Das sah mir doch so ziemlich wie Liebe aus.

S. Liebe? Dieß geschah bloß, weil in dieser Einsamkeit kein anderes junges Frauenzimmer zu finden war. Mir ist aber wirklich der Umgang mit einem Frauenzimmer nothwendig, damit beständig in meinem Herzen sanfte und gefällige Empfindungen herrschen, und in meine Gedichte hinüberfließen mögen.

V. Ey nun, so heurathe die Jungfer Gertrudtinn, so wird dir ihr Umgang noch aus einer Ursach nothwendig. Zeit ists ohnedieß, daß du heurathest.

S. Das ist auch mein Vorsatz, mein bester Vater! Dieß war die wichtige Nachricht, die ich Ihnen von meiner gestrigen Reise erzählen wollte. Ich habe sie wieder gefunden, die Göttin meiner Seele, die ich schon lange liebe, die nun auch mich liebt, die meiner ganzen Liebe würdig ist. Jung! Schön! Edel! Verständig! Witzig! Sie lebt eine Meile von hier in einer Schäferhütte im Walde, in aller Unschuld des goldnen Zeitalters! Ihr habe ich ewige Treue geschworen, und nie soll eine andere dieß Herz rühren, dieß Herz voll von brennendem zärtlichem Gefühle, gegen die göttliche Schöne.

V. Was redst du da? Was für romanhaftes Geschwätz? Eine Göttin die in einer Hütte lebt? Ey nun ja, die wird freylich auch wohl kein Geld haben, denn das braucht man weder im Himmel noch im goldnen Zeitalter. – Aber sage mir nur, ists möglich daß du mir solche Streiche machst? Gleich sag heraus; wer ist das Mensch?

S. Aber lieber Papa! – Aber wirklich – Sie sprechen in Ausdrücken – von dem edelsten süßesten Mädchen – Es ist doch auch nicht ein bischen – Sie machen mich warhaftig ganz verwirrt.

V. So! der Herr Sohn meint, ich brauchte nicht Respekt genug! Gar fein! Wer ist denn also deine Göttinn? Wem gehört sie an?

S. Bester liebster Vater! Es ist die schönste Seele in dem schönsten Körper, sanft, gut, gefällig –

V. Bester liebster Herr Sohn, wem sie angehört, wer ihre Eltern sind, möchte ich wissen.

S. Sie Ist die Tochter eines würdigen Mannes, eines redlichen Predigers, eines unglücklichen Mannes, der von den Feinden vertrieben worden. Sie hat unschuldig viele Verfolgungen ausstehen müssen, die Vorsicht hat sie mir nach langer Abwesenheit wieder zugeführt. Ich habe sie nun, ich liebe sie mit innigster Zärtlichkeit und werde nimmer von ihr laßen.

Der Alte ließ für Schrecken seine Pfeife zu Boden fallen. Der schöne Entwurf, seinen Sohn mit einem reichen Frauenzimmer zu verbinden, den er für ganz ausgemacht hielt, sah er mit einemmahle vernichtet, sein Sohn war in ein armes Mädchen vergafft, das in eine benachbarte Hütte, Gott weiß woher, gekommen war, und was das schlimmste war, denn sein Phlegma stellte sich allemahl die nächsten Verlegenheiten als die größten vor, er wuste gar nicht, was er mit der Frau Gertrudtinn, ihrer Tochter und dem Freywerber anfangen sollte, die er zu heute Mittage gebeten hatte, um den Heurathsantrag zu thun, in der ganz zuverläßigen Vorstellung, daß sein Sohn nichts lieber wünschte.

Endlich ermannte er sich, um seinem Sohne zu beweisen, daß es sich für ihn gar nicht schicke, ein armes Mädchen zu nehmen, und sein Sohn ermangelte nicht, mit vielen Gegengründen darzuthun, daß ein Mädchen, die er liebte, das einzige Glück seines Lebens machen werde. In diesem Streite, ward die kaltsinnige Ruhigkeit des Vaters, bald von der feurigen Heftigkeit des Sohnes betäubt. Da Säugling also merkte, daß sein Vater stiller ward, bekam er Muth, und bot alle seine Beredsamkeit auf, um denselben zu überzeugen. Indem er nun mit heller Stimme für seine Meinung kämpfte, und dabey mit den Händen fochte, erblickte der Vater den Ring mit dem flammenden Herzen, an der linken Hand seines Sohnes.

»He da! rief er, und nahm ihn bey der Hand, Laß sehen Junge! ich glaube du hast dich im ganzen Ernste verplempert. Ich will nicht hoffen, daß du den Ring von dem Mädchen hast.«

»Ja! von ihr! rief der Sohn, und küßte den Ring, indem er ihn dem Vater vorhielt, sie ist die süßeste Seele, voll Unschuld und Liebe, weiß und glänzend wie diese Steine.«

»Warhaftig, sagte der Vater bedächtig, indem er den Ring gegen das Fenster kehrte, der Mittelbrillant ist vom ersten Wasser. Höre nur, das Mädchen kann doch wohl nicht ganz arm seyn, wenn sie solche Ringe verschenkt – Sehen Sie Herr Pastor, einen schönen Stein, einen ausbündigen Stein, –« fuhr er gegen den Sebaldus fort, der eben, mit den Zeitungen in der Hand, herein getreten war.

Sebaldus hatte kaum den Stein erblickt, als er voll Erstaunen ausrief:

»Gott! woher haben Sie den Ring? er gehört meiner Tochter.«

»Ihrer Tochter?« riefen Vater und Sohn.

»Ich habe den Ring, fuhr der Sohn fort, von dem besten edelsten Mädchen, das ich unaussprechlich liebe, und ewig lieben werde. Ist sie Ihre Tochter? – wohl mir! – So ist sie die Tochter eines sehr redlichen Mannes.«

Der junge Säugling erzählte einige Umstände, die dem Sebaldus keinen Zweifel mehr übrig ließen. Sebaldus bat den Alten, ihn sogleich zu seiner Tochter fahren zu laßen, der junge Säugling bat seinen Vater fußfällig, daß er mitfahren dürfe. Dieser bewilligte endlich beydes, nur mit dem Bedinge, daß sie zur Mittagsmahlzeit wiederkämen, und daß sie sich, von allem vorgefallenem, gegen die Frau Gertrudtinn und ihre Tochter, nichts sollten merken laßen, wodurch er sich wenigstens aus seiner heutigen Verlegenheit zu ziehen hoffte. Der junge Säugling sprang gleich fort, um selbst die geschwinde Anspannung eines Wagens zu besorgen. Unterdessen verlangte Säugling der Vater vom Sebaldus einen Handschlag, daß er die Heirath seines Sohns mit Marianen nicht befördern wollte. Sebaldus gab ihm deshalb ausdrücklich sein Wort, und der Alte, der Sebaldus ehrliche Denkungsart kannte, machte seiner eignen Klugheit insgeheim ein Kompliment, indem er dadurch seinem Sohne einen starken Schritt abgewonnen zu haben glaubte.

Sebaldus fuhr mit dem jungen Säugling, nach dem Hause im Walde. Als Mariane den Wagen ankommen sah, flog sie ihrem Liebhaber entgegen. Er war aber kaum aus dem Wagen gesprungen, als sie auch ihren Vater erblickte. So viele Freude auf einmahl zu ertragen, ist ein menschliches Herz zu schwach. Sie fiel in Ohnmacht. Als sie wieder zu sich kam, stürzte sie, mit Freude ohne Maaße, in ihres Vaters Arme, in die er sie mit väterlicher Inbrunst schloß. Aber bald mischten sich traurige Empfindungen in ihre Freude. Ihr Vater hielt ihr seine jetzige Lage gegen den alten Säugling vor. Er gab ihr zu überlegen, ob er nicht dessen Gutthätigkeit mit Undanke belohnen und die heiligsten Rechte der Gastfreundschaft verletzen müßte, wenn er, wie es allemahl scheinen würde, aus Eigennutz, zu ihrer Heurath mit dem jungen Säugling, wider des Vaters Willen, seine Einwilligung geben wollte. Er erklärte ihr endlich, daß er dem Alten förmlich deshalb sein Wort gegeben habe, und nun forderte er auch von ihr ein ausdrückliches Versprechen, alle Gedanken daran, fahren zu laßen.

Marianens innrer Streit war sehr heftig. Sie war noch nie ihrem Vater ungehorsam gewesen, sie fühlte, es würde unedel seyn, ihm jetzt, in dem nicht zu gehorsamen, was er mit väterlichem Ernste und guter Gründe wegen, verlangte, aber sie fühlte auch, es heiße, sich das Herz ausreissen, wenn man dem einzig Geliebten plötzlich ganz entsagen soll. Kindliche Pflicht siegte endlich in der edlen Seele, wie Pflicht über Leidenschaft allemahl: mit Mühe. Sie benetzte ihres Vaters Hand mit Thränen, und schwur, nichts wider seinen Willen zu thun, nichts, das ihr und ihm unanständig wäre.

Sie ermahnte selbst Säuglingen, mit einem Strome von Thränen, standhaft zu seyn, sie zu vergessen. Aber der hohe Schmerz, mit dem, bey ihrer großmüthigen Entsagung, ihr Auge auf ihn blickte, beförderte selbst seine Liebe bis auf den höchsten Grad. Er gerieth in die heftigste Leidenschaft, er schwor zu ihren Füßen, nimmer von ihr zu laßen, er bot ihrem, er bot seinem Vater Trotz, seiner Liebe Hindernisse entgegen zu setzen, er schloß sie in seine Arme, und bot der ganzen Welt Trotz, sie von ihm zu reißen. Marianens thränende Bitten, aus allem was Liebe bitteres und süßes hat gemischt, Sebaldus beweglichste Vorstellungen, halfen nichts. Er schloß sie nochmals in seine Arme, und betheuerte mit den heftigsten Schwüren, sie solle ewig die Seinige seyn.

Sebaldus, hatte sich noch nie in einer so delikaten Lage befunden. Er sah sich in unaussprechlicher Verlegenheit. Er liebte sein Kind zärtlich, und doch bewogen ihn Vernunft und Pflicht, ihr zu versagen, was, wie er sahe, sie glücklich machen würde, und es war nicht abzusehen, wenn auch Mariane gehorsamte, wie die heftige Leidenschaft des Jünglings zu zähmen seyn möchte.

Indessen verstrich die Zeit, und Sebaldus, des Versprechens eingedenk, zur Mittagsmahlzeit zurückzukehren, erinnerte Säuglingen an die Abreise. Säugling aber war durch keine Vorstellung zu bewegen, sich von Marianen zu trennen, und schwor abermals, nicht eher zu seinem Vater zurück zu kehren, bis er dessen Einwilligung zu seiner Verbindung erhalten hätte. Sebaldus sah endlich, nach vielen fruchtlosen Versuchen, der Jüngling sey zur Rückreise nicht zu zwingen, und ihn zurückzulaßen, hielt er sehr bedenklich, weil, in dieser convulsivischen Leidenschaft, heftige unüberlegte Rathschläge zu fürchten waren. Er entschloß sich also in dieser äußerster Verwirrung der Sache (ob er gleich noch nicht wußte, wie dieß der alte Säugling aufnehmen könnte) seine Tochter mitzunehmen, und bey sich zu behalten, wo er den weitern Gang dieser Angelegenheit, besser zu übersehen, und gemeinschaftlich mit dem alten Säugling, die zuträglichsten Maasregeln nehmen zu können, vermeinte.

Verliebte sind wie Kinder. Kaum vernahm Säugling des Sebaldus Entschluß, als er, von der äußersten Wuth, zur äußersten Freude übergieng. Mit seiner Mariane, deren gegenwärtige Trennung von ihm, seine Leidenschaft als das äußerste Unglück darstellte, nun unter eben dem Dache wohnen zu können, schien ihm das äußerste Glück. Er umarmte den Sebaldus, er küßte dessen Hand, er bat ihn, wegen aller unüberlegten Worte, die er in der Wut ausgestoßen hatte, um Vergebung. Sein Gemüth war plötzlich umgestimmt, vernünftigen Vorstellungen Gehör zu geben, er versprach sich zu mäßigen, versprach seines Vaters zu schonen, versprach alles, Marianens Gesellschaft überwog alles, füllte seine Seele ganz, ließ keinem andern Gefühle Raum.

Sie setzten sich sämmtlich in den Wagen, und fuhren, äußerlich beruhigt, zurück.


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