Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Sechster Abschnitt.

Nachdem Säugling der Vater von seiner Krankheit genesen war, ward er einst, mit seinem Sohne, zu der Frau Gertrudtinn in die Stadt, zu Mittage eingeladen. Die schöne Anastasia, welche des jungen Säuglings Achtsamkeiten, gleich ihrer Mutter, ganz ernsthaft auslegte, hatte diesen Tag alle ihre sittsamen Reizungen aufgeboten, weil sie nunmehr zuträglich hielt, sein Herz ganz zu fesseln. Man fand an ihr heute nicht bloß, die, wohlbegüterten Betschwestern, sonst eigenthümliche andächtige Selbstgenügsamkeit, nicht nur das ihnen sonst gewöhnliche selbstbehagliche Achtgeben, auf gesundes Ansehen, auf Weiche der Haut, auf Glätte der Bekleidung, auf Gelindigkeit der ganzen Person, welches sogar bey Nonnen die Stelle alles weltlichen Putzes ersetzt; sondern, ihr mit brabandischen Spitzen besetztes Häubchen war auch einen halben Zoll höher auf die Stirne gerückt, sie schlug die Augen öfter lieblich in die Höhe und ließ sie mit langsamem Schmachten niedersinken, und ihre weichlich lispelnde Stimme, sonst mit Seufzerchen überhaucht, erstarb heute auf ihren Lippen, mit einer fast holdem Lächeln nahe kommenden Freundlichkeit.

Alle diese schmachtende Reize, ließ sie mit der, andächtelnden Mädchen so eignen, zurückhaltenden Innigkeit, auf Säuglingen wirken, als sie nach dem Mittagsmahle, mit ihm allein im Garten spazieren gieng. Jungfer Anastasia die, in seinen Augen, bald die unverstellten Merkmale des Wohlgefallens las, glaubte sichere Zeichen ihres geheimen Sieges zu finden, und ihrem wohlmeinenden Zwecke, aus einem weltlichen Jünglinge, einen frommen Ehemann zu machen, ziemlich nahe zu seyn.

Indessen, da sie, mit stillem Herzklopfen, einer zärtlichen Erklärung entgegen sahe, ließ sich Säugling, weit gefehlt, daß er seiner einzig geliebten Mariane nur einen Augenblick hätte untreu werden sollen, durch ihre anmuthige Vertraulichkeit zu nichts bewegen, als daß er einige von seinen Lieblingsliedern, über die Freuden des Lebens, aus der Tasche nahm, die er sich bisher noch nicht getrauet hatte, ihr vorzulesen. Sie hörte sie, mit völliger Ergebung in ihr Schicksal, an. Bey feinen Gedanken, die sie nicht verstand, sahe sie freylich ein wenig dämisch aus, aber dieß ward durch das sanfte Lächeln vergütet, welches zugleich diente ihre schönen Zähne, und die Grübchen in ihren runden Wangen zu zeigen. Bey verliebten Stellen erröthete sie nicht gleich, wie sonst, sondern hob die Augen seitwärts, mit einem Blicke zwischen Verschämtheit und Sehnsucht, in die Höhe, und erst, wenn, im Herabsinken, ihre Augen, Säuglings auf ihren Beyfall gierigem Blicke, begegneten, stieg ein sanftes Roth auf ihre vollen Wangen, indem ihre Augen nochmals furchtsam aufblinzten.

Unterdessen daß dieses vorgieng, hatte sich ein mitgebetener Freund der Frau Gertrudtinn des alten Säuglings bemächtigt, und ihn nach Tische ebenfalls in eine andere Gegend des Gartens geführet. Er brachte, ungezwungner Weise, das Gespräch auf die Jungfer Anastasia, und breitete sich ausführlich über das große Heuratsgut aus, das sie zu gewarten hätte. Er erzählte zugleich, es hätten sich schon viele Partheyen gefunden, die aber, weil sie Weltkinder gewesen, von der Frau Gertrudtinn abgewiesen worden, bis sich kürzlich erst, ein annehmlicher Bräutigam, sogar ein Edelmann gefunden hätte, dessen Ansuchen jetzt wirklich in Erwegung gezogen würde.

Diese Nachricht that auf den alten Säugling die begehrte Wirkung. Er ward etwas still, blies einige Minuten lang, den Rauch langsamer aus seiner Pfeife, und fragte, so gleichgültig als er konnte: »Ob denn der bewußte Bräutigam schon das Jawort erhalten hätte?«

»Bis jetzt noch nicht, sagte der Freund des Hauses, die Sache ist jetzt wirklich in Ueberlegung, und verdient sie.

»Ich wünschte, sagte der alte Säugling, nachdem er wieder einige Minuten pausiret hatte, daß ich eher etwas davon gewußt hätte, denn ich muß gestehen, daß ich die Jungfer Anastasia immer für eine meinem Sohne schickliche Parthey gehalten habe.«

Der Hausfreund versicherte, daß hierbey noch nichts verlohren wäre, man sey mit dem andern Bräutigam auf keine Weise gebunden, und ob derselbe gleich nicht nur ein Mann von Stande sey, sondern auch ein rechtes frommes Gnadenkind geworden: so sey er doch ein Officier, und man wisse wohl, daß Leute dieses Standes, am leichtesten in Rückfall gerathen können; daher werde die Frau Gertrudtinn seinem Sohne gewiß den Vorzug geben, nur müsse er, wie leicht zu erachten, sich sehr bald deshalb erklären.

Der alte Säugling ward über diese Nachricht überaus vergnügt, versicherte, daß er morgen unverzüglich mit seinem Sohne reden wollte, welcher ihm schon längst eine besondere Neigung zur Jungfer Anastasia zu haben schiene, und da er gar nicht zweifelte, derselbe werde zu dieser Heurath die größeste Begierde zeigen: so nahm er zugleich die Abrede, daß die Frau Gertrudtinn, nebst ihrer Tochter, und ihm, dem Hausfreunde, auf den übermorgenden Tag, auf sein Gut, zum Mittagsessen gebeten werden sollten; damit alsdenn der erste Antrag geschehen, und vielleicht gar die Sache gleich in Richtigkeit gebracht werden könnte.

Der Freund der Frau Gertrudtinn, bestärkte den alten Säugling sehr in diesem Vorsatze, und fuhr fort, ihm eine ausführliche Auskunft über derselben Vermögen zu geben, nebst andern dahin einschlagenden dem Alten überaus angenehmen Gesprächen. Es entspann sich daher zwischen beiden eine wechselseitige Vertraulichkeit, und sie hatten einander so viel zu sagen, daß, als gegen Abend, die Zeit zur Abfarth herankam, der alte Säugling sich, ohne Umstände, in den Wagen des fremden Herrn setzte; damit sie in ihrem Gespräche fortfahren, und ihre Rathschläge und Entwürfe ferner ins Reine bringen könnten.

Der junge Säugling fuhr also ganz allein. Dieser war durch die Lieblichkeit der Jungfer Anastasia, und durch den Weihrauch, den sie seinen Gedichten angezündet hatte, (denn er hielt ihr Seufzen und Erröthen bloß für eine starke Wirkung seiner Gedichte) in die wohlgefälligste Laune gesetzt worden. Es war einer der schönsten Sommerabende. Er stieg daher aus dem Wagen, als der Weg neben einem Walde vorbeygieng, um einen Spaziergang zu Fuße zu machen. Der Kutscher beschrieb ihm einen Fussteig, der nach einer Viertelmeile wieder aus dem Walde herausführte. Dahin ward der Wagen beschieden, und Säugling gieng in das Gebüsch, mit der Schreibtafel in der Hand, um, unter den Einflüssen der schönen Gegend, einer Scene in seinem empfindsamen Romane nachzudenken.

Er war schon, eine geraume Zeit, in aller Wollust der Autorempfängniß, fortgewandelt, als er, ohngefähr dreißig Schritte vom Fußsteige ab, im Walde einen angenehmen Gesang zu hören glaubte. Er ward dadurch noch mehr aufmerksam gemacht, da ihm die Melodie bekannt war, noch mehr, da es ihm bey näherm Hinzugeben, eines seiner Lieder zu seyn schien, noch mehr, da ihm die Stimme Marianens Stimme zu seyn bedünkte. Er eilte durch das Gesträuch. Es war wirklich Mariane, die bey ihrem gewöhnlichen einsamen Abendspaziergange, sich am Ufer des kleinen Baches niedergesetzt hatte, ihren schwermüthigen Gedanken, über ihren geliebten ihr so frühzeitig geraubten Säugling nachzuhängen, und in diesem süßen Staunen, ein von demselben ehemals an sie gerichtetes Lied sang.

Als sie Säuglingen erblickte, sprang sie auf, und that einen lauten Schrey, weil sie glaubte ein Gespenst zu sehen. Er überzeugte sie aber bald, daß er lebte, da er sie aufs feurigste in seine Arme schloß, und den ersten Kuß auf ihre jungfräulichen Lippen drückte. Unnennbare Freude zitterte aus beiden in dieser Umarmung, für alle Beschreibung zu innig. Marianens ganze Zurückhaltung zerfloß in diesem Gefühle, wie Eis beym Blick eines Maytages. Sie schwor die Seinige zu seyn, sie war die Seinige.

In dieser wonnevollen Unterhaltung verstrich eine Stunde, ohne daß sie es merkten. Säuglings Bedienter, der, an dem abgeredeten Orte, mit dem Wagen so lange gewartet hatte, ward endlich unruhig, suchte seinen Herrn im Walde, fand ihn, und erinnerte ihn, nach Hause zu fahren.


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