Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Fünftes Buch.

Erster Abschnitt.

Mariane ward bey ihrer Ankunft auf dem Gute, wo sich die Gräfinn von *** aufhielt, von derselben mit offnen Armen empfangen. Die Gräfinn, welche, in der schönen Jahreszeit, häufige Besuche hatte, ward mehrentheils, sobald die rauhe Herbstwitterung eintrat, einsam gelassen. Alle ihre Nachbarn, denen der heitere Sonnenschein und die grünenden Bäume kaum den Aufenthalt auf dem Lande hatten erträglich machen können, eilten nach der Residenzstadt, um zu Vergnügungen zurückzukehren, die ihnen angemeßner waren: zu Cour-Tagen, wo man sich tief neiget, um seinen Stolz zu zeigen; zu Bällen, wo jeder sich bis über die Zähne vermummt, ob gleich keiner mit einer Maske spricht oder tanzt, die er nicht kennet; zu großen Mittagsmahlen, wozu man alles, was vornehm und angesehen ist, bittet, um vier Stunden lange Weile zu haben, und zu feinen Abendmahlzeiten, zu welchen man sich, mit leichtsinnigen und sittenlosen Leuten einschließt, um sich ein paar Stunden lang einzubilden, man sey vergnügt gewesen. Die Gräfinn, die seit langen Jahren alle diese herrlichen Vergnügungen geschmeckt hatte, und davon sehr bald war gesättigt worden, trug kein Verlangen im Winter ihre Güter zu verlassen. Sie hatte gelernt, sich selbst genug zu seyn. Die Besorgung ihrer Angelegenheiten, kleine weibliche Arbeiten, und die Lektur, konnten sehr wohl den größten Theil ihrer Zeit beschäftigen. Nur fehlte ihr noch eine Gesellschafterinn ihres Geschlechts, von unbescholtenen Sitten, und der es nicht an Verstande und Geiste fehle, die bey Spaziergängen, (die sie auch in schönen Wintertagen nicht verabsäumte,) und bey ihren wohlthätigen Besuchen ihrer Unterthanen, ihre Gefährtinn sey, in deren Gesellschaft sich der Geist, der in der Einsamkeit erschlafft, zu angenehmer Unterhaltung wieder anspannen könne. Eine solche Gesellschafterinn fand sie an Marianen, die ihr daher alle Tage werther ward.

Mariane auf ihrer Seite, lebte sehr glücklich. Die Gräfinn von *** verbannte aus ihrer Gesellschaft alle Art von Dienst; sie wollte eine Freundinn haben. So verflossen die Wintermonathe unter gemeinschaftlichen Arbeiten, Lektur und Unterhaltung. Es ist leicht zu erachten, daß Marianen der Umgang mit einer Dame, die so viel Verstand mit so viel Erfahrung und Weltkenntniß verknüpfte, ungemein lehrreich gewesen seyn müsse. Die von der Gräfinn sehr wohl gewählte Lektur trug das ihrige dazu bey; und obgleich Mariane dadurch belesener ward, so wußte sie die Gräfinn doch, durch feinen Scherz, von der kleinen Thorheit ihre Belesenheit in Gesellschaft zu zeigen, in kurzem ganz zu heilen.

Die einzige Störung der Reihe von sanften Vergnügungen, in denen Mariane lebte, war das Andenken an Säuglingen, und vielleicht war eine solche Störung einem jungen und lebhaften Frauenzimmer behaglich, weil sie die Einförmigkeit ihrer Empfindungen mannichfaltiger machte. Sie dachte sehr oft an den schnellen Abschied; sie war zuweilen ungehalten, daß er ihr keine Nachricht von sich gebe; dann überlegte sie wieder, daß er ihren Aufenthalt nicht wissen würde; und indem sie ganz leise den Gedanken dachte, daß sie an ihn schreiben könnte, erröthete sie, als vor einem ihr unanständigen Schritte. Sie klagte wieder über die Unmöglichkeit von ihm Nachricht zu erhalten; dann fiel ihr das Versprechen ein, das sie der Frau von Hohenauf gethan hatte, alle Verbindung mit Säuglingen aufzuheben: und dann entschloß sie sich, ihn völlig zu vergessen. Indem sie aber diesen Entschluß recht zu befestigen suchte, ward sein Bild unvermerkt in ihrer Einbildungskraft lebhafter, und sie vernichtete ihren Vorsatz, selbst indem sie ihn ausführen wollte.

Säugling, auf seiner Universität, zerbrach sich nicht weniger den Kopf über Marianens Zustand. Er hatte vermittelst des Kammermädchens nichts weiter erfahren können, als daß Mariane in der Nacht in einem Wagen wäre weggebracht worden. Er spannte seine ganze Einbildungskraft an, um zu muthmaßen, wohin sie gerathen sey; aber vergeblich. Er mußte sich begnügen, an ihr geliebtes Schattenbild die zärtlichsten Seufzer abzusenden. So vergieng der Winter damit, daß er an Marianen dachte, ihren Namen, in Ermanglung eines Baums, in sein Schreibepult schnitt, wenn er sie besingen wollte, und über beides von Rambolden geschraubt ward.

Im Frühlinge, nachdem er auf dieser zweyten Universität ein Jahr gewesen war, berief ihn sein Vater, der sich nach geendigtem Kriege in Westphalen ein Landgut gekauft hatte, nach Hause. Er reisete also mit Rambolden ab, und nahm seinen Weg über den Landsitz seiner Tante, die sich stellte, als ob sie den Vorfall mit Marianen ganz vergessen hätte, und ihn mit sehr vieler Freundlichkeit aufnahm. Er trauete sich demungeachtet nicht, sich nach Marianen zu erkundigen. Sie selbst aber nahm Anlaß ihm einst, bey Gelegenheit, mit lächelndem Munde eine Neuigkeit zu sagen, die ihm wie ein Blitz in seine arme Seele fuhr: »daß die Mariane, die einst ein flüchtiger Gegenstand seiner Neigung gewesen, in Franken bey einem Edelmanne, Französische Mamsell worden, und kürzlich den Informator, dem der gnädige Herr eine erledigte Pfarre gegeben hätte, geheurathet habe.«

Sie erdichtete diese Nachricht nicht ohne besondere Absichten. Zu Folge ihrer beständigen Leidenschaft, ihre Familie zu erheben, wünschte sie, daß ihr Neffe eine Adeliche heurathen möchte. Ihre Augen waren dabey auf das Fräulein von Ehrenkolb gerichtet, ein Fräulein von altem Adel, aber nicht von großem Vermögen, welche mit ihrer Mutter, einer Wittwe, auf einem kleinen Gute in der Nachbarschaft wohnte. Die Frau von Hohenauf glaubte, die Frau von Ehrenkolb werde durch den großen Reichthum, welchen der junge Säugling, der ein einziger Sohn war, zu erwarten hatte, leicht bewogen werden, in diese Heurath zu willigen; der alte Säugling, der schon ein Rittergut gekauft hatte, werde sich adeln lassen, er werde seinem Sohne eine ansehnliche Bedienung kaufen; und nun wiegte sie sich schon im voraus mit dem angenehmen Traume, daß durch ihn ihre Familie, in ein Paar Generationen, zu den angesehensten des Landes werde gezählet werden.

Die Frau von Hohenauf hatte ihrem Neffen von diesen ihren politischen Absichten noch nichts gesagt, und er konnte sich, aus eignem Triebe, so hohe Gedanken nicht in den Kopf kommen lassen. Er war nur bloß mit seinen Gedichten, und mit seiner Liebe zu Marianen beschäfftigt. Er hatte, seitdem er von ihr so plötzlich war geschieden worden, fleißig, an Sie gerichtete Lieder gemacht, und in der Deutschen Gesellschaft des Orts vorgelesen. Diese Sammlung von Gedichten hatte er kurz vor seiner Abreise unter die Presse gegeben. Er war, wie jeder junge Autor, über dem Gedanken, daß seine Gedichte gedruckt würden, vor Freuden außer sich. Er unterhielt sich überdieß mit den angenehmsten Träumen, welche zärtliche Scenen erfolgen würden, wenn er einmal von Marianen Nachricht erhalten, und ihr diese Folge von Gedichten überreichen sollte. Man urtheile also, wie groß sein Schmerz war, da er hörte, wie leichtsinnig Mariane seine Liebe sollte vergessen haben, und mit einemmal befand, daß alle diese zärtlichen Liebesseufzer ihre Wirkung verfehlen würden. Zwar gehörte er nicht zu den starken selbstständigen Seelen, welche, wenn ihnen ihre Geliebte vor dem Munde weggeheurathet wird, sich nothwendig erhängen, oder in einen Fluß stürzen müssen; dennoch aber irrte er öfters trostlos in dem nahegelegenen Walde, achtete weder Wind noch Regen, sondern klagte dem Echo und den murmelnden Bächen seine Noth. Er sang manche Lieder voll verliebter Verzweiflung, und endlich eins, worum er der Liebe ganz und gar entsagte. Dieß letztere erhielt seinen völligen Beyfall; denn es schien ihm, es habe etwas feierliches, welches seinen vorigen Liedern fehlte; und er fieng an seinen verliebten Schmerz, durch das Wohlgefallen an den Geisteswerken die er verursacht hatte, in etwas zu lindern.


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