Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Zweyter Abschnitt.

Säugling der Vater, war ein Mann, der weder große Tugenden noch große Laster hatte. Sein natürliches Phlegma, verließ ihn nur bloß in dem Falle, wenn er im Handel einen sichern Gewinnst vor sich sahe. Daher hatte er, vom ersten Anfange des Krieges an, viel mit Lieferungen für die Armeen zu thun gehabt, wodurch er einen Reichthum erworben hatte, der selbst seine Erwartungen überstieg. Den Werth des Geldes, kannte er zwar so gut als jemand, doch war er eben nicht geizig, ob er gleich auch nichts vom Verschwenden hielt. So bald der Krieg zu Ende zu gehen schien, und er die Möglichkeit sahe, daß ein Lieferant Schaden haben könnte, entsagte er allen fernern Unternehmungen, und kaufte dieses Rittergut, wo er nunmehr seine große Reichthümer genießen wollte. Er fand aber, daß dieß, mit einem Geiste ohne Kenntnisse und ohne Thätigkeit, schwerer ist, als er wohl anfänglich mochte gedacht haben. Er fieng an zu bauen, aber er ward sehr bald fertig, mit einem Hause, das schon größer war als er es brauchte. Es fanden sich zu ihm bald Kunstkenner, fleißige betriebsam Personen, welche, ausdrücklich für reiche Leute die keine Kenntnisse haben, Gemälde der größten Meister aus Werken der Stümper und Lehrlinge verfertigen laßen, und sie durch verdorbenen Firniß und verschossenes Kolorit, meisterhafter Weise zu erheben wissen. Diese verfehlten aber gänzlich ihres Zweckes bey ihm, weil sie ihm den ersten, bey allen reichen Kunstliebhabern nöthigen Schritt, nicht abgewinnen konnten, nämlich ihm einzubilden, daß er Geschmack habe. Sie konnten ihn daher nicht dazu bringen, sich ein Kabinett anzuschaffen, weil er ihnen immer, mit dummer Ehrlichkeit, ins Gesicht gestand, daß er an ihren so schön gepriesenen Rubens, van Dyk, Guercino und Luca Jordano keine Augenweide finden könne, und daß ihm die Bildnisse seiner Vorältern, mit ihren Kragen, güldnen Ehrenketten und Knotenperucken viel besser gefielen. Sie konnten also bey ihm nichts als ein Paar von Jakobs van der Laenen oder Jan Steens Fratzengemälden anbringen; bey denen nicht viel verdient wurde, weil sie wirklich ächt waren. Sie verließen ihn daher gänzlich, mit vielem Achselzucken über seine unbegreifliche Unwissenheit. Es fanden sich zwar andere Leute von Geschmack, welche ihn lehren wollten, seinen Garten nach der neuesten englisch-chinesischen Art anzulegen, die damals in Westphalen noch ganz unerhört war. Da er aber, zu diesem Behufe, den größten Theil seines Parks sollte umhauen laßen, und nach der Anlage, gerade auf dem Platze, wo sein bestes Franzobst und alle seine Spargelbeete befindlich waren, ein chinesischer Thurm und hinter demselben verschiedene Abgründe und Wildnisse angelegt werden sollten; so folgte er wieder seiner einfältigen Ueberlegung, daß er, dieser Verbesserung zu Folge, viele Jahre lang weder Spargel noch Obst kosten, und vielleicht Zeitlebens nie wieder Schatten und Kühlung genießen würde, und ließ alles wie es war. Er hätte zwar gern Gesellschafft gehabt, und setzte sich daher auf den Fuß offne Tafel zu halten, aber es kam selten jemand, weil ihn der benachbarte Adel über die Achsel ansahe. Der Herr von Haberwald, welcher ihn freylich wegen der Rehe und Hasen seiner Wildbahn, und wegen des guten Weins in seinem Keller, oft besuchte, war ihm zu lärmend, so wie Rambold zu spitzfindig und hönisch. Sein Sohn war also seine einzige Gesellschaft. Er hörte dessen Gedichte auch wohl bey seiner Nachmittagspfeife an, und freuete sich, wenn er in den Zeitungen, welche die Zeit der Morgenpfeife ausfüllten, zuweilen schwarz auf weiß las, daß derselbe ein großer Poet wäre; aber dieß wollte doch gegen die große Portion von langer Weile nicht wiederhalten, die ihm übrig blieb, und wider die er, nach langem Nachsinnen, nichts erdenken konnte, als daß er begann, zumahl da die langen Winterabende allzumelancholisch wurden, wöchentlich dreymahl Betstunde zu halten.

Da er also den Sebaldus kennen lernte, warf er die Augen auf ihn, als auf einen Mann, der geschickt wäre, ihm beständig Gesellschafft zu leisten. Sebaldus war ohngefähr von gleichem Alter, von gleichem ruhigen Gemüthe, er konnte beständig um ihn seyn, konnte von sehr vielen Sachen sprechen, die, ohne seinen zur Bemühung ungewohnten Geist durch Anstrengung zu ermüden, doch einige Beschäftigung darboten.

Er trug also dem Sebaldus, nebst freyer Kost und Wohnung, ein jährliches Gehalt an, welches, wie leicht zu erachten, sehr willig angenommen ward. Sebaldus kam dadurch, aus dem tiefsten Elende, in einen Stand der Ruhe und Gemächlichkeit, der ihn wieder zum Genusse des Lebens empfindlich machte. Der Hauch vaterländischer deutscher Luft, erweckte wieder das Verlangen nach seiner Tochter und nach seinem Sohne. Bloß der gänzliche Mangel an Nachricht von diesen geliebten Kindern, unterbrach zuweilen die Behaglichkeit, in der er lebte, und die seine leicht zu befriedigende Wünsche sonst ganz erschöpfte.

Seine vornehmste Pflicht war, beym Frühstücke die Zeitungen aller Art vorzulesen. Der alte Säugling hatte diese Lektur, von der ersten Zeit seiner Einsamkeit an, als ein hauptsächliches Hülfsmittel wider die lange Weile gebrauchet. Die Zeitungen geben umdenkenden Köpfen eine so unschuldige Gelegenheit, ihre wenigen Seelenkräfte auf eine halbe Stunde in eine Art von Bewegung zu setzen, und veranlaßen wohl noch ein viertelstündiges Gespräch bey der Mittagstafel, wo ihnen oft der Bissen viel leichter in den Mund, als das Wort aus dem Munde zu gehen pflegt; daß sie ihnen, des Morgens, zu einer eben so nothwendigen Seelenatzung geworden sind, als das Kartenspiel, des Abends. Dazu kam, daß die Zeitungsschreiber damals, wenigstens monatlich ein paarmahl, Besorgniß wegen eines bevorstehenden Krieges äußerten. So oft dieses geschahe, pflegte der alte Säugling, in Gedanken, und oft auch auf dem Papiere, zu berechnen, wie viel Lieferungen von mancherlei Art für die Armeen nöthig seyn möchten, und Entwürfe zu machen, wie sie in den verschiedenen Ländern, wo der Schauplatz des Krieges vorausgesetzet ward, könnten herbey geschaft werden. Denn ob er gleich gar nicht willens war, selbst wieder etwas zu unternehmen, so waren doch Spekulationen dieser Art, wie er aus der Erfahrung sehr wohl wußte, ein sicheres Mittel, seinen Geist in der anspannungslosen Thätigkeit zu erhalten, durch welche der Körper, die vornehmste Sorge reicher müßiger Leute, so wohlbehaglich genähret wird, daß alle sechs nicht natürliche DingeDie Aerzte begreifen unter dieser Benennung: Athemholen, Speise und Trank, Ausführungen, Schlaf, Bewegung, Leidenschafften. in der besten Ordnung von Statten gehen.

Ein gleiches wirksameres Hülfsmittel, waren die vielen Zahlenlotterien, von denen er in den Zeitungen Nachrichten las. Er setzte in alle. Die Spekulationen über die an verschiedenen Orten herausgekommenen und noch herauszukommenden Zahlen, die Komponirung und Dekomponirung verschiedener Einsetzungsarten, u. dergl. mehr, führten ihn in so mancherlei ernsthaft aussehende Rechnungen, aus denen so viele sonderbar scheinende Resultate entsprangen, daß er zuweilen verleitet ward, seine Hirngespinste, mit Wohlgefallen, für mathematische Einsichten zu halten. Dazu kam, daß die geringe Furcht zu verlieren und die grössere Hofnung zu gewinnen, der Verdruß die Zahlen verfehlet, und die Freude sie errathen zu haben, seine sonst so leere Seele mit etwas Leidenschaften ähnlichem erfüllte, welches machte, daß er weniger träge zu denken, und lebhafter zu sprechen begann, und welches zugleich seine Säfte, in so ordentlicher Wirkung und Gegenwirkung erhielt, daß er nie weniger von Indigestionen zu befürchten hatte, als kurz vor und kurz nach den verschiedenen Ziehungstagen. Man kann also leicht erachten, daß er hierdurch in der besten Gesundheit erhalten worden sey, da verschiedene Patrioten in verschiedenen Provinzen Deutschlandes, dafür gesorgt haben, daß keine Woche vorbeygeht, ohne daß irgendwoher den Reichen ein so stattliches Digestivmittel dargeboten werde, welches für sie allemahl wohlthätig; und nur blos den Armen zuweilen etwas zu drastisch ist.

Wenige Tage, nachdem Sebaldus in sein Amt eines Zeitungslesers eingesetzt worden war, stand in einer Zeitung, die Gewinnliste, ich weiß nicht welcher Zahlenlotterie. Er mußte sie ganz vorlesen, weil sie dem alten Säugling, wegen Vieler, über die Folge der Zahlen in dieser Lotterie, gemachten Spekulationen, sehr interessant war. Sebaldus verstand aber so wenig davon, als ob sie polnisch geschrieben gewesen wäre. Der alte Säugling, der schon diese Tage über, wenn er in den Zeitungen über manche Namen und Sachen zweifelte, Sebaldus historische und geographische Kenntnisse, nachgebend hatte annehmen müssen, that sich jetzt was rechts darauf zu gute, daß er nun demselben erklären konnte, was Ambe und Terne, und andere zur Lotterie gehörige Worte bedeuteten. Er gerieth dabey in solchen Eifer, daß er dem Sebaldus anlag, sich fünf Zahlen auszulesen und auf dieselben zu setzen. Sebaldus hatte keine Lust, und verirrte sich in die Logik der Wahrscheinlichkeit, um zu beweisen, daß keine Zahl vor der andern, mehr Wahrscheinlichkeit herauszukommen habe, und daß er also keine vor der andern zu wählen wisse. Der alte Säugling, voll Begierde, vermeinte auf dem rechten Wege zu seyn, indem er den arabischen Lotteriewahrsager und das Vademecum für Zahlenlotterien, mit seinen daraus gezogenen Deutungen und Verbindungen dem Sebaldus vorerzählte. Zuletzt, nach vielen Hin- und Wiederreden, verblieb Säugling, wie es einem reichen Manne gegen seinen Hausgenossen gebühret, auf seiner Meinung, und verlangte: Sebaldus sollte nur Eine Zahl anzeigen, die er im Sinne hätte, so wolle er ihm die übrigen vier daraus ziehen.

Sebaldus sagte: »In meinem Sinne ist gar keine Zahl, als die Zahl 666.«

»Gut! rief der alte Säugling: Sehen Sie – 6 und 66 ist drinn, verdoppeln Sie die erste und theilen die letztere, kommt 12 und 33, ziehen Sie diese beiden von einander ab, bleibt 11 – Sehen Sie – 6. 11. 12. 33. 66. – da haben wirs – aber wahrhaftig schlechte Zahlen, die einzige 11 ist gut. Sie verstehen's Spiel noch nicht, Herr Nothanker, das sieht man. Die geraden Zahlen kommen dieses Jahr in dieser Lotterie nicht heraus, am wenigsten in dem ersten Funfzig. Aber so ists, solche junge Anfänger müssen Lehrgeld geben. Bleiben Sie nur bey Ihren Zahlen. Ich will Ihnen meine nicht sagen, aber die 11 ist dabey. Wir wollen sehen, über drey Wochen, wenn die Ziehung vorbey ist. Die 11 kommt heraus, und noch eine Zahl. Aber st! – Laßen Sie uns die Sätze reguliren. Sie sollen Sechs Thaler setzen, dieß ist allemahl mein Satz in jeder Lotterie.«

Der alte Säugling besorgte den Einsatz, mit seinen eigenen, und stellte dem Sebaldus den Schein zu. Zugleich machte er bey Vergleichung der Sätze, seiner Einsicht nochmals ein Kompliment, und spekulirte, wie gewöhnlich, noch einige Tage über verschiedene Verbindungen der Zahlen, dahingegen Sebaldus die Sache, da sie kaum geschehen war, vergaß.


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