Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Siebenter Abschnitt.

Der Verwalter gehörte zu den Leuten, von denen man zu sagen pflegt, daß sie wissen, wie es in der Welt zugeht. Diese Leute glauben bemerkt zu haben, daß diejenigen in der Welt am weitesten kommen, die sich um den Nutzen anderer viel weniger bekümmern, als um ihren eigenen, die niemand gutes thun, als den sie zu brauchen gedenken, und also den hülflosen Unglücklichen, der vor ihren Füßen niederfällt, liegen lassen, ohne ihn anzusehen, um sich zu dem zu drängen, der sie ein Paar Schritte weiter fortziehen kann. Mit diesen brauchbaren Grundsätzen war er in der Welt ziemlich fortgekommen; denn er war aus dem allerniedrigsten Stande bis zur Stelle eines Verwalters ansehnlicher adelicher Güter gestiegen, und verwaltete sie mit so gutem Erfolge, daß er eine Möglichkeit vorher sahe, er werde in einigen Jahren einen Theil davon kaufen können. Dabey hielt er freylich Recht und Unrecht für dasjenige, womit man entweder etwas vor sich bringen, oder in Gefängniß und Geldstrafe gerathen kann; so lange er also dieses nur nicht zu befürchten hatte, war sein Augenmerk beständig auf jenes gerichtet. Die Geschichte von Marianens Entführung, davon sie selbst die Veranlassung nicht anzugeben wußte, hatte ihn neugierig gemacht; er hatte also, unterdessen daß Mariane und Hieronymus auf dem Schlosse gewesen waren, einige Bedienten der Gräfinn, die sich in der Schenke, wo er abgetreten war, einfanden, über die vorhergehenden Begebenheiten und über die Gesellschaft, die auf den Schlosse gewesen war, ausgefragt, und aus allen Umständen den Schluß gezogen, daß der Oberste, dessen Neigung zu hübschen Mädchen er sehr wohl kannte, die Entführung könne veranstaltet haben. Er hütete sich aber wohl, davon etwas gegen Hieronymus und Marianen zu erwähnen; denn er glaubte, sich durch diese Entdeckung für das Pferd, mit welchem Sebaldus verloren gegangen war, und für die Wunde, die ihm seine unbefugte Neugier (denn was gieng's ihm eigentlich an, daß jemand auf der Landstraße entführt wurde?) zugezogen hatte, reichlich bezahlt zu machen. Anstatt also Marianens Aufenthalt dem Freyherrn von D*** zu melden, so meldete er denselben lieber dem Obersten, und benennte ihm zugleich den Preis, um welchen er sie an einen ihm beliebigen Ort bringen wollte. Er gieng hiebey deshalb so offenherzig zu Werke, weil er im Laufe der Welt gefunden hatte, daß selbst vornehmere Leute, als er, die er, um seine Zwecke zu erlangen, zu bestechen nöthig gehabt hatte, wenn es wirklich ihr Ernst gewesen Wort zu halten, lieber vorher um den Preis ihrer Protektion gehandelt, als sich auf eine ungewisse Freygebigkeit verlassen hatten.

Der Oberste, der sich das Glück nicht hatte träumen lassen, Marianen sobald wieder zu sehen, noch weniger, sie in seiner Gewalt zu haben, gieng alle Bedingungen ein. Der Verwalter reisete also mit ihr fort, unter dem Vorwande, sie zu dem Hrn. von D*** zu bringen, und nahm ein Nachtlager auf einem der Güter des Obersten. In der Schenke war schon bestellt, daß sie nicht aufgenommen werden könnten, weil alles schon besetzt wäre. Der Verwalter fuhr also nach dem herrschaftlichen Hause, wo er den Aufseher zu kennen vorgab. Sie traten ab. Hier verließ er des Nachts heimlich Marianen, und den folgenden Morgen bekam sie unvermuthet den Obersten zu sehen.

Der Oberste war ein Männchen, das, wie wir schon bemerkt haben, von seiner Person eine nicht geringe Meinung hegte. Er hatte zwey Jahr auf Universitäten reiten lernen, und Billard gespielt, hatte sich, etwan ein halbes Jahr vor erfolgtem Frieden ein Regiment gekauft, mit dem er verschiedenen Fouragirungen beigewohnt, es bey einigen Rückmärschen in der Avantgarde kommandirt, und es darauf wohlbehalten in die Winterquartiere geführt hatte. Die folgende Zeit hatte er meist am Hofe zugebracht. Aus diesem glorreichen Lebenslaufe glaubte er, müsse erhellen, daß er ein Mann sey, gelehrt, tapfer und voll Weltkenntniß. Er suchte alle Dinge zu affektiren, die ihm die Natur versagt zu haben schien. Unerachtet er in seinem ganzen Betragen flüchtig und läppisch war, so pflegte er doch gemeiniglich eine weise Miene anzunehmen, und den Zeigefinger an die Nase zu legen, wenn er gleich gar nichts tiefsinniges sagte. Unerachtet er unbeständig und veränderlich war, und dabey die Bequemlichkeit liebte, so redete er doch beständig von der Standhaftigkeit, von der Anstrengung und Anspannung der Kräfte, und von festen Vorsätzen, die man unverrückt ausführen müßte. Ob er gleich, durch frühzeitige Ausschweifungen, fast zu allen Wollüsten untüchtig war, so war doch Genuß immer sein drittes Wort. Nach dieser Beschreibung sollte man kaum glauben, daß ein solcher feierlicher Hasenfuß in der menschlichen Gesellschaft nur habe erträglich seyn können, wenn man nicht täglich sähe, daß eine vornehme Geburt, eine Engländische Kutsche mit einem Zuge von sechsen, und ein ziemlich leidliches Angesicht, eben so große und grössere Thoren zu liebenswürdigen Kerlchen macht.

Unser Mann hegte übrigens den ersprießlichen Grundsatz, daß man in allen Vorfällen um sein selbst willen handeln müsse, und daß daher derjenige, der Kraft habe, denjenigen, der schwächer sey, ohne Bedenken zwingen müsse, seinen, als des Stärkern, Absichten zu folgen. Da nun das weibliche das schwächere Geschlecht ist, so folgerte er ganz natürlich, daß alle Mannspersonen ein unwidersprechliches Recht hätten, alle Frauenzimmer nach eignem Willen zu behandeln. Zwar gab er zu, daß Stand, Erziehung, Stolz, Sprödigkeit und Eigensinn, dem Frauenzimmer eine gewisse Art von zufälliger Stärke geben könne, die man Tugend nenne; aber er meinte auch, daß, wenn eine Mannsperson, neben der diesem Geschlechte eigenthümlichen Kraft, noch genugsamen Verstand habe, die schwache Seite eines Frauenzimmers zu finden, er unfehlbar über sie triumphiren werde. Da er sich nun Verstand in hohem Maße zutrauete, so ist leicht zu erachten, daß er überzeugt gewesen, kein Frauenzimmer könne ihm widerstehen.

Er griff also auch ungesäumt Marianen an. Ihre bisherige Zurückhaltung hielt er für Stolz. Wenn er diesem schmeichelte, glaubte er, wäre das meiste geschehen. Er begegnete ihr mit der größten Höflichkeit und Unterwürfigkeit. Er ersuchte sie, sein Haus als das ihrige anzusehen, bis der Verwalter zurückkäme, von dem er vorgab, daß er, wegen eines unvermutheten Geschäfftes, eine Reise von einigen Meilen gethan hätte, und versprach, daß er sie allenfalls in seiner eignen Kutsche weiter bringen wolle. Mariane ließ sich aber in dieser Falle nicht fangen. Sie bestand darauf, unverzüglich auf dem ersten dem besten Bauerwagen, oder auch zu Fuße, weiter zu gehen. Sie sagte dieß so dreist und ernsthaft, daß er seinen Angriff änderte. Seine glühende überschwengliche Liebe wurde vorgebracht; Mariane war die Göttinn, die er anbetete, zu deren Füßen er sich und sein ganzes Vermögen niederlegen wollte. Mariane, voll edles Unwillens, würdigte ihn keiner Antwort, sondern wollte stehendes Fußes weggehen, das äußere Zimmer aber war verschlossen. Er sagte ihr auf die höflichste Weise, sie solle in allen Dingen über ihn und sein Haus zu befehlen haben, den einzigen Punkt ausgenommen, daß sie sich nicht wegbegeben müsse. Mariane fragte voll Unwillen, wer das Recht habe, sie aufzuhalten? Er wendete wieder seine Liebe vor; er bat, er beschwur sie, er versicherte auf den Knien, sie habe von ihm nichts unanständiges zu besorgen; selbst ihrer Gesellschaft, so angenehm sie ihm sey, wolle er sich entziehen, wenn er ihr beschwerlich fiele. Mariane warf sich in einen Stuhl und weinte; er fuhr fort zu bitten und zu versprechen; und sie mußte der Gewalt nachgeben, und wider ihren Willen da bleiben.

Sie begab sich in ein ihr angewiesenes Zimmer. Sie untersuchte sorgfältig, ob irgendwo ein verdeckter Eingang seyn könne; aber es war alles sicher. Sie frühstückte allein. Sie gieng nachher in den Garten. Sie bemerkte wohl, daß sie von verschiedenen Personen von fern beobachtet ward, und daß sie nicht werde entfliehen können; aber der Oberste ließ sich nicht sehen. Es giengen einige Tage hin, in denen sie alles empfand, was ihr itziger Zustand schreckliches, und die Aussicht ins künftige beunruhigendes hatte. Der Oberste, der seinen Anschlag nie aus dem Sinne ließ, fand sich unvermuthet auf ihren Spaziergängen, wo ihm nicht auszuweichen war. Er begegnete ihr mit der größten Ehrfurcht. Sie konnte ihm zuletzt nicht abschlagen, zuweilen bey Tische, oder bey einem kurzen Spaziergange, in seiner Gesellschaft zu seyn. Er fuhr fort zu betheuren, daß er sie auf das innigste liebe, und daß er ihre Gegenliebe nicht zu erzwingen, sondern zu verdienen suchen wolle. Mariane fuhr fort, ihm aufs entschlossenste zu versichern, daß er ihre Gegenliebe auf keine Weise erhalten werde, daß er sie also nicht ferner quälen, sondern sie wegreisen lassen möchte; und sie selbst sann beständig auf ein Mittel, sich aus dieser unangenehmen Lage zu ziehen.

Der Oberste, der sich einen so starken Widerstand nicht vermuthet hatte, ward dadurch noch mehr erhitzt, und fieng an auf andere Plane zu sinnen, um seinem Zwecke näher zu kommen. Er wiederholte sich in Gedanken alle die sinnreichen Mittel, die von entflammten Liebhabern gebraucht worden, um bey ihren widerspenstigen Gebieterinnen zu ihrem Zwecke zu gelangen: z. B. die Ehe zu versprechen, und sein Wort nicht zu halten; die Ehe zu versprechen, und sich durch einen verkleideten Kammerdiener trauen zu lassen; seiner Geliebten einen Schlaftrunk zu geben, und sich in ihr Schlafzimmer zu schleichen; im Fußboden ihres Zimmers eine Fallthüre machen zu lassen, oder durch einen Kamin hineinzusteigen u.s.w. Weil ihm diese aber sämmtlich nicht gefielen, nahm er seine Zuflucht zur Lesung der Geschichte der Klarissa Harlowe, um seine Einbildungskraft durch den Charakter des Lovelace anzufeuern, einen Charakter, den er beständig äußerst bewundert hatte, und nicht ohne Ursach, da ihm selbst Leibeskräfte und Geisteskräfte zum Guten und zum Bösen fehlten, um ein Lovelace zu seyn. Bey dieser Lektur fiel ihm auf, daß er das, was Lovelacen der Zufall gewährte,S. Geschichte der Klarissa, Deutsche Uebersetzung, 5. Th. 7. Brief, S. 70 u. f. durch ausdrückliche Anstalt erlangen könnte. Er ließ wirklich eines Morgens, kurz vor Anbruch des Tages, in Marianens Vorzimmer ein Paar Vorhänge und ein Paar Bunde Stroh anzünden, und pochte nachher mit großem Getöse an ihr Zimmer, um sie aufzuwecken. Er glaubte gewiß, sie in der allerleichtesten Nachtkleidung zu treffen. Er irrte sich aber; denn Mariane, die von Anfang an sehr mißtrauisch gewesen war, hatte, ohne sich auszuziehen, in ihren gewöhnlichen Kleidern geschlummert. Sie öffnete die Thür, voll Entsetzen, und da sie Rauch und Flammen zu Thür und Fenstern hereinschlagen sahe, ergriff sie nur ihre Tasche und Uhr, und folgte dem Obersten, der seine Beute, durch Dampf und Funken, in den Garten bis zu einem abgelegenen Gartenhause schleppte, wo sich Mariane athemlos niedersetzte. Der Oberste wollte ihre erste Bestürzung nützen, fiel ihr zu Füßen, wiederholte seine Liebeserklärung feuriger als jemals, und ward in kurzem so unbescheiden, daß ihn Mariane mit beiden Händen so heftig von sich stieß, daß das Männchen, welches, wie schon bemerkt, zwar in Worten, aber nicht an Kräften ein Herkules war, rücklings zu Boden fiel. Ehe er noch, vom Falle betäubt, aufstehen konnte, sprang Mariane in den Garten. Dieser war von dem daran stoßenden weitläufigen Park, durch eine hohe grüne Hecke gesondert, die an einer einzigen verdorrten Stelle niedriger war. Diese Stelle hatte sich Mariane bey ihren Spaziergängen schon längst genau bemerkt. Sie schaffte sich da, durch die dürren zerbrechlichen Sträuche, leicht einen Weg in den Park, und da sie schnell das Ende desselben erreicht hatte, so lief sie gerade aus ins Feld, ohne sich umzusehen.

Ende des fünften Buchs.


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