Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Dreyzehnter Abschnitt.

Sebaldus konnte, wider sein Vermuthen, beym Hieronymus keine nähere Nachricht von seiner Tochter erhalten, und dieser wiederrieth ihm auch, deshalb zur Frau von Hohenauf zu reisen, weil er schon voraus wußte, daß alle Nachforschung vergeblich seyn würde. Sebaldus tröstete sich indessen damit, daß er Gelegenheit hatte, seinen Kommentar über die Apokalypse aufs neue zu übersehen und zu vermehren. Nachdem er damit über einen Monath zugebracht hatte, fieng er an, der müßigen Lebensart überdrüßig zu werden, und wünschte wieder eine ordentliche Beschäfftigung zu haben. In der fürstlichen Residenzstadt hatte er kein Amt zu hoffen. Zu Herrn F. zurückzukehren trug er kein Belieben, und andere Aussichten konnte er auch in Berlin eben nicht haben. Es fügte sich aber, daß ein gewisser Edelmann, der vormals am fürstlichen Hofe KammerjunkerS. Wilhelmine, S. 99. gewesen, und nachher im Holsteinischen ansehnliche Güter erheurathet hatte, vom Hieronymus einen Aufseher seiner Bibliothek und seines Antiquitätenkabinets verlangte. Sebaldus ließ sich leicht bereden, diese Stelle anzunehmen. Hieronymus gab ihm einen Empfehlungsbrief an den Kammerjunker mit, und weil er eben im Magdeburgischen für verkauftes Getreide Rechnungen abzuthun hatte, so setzte er sich mit dem Sebaldus auf die Post, um denselben, so weit es sein Weg mit sich brächte, zu begleiten.

Nachdem sie einige Meilen gereiset waren, gesellte sich zu ihnen ein Mann zu Pferde, der einem Verwalter ähnlich war, und den Hieronymus als einen Bekannten begrüßte, und in der folgenden Station bestieg den Postwagen, nebst andern unbedeutenden Reisenden, ein Mann ernsthaftes Ansehens, der ihnen, nach der ersten Begrüßung, selbst sagte, daß sein Hauptstudium die Arabische Sprache sey. Er galt in der That, wie man nachher unter der Hand erfahren hat, allenthalben für einen grundgelehrten Mann, der Hebräisch, Arabisch, Persisch, Syrisch, Samaritanisch, Phönicisch und Koptisch aus dem Grunde verstehe. Er hatte nicht allein, gleich andern Kennern der höhern Exegese, das Hebräische durch das Arabische zu erklären gesucht, sondern er war auf eine Höhe gestiegen, die noch kein anderer Exeget erreicht hatte, nehmlich, er hatte einen Versuch gemacht, das Arabische durch das Hebräische in ein helleres Licht zu setzen. Er war in Leipzig gewesen, und freylich soll seine gerühmte Arabische Kenntniß bey Reisken nicht großen Beyfall gefunden haben, welcher glaubte, daß sie sich nicht weit über den Golius erstreckte. Unser Mann hielt dieß aber, wie billig, für Neid, und wandte sich nach Wittenberg. Er hatte eine Sammlung von ihm in der Bibel, vermittelst des Arabischen, neuentdeckter Beweissprüche bey sich, wodurch die vornehmsten Artikel der Dogmatik aufs neue befestigt werden sollten. Er glaubte dadurch in dieser orthodoxen Stadt gewiß eine ansehnliche Belohnung oder Beförderung zu erhalten. Er erstaunte aber nicht wenig, da alle dortigen Doktoren der Gottesgelahrtheit seine neuen Beweissprüche für ganz überflüßig hielten, weil sie meinten, die Dogmatik sey durch die Augspurgische Konfession und durch das Konkordienbuch befestigt genug. Zum Glück, konnte ihm seine Arabische Gelehrsamkeit so gut dienen, als weiland dem Ritter Hudibras seine Logik:

who could refute
Change sides, and still dispute.

Er zog also, mit Hülfe der Arabischen Sprache, eine große Menge Erklärungen aus der Schrift, wodurch die vornehmsten Artikel der Dogmatik zweifelhaft gemacht wurden, und jetzt eben war er im Begriff, mit diesem Schatze von neuen Entdeckungen ins Brandenburgische zu reisen, wo sie, wie er gewiß glaubte, Waare für den Platz seyn müßten.

Dieser Mann wendete sich so gleich an den Sebaldus als an einen Gelehrten, und suchte ihm einen hohen Begriff von seinen Entdeckungen beizubringen. Er bewies ihm weitläuftig, daß die Hebräische Sprache gänzlich ausgestorben sey, und daß, ohne die Arabischen Wurzeln, an keine Palingenesie derselben zu gedenken sey. Er legte ihm daher verschiedene ganz nagelneue Erklärungen vor, z. B. daß 1. B. Mos. XLIX, v. 10. wo man, einige Jahrhunderte lang, den Messias zu finden geglaubt habe, von einer Ueberschwemmung die Rede sey, daß B. der Richter VII, v. 13, wo Luther von gerösteten Gerstenbrodten redet, von einem aus der Scheide gezogenen Schwerte verstanden werden müsse, und dergleichen schöne Sächelchen mehr. Sebaldus, der kein Freund vom Exegesiren, am allerwenigsten von einer so ausschweifenden Exegese war, schwieg ganz stille, bis ihn der Fremde zu wiederholtenmalen fragte, was ihm von dieser neuen Erklärungsart dünke, und ob sie nicht völlig neu, und sehr sinnreich sey.

Sebaldus sagte ganz kalt: »Neu und sinnreich mag sie seyn, aber ich sehe auch wohl, daß man mit solcher Erklärungsart leicht schwarz in weiß verwandeln, und einen Autor sagen lassen kann, was man will.«

Der Fremde, der laute Bewunderung erwartet hatte, fieng nochmals an, mit sehr beredten Gründen darzuthun, daß die Bedeutungen der Hebräischen Wörter verloren gegangen wären, und daß man in den Wurzeln der verwandten Sprachen, besonders der Arabischen, diese Bedeutungen wieder auffinden müsse.

Sebaldus versetzte: »Es scheint mir ganz unmöglich, wenn die Bedeutungen der Deutschen Sprache ganz verloren gegangen wären, sie, nach ein Paar tausend Jahren, in den Wurzeln der Dänischen, Schwedischen und Engelländischen wieder zu finden. Die Wurzelwörter verändern in der Zusammensetzung ihre Bedeutung auf mancherlei Art. Wer die Deutsche Sprache nur in den Wurzeln kennte, und z. B. im Dänischen die Wurzelwörter Tisch, Topf und Nacht gefunden hätte, und nun daraus schließen wollte, daß Nachttisch und Nachttopf Sachen von einerley Art seyn und nur in der Nacht gebraucht werden müßten, dem würde es gerade so gehen, wie unsern heutigen Arabischen Philologen. Ich habe kürzlich eine Schrift des berühmten ReiskeDieses sehr gelehrten und sehr aufrichtigen Mannes Gedanken, wie man der Arabischen Litteratur aufhelfen könne und solle, stehen in den von ihm verfertigten Zusätzen zu der königl. Akademie der schönen Wissenschaften zu Paris, die den elften Theil der Deutschen Uebersetzung (Leipzig 1751. gr. 8.) ausmachen. Diese kleine Schrift verdiente bekannter zu seyn, und von vielen gelesen zu werden, zumal zu itziger Zeit, da wieder allenthalben stark aus der Arabischen Gaukeltasche gespielt wird. gelesen, der die Unmöglichkeit zeigt, die Arabische Sprache, itzt schon, auf die Hebräische anzuwenden. Er versichert: ›Daß noch nicht der tausendste Theil der nützlichen Arabischen Manuskripte bekannt ist und gebraucht werden kann; daß die meisten Theologen, die das Hebräische aus dem Arabischen meistern wollen, aus des Golius Lexikon nur eine sehr dürftige Kenntniß erschnappt haben, oder aufs höchste ein Paar Suren aus dem Alkoran lesen können; daß wir selbst vom Alkoran nicht einmal so viel wissen, um zu entscheiden, ob der vom Maraccius oder von Hinkelmannen eingeführte Text, nach der Lesart der Schule zu al Kufah oder al Basrah sey, welches, wie er sagt, ein so großer Unterschied ist, als zwischen Lutheranern oder Katholiken. Er sagt ausdrücklich, daß man noch einhundert Jahre hindurch gute Arabische Bücher drucken, und sich bis dahin die Lust darüber zu philosophiren ganz vergehen lassen sollte. Er vergleicht, sehr treffend, die Theologen, die itzt schon das Hebräische aus dem Arabischen erläutern wollen, mit den alten Philosophen, welche die Wirkungen der Dinge in der Natur a priori demonstriren wollten, ehe sie noch die Natur durchstudiret hatten, und dadurch die lächerlichsten Grillen in die Physik brachten.‹ Habe ich Unrecht, fuhr Sebaldus fort, wenn ich Reisken, dem größten Kenner der Arabischen Sprache, hierinn glaube?«

»Ey! rief der Fremde ziemlich entrüstet, Reiske kann hievon nicht urtheilen; der Mann versteht zwar etwas Arabisch, aber von dem Hebräischen und andern orientalischen Sprachen, weiß er so viel als nichts. Und Sie, mein guter Herr, der Sie von allen diesen gelehrten Sachen ganz und gar nichts verstehen, Sie sollten davon auch ganz und gar nicht urtheilen, sondern Ehrfurcht für die Bemühungen gelehrter Männer haben, die durch ihre Arabische Philologie in der Bibel ein neues Licht anzünden.«

»Eben deswegen bekümmere ich mich, nebst andern Ungelehrten darum, sagte Sebaldus, weil es über unsere Haut hergeht. Von der einen Seite wird uns zugerufen, daß wir ohne den geschriebenen Willen Gottes nicht selig werden können, und von der andern Seite kommen gelehrte Leute, erklären uns, mit Hülfe von einigen Wurzeln, und Konjekturen, hinein und hinaus, was ihnen beliebt. Und das sollen wir mit Ehrfurcht glauben, weil wir nicht den Golius gelesen haben, oder nicht den Arabischen Alkoran exponiren können? Nein! die Seligkeit des menschlichen Geschlechts kann unmöglich auf solchen Wortklaubereyen beruhen! Hat man einen seltsamem Zirkel gesehen, als den, in welchem man uns herumführen will? Der Willen Gottes im alten Testamente ist Hebräisch geschrieben. Zu den Zeiten der Apostel und der ersten Christen wußte man nichts davon, daß die Bedeutung der Hebräischen Wörter verloren gegangen wäre. In den folgenden Jahrhunderten auch nicht, aber wohl vergaß man den Hebräischen Text bey nahe ganz und gar, und hielt sich an die Vulgata. Als man die Hebräische Sprache wieder hervorsuchen wollte, mußte sie Reuchlin von den Juden lernen, ohne zu wissen, daß diese ihr Hebräisch selbst nicht verstanden, welches sie sich auch nicht träumen ließen. Auf diese Kenntniß der Hebräischen Sprache, wurden sowohl Luthers Deutsche Uebersetzung, als auch alle unsere symbolischen Bücher gebaut; wir stritten, beynahe zwey Jahrhunderte lang, mit bitterm Eifer, über Lehrsätze, die sich darauf gründeten, und endlich, nach zweihundert Jahren, erfahren wir, daß die Bedeutung der meisten Wörter der Hebräischen Sprache verloren gegangen ist, und daß wir sie im Arabischen aufsuchen müssen. Nun haben wir wieder zweihundert Jahre zu streiten. Alsdann kömmt vielleicht jemand, der uns berichtet, daß sich die Bedeutung der Arabischen Wörter auch verändert hätten,Wenn der Fremde wieder zum Worte gekommen wäre, hätte er vermuthlich standhaft behauptet, daß keine einzige Bedeutung eines einzigen Arabischen Werks jemals sich verändert hätte. Dieß versichert wenigstens Magister Schelling, welcher, sitzend in seiner Studierstube im herzoglichen Stifte zu Tübingen, unwidersprechlich überzeugt ist, daß die Arabische Sprache »noch jetzt eben dieselbe ist, die sie bald nach der Zeit ihrer Entstehung war,« und ein feines Kapitel, »von der wunderbaren Erhaltung der Arabischen Sprache in ihrer ersten Reinigkeit, schon den allerältesten Zeiten, bis auf den heutigen Tag« zu erzählen weiß, wie aus seiner Abhandlung von der Arabischen Sprache (Stuttgard 1771.8.) besonders S. 16 bis 21 des mehrern zu ersehen. Freylich, der Reisende Niebuhr, welcher in Arabien gewesen ist, berichtet, daß die itzige Arabische Sprache von der alten Sprache, wie Italiänisch vom Lateinischen unterschieden ist, daß die itzigen Arabischen Gelehrten die Sprache des Alkorans, und anderer Schriften, in ihren Schulen, als eine todte Sprache lernen müssen; daß die itzige Arabische Sprache, so wie alle Sprachen des Erdbodens, in viele Dialekte vertheilt ist, u. d. g. Aber was thut das zur Sache: Niebuhr ist ja ein ungelehrter Ingenieur, und kein gelehrter Philologe! so wie es in allen Sprachen in der Welt gegangen ist, und daß wir diese Bedeutung wieder in der Persischen Sprache,Der gelehrte Engländer Jones hat in der Vorrede zu seiner Persischen Grammatik, schon einen Wink gegeben, den ein Deutscher Professor der Philologie, der vor seinen Zuhörern mit neuen Entdeckungen glänzen will, bald wird mißbrauchen können. oder wer weiß wo, aufsuchen müssen.«

Hier ward Sebaldus durch ein heftiges Geschrey unterbrochen, welches sich auf der Landstraße einige hundert Schritte vom Postwagen erhob. Was dieses für ein Geschrey gewesen, wollen wir künftig berichten, und indessen zur Geschichte Marianens und Säuglings zurückkehren.

Ende des vierten Buchs.


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