Friedrich Nicolai
Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker
Friedrich Nicolai

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Vierter Abschnitt.

Des andern Morgens frühe, erschien vor Sebaldus Thüre ein Wagen, in welchem Mag. Tuffelius, der Informator des Superintendenten saß. Diese Person war fünf Fuß vier Zoll lang, und näherte sich mehr der Magerkeit eines Candidaten, als der Feistigkeit eines Pfründenbesitzers. Sein hageres bleiches Gesicht war beständig wasserrecht gerichtet, ohne sich herauf oder herunter zu neigen. Seine Hände die etwas länger waren, als sie hätten seyn sollen, hielt er mehrentheils gerade vor sich weg, und bewegte sie wellenförmig, wie ein Schwimmender im Wasser. Sein Gang war abgemessen und bedächtlich, als wenn er sich fürchtete auf etwas zu treten, und wenn er sprach, welches nie ohne Noth geschah, war seine Stimme allezeit einen halben Ton höher gestimmet, als anderer Leute Stimme, und hatte dabey etwas quäckendes, daß man glaubte einen Staar zu hören. Er ließ sich durch den Bauer der ihn gefahren hatte anmelden, stieg nach empfangener Antwort langsam aus dem Wagen, und schritte fort, bis er ins Zimmer kam, wo ihn Sebaldus und Mariane empfiengen. Er legte seinen Hut vor seinen Bauch, und beide Hände in den Hut, grüßte die Anwesenden mit einem halbtiefen Bücklinge ohne Haupt und Füsse zu bewegen und ohne ein Wort zu sprechen, setzte sich, und nach verschiedenen Hem, Hem, ließ er sich folgendermaßen aus: »Da ich den göttlichen Beruf erhalten habe, die Seelen dieses Dorfs als ein treuer Hirte zu weiden, so wird es dann wohl nöthig seyn, daß mir dieses Pfarrhaus als meine künftige Wohnung sogleich geräumet werde, sintemahl ich in dem Herrn entschlossen bin, mein Amt unverzüglich anzutreten, und zu dem Ende noch anheute, auf meine nächstens zu haltende Antrittspredigt zu studieren.« Sebaldus stellt ihm vor, daß es unmöglich seyn würde, das Haus zu räumen, um so viel mehr, da seine Frau diese Nacht krank worden wäre. Tuffelius antwortete sehr trocken: »Die Ihnen in Person vorgelesene Sentenz enthält deutlich, daß sie die Pfarrwohnung sogleich räumen sollen, und es muß jeder Christ der Obrigkeit unterthan seyn, die Gewalt über ihn hat, ich rathe Ihnen also wohlmeinend an, sich zu hüten, daß Sie nicht einst zu einem Beispiele angeführet werden, wie die Abweichung von der reinen Lehre, auch zuletzt Rebellion wider die Obrigkeit hervorbringt.« Sebaldus war durch diese Rede so sehr zum Erstaunen gebracht, daß er den Mag. Tuffelius mit starren Augen ansahe, und stillschwieg. Mariane aber nahm das Wort, und sagte mit sanfter und zitternder Stimme zu Tuffelius: »Wir sind nicht willens, uns zu widersetzen, wir sind auch dazu viel zu schwach, wir verlangen nur so viel Zeit, als nöthig ist, um eine andere Wohnung zu suchen, dazu ist ein Tag zu kurz, zudem ist meine Mutter gefährlich krank worden. Ein Prediger ist Bothe des Friedens, er soll Ruhe, Einigkeit und Wohlwollen befördern. Wollen Sie also wohl den Anfang Ihres Predigtamts damit machen, daß sie eine äusserst schwache Kranke aus dem Hause werfen?« Tuffelius der mit seinen Augen bishero noch immer unverwandt gerade vor sich weggesehen hatte, richtete sie in einer mit dem Horizonte parallelen Linie gegen Marianens Antlitz, runzelte die Stirn, zog den Mund ein wenig in die Breite, und sagte mit etwas lauterer Stimme und aufgehobener rechten Hand: »Mulier taceat in rebus eccleslasticis! Meine liebe Jungfer, ich wäre nicht werth, ein vieljähriger Candidat des heiligen Predigtamts zu seyn, wenn ich die Pflichten dieses hochwichtigen Amts nicht wüste. Die erste Pflicht desselben ist wohl warlich, daß in Rücksicht auf geistliche und göttliche Dinge alle irrdische und weltliche Dinge uns gar nicht bewegen müssen. Es würde unverantwortlich seyn, wenn man die armen verirrten Schafe einen Sontag über ohne Hirten lassen wollte, es ist also meine höchste Pflicht, mich ihrer ohne Verzug anzunehmen, und sie bald wieder auf den rechten Weg und auf die gute gesunde Weide der reinen Lehre zu führen, wovon sie vielleicht leider! (hier seufzete er, und that einen halben Blick auf Sebaldus) ab, und in den stinkenden Sumpf der Heterodoxie geführet worden.« Es ward hierüber noch vieles hin und her geredet, und Tuffelius ließ sich endlich mit Mühe bereden, damit zufrieden zu seyn, daß ihm vor der Hand eine Stube eingeräumt würde, begab sich in dieselbe schrieb einen langen Brief, mit dem er den Bauer der ihn gefahren hatte zurücksendete, legte Lankischens Concordanz, die er im Kuffer mitgebracht hatte, auf den Tisch, und fing an den Faden seiner Anzugspredigt zu spinnen.

Sebaldus, Wilhelmine und Mariane hatten sich immer blos auf ihre gute Sache verlaßen, und sahen nunmehr zu spät ein, daß so gut eine Sache auch ist, dennoch eine mächtige Protection zu einem vortheilhaften Ausschlage, nie überflüssig seyn werde. Wilhelmine erinnerte sich des Hofmarschalls und des Grafen von Nimmer, sie glaubte, daß diese mächtigen Patrone sie gewiß nicht würden verlaßen haben, wenn man sie um Hülfe ersucht hätte. Da sie bey der Schwachheit ihres Körpers nichts von der Lebhaftigkeit ihres Geistes verlohren hatte, so fing sie an, muthige Hofnung zu hegen, daß durch mächtige Vorworte vielleicht ihr Schicksal noch könnte geändert werden. Sie wendete alle Kräfte an, ihren Mann zu bereden, daß er nach der Stadt gehen und bei seinen Gönnern Hülfe suchen sollte, welches Sebaldus endlich versprach. Es ward ferner verabredet, daß man die Pfarrwohnung nicht freiwillig räumen wollte, und Wilhelmine wuste viele zureichende Gründe anzuführen, warum Gewalt weder gebraucht werden könnte noch würde. So lange man nur im Besitz wäre, glaubte sie, könnte noch wohl die Absetzung widerrufen werden. Mit diesen Ueberlegungen beschäftigten sie sich bis auf den Abend, da sie sich etwas beruhigt niederlegten. Eben dis that auch Tuffelius, nachdem er mit lauter Stimme seinen Abendsegen abgelesen, und ein Abendlied von zehen Versen gesungen hatte, wir wissen aber nicht genau, ob es Der Tag hat sich geneiget, oder Nun sich der Tag geendet hat, gewesen sey.


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